Die Bühne als Labor
Das internationale Tanzfestival "Tanz im August" ist zu Ende gegangen. In vielen Aufführungen wurde experimentiert. So traten manche Performer in Latexkostümen auf, andere schoben in weißen Schutzanzügen und riesigen Helmen Einkaufswagen über die Bühne.
Es gab großartige Momente, in denen man den Glauben an die Kraft der Bühnenkunst wiedergewinnen konnte und solche, die selbst gestandene Tanzkritiker mit der Rechtfertigung der eigenen Profession in schwere Erklärungsnot brachten.
Wer zum Beispiel seine nicht ganz so Tanz-affine Begleitung überredet hatte, sich von der jungen Generation des zeitgenössischen Tanzes aus Frankreich mal ein Bild zu machen und in der Performance "Sylphide" von Cecilia Bengolea und Francois Chaignaud zufällig in die hinteren Reihen geraten war, der musste angesichts dessen, was sich da auf der Bühne abspielte, feststellen, dass solche Ideen eigentlich Tollkühnheiten sind, die einem zu Recht ein mitleidiges Lächeln einbringen. Da nützte es auch nichts, dass die Begleitung versicherte, man selbst könne doch nichts dafür. Das stimmt zwar, aber schade ist es trotzdem!
Denn wenn sich die drei Performer aus "Sylphide" in schwarze Latex-Hüllen einschweißen lassen, sodass Haut und Lungen vakuumiert sind und ihre Körper wie Öl übergossene oder balsamierte lebende Tote erscheinen, die nur noch durch ein kleines Röhrchen atmen, könnte das in der Tat eine Metapher auf das "Leben am Rande des Todes" oder die "Todesnähe der Lust" sein. Nur dafür müsste man nicht nur allen Zuschauer die Möglichkeit zur Empathie verschaffen (was wahrscheinlich schon ab Reihe sechs schwierig wurde), sondern die Idee des Eingezwängtseins in eine fremde Haut, die die Luft zum Atmen nimmt, variantenreich, fantasievoll und professionell durchspielen - was alles nicht passierte. Ein absoluter Tiefpunkt, der die bereits erwähnte ohnehin nicht tanzbegeisterte Begleitung auf ewig aus dem diesjährigen "Tanz im August"-Festival vertrieb.
Wer danach dachte, es könne nicht noch schlimmer kommen, der irrte! Schließlich wartet noch die Deutschlandpremiere von Luc Dunberrys Tanzproduktion "Aliens!" auf das zahlreich versammelte Publikum. "Aliens!" – angekündigt als "Reflektion über die Spezies Mensch im Kontext ihrer Einwirkung auf die Umwelt" zeigte nicht, wie eigentlich beabsichtigt, die "wachsende Gier nach mehr Macht, technologischer Effizienz und größerer Mobilität", sondern schlicht und ergreifend, dass Fremdschämen immer neue Dimensionen annehmen kann. Zwei Tänzer in weißen Schutzanzügen, monströse Helme auf dem Kopf, schieben einen bepackten Einkaufswagen vor sich her und bauen ein Zelt auf. Sie erscheinen zugleich als Kriegshelfer, Außerirdische, Überlebende einer Katastrophe, Computerspielfiguren und Clochards - aber damit ist es in Sachen Komplexität auch schon wieder vorbei. Die auf das Zelt projizierten Katastrophenbilder sollten wahrscheinlich richtiges Effekttheater sein – und bestachen doch allein durch ihre nicht mehr ganze taufrische Naivität. Viel Verpackung, wenig Inhalt.
Aber genug mit der Kritik! Da waren die Produktionen, die einen fast magisch in den Bann zogen, wie zum Beispiel die der algerisch-französischen Tänzerin und Choreografin Nacera Bellaza, die das erste Mal in Berlin gastierte und ein hypnotisches Duett aus einer einzigen, vielfach variierten Schwungbewegung des Oberkörpers zeigte. Das traditionell arabische Bewegungselement des Schwingens wird in "Le Cri" von allem folkloristischen Beiwerk befreit, quasi mit westlicher Puristik bearbeitet, und auch musikalisch treffen mit Überlagerungen von östlicher und westlicher Musik beide Welten aufeinander.
Das Festival-Motto "Listen!", also "Höre!", das auf die akustische Ebene vieler Tanzproduktionen aufmerksam machen wollte, löste sich hier ein - ebenso wie bei dem verspielten Duett "Muscle", in dem der New Yorker Avantgarde-Musiker Arto Lindsay und der ehemalige Forsythe-Tänzer Richard Siegal Tanz hörbar und Musik sichtbar machten - wenn etwa Siegals Arm ein Gitarrenriff Lindsays weiterführt oder der Tänzer durch seine Bewegungen den musikalischen Rhythmus vorgibt.
