Die Biolandbewegung in Polen

Wie eine Frau ein ganzes Land bekehren will

Ein Apfel-Stand in Warschau: Polen ist für Russland der größte Importeur von Äpfeln.
Ein Apfel-Stand in Warschau: Die Bio-Landbau-Bewegung fußt auf altem Wissen von Generationen. © picture alliance / dpa / Rafal Guz
Von Richard Fuchs |
Der Bioboom ist auch in Polen angekommen. Nicht zuletzt wegen der steten Bemühungen von Jadwiga Lopata, einer polnischen Öko-Bäuerin und Aktivistin. Sie zeigt ihren Landsleuten den Weg in eine naturnahe Zukunft.
Jadwiga Lopata in ihrem Element: Die rüstige Öko-Bäuerin Anfang 60 führt eine Gruppe von Gästen durch den verwunschenen Garten eines alten Bauernhauses. Gestrüpp ringsum, ebenso wie Gemüsebeete und Komposthaufen. Dazwischen, freilaufende Ziegen, Hühner und bellende Hunde.
Der Hof liegt fernab der polnischen Metropolen, im Südosten des Landes, südlich von Krakau. Ein Weiler auf einem Hügel oberhalb des 2000-Seelen-Örtchens Stryszow Polnisches Provinz-Idyll – inmitten einer landwirtschaftlich geprägten Hügellandschaft. Ganz normales polnisches Landleben - und doch etwas ganz Besonderes!
"Willkommen im Ökozentrum der Internationalen Koalition zum Schutz der ländlichen Räume Polens. Unser Hauptziel ist es zu beweisen, dass umweltfreundliche Technologien auch in der polnischen Provinz eingeführt werden können. Und - dass sie ökonomisch UND gleichzeitig umweltschonend sind."
sagt die drahtige, zierliche Bäuerin mit dem sonnengegerbten Gesicht, brauner Bubikopf-Frisur und dem knallroten Krempenhut auf dem Kopf.
Vor knapp 15 Jahren hat sie zusammen mit ihrer Familie und Freunden den alten, verwaisten Bauernhof in ihrer Heimatstadt gekauft und renoviert – und daraus ein Begegnungszentrum für all jene gemacht, die mehr über Biolandbau, natürliches Bauen und erneuerbare Energien wissen wollen.
Grüner Prototyp für familiengeführte Bauernhöfe
Dabei wurde das Bauernhaus selbst, ein einstöckiger Bau mit weißem Kalkputz und dunkelbrauner Holzverkleidung, zum grünen Prototyp für hunderttausende kleiner Familien-Bauernhöfe in Polen, erklärt Jadwiga ihren Besuchern.
Sie zeigt auf die vielen Dachluken des Hauses, die natürliches Licht ins Innere lassen. Und auf die zahlreiche Solarkollektoren, die moderne Art, die Kraft des Lichts zu nutzen.
"Auf dem Dach haben wir Solar-Zellen zur Warmwasserbereitung. Und später sehen Sie im Inneren, dass wir neben modernen Technologien auch auf Altbewährtes beim Energiesparen setzen."
Im Gegensatz zur Ökobewegung in Westeuropa, sagt Jadwiga, setze die neue, polnische Umweltbewegung ganz besonders stark auch auf das überlieferte Wissen der Landbevölkerung – die aus reiner Armut über Jahrhunderte sparsam mit Energie umgehen musste. Ihr Beispiel ist der Holz-befeuerte Herd in ihrer Küche – ein Musterbeispiel an Energie-Mehrfachverwertung, sagt Jadwiga:
"Erstens heizen wir damit das Haus. Zweitens koche ich mit dem Ofen. Drittens trockne ich mit der Abwärme Früchte und dann ist da im Ofen noch eine Wassertasche versteckt, mit der wir warmes Wasser erhitzen können. Also eine sehr alte Lösung, und doch wie geschaffen für die Zukunft."
Doch Jadwiga Lopata und ihre Mitstreiter gelten in Polen nicht nur als Pioniere beim Energiesparen, sondern auch als Vorkämpfer für gentechnikfreie Lebensmittel und eine pestizidfreie Landwirtschaft.
Das sei heute nötiger denn je, erklärt Jadwiga Lopata, deren Name auf deutsch Hedwig Schaufel heißt. Denn mit der politischen Wende von 1989 kamen auch die internationalen Agrarkonzerne nach Polen. Und mit ihnen - eine Landwirtschaft, die auf Monokultur und Ertrags-Maximierung setze.
"Zusammen mit Freunden haben wir die Kampagne 'Gentechnik-freies Polen' gestartet. Wir haben Infoveranstaltungen und Proteste organisiert, um die polnische Regierung zu zwingen, Gentechnik-Anbau nicht zuzulassen."
