Die Bücherrevolution hat begonnen
Wo Kulturpessimisten den Untergang des Abendlandes befürchten, singt unser Autor Malte Herwig ein Loblied auf die Digitalisierung der Bücher: "Meine Bibliothek habe ich immer dabei - und dazu noch tausend andere, von denen ein Jorge Luis Borges nur hätte träumen können. Das ist nicht Zerstreuung, das ist das wahre Leseglück".
Wer verstehen will, wie sich unsere Buchkultur verändert, sollte in das nächste Möbelhaus gehen. Der IKEA-Katalog ist ein verlässliches Kursbuch gesellschaftlichen Wandels, und die Schweden haben seit letztem Jahr das "Billy”, den Klassiker aller Buchregale, in einer tieferen Version im Programm. Einer Version für Leute, die keine gedruckten Bücher mehr haben, sondern Vasen, Designobjekte oder: E-Books.
Ich habe nichts gegen Bücher, lese gern und viel und liebe meine Bibliothek. Aber ich lege keinen Wert darauf, in vier Bücherwänden zu wohnen. Wie fühlt sich das an, wenn man auf einmal mehr Hemden im Schrank hat als Bücher an der Wand?
Die Revolution hat längst begonnen, also besorgte ich mir vor einiger Zeit eine Guillotine. Das ist ein Gerät, mit dem man große Mengen Papier schneiden kann. Ich nahm ein Taschenbuch von 300 Seiten aus dem Regal und spannte es in den Rahmen. Die Guillotine glitt durch das Papier wie durch Butter und trennte den Rücken vom Buchblock.
Ich steckte die losen Blätter in einen Scanner und bald tauchte der Text auf dem Bildschirm des angeschlossenen Computers wieder auf. Eine Software zur Texterkennung wandelte die Scans wieder in Buchstabenfolgen um und zaubert sie im letzten Schritt drahtlos auf den Bildschirm meines E-Book-Readers.
Beim ersten Buch hatte ich noch ein mulmiges Gefühl, aber zerstört wird ja nur der Träger, nicht der Text.
So fing ich an, meine Bibliothek ins digitale Nirvana zu schicken. Es ist mir egal, ob Sie mich für einen digitalen Jakobiner halten: Das Ancien Régime des Buchdrucks liegt nach einem halben Jahrtausend in den letzten Zügen.
Natürlich wird es nie endgültig verschwinden. Es wird immer schöne Prachtexemplare von Büchern geben, alte Inkunabeln und bedeutende Zeugnisse der Druckerkunst werden überleben. Das Versailler Schloss steht schließlich auch noch. Nur regiert wird von dort aus schon lange nicht mehr.
Der Internet-Buchhändler Amazon verkauft schon jetzt mehr elektronische als gedruckte Bücher, und die Verlage versuchen, sich auf den radikalen Wandel einzustellen. Aber noch sind die meisten Bücher nicht elektronisch erhältlich, und der technologische Wandel favorisiert erst einmal Massenware.
Anspruchsvolles in digitaler Form findet man noch selten - jedenfalls auf dem deutschen Buchmarkt, der noch immer von antidigitaler Bedenkenträgerei geprägt ist.
Im 20. Jahrhundert lästerten viele über den bevorstehenden Kulturverfall durch das Paperback. Als Penguin und später Rowohlt mit den ersten Taschenbüchern rauskamen, galten diese als billig, unbeständig, einfach nicht so schön anzufassen wie ein gebundenes Buch.
Wie oberflächlich ist es doch, einen Roman oder eine Gedichtsammlung danach zu beurteilen, wie sich das Material anfühlt, auf dem sie gedruckt sind! Würden die Bücher von Rosamunde Pilcher oder Konsalik kulturell wertvoller, wenn man sie in feinen Lederbänden herausbringen würde? Das ist letztendlich eine Liebhaberfrage.
Das Entscheidende beim Lesen bleibt das Lesen, nicht das Buch. Das wusste schon Marcel Proust, der sich darüber ärgerte, dass in den viel gelesenen Zeitungen nur der neueste Klatsch über die Herzogin von Guermantes stand, Pascals philosophische Gedanken aber in den ungelesenen Lederbänden im Regal versauerten. Wäre es nicht viel besser, fantasierte Proust, wenn Pascal in der Zeitung stünde und der Klatsch im Regal?
Ich hole mir jetzt meine ungelesenen Bücher aus dem Regal und die ungelesenen Texte aus den Büchern und habe sie dann immer zu Verfügung. Wenn ich nun im Café statt der Tageszeitung Proust oder Pascal oder Franzen lesen möchte, greife ich einfach zu meinem Kindle.
Meine Bibliothek habe ich immer dabei - und dazu noch tausend andere, von denen ein Jorge Luis Borges nur hätte träumen können. Das ist nicht Zerstreuung, das ist das wahre Leseglück.
Ich habe nichts gegen Bücher, lese gern und viel und liebe meine Bibliothek. Aber ich lege keinen Wert darauf, in vier Bücherwänden zu wohnen. Wie fühlt sich das an, wenn man auf einmal mehr Hemden im Schrank hat als Bücher an der Wand?
