Die brotfreie Zeit des Jahres

Von Gerald Beyrodt · 30.03.2012
Vor dem Pessachfest steht ein Frühjahrsputz an. Weil in dieser Zeit gesäuertes Brot verboten ist, reinigen traditionelle Juden ihre Wohnung, um auch kleinste Krümel zu erwischen. Wie turbulent es zugehen kann, beschreibt Eva Lezzi in ihrem Kinderbuch "Chaos zu Pessach".
Heilloses Chaos kurz vor dem Sederabend. Die Mutter putzt noch, als die Gäste schon da sind, und dann erst das Kinderzimmer:

"Plötzlich steht Mama im Türrahmen von Benis Zimmer:(...) 'Wie sieht es hier aus? Das nennst du aufgeräumt? Nicht einmal Oma würde ein solches Chaos zustande bringen!' Mama hilft Beni beim Aufräumen. Aber während Beni sorgfältig seine Fußballbildchen sortiert, würde Mama am liebsten mit einem großen Müllsack durch sein Zimmer gehen und die Hälfte der Sachen wegschmeißen. (...)

"Und was ist das?" Mama fischt die Brotbox aus Benis Schulranzen. (...) 'Es ist Erew Pessach, (...) und mein Sohn lässt die Butterbrote in seinem Zimmer rumliegen. Ich fass es nicht. Du weißt doch, dass an Pessach kein Brot in der Wohnung sein darf.'"

Den Streit ums Butterbrot kennt Eva Lezzi aus vielen Familien: jüdischen und nicht jüdischen:

"Ich kenne das von vielen Eltern, ich kenne das von vielen Kindern, dass das ein Thema ist, werden die Pausenbrote gegessen, der Pausenapfel, kommt's zurück in die Küche, muss es dann noch gegessen werden, es ist ein gigantisches Alltagsthema."

Eigentlich heißt "Seder" Ordnung. Die Familie sitzt gemeinsam am Tisch und erinnert sich in einer bestimmten Reihenfolge von Speisen, Texten, Segenssprüchen und Getränken an den Auszug aus Ägypten, an die Befreiung der Juden.

Vorher hat die Großmutter schon mal mit den Kindern eine Pessach-Hagada gebastelt, also die Pessach-Erzählung mit Bildern versehen. Besonders plastisch sind die zehn Plagen ausgefallen: grüne Heuschrecken und gelbe Eiterbeulen, im Buch Illustrationen der Künstlerin Anna Adam. Doch Plagen gab es nicht nur im alten Ägypten.

"Beni gibt Tabea einen heftigen Tritt unter dem Tisch, sodass sie laut aufjault, und Mama zu schimpfen anfängt: 'Müsst ihr euch schon wieder streiten? Es ist doch zum Verrücktwerden!' Da erfindet Onkel Jakob rasch neue ägyptische Plagen: 'Streitende Kinder, nörgelnde Mütter, verrückte Eltern, besserwisserische Schwestern, tretende Brüder.' 'Die schlimmste Plage aber sind witzige Onkels', ruft Tabea dazwischen."

Unterm Sedertisch steht ein Skateboard: "Chaos zu Pessach" schildert eine heutige jüdische Familie, wie sie wirklich sein könnte: Nur Benis Mutter ist jüdisch, der Vater nicht. Mit Religion hat die Familie nicht besonders viel am Hut, feiert gerade mal den Sederabend, weil es Tradition ist. Der eine Onkel kann mit Israel nichts anfangen, der andere Onkel will demnächst dorthin auswandern, und Beni mag an Israel am liebsten die Hip-Hop-Bands, die es dort gibt.

"Es ist uns ein Anliegen, selber Bücher zu produzieren und nicht aus dem Amerikanischen oder aus dem Hebräischen zu übersetzen, sondern wirklich Themen anzusprechen über Judentum in Deutschland heute, nach dem Holocaust, im Jahr 2012, jüdische Normalität, Familiennormalität zu zeigen."

Juden mal nicht als Opfer oder als ganz besonders Fromme - damit ist schon viel gewonnen in Deutschland. Da verzeiht man gerne manche stilistischen Holprigkeiten.

Ein Kinderbuch über Pessach ist auch deshalb eine gute Idee, weil Kinder am Sederabend eine wichtige Rolle spielen. Sie eröffnen den Abend mit einer Frage nach dem Sinn des Festes. Und am Ende des Abends müssen sie versteckte ungesäuerte Brote suchen: den Afikoman. Wenn sie ihn gefunden haben, bekommen sie ein Geschenk: etwas Süßes, eine CD, einen Kinogutschein. Oder auch ein Kinderbuch.

Anna Adam, Eva Lezzi: Chaos zu Pessach
Hentrich und Hentrich-Verlag, Berlin 2012
32 Seiten, 14,90 Euro
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