Die Bundesliga startet

"Die Fans haben überhaupt keine Stimme!"

Ausgesperrte Fans vor einem Stadion
Ausgesperrte Fans vor einem Stadion © imago sportfotodienst / Christoph Worsch
Harald Lange im Gespräch mit Moderator Dieter Kassel |
Auch wenn der DFB nun Gespräch mit Fanvertretern über den aktuellen Unmut in den Stadien angeboten hat – unklar bleibt, wer da mit wem was verhandeln und durchsetzen kann. Das gibt der Sportwissenschaftler Harald Lange zu bedenken. Und er mahnt: Der sportliche Wettbewerb darf nicht der Kommerzialisierung geopfert werden.
Dieter Kassel: Echte Fußballfans interessiert heute Morgen schon der Abend, denn da beginnt die erste Fußballbundesliga wieder mit dem Spiel FC Bayern gegen Bayer Leverkusen, aber sowohl die echten Fans als auch ziemlich viele andere erinnern sich ungewöhnlicherweise auch noch an ein gar nicht so unfassbar wichtiges Spiel am Montag, das Spiel in Rostock von Hansa Rostock gegen Hertha BSC Berlin. Da haben sich ungefähr hundert Ultras eine Pyroschlacht geliefert. Auch das hätte man vielleicht inzwischen schon fast vergessen, hätte es nicht unmittelbar danach eine erstaunliche Reaktion des Deutschen Fußballbunds gegeben. Der hat nämlich gesagt, dass er in diesem Fall und vorerst auch grundsätzlich von sogenannten Kollektivstrafen, also beispielsweise Geisterspielen, absehen will, und der DFB-Präsident hat sogar die Möglichkeit, Pyrotechnik mit starken Einschränkungen in Stadien zu erlauben, ins Gespräch gebracht und überhaupt: "Gespräch", und in genau dieses möchte er kommen mit allen Fans, auch den Ultras. Ob das der richtige Weg ist, darüber wollen wir jetzt mit Harald Lange reden. Er ist Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg und Gründer des Instituts Fankultur. Herr Lange, ein schönen guten Morgen!
Harald Lange: Guten Morgen, hallo!
Kassel: Nach so einem Ereignis in Rostock zu sagen: "Strafen jetzt erst mal nicht mehr, dafür reden und vielleicht mehr erlauben als bisher." - Also mir kam das jetzt im Zusammenhang etwas merkwürdig vor. Ist es trotzdem der richtige Weg?

Gesprächsangebot ist nicht nur Reaktion auf Ultra-Aktion

Lange: Man muss halt ins Gespräch kommen, und in der Vergangenheit haben sich beide Seiten ziemlich blockiert. Der DFB hat seine Politik durchgesetzt, hier und da einfach keine Toleranz gezeigt, und da ist es natürlich wichtig, dass man jetzt solche Signale sendet, und wir müssen jetzt genau und kritisch beobachten, was in den nächsten Tagen und Wochen passiert.
Kassel: Aber wäre es nicht logisch, wenn gerade die Ultras das jetzt als Bestätigung ihres eigenen Verhaltens sehen, wenn die sagen: "Na ja, irgendwie scheinen wir das Spiel ja gewonnen zu haben?"
Lange: Ganz so ist es nicht. Also die Reaktion des DFB interpretiere ich eher dahingehend, dass sie nicht nur eine Reaktion auf das Verhalten der Ultras ist, sondern vor allem eine Reaktion auf den zunehmenden Unmut in der gesamten Fankultur in Bezug auf die DFB-Politik, und die Ultrasachen jetzt nur als Aufhänger genommen werden. Also es regt sich sehr viel Unmut in der Fankurve.
Kassel: Aber warum, gegen was richtet sich dieser auch etwas friedlichere, aber dafür breitere Unmut?
Lange: Der geht in erster Linie gegen die Turbokommerzialisierung, die auch beim DFB, in der DFL, Einzug gehalten hat. Es gab in der Vergangenheit viele Entscheidungen, die darauf hinauslaufen, dass man kommerzielle Interessen vor die sportlichen Interessen und vor allem vor die Interessen der Zuschauer gestellt hat. Fußball wird immer mehr vermarktet und Sendezeiten werden verkauft. Der Spieltag wird immer weiter ausgedehnt von Freitag bis demnächst sogar auch Montag, also Freitag, Samstag, Sonntag, Montag. Fans können ihre Mannschaften dann nicht mehr begleiten zu den Auswärtsspielen. Die chinesische U20-Nationalmannschaft spielt in der vierten Liga einfach so nach Präsidialentscheid mit. Das zerrt am sportlichen Wettbewerb, und das sind alles so Dinge, die zwar aus ökonomischer Sicht durchaus nachvollziehbar, vielleicht sogar als gut zu bewerten sind, aber aus der Fan-Seele heraus am Image des Sports, am sportiven Charakter des Fußballs, massiv kratzen.