Die Revolution hat längst begonnen, also besorgte ich mir vor einiger Zeit eine Guillotine. Das ist ein Gerät, mit dem man große Mengen Papier schneiden kann. Ich nahm ein Taschenbuch von 300 Seiten aus dem Regal und spannte es in den Rahmen. Die Guillotine glitt durch das Papier wie durch Butter und trennte den Rücken vom Buchblock.
Ich steckte die losen Blätter in einen Scanner und bald tauchte der Text auf dem Bildschirm des angeschlossenen Computers wieder auf. Eine Software zur Texterkennung wandelte die Scans wieder in Buchstabenfolgen um und zaubert sie im letzten Schritt drahtlos auf den Bildschirm meines E-Book-Readers.
Beim ersten Buch hatte ich noch ein mulmiges Gefühl, aber zerstört wird ja nur der Träger, nicht der Text.
So fing ich an, meine Bibliothek ins digitale Nirvana zu schicken. Es ist mir egal, ob Sie mich für einen digitalen Jakobiner halten: Das Ancien Régime des Buchdrucks liegt nach einem halben Jahrtausend in den letzten Zügen.
Natürlich wird es nie endgültig verschwinden. Es wird immer schöne Prachtexemplare von Büchern geben, alte Inkunabeln und bedeutende Zeugnisse der Druckerkunst werden überleben. Das Versailler Schloss steht schließlich auch noch. Nur regiert wird von dort aus schon lange nicht mehr.
Der Internet-Buchhändler Amazon verkauft schon jetzt mehr elektronische als gedruckte Bücher, und die Verlage versuchen, sich auf den radikalen Wandel einzustellen. Aber noch sind die meisten Bücher nicht elektronisch erhältlich, und der technologische Wandel favorisiert erst einmal Massenware.
Anspruchsvolles in digitaler Form findet man noch selten - jedenfalls auf dem deutschen Buchmarkt, der noch immer von antidigitaler Bedenkenträgerei geprägt ist.
Im 20. Jahrhundert lästerten viele über den bevorstehenden Kulturverfall durch das Paperback. Als Penguin und später Rowohlt mit den ersten Taschenbüchern rauskamen, galten diese als billig, unbeständig, einfach nicht so schön anzufassen wie ein gebundenes Buch.
Wie oberflächlich ist es doch, einen Roman oder eine Gedichtsammlung danach zu beurteilen, wie sich das Material anfühlt, auf dem sie gedruckt sind! Würden die Bücher von Rosamunde Pilcher oder Konsalik kulturell wertvoller, wenn man sie in feinen Lederbänden herausbringen würde? Das ist letztendlich eine Liebhaberfrage.
Das Entscheidende beim Lesen bleibt das Lesen, nicht das Buch. Das wusste schon Marcel Proust, der sich darüber ärgerte, dass in den viel gelesenen Zeitungen nur der neueste Klatsch über die Herzogin von Guermantes stand, Pascals philosophische Gedanken aber in den ungelesenen Lederbänden im Regal versauerten. Wäre es nicht viel besser, fantasierte Proust, wenn Pascal in der Zeitung stünde und der Klatsch im Regal?
Ich hole mir jetzt meine ungelesenen Bücher aus dem Regal und die ungelesenen Texte aus den Büchern und habe sie dann immer zu Verfügung. Wenn ich nun im Café statt der Tageszeitung Proust oder Pascal oder Franzen lesen möchte, greife ich einfach zu meinem Kindle.
Meine Bibliothek habe ich immer dabei - und dazu noch tausend andere, von denen ein Jorge Luis Borges nur hätte träumen können. Das ist nicht Zerstreuung, das ist das wahre Leseglück.
Malte Herwig ist Journalist, Literaturkritiker und Auslandsreporter. Geboren 1972 in Kassel, studierte er in Mainz, Oxford und Harvard Literaturwissenschaften, Geschichte und Politik.
Nach der Promotion in Oxford wurde er Journalist. Arbeitete seitdem unter anderem für die "New York Times", DIE ZEIT, "Süddeutsche Zeitung", "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und im Kulturressort des SPIEGEL. Jetzt ist er Reporter des Magazins der "Süddeutschen Zeitung". Lebt in Hamburg.
Für sein Buch "Bildungsbürger auf Abwegen" (Verlag Vittorio Klostermann) erhielt er 2004 den Thomas-Mann-Förderpreis. Zuletzt erschien seine viel beachtete Biografie über den Schriftsteller Peter Handke ("Meister der Dämmerung", Deutsche Verlags-Anstalt)".
Nach der Promotion in Oxford wurde er Journalist. Arbeitete seitdem unter anderem für die "New York Times", DIE ZEIT, "Süddeutsche Zeitung", "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und im Kulturressort des SPIEGEL. Jetzt ist er Reporter des Magazins der "Süddeutschen Zeitung". Lebt in Hamburg.
Für sein Buch "Bildungsbürger auf Abwegen" (Verlag Vittorio Klostermann) erhielt er 2004 den Thomas-Mann-Förderpreis. Zuletzt erschien seine viel beachtete Biografie über den Schriftsteller Peter Handke ("Meister der Dämmerung", Deutsche Verlags-Anstalt)".