Die bürgerliche Gesellschaft und ihre schönen Töchter
Die Damen und Herren, die zur Zeit im Berliner Bode-Museum aufeinandertreffen, werden so nie wieder zusammenkommen. Die ältesten unter ihnen sind fast 600 Jahre alt. Man trifft Leonardo da Vincis "Dame mit dem Hermelin" oder die schöne "Bianca" des Malers Antonio del Pollaiuolo.
Es ist dunkel in den Ausstellungsräumen. Die Wände sind tiefschwarz gestrichen. Nur die Kunstwerke erhalten etwas Licht. Und so dauert es einen Moment, bis sich aus der Finsternis langsam die Bildnisse von Menschen schälen: von jungen und alten, von Männern, Frauen und Kindern, von Fürsten und Bürgerlichen.
Unaufwendig spiegelt die Ausstellungsinszenierung damit eine der grundlegenden Errungenschaften der Renaissance: Nach jahrhundertelanger Vorherrschaft der Kirche brachte sie Licht ins Dunkel. Ihre Vertreter begannen mit der rationalen Aneignung der Welt. In deren Mittelpunkt stand ein neuer, tatkräftiger, diesseitiger Mensch, dem zahlreiche Künstler ein Denkmal setzten. Erstmals, erklärt Kurator Stefan Weppelmann, ging es nun um Wiedererkennbarkeit:
"Auf der anderen Seite setzen diese Auftraggeber aber voraus, dass sie in den Kunstwerken so interpretiert werden, wie sie sich gerne selbst gesehen haben. Und das heißt: Ein Abweichen von der Natur aufgrund von Idealisierungen ist vorprogrammiert. Und darum arbeitet gerade das Porträt - im Spannungsfeld zwischen Rückgriff auf die Natur und Abstraktion."
170 Gemälde, Skulpturen und Bildnismedaillen sind in den prachtvollen Sälen des Obergeschosses zu sehen. Darunter Werke von Filippo Lippi, Sandro Botticelli, Andrea Mantegna, Giovanni Bellini und Leonardo da Vinci. Sie entstanden im Auftrag von Fürsten, Kaufleuten, Bankiers und Gelehrten, die mit den Porträts sehr unterschiedliche Interessen verfolgten.
"Ganz krass gesagt hat ein Florentiner Bildnis ganz andere Beweggründe und letztlich auch nichts damit zu tun, was ein Bildnis an den norditalienischen Höfen auszeichnet. Und die These ist sogar, dass es komplett unabhängig voneinander entsteht. Also dass es keine durchgreifende Porträttradition gibt, sondern dass es mehrere verschiedene Momente gibt, die die Porträts plötzlich auf den Plan bringen."
Die Ausstellung veranschaulicht dies durch die Gliederung in drei Regionen: Sie eröffnet mit Florenz, wo sich das Porträt als erstes entwickelte, blickt dann auf die norditalienischen Fürstenhöfe und auf die Bildnismalerei der Republik Venedig.
In Florenz dominierte das Frauenbildnis, das anlässlich von Verlobungen oder Hochzeiten entstand. Ob Fra Filippo Lipppi oder Antonio del Pollaiuollo, dessen Schöne aus Berlin jetzt Gesellschaft erhalten hat aus New York und Mailand: Stets wurden junge Frauen in strengem Profil gezeigt, mit betont weißer Haut und üppigen blonden Haarflechten. Sie sollten dem Idealbild von Schönheit und Tugend gleichen, erklärt Stefan Weppelmann. Denn:
"Politisches Handeln wird in den Dienst der Schönheit gestellt, und damit auch legitimiert. Selbst die brutalsten Taten können in dieser Form legitimiert werden. Und Familienbande schließen sich durch Heirat: Man schmückt sich mit schönen Töchtern einer anderen Familie und sichert damit den Bestand der eigenen Familie. Das ist gerade in einer bürgerlich geprägten Gesellschaft das A&O: Wenn Sie keinen Adelsstand haben, der Dynastik legitimiert, dann müssen Sie versuchen, über politische Macht dieses Manko wett zu machen. Und die schönen Töchter werden als Träger der Tugend angesehen - nicht mehr nicht weniger. Und sie haben natürlich auch für die Nachkommenschaft zu sorgen. Und je hübschere Gestalten man sich in die eigene Familie holt, desto prestigeträchtiger."