Die beiden absoluten Höhepunkte aber hatten die Festivalleiter für den Endspurt aufbewahrt - der bulgarische Radikalperformer Ivo Dimchev war das zweite Mal bei "Tanz im August" zu sehen und zeigte in der Solo-Performance "Some Faves" wieder einmal, dass er ein echter Meister seines Faches ist: Seine körperliche und emotionale Entblößung geht stets gerade so weit, den Zuschauer zu berühren, ohne ihn zu verschrecken, durch ausbalancierte Öffnung und Verletzlichkeit, aber auch Aggression und Überspannung zugleich Erregung und Befremden auszulösen. Das Bemerkenswerte an Ivo Dimchev: Der Zuschauer wird Teil der Performance, man fühlt sich nicht abgekoppelt von dem, was da auf der Bühne passiert, wie bei so vielen selbstbezüglichen Produktionen, sondern zugleich herausgefordert und beschenkt. Das, was da passiert, hat etwas mit mir, meiner Welt, meiner Wahrnehmung und – in Ivo Dimchevs Fall – auch mit meiner persönlichen Schamgrenze zu tun.
Den Zuschauer eingeladen, mit ihnen Zeit zu verbringen, haben auch die Tänzer der belgischen Tanzkompanie Rosas von Anne Teresa de Keersmaker, die zwei Stunden lang so offen und transparent tanzten, dabei zuweilen Blickkontakt in den teilweise beleuchteten Zuschauerraum aufnahmen und sich dann wieder ganz konzentriert selbst zuzusahen - es war die reine Freude, zu erleben, dass der Betrachter auch einmal so ernst genommen und integriert wird.
Im anschließenden Konzert, dass die Kompanie, wie viele andere Künstler des Festivals auch, im sehr erfolgreichen Spätabendprogramm der Sommer.bar gab, löste sich dann noch einmal genau das ein, was Bühnenkunst eigentlich immer ausmachen sollte: eine starke, lustvolle Verbindung zwischen denen, die machen, sei es musizieren, tanzen oder spielen, und denen, die zuschauen.
Das diesjährige Internationale Tanzfest hat in einigen Momenten das Publikum von dieser Qualität kosten lassen. Zwar waren es zu wenige, aber wir sind auf den Geschmack gekommen: mehr Inhalte, mehr Relevanz, mehr Verbindung untereinander! Dann wird das Publikum noch zahlreicher strömen und "Tanz im August" wieder zu einem richtig guten Festival.
Wer zum Beispiel seine nicht ganz so Tanz-affine Begleitung überredet hatte, sich von der jungen Generation des zeitgenössischen Tanzes aus Frankreich mal ein Bild zu machen und in der Performance "Sylphide" von Cecilia Bengolea und Francois Chaignaud zufällig in die hinteren Reihen geraten war, der musste angesichts dessen, was sich da auf der Bühne abspielte, feststellen, dass solche Ideen eigentlich Tollkühnheiten sind, die einem zu Recht ein mitleidiges Lächeln einbringen. Da nützte es auch nichts, dass die Begleitung versicherte, man selbst könne doch nichts dafür. Das stimmt zwar, aber schade ist es trotzdem!
Denn wenn sich die drei Performer aus "Sylphide" in schwarze Latex-Hüllen einschweißen lassen, sodass Haut und Lungen vakuumiert sind und ihre Körper wie Öl übergossene oder balsamierte lebende Tote erscheinen, die nur noch durch ein kleines Röhrchen atmen, könnte das in der Tat eine Metapher auf das "Leben am Rande des Todes" oder die "Todesnähe der Lust" sein. Nur dafür müsste man nicht nur allen Zuschauer die Möglichkeit zur Empathie verschaffen (was wahrscheinlich schon ab Reihe sechs schwierig wurde), sondern die Idee des Eingezwängtseins in eine fremde Haut, die die Luft zum Atmen nimmt, variantenreich, fantasievoll und professionell durchspielen - was alles nicht passierte. Ein absoluter Tiefpunkt, der die bereits erwähnte ohnehin nicht tanzbegeisterte Begleitung auf ewig aus dem diesjährigen "Tanz im August"-Festival vertrieb.
