Die deutsche Nachkriegsamnesie
An den Krieg schlossen sich Jahrzehnte der Verdrängung an. Aber nicht nur Politiker oder Künstler verschwiegen ihre Mitgliedschaft in der NSDAP - es gab auch ein staatlich institutionalisiertes Wegschauen, in Zusammenarbeit mit den Alliierten. Malte Herwig erzählt lesenswert von den verschwiegenen Schattenseiten nach 1945.
Männer, die die Bundesrepublik Deutschland prägten, hat sich Malte Herwig in seinem Buch vorgenommen. Erklärtermaßen nicht, um sie zu demontieren, aber doch, um sie zu ihrem Umgang mit der eigenen Vergangenheit zu befragen.
"Sie haben ihre Jugend im ‘Dritten Reich‘ verbracht und sind nach dem Krieg zu prominenten Intellektuellen und Wortführern der jungen Bundesrepublik aufgestiegen. Man braucht nur die Namen aufzuzählen, und schon hat man ein politisch-kulturelles Pantheon der deutschen Nachkriegszeit vor Augen: Martin Walser, Dieter Hildebrand, Siegfried Lenz, Hans-Dietrich Genscher, Horst Ehmke, (...) Erich Loest (...), eine ganze Generation von Übervätern geriet in den letzten Jahren trotz tadelloser Nachkriegslebensläufe ins Zwielicht, weil sie vor 1945 im Nationalsozialismus mitgemacht hatten."
"Sie haben ihre Jugend im ‘Dritten Reich‘ verbracht und sind nach dem Krieg zu prominenten Intellektuellen und Wortführern der jungen Bundesrepublik aufgestiegen. Man braucht nur die Namen aufzuzählen, und schon hat man ein politisch-kulturelles Pantheon der deutschen Nachkriegszeit vor Augen: Martin Walser, Dieter Hildebrand, Siegfried Lenz, Hans-Dietrich Genscher, Horst Ehmke, (...) Erich Loest (...), eine ganze Generation von Übervätern geriet in den letzten Jahren trotz tadelloser Nachkriegslebensläufe ins Zwielicht, weil sie vor 1945 im Nationalsozialismus mitgemacht hatten."
Viele Prominente in der Mitgliederkartei der NSDAP
Mitgemacht bedeutet: Sie sind als sehr junge Männer der NSDAP, der nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, beigetreten. Über Jahre hat Malte Herwig die NSDAP-Mitgliederkartei eingesehen und ist immer wieder auf prominente Fälle gestoßen.
Den Generationenbegriff der "Flakhelfer" dehnt er dabei weit aus - auf alle nach 1919 geborenen Deutschen. Sie fielen nach 1945 unter die so genannte "Jugendamnestie" der Alliierten. Zur Amnestie trat bald die Amnesie: Die eigene Parteimitgliedschaft haben viele von ihnen nie eingestanden.
"Viele wollen es heute noch verleugnen, dass diese Biographien doch sehr gebrochen sind. Mich interessieren aber keine geschönten, keine gradlinigen Biographien, mich interessieren gebrochene Biographien, denn nur daraus können wir für die Zukunft lernen und auch für uns selbst."
Seine ausgesuchten Flakhelfer - das sind für Herwig früh Verführte, die sich nach 1945 entschieden für Neuaufbau, für Demokratie und Vergangenheitsbewältigung eingesetzt haben. Und die dabei gleichzeitig die eigene Parteimitgliedschaft vergessen, vielleicht verdrängt, verschwiegen haben. In der Sache positioniert sich der Autor eindeutig: Mitglied in der NSDAP wurde nur, wer eigenhändig einen Aufnahmeantrag unterschrieb. Die automatische Übernahme ganzer Jahrgänge aus der Hitler-Jugend, Partei-Aufnahmen ohne das Wissen der Betroffenen hat es nicht gegeben – auch, wenn einige seiner Gesprächspartner dies noch immer anführen.
"Es ist ein ungeheurer Druck, der sich aufbaut, wenn Sie etwas Zentrales verschweigen, in diesem Fall eine NSDAP-Mitgliedschaft, die nach 1945 zu einem Stigma wurde. Als Künstler haben Sie natürlich besondere Möglichkeiten, mit Verdrängung, mit Schweigen, mit Geheimnissen umzugehen. Sie können es sublimieren. Das Werk sagt oft mehr als der Mensch."
Den Generationenbegriff der "Flakhelfer" dehnt er dabei weit aus - auf alle nach 1919 geborenen Deutschen. Sie fielen nach 1945 unter die so genannte "Jugendamnestie" der Alliierten. Zur Amnestie trat bald die Amnesie: Die eigene Parteimitgliedschaft haben viele von ihnen nie eingestanden.
"Viele wollen es heute noch verleugnen, dass diese Biographien doch sehr gebrochen sind. Mich interessieren aber keine geschönten, keine gradlinigen Biographien, mich interessieren gebrochene Biographien, denn nur daraus können wir für die Zukunft lernen und auch für uns selbst."