Jadwigas praktischer Gegenentwurf zur Agro-Industrie ist ihr eigenes Gemüsebeet, der nächste Stopp der kleinen Rundtour. Es ist ein Permakultur-Beet, was für den ungeübten Beobachter mehr oder weniger aussieht, als ob verschiedene Gemüse- und Kräuterpflanzen in einem heillosen Durcheinander nebeneinander gesetzt wurden. Der Ertrag stimmt, lächelt die Ökobäuerin, um jenen abfälligen Kommentaren zu begegnen, die sie oft hört.
"Wir sind in weiten Teilen, etwa zu 70 Prozent beim Essen Selbstversorger".
Jadwiga gibt Seminare und zeigt anderen, wie Selbstversorgung geht
Wie eine solche Selbstversorgung auch ohne Kunstdünger, Pestizide und gentechnisch-manipuliertes Saatgut gelingen kann, dazu gibt Jadwiga auch Seminare. Hunderte Landwirte, nicht nur aus der umliegenden Region Malo Polska – auf Deutsch Kleinpolen – haben sich von ihr so beim Umstieg vom konventionellen zum Bio-Landbau beraten lassen.
Nicht zuletzt für dieses unermüdliche Engagement für den Erhalt der regionalen Biodiversität und Artenvielfalt erhielt sie im Jahr 2002 den Goldman Umweltpreis – eine renommierte Auszeichnung für Umweltaktivisten. Das hat selbst Prominente wie den britische Thronfolger Prinz Charles nach Stryszow gebracht, erzählt die resolute Ökobäuerin beiläufig.
Höchste Zeit, dass der Workshop für die fünf Gäste beginnt. Auf der Tagesordnung steht heute natürliches Bauen: Das Pressen von Lehm-Stroh-Ziegeln, mit denen dann Häuser besonders umweltfreundlich gebaut werden können.
Jadwiga bringt die Gäste zu ihrem 33-jährigen Sohn Chris, der bereits zwei eigene Stroh-Lehm-Häuser in der Nachbarschaft hochgezogen hat. Er leitet den Kurs.
Chris, braune Stoppelfrisur, lehmverspritzte, blaue Outdoorjacke und Gummistiefel, wartet im Garten - vor ihm eine schwarze Wanne mit Lehm-Schlamm. Neben ihm ein Haufen von Stroh – und eine armlange Holz-Form auf dem Boden, in der sich Lehm-Stroh-Ziegel pressen lassen.
"Erst haben wir einen anständigen Lehm-Mix angerührt. Dann kommt Stroh dazu – immer in der richtigen Dosierung. Wenn Stroh und Lehm gut vermengt sind, kommt es in die Holzform. Und wenn diese Form voll ist, pressen wir den Block zusammen, so stark, bis am Ende die ganze Luft darin draußen ist."
Jetzt ist Workshop-Teilnehmerin Edyta dran. Die 30-jährige Soziologin mit brauner Pagen-Frisur, überlangem Parka und Karotten-Jeans ist für den Workshop am Morgen extra aus Warschau angereist. Jetzt heißt es beim Pressen der Lehmziegel Kraft zu beweisen.
"Es ist nicht gerade die sauberste Arbeit, oder? Gefällt sie dir trotzdem?" - "Natürlich, du solltest das auch probieren!"
In der Workshop-Pause reden Edyta und ihre Freundin Aneta über das, was sie am Ökozentrum und dem natürlichen Bauen anzieht. Aneta ist Kosmetikerin und lebt in Krakau.
Aneta: "Ich finde diese Idee super […] weil es natürlich ist, weil es sauber ist, weil es ganz nah dran an meinem Herzen ist"
"Die Wahrheit ist ja, dass wir beide in großen Städten wohnen, und wir beide von der Großen Flucht von der Stadt aufs Land träumen… also dahin, wo man besser im Einklang mit der Natur leben kann".
Auch Workshop-Leiter Chris beobachtet, dass die Arbeit des Ökozentrums gerade in den letzten Jahren auf immer mehr Resonanz in der polnischen Gesellschaft trifft. Gerade die 'Urban Youngsters' ziehe die Natur wieder an.
"Lehm- und Strohhäuser erleben gerade einen richtigen Boom in Polen. Als wir hier damit vor 12, oder sagen wir 15 Jahren angefangen haben, waren wir Freaks. Jetzt hört man überall von Ökodörfern, Öko-Stadtteilen oder Öko-Nachbarschaften."
Und Jadwiga Loptata hofft, dass bald noch ein weiteres "Öko" die Herzen der Polen erobert: Öko-Tourismus.