DFB vor schwierigen Verhandlungen

Kassel: Aber Herr Lange, gerade da frage ich mich jetzt, worüber genau will denn der DFB mit Fans, ob nun mit Ultras oder anderen, reden? Ich meine: Der DFB wird den Fans doch nicht anbieten "Wir versuchen, weniger Geld zu verdienen und sorgen dafür, dass es wieder mehr um Sport geht."
Lange: Das wird eine ganz, ganz schwierige Verhandlung, zumal man auch gar nicht genau weiß, wer jetzt der Ansprechpartner auf Fanseite ist. Das wird letztlich so laufen müssen, dass der DFB seine Politik einfach transparenter macht, dass man versucht, die Fans hier und da mit einzubinden, und genau das ist in der Vergangenheit nicht passiert. Die Fans haben überhaupt keine Stimme, wenn es um sportpolitische Belange geht. Sie können eigentlich nur Protestaktionen lancieren und darüber Aufmerksamkeit provozieren. Mehr haben Fans jetzt nicht, aber Sie liegen da richtig: Wir müssen beobachten, was genau kommt jetzt nach dieser Presseerklärung, die erst mal schön formuliert ist. Welche Gespräche finden wann wo statt, und vor allem: Welchen Charakter tragen die Gespräche? Laufen die darauf hinaus, dass der DFB einfach nur sagt, was er machen will, und die Fans müssen mitziehen, oder wird da tatsächlich auch verhandelt über die Dinge, die ich eben genannt habe.
Kassel: Kommerzialisierung ist das eine, wobei das, was ich jetzt noch als Beispiel nennen möchte, auch etwas damit zu tun hat. Aber trotzdem gibt es ja auch das für sich interessante Phänomen, dass gerade die Vereine der 1.Fußball-Bundesliga, bedingt noch die der 2. – dann hört es langsam auf – in den letzten Jahren versucht haben, die Spiele wirklich zu einem Familienereignis zu machen, die Stadien sicherer, etwas gemütlicher. Da geht der Papa mit seinem fünfjährigen Kind hin und muss auch nicht aufpassen. Ist das auf die Dauer zu vereinbaren: dieses Familien-Event und die Hardcore-Fans?

Fußball als Familien-Event

Lange: Je nachdem. Also in vielen Stadien sehen wir ja, dass das vereinbar ist. In anderen Stadien können wir das so noch nicht sehen. Was man aber hinter dieser Feststellung als Position vermuten kann, ist eindeutig, dass es Bestrebungen gibt, die Fankultur ein Stück weit auszutauschen, dass man sich die Zuschauer aussuchen will, mit welcher Klientel kann man da mehr Geld verdienen, und da sind natürlich Familien attraktiver als die klassischen Fans.
Kassel: Ich habe schon gesagt: Auch das hat wieder was mit der Kommerzialisierung zu tun. Herr Lange, ich hätte noch viele Fragen an dieser Stelle. Wir werden über dieses Thema noch oft genug reden können, denn gelöst sind die Probleme nicht, was Ultras und andere Fans angeht, aber sie sollen gelöst werden – jetzt durch Gesprächsbereitschaft des DFB. Das war bei uns dazu der Sportwissenschaftler von der Uni Würzburg Harald Lange.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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