Alle genannten Spiele im Überblick:
- 1378km
- Papers, Please
- Jalopy
- Beholder
- Irony Curtain
- Bürokratopoly
Auf Spritztour mit dem Pixel-Trabbi
07:24 Minuten
Popkulturelle Produkte wie Computerspiele prägen das Geschichtsbild mehr als jeder Unterricht. Doch an die Aufarbeitung der Geschichte der DDR wagen sich Games nur zögerlich. Die bessere Alternative findet man in einem Brettspiel.
1378 Kilometer. Das ist die Länge der ehemaligen Grenze, die Ost- und Westdeutschland geteilt hat. Und der Name des Spiels, auf das man zwangsweise trifft, wenn man die DDR in Computerspielen sucht. In dem Mehrspieler-Titel ist man entweder Soldat oder Flüchtling an der Grenze. Wer flüchten will muss einen Weg durch den Todesstreifen finden – Grenzsoldaten können auf Flüchtlinge schießen oder sie festnehmen.
Um historische Korrektheit geht es nicht
Seit es das Spiel gibt, gibt es auch kritische Fragen danach, ob Todesschüsse an der Grenze in einem Spiel nicht zu abstrakt und weltfremd dargestellt sind. Aber "allein sich in dieses Setup zu begeben, zeigt dir oder lässt dich subtil nachspüren, wie die Rollenverteilung ist", sagt Martin Thiele-Schwez.
Dem Game-Designer und Medienwissenschaftler geht es bei Spielen wie "1378 Kilometer" nicht um korrekte Nachbildung historischer Gegebenheiten. Sondern um das Nacherleben, den Reflexionsraum, den nur Spiele schaffen können, da sie durch ihre Interaktivität Probehandeln ermöglichen:
"Die große Chance von Spielen ist es, ein System abzubilden und uns als Spielerinnen und Spieler in dieses System zu versetzen, uns darin zu Handlungen zu zwingen und uns unter anderem darin, ja, Dilemmata aufzulegen, zu schauen, wie würde ich mich in Konfliktsituationen verhalten."
Die Menschlichkeit gegenüber Fremden
Die Ausstellung "Die DDR ins Spiel bringen. Digitale Spiele über die DDR und den Eisernen Vorhang" zeigte kürzlich ebensolche Spiele. Neben "1378 Kilometer" war dort auch "Papers, Please" zu sehen – ein Spiel, das an der Grenze des fiktiven Ostblocklandes Arstotzka spielt.
Man ist dort – inspiriert vom geteilten Deutschland – ein Grenzbeamter, der Pässe kontrolliert: Das Dilemma: Man kann Menschen helfen zu entkommen – aber man wird danach bezahlt, wie korrekt man falsche Pässe findet. Verdient man zu wenig, muss die Familie hungern. Die Menschlichkeit gegenüber Fremden wird gegen das eigene Leben gestellt.
Der Osten als Klischeebild
Große Blockbuster-Titel sucht man bei dem Thema vergeblich – Geschichte gibt es in millionenschweren Mainstream-Titeln nur dann, wenn sie fest im kollektiven Gedächtnis der ersten Welt verankert ist: An altem Ägypten, französischer Revolution und den beiden Weltkriege gibt es kein Mangel – aber DDR-Geschichte spielt keine Rolle.
Lediglich die geteilte Stadt Berlin taucht mal als einzelner, kurzer Level auf. Zum Beispiel als Mehrspieler-Arena im Shooter "Call of Duty Black Ops" oder wenn man einen ostdeutschen Wissenschaftler im Agententhriller "No One Lives Forever" befreien soll.
Während bei den großen Spielen lediglich ein Klischeebild des Ostens als kleines Kulissenelement auftaucht, lässt sich an kleineren Spielen, die sich explizit mit dem Thema beschäftigen, eine Gemeinsamkeit feststellen.
