Die Charaktere hinter den Guy-Fawkes-Masken
Die Internet-Gruppe Anonymous steht im öffentlichen Verständnis für vage Ideen wie die Macht des Schwarms, digitale Anarchie oder einen Kampf um Gerechtigkeit a la Robin Hood. Genaue Informationen über diese lose, sich stetig wandelnde Aktivistengruppierung sind allerdings rar.
Seit einiger Zeit versuchen deshalb Journalisten und Wissenschaftler, diese Lücke zu füllen.
Im Februar dieses Jahres haben zum Beispiel SPIEGEL-Autoren die Entstehung und wichtigsten Anonymous-Aktionen überblicksartig zusammengefasst. Auch die führende Anonymous-Expertin, die US-Anthropologin Gabriella Coleman, hat für das kommende Jahr eine Publikation angekündigt.
Jetzt ist "Inside Anonymous" von Parmy Olson erschienen. Olsen leitet in London das Büro des "Forbes"-Magazins und leistet mit ihrem Buch einen wichtigen Beitrag bei dem Bemühen, ein klares Bild von den Charakteren hinter den Guy-Fawkes-Masken zu zeichnen. Ein Jahr lang hatte die Journalistin engen Kontakt zu Anonymous-Aktivisten, führte Interviews und studierte Medienberichte sowie statistische Quellen.
Entstanden ist eine einzigartige, äußerst detailreiche Innenansicht der Bewegung, die teilweise krimihafte Züge annimmt. Parmy Olson nimmt den Leser mit in das anarchische Internetforum 4Chan, wo Anonymous seine Ursprünge hatte. Sie zeichnet nach, wie aus der Spaßbewegung heraus zunehmend Aktionen entstanden, die politisch motiviert waren: Angriffe auf Scientology, Sony, den Finanzdienstleister PayPal oder auf tunesische Regierungswebsites – all das wird in der Planung und Durchführung fast minutiös nachvollziehbar. Vieles erzählt Olson aus dem Blickwinkel von Beteiligten.
Die Gruppe LulzSec, die sich später abspaltete, zählte zum harten Kern von Anonymous. Deren Mitgliedern Sabu, Topiary, Kayla und Tflow ist Olson in ihren Gesprächen so nahe gekommen ist, dass das Gefühl entsteht, man kenne sie persönlich und verfolge mit ihnen gemeinsam geheime Chats und hecke die nächste Attacke aus.
Doch nicht nur deshalb ist das Buch lesenswert. Parmy Olson räumt zudem mit den landläufigen Annahmen über Anonymous auf. Der Vorstellung, hier würde eine anarchische Gruppe völlig hierarchiefrei – quasi als kollektive Intelligenz – agieren, setzt sie die Erkenntnis entgegen, dass in Wirklichkeit eine kleine, elitäre Gruppe die Aktionen initiiert und steuert. Auch bei der praktischen Umsetzung von Angriffen spielte die "Weisheit der Masse" keine ganz so große Rolle - wie etwa bei der PayPal-Attacke, die erst durch den Einsatz zweier Botnet-Betreiber die erwünschte Wirkung erzielte.
Einen Haken hat Colemans Bericht aber doch. Ob das, was sie aufgeschrieben hat, tatsächlich der Realität entspricht, bleibt unbewiesen – zumindest all jenes, was auf den Aussagen der Anonymous-Aktivisten beruht. Denn die sind dafür berüchtigt, die Wahrheit zu verschleiern. Zwar räumt die Journalistin dies am Ende auch ein, und ein bisschen mehr Distanz in der Schilderung der Ereignisse hätte dem Buch sicher gut getan. Dennoch: Ihr Szenario vom Innenleben des Cyberkollektivs erscheint durchaus plausibel.
Besprochen von Vera Linß
Parmy Olson: Inside Anonymous. Aus dem Innenleben des globalen Cyberaufstands
Aus dem Englischen von Dagmar Mallett, Sigrid Schmid, Friedrich Pflüger, Enrico Heinemann und Ursula Held
Redline 2012
480 Seiten, 22 Euro
Im Februar dieses Jahres haben zum Beispiel SPIEGEL-Autoren die Entstehung und wichtigsten Anonymous-Aktionen überblicksartig zusammengefasst. Auch die führende Anonymous-Expertin, die US-Anthropologin Gabriella Coleman, hat für das kommende Jahr eine Publikation angekündigt.
Jetzt ist "Inside Anonymous" von Parmy Olson erschienen. Olsen leitet in London das Büro des "Forbes"-Magazins und leistet mit ihrem Buch einen wichtigen Beitrag bei dem Bemühen, ein klares Bild von den Charakteren hinter den Guy-Fawkes-Masken zu zeichnen. Ein Jahr lang hatte die Journalistin engen Kontakt zu Anonymous-Aktivisten, führte Interviews und studierte Medienberichte sowie statistische Quellen.
Entstanden ist eine einzigartige, äußerst detailreiche Innenansicht der Bewegung, die teilweise krimihafte Züge annimmt. Parmy Olson nimmt den Leser mit in das anarchische Internetforum 4Chan, wo Anonymous seine Ursprünge hatte. Sie zeichnet nach, wie aus der Spaßbewegung heraus zunehmend Aktionen entstanden, die politisch motiviert waren: Angriffe auf Scientology, Sony, den Finanzdienstleister PayPal oder auf tunesische Regierungswebsites – all das wird in der Planung und Durchführung fast minutiös nachvollziehbar. Vieles erzählt Olson aus dem Blickwinkel von Beteiligten.
Die Gruppe LulzSec, die sich später abspaltete, zählte zum harten Kern von Anonymous. Deren Mitgliedern Sabu, Topiary, Kayla und Tflow ist Olson in ihren Gesprächen so nahe gekommen ist, dass das Gefühl entsteht, man kenne sie persönlich und verfolge mit ihnen gemeinsam geheime Chats und hecke die nächste Attacke aus.
Doch nicht nur deshalb ist das Buch lesenswert. Parmy Olson räumt zudem mit den landläufigen Annahmen über Anonymous auf. Der Vorstellung, hier würde eine anarchische Gruppe völlig hierarchiefrei – quasi als kollektive Intelligenz – agieren, setzt sie die Erkenntnis entgegen, dass in Wirklichkeit eine kleine, elitäre Gruppe die Aktionen initiiert und steuert. Auch bei der praktischen Umsetzung von Angriffen spielte die "Weisheit der Masse" keine ganz so große Rolle - wie etwa bei der PayPal-Attacke, die erst durch den Einsatz zweier Botnet-Betreiber die erwünschte Wirkung erzielte.
Einen Haken hat Colemans Bericht aber doch. Ob das, was sie aufgeschrieben hat, tatsächlich der Realität entspricht, bleibt unbewiesen – zumindest all jenes, was auf den Aussagen der Anonymous-Aktivisten beruht. Denn die sind dafür berüchtigt, die Wahrheit zu verschleiern. Zwar räumt die Journalistin dies am Ende auch ein, und ein bisschen mehr Distanz in der Schilderung der Ereignisse hätte dem Buch sicher gut getan. Dennoch: Ihr Szenario vom Innenleben des Cyberkollektivs erscheint durchaus plausibel.
Besprochen von Vera Linß
Parmy Olson: Inside Anonymous. Aus dem Innenleben des globalen Cyberaufstands
Aus dem Englischen von Dagmar Mallett, Sigrid Schmid, Friedrich Pflüger, Enrico Heinemann und Ursula Held
Redline 2012
480 Seiten, 22 Euro