Die DDR und die NS-Vergangenheit
Horst Fischer lebte 20 Jahre lang unbehelligt in der DDR. Erst 1965 wurde der ehemalige stellvertretende SS-Standort-Arzt in Auschwitz verhaftet und ein Jahr später hingerichtet. Christian Dirks hat den Fall Fischer nun in seinem Buch "Die Verbrechen der anderen" aufgegriffen und zeigt daran exemplarisch, dass es eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der DDR nicht gegeben hat.
Urteilsbegründung: "Er stand seinen zehntausenden unschuldigen und wehrlosen Opfern – vom Kind bis zum Greis Aug in Auge gegenüber. Er hat ihre verzweifelten Schreie und ihr letztes Todesröcheln gehört und kannte kein Erbarmen. Ihn kann auch selbst nur die Todesstrafe treffen... Die Verhandlung ist geschlossen..."
Das Urteil für Dr. Horst Fischer - ehemaliger stellvertretender SS-Standort-Arzt in Auschwitz und verantwortlicher Lagerarzt im IG-Farben-Arbeitslager Monowitz. Zwischen 1943 und 1945 war Fischer dort Herr über Leben und Tod: "Vernichtung durch Arbeit" oder gleich die Gaskammer - 70.000 Häftlinge wurden auf seinen Befehl hin "aussortiert" und ermordet. Obwohl Fischer als führender SS-Mediziner alles andere, als nur ein "kleines Rädchen" in der gigantischen Vernichtungsmaschinerie der Nazis war, konnte er nach dem Krieg in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) untertauchen.
Zwanzig Jahre lang lebte er unbehelligt in der DDR, bis er 1965 verhaftet und im darauf folgenden Jahr mit dem Fallbeil hingerichtet wurde... In seinem Buch "Die Verbrechen der anderen" hat der Historiker Christian Dirks den Fall Fischer als exemplarisch aufgegriffen – exemplarisch für den laxen Umgang der DDR mit der NS-Vergangenheit:
Dirks: "Das wurde nicht thematisiert. Man sah sich seit 45 immer auf der richtigen Seite der Geschichte und hatte die NS-Vergangenheit externalisiert Richtung Westen, fühlte sich dafür nicht zuständig und blendete das komplett aus. Eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen hat es in der DDR nicht gegeben..."
Diese allgemeine Tendenz kam auch Horst Fischer zu Gute, der zudem durch umfangreiche Dokumentenfälschungen seine Taten verschleierte.
Dennoch: Ein so prominenter Massenmörder hätte früher entdeckt werden können, wenn man es politisch wirklich gewollt hätte, so Dirks Fazit. In seinem Buch beschreibt er kenntnisreich und spannend die verschiedenen Phasen der Strafverfolgung in SBZ und DDR. Sein Quellen- und Literaturverzeichnung umfasst allein 65 Seiten. - Mit den Kontrollratsgesetzen Nr. 4 und Nr. 10 von 1945 behielten sich, so der Autor, die Alliierten die "Aburteilung von NS-Verbrechen ausdrücklich selbst vor. Aber im Westen wurde über die Vergangenheit erst einmal bis in die 60er Jahre hinein geschwiegen und im Osten übten unmittelbar nach dem Krieg die Militärtribunale der Roten Armee meist Willkür-Schreckensherrschaft anstatt Gerechtigkeit aus:
"Die Urteile stützten sich vielfach auf den Vorwurf einer Kollektivschuld und verzichteten auf den individuellen Nachweis einer strafrechtlich relevanten Schuld... Die Terror-Elite des NS-Staates war in den Lagern deutlich unterrepräsentiert. Das Aufsichtspersonal der Konzentrations- und Vernichtungslager, bei dem man davon ausgehen musste, dass sie sich an NS-Verbrechen beteiligt hatten, fehlte fast vollständig."
Bis zu 50.000 Menschen seien in der Frühphase der DDR verhaftet worden – Wahrscheinlich die Hälfte davon wurde in Lager verschleppt oder getötet. Wirkliche NS-Größen wurden dabei nicht gefasst, kritisiert Dirks, – auch nicht mit dem Befehl 201. Er wurde von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland – kurz SMAD – 1947 erlassen und öffnete mit Hilfe von "Sonderstrafkammern", einer politischen Gesinnungsjustiz Tür und Tor:
"Der Befehl 201 war ein 'Lackmus-Test' der sowjetischen Besatzungsmacht. Mit ihm sollte die politische Zuverlässigkeit der ostdeutschen Parteijustiz gestestet werden."