"Wir setzen jetzt vor allem auf den Tourismus, und nutzen Touristen als Vehikel, um Landwirten und der Öffentlichkeit den Umweltschutz näher zu bringen. Das heißt, wir suchen und bewerben Landwirte und Höfe, die exzellentes Essen produzieren, die an schönen Plätzen liegen und die gleichzeitig auch erneuerbare Energien einsetzen. Vor allem an Solarzellen denken wir da. Deshalb haben wir unser Projekt 'Solar Poland – Urlaub mit der Sonne' genannt."
19 Höfe machen schon mit
19 Bauernhöfe aus der Region erfüllen bereits ihre strengen Kriterien für Biolandbau, Nutzung erneuerbarer Energien und eine für Touristen attraktive Umgebung. Mit dabei, der Bauernhof "Pod Grusza", zu Deutsch, "Unter dem Birnbaum" – auch ein Solar-Bauernhof.
Der kleine Weiler Gruszow liegt rund eine Auto-Stunde vom Ökozentrum entfernt, auf den weichen Hügeln des Wielickie-Gebirges . Apfelbäume, so weit das Auge reicht. Dazwischen bizarre Felsformationen, die die Fantasie anregen – und so manches urwüchsige Waldstück. Auf dem Bauernhof ein Einfamilienhaus als Feriengebäude, das außen teilweise holzverkleidet, und teilweise mit Landschaftsbildern bemalt ist. Oben drauf funkeln Solarzellen.
Bäuerin Agnieszka Murzyn stellt ihren Hof vor, auf dem bis zu 24 Personen Ferien machen können, sagt sie. Gemeinsam mit ihrer 13-jährigen Tochter läuft die End-Dreißigerin über das Gelände, akustisch begleitet vom Schnauben einzelner Pferde, dem Gackern von Hühnern und dem quiekenden Mähen von Ziegen und Schafen.
"Hier organisieren wir im Winter Schlittenfahrten, mit Pferden oder auch mit Traktoren. Hier haben wir einen Sportplatz, auf dem die Kinder oder die Familien spielen können. Wir haben einen Hund und viele Pflanzenarten, die wir alle selbst anbauen. Wir betreiben einen ökologischen Bauernhof und alle Gemüse-Sorten, die wir hier kochen und servieren, bauen wir selbst an. Man kann auch Zeit im Wald verbringen, wo es einen Spielplatz für die Kinder gibt."
Seit sieben Jahren bietet Familie Murzyn jetzt bereits Ferien auf dem Ökobauernhof an. Die Bilanz, gar nicht schlecht, findet Agnieszka Murzyn: Rund 100 Gäste pro Jahr waren es bisher.
Gut – und doch nicht gut genug, findet die Organisatorin des neuen Öko-Tourismus-Netzwerks Jadwiga Lopata. Am Ökozentrum in Stryszow reichen die Pläne für die Ankurbelung des Agri-Tourismus zwischen Krakau und dem Hohen Tatra-Gebirge schon sehr viel weiter, verrät die umtriebige Ökobäuerin.
"Wir haben bereits beschlossen, das Projekt auf drei weitere Provinzen des Landes auszudehnen, so dass wir bald über 80 Bio-Höfe haben werden, die unsere Kriterien erfüllen."
Und je mehr Höfe sich dem Solar-Bündnis anschließen, desto besser, sagt Jadwiga. Denn nur mit mehr Sonnenenergie lasse sich eines der größten Umweltprobleme der malerischen Region Malo Polska langfristig beheben: der überall präsente Kohlestaub in der Luft.
Denn noch immer verfeuern über 90 Prozent aller Häuser der Region dreckige Kohle, um in den Wintermonaten zu heizen. Das legt spätestens mit Beginn der Heizsaison Ende Oktober einen giftigen Schleier aus Rauchgasen und Flugasche übers Land. Das Solarbündnis ist Jadwigas Antwort:
"Und ich sage dann immer, wenn ihr wirklich Touristen haben wollt, dann müsst ihr die Umwelt schützen, die Luft sauber halten, denn das ist es, was die Touristen suchen. Ihr müsst langfristig denken … Und dann kommen sie langsam ins Grübeln…"
Noch bleibt für die Umweltaktivisten von der Internationalen Koalition zum Schutz der ländlichen Räume in Polen viel zu tun. Denn auch Polens nationale Energiestrategie sieht derzeit keinen Kurswechsel bei der Nutzung der klimaschädlichen Kohle als Hauptenergieträger vor. Dennoch ist Jadwiga Lopata voller Hoffnung, dass der Anfang gemacht ist.
"Es ist was in Bewegung gekommen! Natürlich würde ich mir wünschen, dass da noch mehr passiert, aber: Es bewegt sich was!" + "…Und wenn dann ganz Polen wie das Ökozentrum ist, dann ist mein Traum erfüllt [sie lacht]".
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