An den norditalienischen Höfen spielte Malerei dagegen kaum eine Rolle. Der dortige Landadel griff zwecks Legitimierung seiner Machtinteressen vor allem auf die antike Tradition des Münzbildnisses zurück, in die er sich durch eigene Prägungen stellte. In der Republik Venedig wiederum überwogen Bildnisse junger Männer. Sie entstanden anlässlich ihrer Wahl in den Rat der 300, und sollten Schutz bieten vor politischen Machtansprüchen Zugezogenener.
"Das tun sie dadurch, dass sie Porträts ihrer Ahnen in den Häusern haben. Und wer schon so und so viele Mal im Rat saß, deren Söhne haben auch einen Sitz im Rat verdient. Also man legitimiert sich durch Ahnensetzung. Und deshalb braucht es diese Porträts der jungen Männer, die dann irgendwann die Bildnisse von Großvater und Urgroßvater werden."
So bietet die Ausstellung reichlich Genuss und vielerlei Erkenntisse Sie ermöglicht die Begegnung mit einzigartigen Werken und Zeitgenossen der großartigen Epoche, etwa der Totenmaske Lorenzo di Medicis, oder drei Bildnissen derselben, von Botticelli gemalten Frau, die - aus New York und Bergamo kommend - in Berlin erstmals aufeinandertreffen. Die erhellende Gliederung verdeutlicht anschaulich die unterschiedlichen Interessen, die Auftraggeber mit dem Porträt verbanden. Und Leonardos "Dame mit dem Hermelin" öffnet sogar den Blick über das 15. Jahrhundert hinaus ins Heute.
Denn, so Stefan Weppelmann:
"Er ist ein Künstler, der eigentlich etwas fundamental anderes macht als alle anderen in der Ausstellung vertretenen Künstler, weil er gerade in der unpräzisen Formel, im Abweichen der Natur, im Nicht-Porträt-sein wollen, im Unähnlichen, im Abstrakten, die Qualität der Darstellung des Menschen sucht. Denn letztlich ist der Mensch ein abstraktes, unähnliches, abstruses Wesen."
Unaufwendig spiegelt die Ausstellungsinszenierung damit eine der grundlegenden Errungenschaften der Renaissance: Nach jahrhundertelanger Vorherrschaft der Kirche brachte sie Licht ins Dunkel. Ihre Vertreter begannen mit der rationalen Aneignung der Welt. In deren Mittelpunkt stand ein neuer, tatkräftiger, diesseitiger Mensch, dem zahlreiche Künstler ein Denkmal setzten. Erstmals, erklärt Kurator Stefan Weppelmann, ging es nun um Wiedererkennbarkeit:
"Auf der anderen Seite setzen diese Auftraggeber aber voraus, dass sie in den Kunstwerken so interpretiert werden, wie sie sich gerne selbst gesehen haben. Und das heißt: Ein Abweichen von der Natur aufgrund von Idealisierungen ist vorprogrammiert. Und darum arbeitet gerade das Porträt - im Spannungsfeld zwischen Rückgriff auf die Natur und Abstraktion."
170 Gemälde, Skulpturen und Bildnismedaillen sind in den prachtvollen Sälen des Obergeschosses zu sehen. Darunter Werke von Filippo Lippi, Sandro Botticelli, Andrea Mantegna, Giovanni Bellini und Leonardo da Vinci. Sie entstanden im Auftrag von Fürsten, Kaufleuten, Bankiers und Gelehrten, die mit den Porträts sehr unterschiedliche Interessen verfolgten.