... schreibt Dirks – Für ihn nahm damit die politische Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit ihren Lauf. SED und MfS benutzten die Justiz mehr für die Disziplinierung missliebiger DDR-Bürger und für ihre "anti-imperialistische" Kampagnenpolitik, als für die Aufklärung von NS-Verbrechen. Auch die berühmt-berüchtigten "Waldheimer Prozesse" - 1950 vor dem Landgericht Chemnitz in Waldheim - sind für Dirks reine Schauprozesse mit teilweise unangemessen drakonischen Strafen, um der Welt zu zeigen, wie gründlich die DDR mit ihrer Vergangenheit aufräumte:
Dirks: "Mit den Waldheimer Prozessen sollte offiziell verkündet werden: Hier gibt es einen Abschluss der Strafverfolgung. Wir wenden uns jetzt anderen gesellschaftlichen Aufgaben, dem Aufbau des Sozialismus zu und legen den Deckel auf dieses Kapitel..."
Das passierte auch. In den 50er Jahren gab es keine nennenswerte Verfolgung von NS-Tätern mehr – bis zum spektakulärsten "Auschwitz-Prozess" der DDR, der am 25.März 1966 endete.
Fischer: "Ich habe gesehen, dass die Leichen übereinander getürmt lagen, die Füße jeweils an der Außenseite. Man hörte zu Anfang einzelne Schreie und dann später schon nach wenigen Sekunden ein einziges tiefes röchelndes Ausatmen..."
Horst Fischer beschreibt dem Obersten Gericht der DDR die "Überwachung des Vergasungsvorganges". In "die Verbrechen der anderen" bietet Christian Dirks nicht nur eine ausführliche Biographie des kaltblütigen Karrieristen, der die chirurgischen "Arbeitsmöglichkeiten" an den Häftlingen als Chance für sein berufliches Fortkommen sah und während die Schornsteine in Auschwitz rauchten, die Familienidylle mit Frau und Kindern genoss.
Dirks beschäftigt sich auch sehr detailliert mit dem Fischer-Prozess. Auch er sei ein reiner Schauprozess gewesen; wie der Autor anhand von Stasi-Akten nachweist - minutiös vom Ministerium für Staatssicherheit geplant. Wegen der ersten großen Auschwitz-Prozesse, die in den 60er Jahren im Westen begannen, sei die DDR in Zugzwang gekommen. Denn durch die Ermittlungen in Frankfurt am Main stieß man auch auf Fischer, dessen Verfahren darauf hin ins Rollen kam. Mit dem Buch "Die Verbrechen der anderen" ist es dem Autor gelungen die persönliche Ebene eines Täter-Lebens mit einer abstrakt-wissenschaftlichen Forschungsebene zur NS-Justiz zusammen zu binden. Das wichtigste aber: Dirks hat damit einen Namen in Erinnerung gerufen, an dem viel Blut klebt und der zu Unrecht völlig in Vergessenheit geraten war.
Christian Dirks: Die Verbrechen der anderen - Auschwitz und der Auschwitz-Prozess der DDR
Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2005
Das Urteil für Dr. Horst Fischer - ehemaliger stellvertretender SS-Standort-Arzt in Auschwitz und verantwortlicher Lagerarzt im IG-Farben-Arbeitslager Monowitz. Zwischen 1943 und 1945 war Fischer dort Herr über Leben und Tod: "Vernichtung durch Arbeit" oder gleich die Gaskammer - 70.000 Häftlinge wurden auf seinen Befehl hin "aussortiert" und ermordet. Obwohl Fischer als führender SS-Mediziner alles andere, als nur ein "kleines Rädchen" in der gigantischen Vernichtungsmaschinerie der Nazis war, konnte er nach dem Krieg in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) untertauchen.
Zwanzig Jahre lang lebte er unbehelligt in der DDR, bis er 1965 verhaftet und im darauf folgenden Jahr mit dem Fallbeil hingerichtet wurde... In seinem Buch "Die Verbrechen der anderen" hat der Historiker Christian Dirks den Fall Fischer als exemplarisch aufgegriffen – exemplarisch für den laxen Umgang der DDR mit der NS-Vergangenheit:
Dirks: "Das wurde nicht thematisiert. Man sah sich seit 45 immer auf der richtigen Seite der Geschichte und hatte die NS-Vergangenheit externalisiert Richtung Westen, fühlte sich dafür nicht zuständig und blendete das komplett aus. Eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen hat es in der DDR nicht gegeben..."
Diese allgemeine Tendenz kam auch Horst Fischer zu Gute, der zudem durch umfangreiche Dokumentenfälschungen seine Taten verschleierte.
