Die CDU und das schwarz-rot-goldene Lebensgefühl

Von Alexander Gauland |
Seit sie in der großen Koalition regiert, mehren sich die bohrenden Fragen nach dem unverwechselbar Christlich-Demokratischen der Regierungspolitik, das sich weder im Antidiskriminierungsgesetz noch in der Gesundheitsreform findet.
Zu dieser Unsicherheit hat die Kanzlerin wider Willen beigetragen, als sie die Partei von den Leipziger neoliberalen Außenpositionen zurück in den sozialstaatlichen Mainstream bringen musste. Nun kann man natürlich einwenden, dass die Wähler ihr keine Alternative ließen und die in Leipzig angekündigte Politik am Ende keine Mehrheit fand.

Was allerdings verblüfft, ist die Leichtigkeit, mit der die Vorsitzende diesen Weg ging, eine zu große, wie die Kritiker sagen, um glaubwürdig zu sein. Denn entweder war Deutschland am Ende und ein Sanierungsfall und deshalb sind kleine Schritte keine ausreichende Medizin oder es war alles gar nicht so schlimm und gesinnungsethische Verweigerung wäre deshalb töricht gewesen.

Nun war die CDU seit ihrer Gründung immer ein ideologischer Kompromiss, ein Zusammenschluss bürgerlicher wie nicht bürgerlicher Kräfte unter einem ethischen Signet. Sie bot einem wertorientierten Bürgertum die Chance, konservative Lebenswelten mit liberaler Wirtschaftsdynamik und sozialem Ausgleich jenseits der SPD zu verbinden.

Doch dieses Gleichgewicht gesellschaftlicher Haltungen lebte immer davon, dass die Lebenswelten stabil, die Dynamik beherrschbar und der soziale Ausgleich bezahlbar blieb. Seit dieses Dreieck nicht mehr störungsfrei funktioniert, tut sich auch die Volkspartei CDU schwer, es immer von neuem auszutarieren. Die Lebenswelten wurden durch die 68er zerstört, die Dynamik durch die Globalisierung verschärft und damit zugleich das Geld knapp, die gesellschaftliche Integration mit sozialen Wohltaten zu erkaufen.

Die Volkspartei spiegelt damit nur die Spannungen, die auch die bürgerliche Gesellschaft erfasst haben. Während den Nachfolgern der Abs und Pferdmenges, also dem internationalen Spitzenmanagement, der nationale Wohlfahrtsverband ziemlich gleichgültig ist, stöhnt der nationale Mittelstand unter den finanziellen und bürokratischen Belastungen, die aber offenbar nicht ausreichen, das untere Drittel, das dem Wettbewerb nicht gewachsen ist, sorgenfrei zu stellen.

Die Rhetorik von Friedrich Merz und Angela Merkel zielte seit dem Leipziger Parteitag auf einen Wahlkampf im ausgehenden 19. Jahrhundert, wo Freisinn und Nationalliberale zwar über den Bismarckschen Verfassungskompromiss, aber nicht über das Ausmaß von persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit uneins waren. Das bürgerliche Selbst- und Wertebewusstsein war, anders als heute, ein stabiles, das sich in der Auseinandersetzung mit einer erstarkenden Sozialdemokratie noch ungebrochen gegen die soziale Rundumbetreuung wenden konnte.

Die bürgerliche Gesellschaft wuchs und gedieh unabhängig vom Staat nach eigenen Gesetzen und Regeln. Und nur dort, wo die soziale Integration noch unvollkommen war, bemühte sich der Staat, Hilfestellung zu leisten. Diese Arbeitsteilung zerbrach im Großen Krieg in demselben Maße, in dem die selbst verantwortete Freiheit verloren ging. An die Stelle der gesellschaftlichen Autonomie trat der betreuende Sozialstaat.

Und je stärker dessen Fundamente erodieren, desto mächtiger werden die Fliehkräfte in der bürgerlichen Volkspartei. Was früher zusammenging steht nun gegeneinander. Und die Profilneurosen und abrupten Standpunktwechsel haben viel damit zu tun, welchem gesellschaftlichen Segment sich die Parteiführung grade nähert.

Es ist eben etwas anderes, ob ich Sparpolitik aus dem Blickwinkel der Arbeitgeberverbände, eines jungen Inspektors oder eines Hartz IV-Empfängers beurteile. Und diese Spaltungen werden breiter und tiefer, je weniger Wohlstand zur Verfügung steht, den Mangel zu überdecken. Am Ende tritt ein, was Ernst-Wolfgang Böckenförde auf die Formel gebracht hat, dass die freien Gesellschaften die Voraussetzungen nicht erzeugen können, die ihre Existenz gewährleisten, ja man könne sogar sagen, sie bauen sie unablässig ab.

Es wäre deshalb gut und wichtig, wenn sich die Union wieder stärker den so genannten "brotlosen Künsten", der Wertevermittlung und Profilschärfung, zuwenden würde. Denn da der Mensch bekanntlich nicht vom Brot allein lebt, wäre es in einer Zeit, da dasselbe knapp wird, nützlich, etwas anderes vorrätig zu haben. Die Partei sollte die verhinderten Debatten über Leitkultur und Patriotismus wieder aufnehmen. Schließlich kann man nicht immer eine Fußball-Weltmeisterschaft veranstalten, um das schwarz-rot-goldene Lebensgefühl des Landes zu stärken.

Dr. Alexander Gauland, Publizist, geb. 1941 in Chemnitz, ist Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" in Potsdam. Von 1987 bis 1991 war er Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei. Anfang der 70er Jahre hatte Gauland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gearbeitet. Als Publizist hat er zahlreiche Artikel und Beiträge zu gesellschaftspolitischen Fragen, zur Wertediskussion und des nationalen Selbstverständnisses veröffentlicht. Letzte Buchveröffentlichung: "Anleitung zum Konservativsein".