Mit dem Trabbi in die Türkei
"Wenn wir 'Papers Please', wenn wir 'Jalopy', wenn wir '1378 Kilometer' nehmen, dann geht es da oft um Grenze", erklärt Sebastian Möring, Leiter des Kurationsteams von "Die DDR ins Spiel bringen". "Um Entgrenzung, also eigentlich um eine Frage der Räumlichkeit. Etwas, das in Computerspielen zumindest in der Theorie ein sehr zentrales Element ist: dass Computerspiele räumliche Medien sind, dass sie viel mit Raumkonstellationen arbeiten, mit Territorien und so weiter. Ich finde, das bildet sich auch in diesen Spielen ab."
Die Entgrenzung von der Möring spricht wird auch in "Jalopy" zelebriert. Hier geht es darum 1990, mit einer Trabbi-Nachbildung in die Türkei zu fahren.
Die neue Freiheit ist spürbar, aber die Mangelwirtschaft, in Form des immer wieder auseinanderfallenden Autos noch nicht weg. Und im Hintergrund wird eine traurige Geschichte einer Familientrennung durch die Mauer erzählt.
Was solche Spiele auszeichnet: Sie sind ernsthaft, tragisch, sendungsbewusst, eher künstlerische Statements, als zugängliche Videospiele: Grob, ungestalt, schwierig zu steuern. Nur "Papers, Please" funktioniert von den Beispielen bis jetzt auch losgelöst von der Thematik als – auch kommerziell – erfolgreiches Computerspiel.
Reine DDR-Spiele sind eine Seltenheit
"Beholder" und "Irony Curtain" sind ähnlich und spielen in fiktiven Ostblock-Autokratien. Während man in "Beholder" einen stasi-ähnlichen Überwacher spielt, der die Mieter eines Wohnhauses ausspioniert, ist "Irony Curtain" eine gelungene Parodie auf die Bigotterie der damaligen politischen Kaste und Gesellschaft.
In der Ausstellung "Die DDR ins Spiel bringen" waren die beiden Titel trotzdem nicht zu sehen. Vielleicht, weil es mit "Papers, Please" bereits ein Spiel ohne expliziten DDR-Bezug gab? Aber: Reine DDR-Spiele gibt es einfach kaum.
Das könnte daran liegen, dass Spielemacher dazu die eigene Geschichte aufarbeiten müssten, meint Martin Thiele-Schwez, und "dass die in einer gewissen Art und Weise verstummt sind, weil sie ja aus dem 'Verlierersystem' kommen, weil sie entweder mitgemischt haben und dann nichts sagen wollen. Oder, wenn sie nicht mitgemischt haben, sich implizit dem Vorwurf aussetzen müssen, ja, warum habt ihr nichts dagegen gemacht."
Am überzeugendsten ist ein Brettspiel
Wer DDR-Strukturen spielerisch erkunden will, kann das trotzdem tun, wenn auch nicht am Computer: In "Bürokratopoly", einem Brettspiel eines DDR-Oppositionellen, das unter anderem durch Martin Thiele-Schwez neu aufgelegt wurde.
Es geht darum, "vom einfachen Arbeiter zum Generalsekretär des Zentralkomitees der SED aufzusteigen und dazu sind alle Mittel recht, Lug, Wahlbetrug, zeitweilige Koalitionen und damit ist es ein subversives Abbild auf das DDR-System."
Die Aufarbeitung der DDR - ein Zukunftsprojekt
Aber eben: Als Brettspiel. Die wenigen Computerspiele, die es gibt legen nahe: In interaktiver Erinnerungskultur liegen große Chancen – zum jetzigen Zeitpunkt ist DDR-Geschichte im Computerspiel aber nur ein flüchtiger Gedanke an früher.
Auch wenn Martin Thiele-Schwez hofft, dass sich das noch ändert:
"Mit einer neuen Generation oder einem neuen Anspruch der Aufarbeitung die mir jetzt loszugehen scheint, könnte dieses Thema möglicherweise wieder stärker in den Fokus geraten. Zum Thema DDR gibt es noch relativ viel zu sagen und viel aufzuarbeiten."