Die Bombe auf der Bühne

Rezensiert von Jörn Florian Fuchs |
Sehr ungewöhnlich beginnt John Adams saftiger Opernschinken über den ersten großen Atomtest anno 1945 in der Wüste von New Mexico. Sprachfetzen, Geräusche und Gesang beschallen via Surround-Lautsprecher den Zuschauerraum des Amsterdamer Muziektheaters. Nach knapp dreieinhalb Stunden dann erneut musique concrète: Stimmen werden hörbar, verdichten sich, dann spricht eine Japanerin in ruhigem, vorwurfsvollem Ton - die unweigerliche Assoziation: Hiroshima.
Das technisch-akustische Flimmern vom Band setzt Adams jedoch nur sparsam ein und schrieb ansonsten eine ausladende, wirkungsvolle Musik. Zwar sind die für ihn typischen Cluster auch bei "Doctor Atomic" ausführlich zu hören, aber so manche Klangfläche wird durch die Integration melancholisch-melodiöser Bögen zur komplexen Klagfläche. Der von Martin Wright exzellent präparierte Amsterdamer Opernchor trauert über den Beginn des Atomzeitalters, die bösen Amerikaner und nicht zuletzt die Person Oppenheimers in schönen, gut gestalteten Kantilenen.

Oppenheimer steht im Zentrum der Handlung, von seinen (Selbst)Zweifeln und Ängsten erzählt Peter Sellars' Libretto, der zugleich Regie führte. Ein umfangreiches Textkonvolut aus diversen Quellen hat Sellars zusammengestellt: historische Zeugnisse und Aktennotizen aber auch allerlei schöngeistig-literarisches findet sich. So singt Oppenheimer im (Selbst)Zweifelsfall gern Lyrik von John Donne oder Baudelaire und wenn es ganz dicke kommt - kurz vor der finalen Bombenzündung - dann muss sogar die Bagavadgita herhalten und der Weltenzertrampler Vishnu beschworen werden. Dass an den "literarischen" Stellen die Musik ähnlich klingt wie etwa bei den Tagebucheintragungen Oppenheimers, bereitet ein wenig (intellektuelles) Ohrengrummeln.

Nichtsdestotrotz ist Adams bei "Doctor Atomic" auf dem Höhepunkt seiner Kunst, schafft ein dicht gewebtes Netz mit häufig sehr rauen Blechfiguren, die deutlich an Schostakowitsch erinnern.

Auch dramaturgisch funktioniert das Ganze über weite Strecken, Sellars lässt auch Kitty Oppenheimer, ferner ein religiös-philosophisch angehauchtes Kindermädchen, einige Wissenschaftler sowie Edward Teller zu Wort kommen. Was als tiefsinnige Konversation oder als Konflikt beginnt, wird manchmal jedoch arg ins Kitschige getrieben, man beschwört den ewigen Geist und die vergängliche Materie, stracks wehen Gedanken Platos herein und plötzlich landet man sogar bei Thomas Mann auf dem Zauberberg, wo nämlich kein Sanatorium, sondern - angeblich - ein Labor zur Entwicklung der Atombombe steht ...

Szenisch setzt Peter Sellars vor allem auf Abstraktion. Vertikale und horizontale Streben sorgen für immer neue Räume. Labore, das Oppenheimerische Schlafzimmer sowie das Testgelände gehen fließend ineinander über. Im Hintergrund verweist eine Gebirgssilhouette auf den historischen Ort des Geschehens. Immer wieder gewittert es aus dem Graben und auf der Bühne, Blitze flammen auf, blenden Scheinwerfer das Publikum.

Die Bombe selbst ist ein verschnürtes Ungetüm, das im zweiten Teil des Abends als Mentekel über den Protagonisten schwebt. Sie explodiert zum Schluss nur im Orchester, auf der Bühne bewegen sich dazu Trauben von Menschen zeitlupenhaft, erstarrt.

Als eher störend erwies sich die Choreographie von Lucinda Childs, die immer wieder Rudel von tanzenden Soldaten und Alltagsmenschen mit gediegenen Verrenkungen über die Bühne jagte.

Das Nederlands Philharmonisch Orkest entfesselte unter Lawrence Renes einen wahren Klangrausch. Die Adams-erprobte Jessica Rivera gab Kitty Oppenheimer mit zartem Schmelz, in der Titelpartie überzeugte Gerald Finley mit würdevollem Schmerzgesang.

Rezensiert von Jörn Florian Fuchs

John Adams: Dr. Atomic
Regie und Text: Peter Sellars
Musikalische Leitung: Lawrence Renes
Choreografie: Lucinda Childs
Het Muziektheater Amsterdam
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