Die Brüder Kaczynski und wir

Von Helga Hirsch |
"Die extreme Rechte, die vor kurzem in Polen hervortrat, gefällt mir absolut nicht", schrieb der Schriftsteller Stanislaw Lem im letzten Feuilleton vor seinem Tod. Die Brüder Kaczynski seien ein Unglück für das Land. Tatsächlich hat Polen ein Problem: Nicht nur, dass die konservative Minderheitenregierung instabil ist, sich für vorgezogene Neuwahlen im Parlament aber keine Mehrheit findet, weil die Opposition sich verweigert.
Schwerer noch wiegt, dass die Regierungspartei das öffentliche Klima vergiftet, indem sie polarisiert, den politischen Gegner als "Lumpen-Liberale" verleumdet, überall Bestechung, Käuflichkeit und illegale Geschäfte wittert und allen misstraut, die den von ihnen postulierten affirmativen Patriotismus nicht teilen.

"Das Weltbild der Brüder Kaczynski", schrieb der Soziologe Pawel Spiewak, "liefert ein Placet für intellektuelle Faulheit und für die übelsten Eigenschaften der Polen: Obskurantismus und Heuchelei." Und es nährt den Verfolgungswahn. Der Staat, so die feste Überzeugung von Jaroslaw Kaczynski, dem Ideologen des Zwillingspaares und Vorsitzenden der Partei "Recht und Gerechtigkeit", sei seit dem Zusammenbruch des Kommunismus unterwandert worden von einem mafiösen Netzwerk aus Postkommunisten, illegal zu Reichtum gekommenen Geschäftsleuten, vom Sicherheitsdienst inspirierten Journalisten und vom Ausland gelenkten Bankern, denen angeblich nur mit speziellen Parlaments-Kommissionen und zusätzlicher Kontrolle auf die Schliche zu kommen ist.

Nicht zufällig näherte sich die Partei der Brüder dem katholischen Sender Radio Maryja an: Radio Maryja, das ist wärmende Familie für die Ärmeren, die Älteren, die weniger Gebildeten, die sich ihr Bild vom opferbereiten und heroischen Polen nicht durch Nestbeschmutzer beflecken lassen wollen und das Böse auf "die Anderen" verlagern – auf die Juden oder die ausländischen Kapitalisten oder die Liberalen, die der Dekadenz des ungläubigen Westens keinen Riegel vorschieben.

Innenpolitisch bekommen die Brüder Kaczynski zunehmend Gegenwind. Auf dem Gebiet der Außen- und Geschichtspolitik erweist sich die Auseinandersetzung hingegen als schwieriger, denn das überhöhte Selbstbild ist nicht auf das nationalkonservative Lager beschränkt. Ein kritischer Patriotismus, der die Polen nicht nur als Opfer und Helden, sondern auch als Täter zeigt, hat immer noch einen schweren Stand gegen jene ruhmreiche Selbstbespiegelung, mit der schon der Schriftsteller Henryk Sienkiewicz "die Herzen erquicken" wollte.
Zu einem sehr ungewöhnlichen Schritt entschloss sich der polnische Außenminister Stefan Meller, als er die Politik der eigenen Regierung in einer großen Tageszeitung einer massiven Kritik unterzog. Er warnte vor einem "nationalen Egoismus", der auf europäischem Parkett durch politische Alleingänge und eine undiplomatische Sprache erschrecke, der auf Verbündete keinen Wert lege, vielmehr Misstrauen gegenüber Bündnispartnern säe, wo konstruktive Kompromisslösungen gefordert seien – etwa im Verhältnis zu Deutschland. "Das Problem der Gaspipeline" schrieb Meller, "spiegelt die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Warschau und Berlin wie in einer Linse. Die Sprache, mit der diese Frage in Polen diskutiert wird, vertieft die Unterschiede und verstärkt die gegenseitigen Verdächtigungen bis an die Grenze der Paranoia", so der polnische Außenminister.

Das regierende Polen will sich nicht damit zufrieden geben, dass Deutschland "nur" für eine Ausweitung seiner Energiequellen sorgt, sondern unterstellt ein strategisches deutsch-russisches Bündnis auf Kosten Polens wie im 19. Jahrhundert. Das regierende Polen will auch nicht akzeptieren, dass ein "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin "nur" als ein Gedächtnisort geplant ist, sondern sieht darin den ersten Schritt eines erneuten deutschen Drangs nach Osten.

Und wir? Ein rechtes Maß gegenüber den Entwicklungen bei unseren Nachbarn scheint noch nicht gefunden. Bis zum Regierungsantritt der Nationalkonservativen waren viele Polen-Freunde bereit, historisch bedingte Ängste unserer Nachbarn selbst dann zu berücksichtigen, wenn dies auf Kosten der historischen Wahrheit ging. Nun sind sie weitgehend verstummt, die Instrumentalisierung der Geschichte liegt zu offenkundig auf der Hand.

Der Ausweg, so scheint es, liegt in einem Dialog, der unbequeme Themen einer trügerischen Schönwetterlage wegen nicht mehr verschweigt, sondern auf historischer Wahrheit und dem Respekt für die Denkweise des Anderen beruht. Der Toleranz einfordert und Ambivalenz aushält. Denn ungeachtet dessen, wie lange sich die Brüder Kaczynski halten können, wird das deutsch-polnische Verhältnis davon geprägt sein, ob wir Spannungen aushalten, ohne uns abzustoßen, und ob wir Gemeinsamkeiten entwickeln können, für die sich länderübergreifend Fürsprecher finden.


Dr. Helga Hirsch studierte Germanistik und Politologie in Berlin und arbeitet seit 1985 als freie Journalistin, unter anderem für den Westdeutschen Rundfunk und die F.A.Z. 1988 bis 1994 war sie Korrespondentin der "Zeit" in Warschau. 1998 erschien ihr erstes Buch, "Die Rache der Opfer".
Letzte Buchveröffentlichungen: "Ich habe keine Schuhe nicht. Geschichten von Menschen zwischen Oder und Weichsel" und "Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema".