Die Dämonen der Vergangenheit
Spanien gedenkt in diesen Tagen eines der heikelsten Momente seiner jüngeren Geschichte: Vor 30 Jahren scheiterte ein Putsch gegen die spanische Demokratie. Der Schriftsteller Javier Cercas beschreibt die Ereignisse in einem anregenden Sachroman.
"Kein einziger Spanier, der am 23 Februar 1981 im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, hat vergessen, was ihm an jenem Nachmittag widerfahren ist, und viele erinnern sich ganz genau, wann, wo und mit wem sie damals live im Fernsehen gesehen haben, wie Oberstleutnant Tejero und seine Guardia Civil-Beamten in das Parlament eindrangen, ja sie würden heilige Eide schwören, dass es sich hierbei um eine wirkliche, persönliche Erinnerung handelt. Dem ist aber nicht so: Das Radio übertrug den Putsch tatsächlich live, die Fernsehbilder wurden jedoch erst nach der Befreiung der Parlamentsabgeordneten ausgestrahlt."
Wie weit kann man der Erinnerung trauen? Javier Cercas liest aus seinem Buch im völlig überfüllten Auditorium des "Instituto Cervantes" in Berlin.
Eine Fernsehkamera filmte die Szene: Erst schoss der Anführer mit der Pistole in die Decke, dann folgten Maschinengewehrsalven. Für Javier Cercas bis heute ein gesellschaftliches Trauma:
"Dieser Putschversuch war für uns so etwas Schockierendes, so wie die Ermordung Kennedys für die USA. Da kamen plötzlich die ganzen Dämonen unserer jüngsten Vergangenheit wieder hoch: Wir dachten doch 1981, dass wir in Europa angekommen wären. Aber dann kommt so ein Typ mit einem komischen dreieckigen Hut, mit einem riesigen Schnurrbart und wirft uns mit einem Mal in das schmutzige und dunkle Spanien der Vergangenheit zurück."
Alle warfen sich auf den Boden bis auf drei Männer: der scheidende Ministerpräsident Adolfo Suarez, Ex-Vizepräsident General Gutiérrez Mellado, und der Generalsekretär der kommunistischen Partei Santiago Carillo.
Ministerpräsident Adolfo Suarez hatte Karriere im franquistischen Machtapparat gemacht und war dann erst als Regierungschef zum überzeugten Demokraten geworden. General Gutiérrez Mellado hatte 1936 den Putsch Francos unterstützt, aber dann ab 1976 daran gearbeitet, die spanischen Streitkräfte zu demokratisieren. Santiago Carillo war im spanischen Bürgerkrieg und später im Moskauer Exil ein stalinistischer Hardliner. Anfang der 80er-Jahre versuchte er, die Kommunistische Partei Spaniens vom dogmatischen Leninismus weg, zum Eurokommunismus hin zu entwickeln.
"Es sind Menschen mit all ihren Schwächen, und diese Brüche und Widersprüche sind interessant für einen Schriftsteller. Ich würde sie, mit dem Begriff von Hans Magnus Enzensberger als 'Helden des Rückzugs' bezeichnen, also im Gegensatz zu den vorstürmenden Helden. Ich nenne sie aber auch 'Helden des Verrates', weil alle drei mit Irrtümern ihrer Vergangenheit gebrochen haben."
Javier Cercas "Anatomie eines Augenblicks" ist eine Gratwanderung zwischen Tatsachenroman und epischer Erzählung. Spannend, aber auch ausführlich geht er vom historischen Ereignis aus in die Vor- und Nachgeschichte. Er vermittelt dem Leser die dramatischen 18 Stunden der Geiselnahmen im spanischen Parlament, dem Ausrücken der Panzer in Valencia und der Entwicklung im Königspalast.
"Ich bin Romanschriftsteller und am Anfang wollte ich einen Roman über die Ereignisse schreiben, aber das wäre nur eine Fortführung der ganzen Halbwahrheiten. Literarisch ist es völlig uninteressant, eine Fiktion über eine Fiktion zu schreiben. Daher bleibt mein Buch immer ganz streng an den Fakten, das heißt aber nicht, dass ich auf literarische Techniken wie Ironie, unterschiedliche Erzählerperspektiven verzichte. So lässt sich das Buch so wie ein Roman lesen."
Cercas setzt sich auch mit dem Mythos des übergreifenden Widerstandes auseinander. Er beschreibt eine jungen Demokratie, installiert, aber noch nicht gefestigt, mit starken wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Terrorismus und politischer Gewalt, einer gewissen Enttäuschung der Bevölkerung dem Systemwechsel gegenüber und rechten und linken Parteien, die gemeinsam den Status Quo, die Regierung Adolfo Suarez bekämpften.
"Ein Grund, warum ich dieses Buch überhaupt geschrieben habe, waren diese vielen Legenden: Das spanische Volk, seine Institutionen und die Parteien hätten sich entschlossen dem Putsch entgegen gesetzt und ihm zum Scheitern gebracht. Das ist falsch und das wissen wir in Spanien alle. Als ich das gesagt habe, regten sich alle fürchterlich auf. Aber es gab keinen offenen Widerstand gegen den Staatsstreich, weil in diesem Moment die Bevölkerung aus einem gewissen Überdruss mit dem neuen System und aus Angst vor einem neuen Bürgerkrieg nicht offen für die Demokratie demonstrierte. Es ist hart, das so zu sagen, aber so war es und das hat alle Welt gesehen."
Für die spanische Gesellschaft ist die Diskussion um den 23. Februar 1981 noch längst nicht abgeschlossen. Javier Cercas Buch ist ein anregender Beitrag gegen Vereinfachungen, Legendenbildung und neue Fiktionen.
Wie weit kann man der Erinnerung trauen? Javier Cercas liest aus seinem Buch im völlig überfüllten Auditorium des "Instituto Cervantes" in Berlin.
Eine Fernsehkamera filmte die Szene: Erst schoss der Anführer mit der Pistole in die Decke, dann folgten Maschinengewehrsalven. Für Javier Cercas bis heute ein gesellschaftliches Trauma:
"Dieser Putschversuch war für uns so etwas Schockierendes, so wie die Ermordung Kennedys für die USA. Da kamen plötzlich die ganzen Dämonen unserer jüngsten Vergangenheit wieder hoch: Wir dachten doch 1981, dass wir in Europa angekommen wären. Aber dann kommt so ein Typ mit einem komischen dreieckigen Hut, mit einem riesigen Schnurrbart und wirft uns mit einem Mal in das schmutzige und dunkle Spanien der Vergangenheit zurück."
Alle warfen sich auf den Boden bis auf drei Männer: der scheidende Ministerpräsident Adolfo Suarez, Ex-Vizepräsident General Gutiérrez Mellado, und der Generalsekretär der kommunistischen Partei Santiago Carillo.
Ministerpräsident Adolfo Suarez hatte Karriere im franquistischen Machtapparat gemacht und war dann erst als Regierungschef zum überzeugten Demokraten geworden. General Gutiérrez Mellado hatte 1936 den Putsch Francos unterstützt, aber dann ab 1976 daran gearbeitet, die spanischen Streitkräfte zu demokratisieren. Santiago Carillo war im spanischen Bürgerkrieg und später im Moskauer Exil ein stalinistischer Hardliner. Anfang der 80er-Jahre versuchte er, die Kommunistische Partei Spaniens vom dogmatischen Leninismus weg, zum Eurokommunismus hin zu entwickeln.
"Es sind Menschen mit all ihren Schwächen, und diese Brüche und Widersprüche sind interessant für einen Schriftsteller. Ich würde sie, mit dem Begriff von Hans Magnus Enzensberger als 'Helden des Rückzugs' bezeichnen, also im Gegensatz zu den vorstürmenden Helden. Ich nenne sie aber auch 'Helden des Verrates', weil alle drei mit Irrtümern ihrer Vergangenheit gebrochen haben."
Javier Cercas "Anatomie eines Augenblicks" ist eine Gratwanderung zwischen Tatsachenroman und epischer Erzählung. Spannend, aber auch ausführlich geht er vom historischen Ereignis aus in die Vor- und Nachgeschichte. Er vermittelt dem Leser die dramatischen 18 Stunden der Geiselnahmen im spanischen Parlament, dem Ausrücken der Panzer in Valencia und der Entwicklung im Königspalast.
"Ich bin Romanschriftsteller und am Anfang wollte ich einen Roman über die Ereignisse schreiben, aber das wäre nur eine Fortführung der ganzen Halbwahrheiten. Literarisch ist es völlig uninteressant, eine Fiktion über eine Fiktion zu schreiben. Daher bleibt mein Buch immer ganz streng an den Fakten, das heißt aber nicht, dass ich auf literarische Techniken wie Ironie, unterschiedliche Erzählerperspektiven verzichte. So lässt sich das Buch so wie ein Roman lesen."
Cercas setzt sich auch mit dem Mythos des übergreifenden Widerstandes auseinander. Er beschreibt eine jungen Demokratie, installiert, aber noch nicht gefestigt, mit starken wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Terrorismus und politischer Gewalt, einer gewissen Enttäuschung der Bevölkerung dem Systemwechsel gegenüber und rechten und linken Parteien, die gemeinsam den Status Quo, die Regierung Adolfo Suarez bekämpften.
"Ein Grund, warum ich dieses Buch überhaupt geschrieben habe, waren diese vielen Legenden: Das spanische Volk, seine Institutionen und die Parteien hätten sich entschlossen dem Putsch entgegen gesetzt und ihm zum Scheitern gebracht. Das ist falsch und das wissen wir in Spanien alle. Als ich das gesagt habe, regten sich alle fürchterlich auf. Aber es gab keinen offenen Widerstand gegen den Staatsstreich, weil in diesem Moment die Bevölkerung aus einem gewissen Überdruss mit dem neuen System und aus Angst vor einem neuen Bürgerkrieg nicht offen für die Demokratie demonstrierte. Es ist hart, das so zu sagen, aber so war es und das hat alle Welt gesehen."
Für die spanische Gesellschaft ist die Diskussion um den 23. Februar 1981 noch längst nicht abgeschlossen. Javier Cercas Buch ist ein anregender Beitrag gegen Vereinfachungen, Legendenbildung und neue Fiktionen.