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Vergleichen ist nicht gleichsetzen
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Der politische Philosoph Achille Mbembe ist in die Schlagzeilen geraten: Er verharmlose den Holocaust, werfen ihm Kritiker vor. René Aguigah hält dagegen: Die Vorwürfe basierten auf einem verfälschenden Umgang mit Zitaten, an ihnen sei nichts dran.
Schwere Vorwürfe und Streit um einige Textpassagen
07:46 Minuten
Der angesehene Philosoph Achille Mbembe wird heftig kritisiert: Er relativiere den Holocaust, heißt es. Einer der Kritiker ist der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein, mit dem wir deswegen ausführlich gesprochen haben.
Andrea Gerk: Achille Mbembe ist ein angesehener Historiker und Kolonialismusforscher aus Kamerun. Er sollte im August den Eröffnungsvortrag bei der Ruhrtriennale halten, aber daraus scheint jetzt nichts zu werden, denn der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, wirft dem angesehenen Wissenschaftler vor, er relativiere den Holocaust.
Wir haben im Programm schon gestern darüber berichtet, wollen aber noch mal genauer hinschauen. Mein Kollege René Aguigah hat mit Felix Klein gesprochen. Was wirft er denn Mbembe genau vor?
René Aguigah: Ich habe gestern die Gelegenheit gehabt, eine knappe halbe Stunde zu telefonieren, und ein paar Ausschnitte wollen wir hören. Da hat er mir seine Vorwürfe genauer erläutert. Vielleicht hören wir direkt mal rein:
Die Einzigartigkeit des Holocaust als deutsches Narrativ
Felix Klein: Herr Mbembe ist ein sehr bedeutender Philosoph Afrikas, und von ihm erwarte ich, dass er, wenn er Stellung nimmt zu den Themen Holocaust, Völkermord, Apartheid, da auch genau formuliert. Die Sätze, die er in seinem Aufsatz "Politik der Feindschaft" äußert, sind zumindest missverständlich, wenn er das Apartheidssystem in Südafrika und die Zerstörung von Juden in Europa unmittelbar hintereinander erwähnt und auf die ideologischen Hintergründe hinweist, dass beides "emblematische Manifestationen einer Trennungsfantasie" seien.
Aguigah: Das Letzte war jetzt ein Zitat, Felix Klein zitiert hier Achille Mbembe. Diese Debatte hat den äußeren Anlass, dass Mbembe eingeladen worden ist zu einem Eröffnungsvortrag bei der Ruhrtriennale im August. In einem umfangreichen Buch namens "Politik der Feindschaft" wurden dann zwei, drei Stellen gefunden, an denen sich diese Debatte entzündet, eine hat er gerade zitiert, diese Sache mit der "emblematische Manifestation einer Trennungsfantasie", auf die Mbembe eben nicht nur den Holocaust bezieht. Was Felix Klein als Kritiker von Mbembe darin sieht, ist die Relativierung des Holocaust, und das hören wir uns auch genauer an.
Klein: Das heißt, die Einzigartigkeit des Holocaust, die auch ein wichtiges Narrativ ist für die Erinnerungskultur in Deutschland, auch für die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, so wie es Joachim Gauck ja mal formuliert hat: Der Holocaust und die Auseinandersetzung damit gehören zur deutschen Identität.
Wenn also Herr Mbembe als ausländischer Wissenschaftler in so eine Debatte eingreift und auch missverständliche Sätze formuliert, dann muss er das klarstellen.
Für mich sind diese Sätze auch als Relativierung des Holocaust zu deuten, und in meiner Eigenschaft als Antisemitismusbeauftragter fühle ich mich berufen, in so eine Debatte einzugreifen und dann auch meine Sorge zum Ausdruck zu bringen, dass das hier missverstanden werden kann. Deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet, und die Auseinandersetzung, die jetzt geführt wird, halte ich für sehr richtig.
Aguigah: Hier finde ich interessant, dass Felix Klein, der Beauftragte für den Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland, als Kern seines Anliegens anführt, dass er einen Grundsatz der Bundesrepublik – die deutsche Erinnerungskultur und Identität – bedroht sieht. Er spitzt den Vorwurf dann sogar noch weiter zu: nicht nur Relativierung des Holocaust, sondern Gleichsetzung.