Wer danach dachte, es könne nicht noch schlimmer kommen, der irrte! Schließlich wartet noch die Deutschlandpremiere von Luc Dunberrys Tanzproduktion "Aliens!" auf das zahlreich versammelte Publikum. "Aliens!" – angekündigt als "Reflektion über die Spezies Mensch im Kontext ihrer Einwirkung auf die Umwelt" zeigte nicht, wie eigentlich beabsichtigt, die "wachsende Gier nach mehr Macht, technologischer Effizienz und größerer Mobilität", sondern schlicht und ergreifend, dass Fremdschämen immer neue Dimensionen annehmen kann. Zwei Tänzer in weißen Schutzanzügen, monströse Helme auf dem Kopf, schieben einen bepackten Einkaufswagen vor sich her und bauen ein Zelt auf. Sie erscheinen zugleich als Kriegshelfer, Außerirdische, Überlebende einer Katastrophe, Computerspielfiguren und Clochards - aber damit ist es in Sachen Komplexität auch schon wieder vorbei. Die auf das Zelt projizierten Katastrophenbilder sollten wahrscheinlich richtiges Effekttheater sein – und bestachen doch allein durch ihre nicht mehr ganze taufrische Naivität. Viel Verpackung, wenig Inhalt.
Aber genug mit der Kritik! Da waren die Produktionen, die einen fast magisch in den Bann zogen, wie zum Beispiel die der algerisch-französischen Tänzerin und Choreografin Nacera Bellaza, die das erste Mal in Berlin gastierte und ein hypnotisches Duett aus einer einzigen, vielfach variierten Schwungbewegung des Oberkörpers zeigte. Das traditionell arabische Bewegungselement des Schwingens wird in "Le Cri" von allem folkloristischen Beiwerk befreit, quasi mit westlicher Puristik bearbeitet, und auch musikalisch treffen mit Überlagerungen von östlicher und westlicher Musik beide Welten aufeinander.
Das Festival-Motto "Listen!", also "Höre!", das auf die akustische Ebene vieler Tanzproduktionen aufmerksam machen wollte, löste sich hier ein - ebenso wie bei dem verspielten Duett "Muscle", in dem der New Yorker Avantgarde-Musiker Arto Lindsay und der ehemalige Forsythe-Tänzer Richard Siegal Tanz hörbar und Musik sichtbar machten - wenn etwa Siegals Arm ein Gitarrenriff Lindsays weiterführt oder der Tänzer durch seine Bewegungen den musikalischen Rhythmus vorgibt.
Die beiden absoluten Höhepunkte aber hatten die Festivalleiter für den Endspurt aufbewahrt - der bulgarische Radikalperformer Ivo Dimchev war das zweite Mal bei "Tanz im August" zu sehen und zeigte in der Solo-Performance "Some Faves" wieder einmal, dass er ein echter Meister seines Faches ist: Seine körperliche und emotionale Entblößung geht stets gerade so weit, den Zuschauer zu berühren, ohne ihn zu verschrecken, durch ausbalancierte Öffnung und Verletzlichkeit, aber auch Aggression und Überspannung zugleich Erregung und Befremden auszulösen. Das Bemerkenswerte an Ivo Dimchev: Der Zuschauer wird Teil der Performance, man fühlt sich nicht abgekoppelt von dem, was da auf der Bühne passiert, wie bei so vielen selbstbezüglichen Produktionen, sondern zugleich herausgefordert und beschenkt. Das, was da passiert, hat etwas mit mir, meiner Welt, meiner Wahrnehmung und – in Ivo Dimchevs Fall – auch mit meiner persönlichen Schamgrenze zu tun.
Den Zuschauer eingeladen, mit ihnen Zeit zu verbringen, haben auch die Tänzer der belgischen Tanzkompanie Rosas von Anne Teresa de Keersmaker, die zwei Stunden lang so offen und transparent tanzten, dabei zuweilen Blickkontakt in den teilweise beleuchteten Zuschauerraum aufnahmen und sich dann wieder ganz konzentriert selbst zuzusahen - es war die reine Freude, zu erleben, dass der Betrachter auch einmal so ernst genommen und integriert wird.
Im anschließenden Konzert, dass die Kompanie, wie viele andere Künstler des Festivals auch, im sehr erfolgreichen Spätabendprogramm der Sommer.bar gab, löste sich dann noch einmal genau das ein, was Bühnenkunst eigentlich immer ausmachen sollte: eine starke, lustvolle Verbindung zwischen denen, die machen, sei es musizieren, tanzen oder spielen, und denen, die zuschauen.
Das diesjährige Internationale Tanzfest hat in einigen Momenten das Publikum von dieser Qualität kosten lassen. Zwar waren es zu wenige, aber wir sind auf den Geschmack gekommen: mehr Inhalte, mehr Relevanz, mehr Verbindung untereinander! Dann wird das Publikum noch zahlreicher strömen und "Tanz im August" wieder zu einem richtig guten Festival.