"Ganz krass gesagt hat ein Florentiner Bildnis ganz andere Beweggründe und letztlich auch nichts damit zu tun, was ein Bildnis an den norditalienischen Höfen auszeichnet. Und die These ist sogar, dass es komplett unabhängig voneinander entsteht. Also dass es keine durchgreifende Porträttradition gibt, sondern dass es mehrere verschiedene Momente gibt, die die Porträts plötzlich auf den Plan bringen."
Die Ausstellung veranschaulicht dies durch die Gliederung in drei Regionen: Sie eröffnet mit Florenz, wo sich das Porträt als erstes entwickelte, blickt dann auf die norditalienischen Fürstenhöfe und auf die Bildnismalerei der Republik Venedig.
In Florenz dominierte das Frauenbildnis, das anlässlich von Verlobungen oder Hochzeiten entstand. Ob Fra Filippo Lipppi oder Antonio del Pollaiuollo, dessen Schöne aus Berlin jetzt Gesellschaft erhalten hat aus New York und Mailand: Stets wurden junge Frauen in strengem Profil gezeigt, mit betont weißer Haut und üppigen blonden Haarflechten. Sie sollten dem Idealbild von Schönheit und Tugend gleichen, erklärt Stefan Weppelmann. Denn:
"Politisches Handeln wird in den Dienst der Schönheit gestellt, und damit auch legitimiert. Selbst die brutalsten Taten können in dieser Form legitimiert werden. Und Familienbande schließen sich durch Heirat: Man schmückt sich mit schönen Töchtern einer anderen Familie und sichert damit den Bestand der eigenen Familie. Das ist gerade in einer bürgerlich geprägten Gesellschaft das A&O: Wenn Sie keinen Adelsstand haben, der Dynastik legitimiert, dann müssen Sie versuchen, über politische Macht dieses Manko wett zu machen. Und die schönen Töchter werden als Träger der Tugend angesehen - nicht mehr nicht weniger. Und sie haben natürlich auch für die Nachkommenschaft zu sorgen. Und je hübschere Gestalten man sich in die eigene Familie holt, desto prestigeträchtiger."
An den norditalienischen Höfen spielte Malerei dagegen kaum eine Rolle. Der dortige Landadel griff zwecks Legitimierung seiner Machtinteressen vor allem auf die antike Tradition des Münzbildnisses zurück, in die er sich durch eigene Prägungen stellte. In der Republik Venedig wiederum überwogen Bildnisse junger Männer. Sie entstanden anlässlich ihrer Wahl in den Rat der 300, und sollten Schutz bieten vor politischen Machtansprüchen Zugezogenener.
"Das tun sie dadurch, dass sie Porträts ihrer Ahnen in den Häusern haben. Und wer schon so und so viele Mal im Rat saß, deren Söhne haben auch einen Sitz im Rat verdient. Also man legitimiert sich durch Ahnensetzung. Und deshalb braucht es diese Porträts der jungen Männer, die dann irgendwann die Bildnisse von Großvater und Urgroßvater werden."
So bietet die Ausstellung reichlich Genuss und vielerlei Erkenntisse Sie ermöglicht die Begegnung mit einzigartigen Werken und Zeitgenossen der großartigen Epoche, etwa der Totenmaske Lorenzo di Medicis, oder drei Bildnissen derselben, von Botticelli gemalten Frau, die - aus New York und Bergamo kommend - in Berlin erstmals aufeinandertreffen. Die erhellende Gliederung verdeutlicht anschaulich die unterschiedlichen Interessen, die Auftraggeber mit dem Porträt verbanden. Und Leonardos "Dame mit dem Hermelin" öffnet sogar den Blick über das 15. Jahrhundert hinaus ins Heute.
Denn, so Stefan Weppelmann:
"Er ist ein Künstler, der eigentlich etwas fundamental anderes macht als alle anderen in der Ausstellung vertretenen Künstler, weil er gerade in der unpräzisen Formel, im Abweichen der Natur, im Nicht-Porträt-sein wollen, im Unähnlichen, im Abstrakten, die Qualität der Darstellung des Menschen sucht. Denn letztlich ist der Mensch ein abstraktes, unähnliches, abstruses Wesen."