Apartheid und Holocaust nicht gleichsetzen
Klein: Ich glaube, dass es etwas völlig Unterschiedliches ist, diese Separationsfantasien. Ob man durch einen Zaun Wohngebiete trennt oder Nationen durch eine Mauer oder ein Vernichtungslager von der restlichen Bevölkerung, das ist doch grundsätzlich etwas Anderes.
Die völkische Ideologie der Nazis gleichzusetzen mit dem System der Apartheid halte ich wirklich für problematisch, weil dieser allumfassende Zerstörungs- und Rassenwahn der Nazis in die systematische und industrielle Vernichtung von Menschen geführt hat.
Das halte ich auch, wenn ich die südafrikanische Perspektive oder kamerunische Perspektive von Herrn Mbembe miteinbeziehe, wirklich für problematisch, zumal er auch, wenn er sich auch auf Israel bezieht, die Situation, in der Israel sich befindet, zu sehr gleichsetzt mit dem, was in Südafrika war.
Aguigah: Vielleicht noch mal kurz zur Übersicht – es geht um drei große Komplexe, die da eine Rolle spielen: Apartheid in Südafrika, Holocaust und der Staat Israel, die Besatzungspolitik Israels. Nach Ansicht der Kritiker, von denen Felix Klein einer ist, vermengt Achille Mbembe das alles zu sehr, wirft alles in einen Topf. Wir hören noch einen letzten O-Ton von Felix Klein, in dem er noch mal auf die vermeintliche oder angebliche Bestreitung des Existenzrechts Israels eingeht:
Israel ist ein Staat, kein Projekt
Klein: Er bezeichnet Israel mehrfach in seinen Schriften als Projekt, also das israelische Projekt. Israel ist ein völkerrechtlich anerkannter Staat, der auch viele Kriege hat durchstehen müssen, die, wenn sie verloren gegangen wären, das Land in seiner Existenz bedroht hätten. Da muss man also besonders vorsichtig formulieren.
Das erwarte ich auch von einem Philosophen aus Afrika, der eigentlich, wenn er einen wissenschaftlichen Text schreibt, auch Platz hat und genügend Möglichkeiten, das klarzustellen. Es ist gut, dass wir die Debatte darüber führen, was noch zulässige Kritik am Handeln des Staates Israel ist und wo die Kritik über das Ziel hinaus schießt, wo wird sie dann antisemitisch.
Sie wird nach der Definition der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken dann antisemitisch, wenn Israel delegitimiert, wenn es dämonisiert wird oder wenn doppelte Standards angelegt werden in der Beurteilung des israelischen Regierungshandelns im Vergleich zum Handeln anderer Länder.
Diese Definition ist für mich maßgeblich, und wenn ich diese Kriterien an den Text von Herrn Mbembe anlege, dann komme ich zu dem Ergebnis: Hier geht vieles durcheinander, und hier müssen wir doch mal ganz klare Linien einziehen, um zu sehen, was ist zulässig und wo sind Aussagen problematisch.
Aguigah: Das war jetzt noch der Antisemitismusverdacht, könnte man sagen.
Gerk: Das sind ja starke Vorwürfe, Holocaustrelativierung, Existenzrecht Israels infrage stellen, schlimmer kann man es ja eigentlich bei uns nicht treiben. Was sagen Sie jetzt dazu, wie kommen Ihnen diese Vorwürfe vor?
Aguigah: Ich würde zunächst mal unterstreichen, was Sie gerade gesagt haben, das sind alles Maximalvorwürfe – ich werde sie jetzt nicht wiederholen, wir haben sie in Ruhe angehört. Hier geht es jetzt zunächst auch mal nur darum, diese Vorwürfe darzustellen.
Ein Beispiel, um zu zeigen, was nach meiner Ansicht in dieser Debatte eine große Rolle spielt: Wir haben zuletzt gehört, wie Felix Klein behauptet, Mbembe würde sagen, Israel sei ein Projekt. Nach meiner Lektüre dieses Textes, der all dem zugrunde liegt, ist mit Projekt bei Mbembe vor allem die Besatzungspolitik Israels gemeint, die kritisiert er.
Um Himmels willen würde Achille Mbembe nicht auf die Idee kommen, den Staat Israel als Projekt zu bezeichnen, ganz im Gegenteil. Es geht Mbembe in meinen Augen vor allem um so etwas wie Versöhnung. Aber das wäre ein Einstieg in die Textarbeit, die wir hier nicht leisten können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.