Dennoch: Ein so prominenter Massenmörder hätte früher entdeckt werden können, wenn man es politisch wirklich gewollt hätte, so Dirks Fazit. In seinem Buch beschreibt er kenntnisreich und spannend die verschiedenen Phasen der Strafverfolgung in SBZ und DDR. Sein Quellen- und Literaturverzeichnung umfasst allein 65 Seiten. - Mit den Kontrollratsgesetzen Nr. 4 und Nr. 10 von 1945 behielten sich, so der Autor, die Alliierten die "Aburteilung von NS-Verbrechen ausdrücklich selbst vor. Aber im Westen wurde über die Vergangenheit erst einmal bis in die 60er Jahre hinein geschwiegen und im Osten übten unmittelbar nach dem Krieg die Militärtribunale der Roten Armee meist Willkür-Schreckensherrschaft anstatt Gerechtigkeit aus:
"Die Urteile stützten sich vielfach auf den Vorwurf einer Kollektivschuld und verzichteten auf den individuellen Nachweis einer strafrechtlich relevanten Schuld... Die Terror-Elite des NS-Staates war in den Lagern deutlich unterrepräsentiert. Das Aufsichtspersonal der Konzentrations- und Vernichtungslager, bei dem man davon ausgehen musste, dass sie sich an NS-Verbrechen beteiligt hatten, fehlte fast vollständig."
Bis zu 50.000 Menschen seien in der Frühphase der DDR verhaftet worden – Wahrscheinlich die Hälfte davon wurde in Lager verschleppt oder getötet. Wirkliche NS-Größen wurden dabei nicht gefasst, kritisiert Dirks, – auch nicht mit dem Befehl 201. Er wurde von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland – kurz SMAD – 1947 erlassen und öffnete mit Hilfe von "Sonderstrafkammern", einer politischen Gesinnungsjustiz Tür und Tor:
"Der Befehl 201 war ein 'Lackmus-Test' der sowjetischen Besatzungsmacht. Mit ihm sollte die politische Zuverlässigkeit der ostdeutschen Parteijustiz gestestet werden."
... schreibt Dirks – Für ihn nahm damit die politische Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit ihren Lauf. SED und MfS benutzten die Justiz mehr für die Disziplinierung missliebiger DDR-Bürger und für ihre "anti-imperialistische" Kampagnenpolitik, als für die Aufklärung von NS-Verbrechen. Auch die berühmt-berüchtigten "Waldheimer Prozesse" - 1950 vor dem Landgericht Chemnitz in Waldheim - sind für Dirks reine Schauprozesse mit teilweise unangemessen drakonischen Strafen, um der Welt zu zeigen, wie gründlich die DDR mit ihrer Vergangenheit aufräumte:
Dirks: "Mit den Waldheimer Prozessen sollte offiziell verkündet werden: Hier gibt es einen Abschluss der Strafverfolgung. Wir wenden uns jetzt anderen gesellschaftlichen Aufgaben, dem Aufbau des Sozialismus zu und legen den Deckel auf dieses Kapitel..."
Das passierte auch. In den 50er Jahren gab es keine nennenswerte Verfolgung von NS-Tätern mehr – bis zum spektakulärsten "Auschwitz-Prozess" der DDR, der am 25.März 1966 endete.
Fischer: "Ich habe gesehen, dass die Leichen übereinander getürmt lagen, die Füße jeweils an der Außenseite. Man hörte zu Anfang einzelne Schreie und dann später schon nach wenigen Sekunden ein einziges tiefes röchelndes Ausatmen..."
Horst Fischer beschreibt dem Obersten Gericht der DDR die "Überwachung des Vergasungsvorganges". In "die Verbrechen der anderen" bietet Christian Dirks nicht nur eine ausführliche Biographie des kaltblütigen Karrieristen, der die chirurgischen "Arbeitsmöglichkeiten" an den Häftlingen als Chance für sein berufliches Fortkommen sah und während die Schornsteine in Auschwitz rauchten, die Familienidylle mit Frau und Kindern genoss.
Dirks beschäftigt sich auch sehr detailliert mit dem Fischer-Prozess. Auch er sei ein reiner Schauprozess gewesen; wie der Autor anhand von Stasi-Akten nachweist - minutiös vom Ministerium für Staatssicherheit geplant. Wegen der ersten großen Auschwitz-Prozesse, die in den 60er Jahren im Westen begannen, sei die DDR in Zugzwang gekommen. Denn durch die Ermittlungen in Frankfurt am Main stieß man auch auf Fischer, dessen Verfahren darauf hin ins Rollen kam. Mit dem Buch "Die Verbrechen der anderen" ist es dem Autor gelungen die persönliche Ebene eines Täter-Lebens mit einer abstrakt-wissenschaftlichen Forschungsebene zur NS-Justiz zusammen zu binden. Das wichtigste aber: Dirks hat damit einen Namen in Erinnerung gerufen, an dem viel Blut klebt und der zu Unrecht völlig in Vergessenheit geraten war.
Christian Dirks: Die Verbrechen der anderen - Auschwitz und der Auschwitz-Prozess der DDR
Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2005