Die Bilderbuchkarriere eines Sportfunktionärs
Das Buch ist die erste zusammenhängende wissenschaftliche Darstellung der Anfangsjahrzehnte des organisierten Sports in der Bundesrepublik Deutschland. Willi Daume prägte diese Phase in doppelter Funktion: als Präsident sowohl des Deutschen Sportbundes (DSB) als auch des Nationalen Olympischen Komitees (NOK).
Auf der Grundlage jahrelanger, akribischer Archivrecherche und persönlicher Begegnungen mit Weggefährten Daumes zeichnet Jan C. Rode ein genaues Porträt des Dortmunder Eisenfabrikanten und Sportfunktionärs Willi Daume und beschreibt westdeutsche Sportgeschichte der Nachkriegszeit, die zugleich symptomatisch ist für die politische und Gesellschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik.
Aus dem umfangreichen Quellenmaterial arbeitet Rode heraus, wie Daume, der 1937 der NSDAP beitrat und bis 1943 als Spitzel für den Sicherheitsdienst der SS aktiv war, nach dem Krieg eine Bilderbuchkarriere als wohlhabender Fabrikant und einflussreicher Sportfunktionär machte.
Obwohl im Daume-Werk während des Krieges nachweislich 65 Zwangsarbeiter beschäftigt waren, gelang es Daume, sich im Entnazifizierungsverfahren als Opfer zu stilisieren. Auch weil tüchtige Führungskräfte in der Nachkriegszeit knapp waren, schaffte es der gerissene Machtmensch bereits 1950, zum Präsidenten des Deutschen Sport Bundes gewählt zu werden. Rode trägt nicht nur historische Fakten zusammen, sondern analysiert den Ehrgeiz Daumes anhand von Netzwerktheorien und theoretischen Motivationsansätzen für persönliches Handeln.
Daumes Erfolg beruht auch auf Flexibilität. Schnell erkannte der gewiefte Netzwerker die Lage und wechselte je nach Bedarf seine Bündnispartner. Dass ihm die Politik wegen seiner widersprüchlichen Positionen wenig Vertrauen entgegen brachte, nahm er in Kauf.
Einerseits forderte er mehr finanzielle Unterstützung für den Sport. Andererseits fürchtete er um die Unabhängigkeit des Sports. Im Gegensatz zu anderen Personen der westdeutschen Öffentlichkeit setzte sich Daume für regelmäßige Kontakte im innerdeutschen Sportverkehr mit der DDR ein. Trotzdem brach er die Verbindungen in den Osten nach dem Mauerbau im August 1961 ab.
Sein Ziel, den Sport in die Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft zu holen, erreichte Daume, als er das IOC überzeugen konnte, die Olympischen Sommerspiele 1972 an München zu vergeben. Um sich ganz auf dieses Ereignis konzentrieren zu können, stellte er sich, von Politik und engsten Mitarbeitern wegen seiner Unberechenbarkeit und Alleingänge gefürchtet, 1970 nicht mehr zur Wiederwahl als DSB-Präsident. Als NOK-Präsident harrte er allerdings noch bis 1992 aus, vier Jahre vor seinem Tod.
Das Buch ist auch für Leser, die in Sportgeschichte nicht so bewandert sind, ein Gewinn, weil es gut lesbar ist und mit wissenschaftlicher Genauigkeit eine fast allgemeingültige Folie dafür liefert, wie Menschen individuelle Schuld verdrängen, um das eigene Fortkommen nicht zu gefährden.
Es beschreibt Methoden, wie besonders bei politischen Systemwechseln im Geiste einer "Schlussstrichmentalität" die Verantwortung für Verbrechen und menschliche Verfehlungen immer weitergereicht wird, um vor sich selbst und vor den Anderen mit makelloser, weißer Weste dazustehen.
Besprochen von Thomas Jädicke
Jan C. Rode: Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970
Die Werkstatt
304 Seiten, 29,90 Euro
Aus dem umfangreichen Quellenmaterial arbeitet Rode heraus, wie Daume, der 1937 der NSDAP beitrat und bis 1943 als Spitzel für den Sicherheitsdienst der SS aktiv war, nach dem Krieg eine Bilderbuchkarriere als wohlhabender Fabrikant und einflussreicher Sportfunktionär machte.
Obwohl im Daume-Werk während des Krieges nachweislich 65 Zwangsarbeiter beschäftigt waren, gelang es Daume, sich im Entnazifizierungsverfahren als Opfer zu stilisieren. Auch weil tüchtige Führungskräfte in der Nachkriegszeit knapp waren, schaffte es der gerissene Machtmensch bereits 1950, zum Präsidenten des Deutschen Sport Bundes gewählt zu werden. Rode trägt nicht nur historische Fakten zusammen, sondern analysiert den Ehrgeiz Daumes anhand von Netzwerktheorien und theoretischen Motivationsansätzen für persönliches Handeln.
Daumes Erfolg beruht auch auf Flexibilität. Schnell erkannte der gewiefte Netzwerker die Lage und wechselte je nach Bedarf seine Bündnispartner. Dass ihm die Politik wegen seiner widersprüchlichen Positionen wenig Vertrauen entgegen brachte, nahm er in Kauf.
Einerseits forderte er mehr finanzielle Unterstützung für den Sport. Andererseits fürchtete er um die Unabhängigkeit des Sports. Im Gegensatz zu anderen Personen der westdeutschen Öffentlichkeit setzte sich Daume für regelmäßige Kontakte im innerdeutschen Sportverkehr mit der DDR ein. Trotzdem brach er die Verbindungen in den Osten nach dem Mauerbau im August 1961 ab.
Sein Ziel, den Sport in die Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft zu holen, erreichte Daume, als er das IOC überzeugen konnte, die Olympischen Sommerspiele 1972 an München zu vergeben. Um sich ganz auf dieses Ereignis konzentrieren zu können, stellte er sich, von Politik und engsten Mitarbeitern wegen seiner Unberechenbarkeit und Alleingänge gefürchtet, 1970 nicht mehr zur Wiederwahl als DSB-Präsident. Als NOK-Präsident harrte er allerdings noch bis 1992 aus, vier Jahre vor seinem Tod.
Das Buch ist auch für Leser, die in Sportgeschichte nicht so bewandert sind, ein Gewinn, weil es gut lesbar ist und mit wissenschaftlicher Genauigkeit eine fast allgemeingültige Folie dafür liefert, wie Menschen individuelle Schuld verdrängen, um das eigene Fortkommen nicht zu gefährden.
Es beschreibt Methoden, wie besonders bei politischen Systemwechseln im Geiste einer "Schlussstrichmentalität" die Verantwortung für Verbrechen und menschliche Verfehlungen immer weitergereicht wird, um vor sich selbst und vor den Anderen mit makelloser, weißer Weste dazustehen.
Besprochen von Thomas Jädicke
Jan C. Rode: Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970
Die Werkstatt
304 Seiten, 29,90 Euro