Seine ausgesuchten Flakhelfer - das sind für Herwig früh Verführte, die sich nach 1945 entschieden für Neuaufbau, für Demokratie und Vergangenheitsbewältigung eingesetzt haben. Und die dabei gleichzeitig die eigene Parteimitgliedschaft vergessen, vielleicht verdrängt, verschwiegen haben. In der Sache positioniert sich der Autor eindeutig: Mitglied in der NSDAP wurde nur, wer eigenhändig einen Aufnahmeantrag unterschrieb. Die automatische Übernahme ganzer Jahrgänge aus der Hitler-Jugend, Partei-Aufnahmen ohne das Wissen der Betroffenen hat es nicht gegeben – auch, wenn einige seiner Gesprächspartner dies noch immer anführen.
"Es ist ein ungeheurer Druck, der sich aufbaut, wenn Sie etwas Zentrales verschweigen, in diesem Fall eine NSDAP-Mitgliedschaft, die nach 1945 zu einem Stigma wurde. Als Künstler haben Sie natürlich besondere Möglichkeiten, mit Verdrängung, mit Schweigen, mit Geheimnissen umzugehen. Sie können es sublimieren. Das Werk sagt oft mehr als der Mensch."
Herwig verurteilt nicht
Die persönlichen Begegnungen und Gesprächsimpressionen ergänzt der Literaturwissenschaftler mit Werkanalysen: So kann er das, was die Befragten selbst nicht benennen, zwischen den Zeilen des literarischen Schaffens oder auch der Autobiographien herauslesen - am ausführlichsten im Fall von Martin Walser und Günter Grass.
Dabei tritt Herwig immer verständnisvoll auf - auch dort, wo man als Leser mit Unverständnis reagiert, beispielsweise angesichts des so genannten "Verbergungs-Entblößungs-Modus", den Martin Walser für sich reklamiert.
"Gerade weil er, als Martin Walser, als Person, so strikt dabei bleibt, ‘Nein‘ zu sagen, diese Mitgliedschaft, die aktenkundig ist, zu leugnen, gerade weil er dabei bleibt, ermöglicht es ihm sein Schreiben eben im Verborgenen raus zu gehen, dieses Entblößungs-Verbergungs-Spiel."
"Die Geschichte der Flakhelfer ist auch die eines großen, für viele peinlichen Geheimnisses. (...) Denn nicht nur viele Flakhelfer verschwiegen ihre Verstrickung in Hitlers Partei. Auch die Bundesregierung verhinderte durch geschicktes Taktieren jahrzehntelang die Rückgabe der unter amerikanischer Verwaltung stehenden NSDAP-Mitgliedskartei an Deutschland."
Die biographischen Einzelstudien ergänzt der Autor um die spannende Geschichte seiner Quellen: Im Herbst 1945 fanden amerikanische Militärs die zentrale Mitgliederkartei der NSDAP. Jahrzehntelang lagerten sie die Akten, mehr als zehn Millionen Parteikarten, im geheimen "Berlin Document Center" in Dahlem.
"Am 17. September 1987 erwartete Direktor Daniel Simon hohen Besuch im Berlin Document Center am Wasserkäfersteig. US-Botschafter Richard Burt und sein Stellvertreter James Dobbins hatten sich angekündigt. (...) Dann kamen die beiden Besucher auf einen heiklen Punkt zu sprechen. Sie hätten von einer Spezialliste gehört, ob sie die mal sehen könnten? Der Direktor ging zu dem Safe in der Ecke seines Büros, zog ein Dokument hervor und legte es auf seinen Schreibtisch. 'Unglaublich', murmelte der Botschafter, während seine Augen über die Namen von mehr als siebzig führenden deutschen Politikern glitten, die allesamt Mitglieder der NSDAP gewesen waren."
Dabei tritt Herwig immer verständnisvoll auf - auch dort, wo man als Leser mit Unverständnis reagiert, beispielsweise angesichts des so genannten "Verbergungs-Entblößungs-Modus", den Martin Walser für sich reklamiert.
"Gerade weil er, als Martin Walser, als Person, so strikt dabei bleibt, ‘Nein‘ zu sagen, diese Mitgliedschaft, die aktenkundig ist, zu leugnen, gerade weil er dabei bleibt, ermöglicht es ihm sein Schreiben eben im Verborgenen raus zu gehen, dieses Entblößungs-Verbergungs-Spiel."
"Die Geschichte der Flakhelfer ist auch die eines großen, für viele peinlichen Geheimnisses. (...) Denn nicht nur viele Flakhelfer verschwiegen ihre Verstrickung in Hitlers Partei. Auch die Bundesregierung verhinderte durch geschicktes Taktieren jahrzehntelang die Rückgabe der unter amerikanischer Verwaltung stehenden NSDAP-Mitgliedskartei an Deutschland."
Die biographischen Einzelstudien ergänzt der Autor um die spannende Geschichte seiner Quellen: Im Herbst 1945 fanden amerikanische Militärs die zentrale Mitgliederkartei der NSDAP. Jahrzehntelang lagerten sie die Akten, mehr als zehn Millionen Parteikarten, im geheimen "Berlin Document Center" in Dahlem.
"Am 17. September 1987 erwartete Direktor Daniel Simon hohen Besuch im Berlin Document Center am Wasserkäfersteig. US-Botschafter Richard Burt und sein Stellvertreter James Dobbins hatten sich angekündigt. (...) Dann kamen die beiden Besucher auf einen heiklen Punkt zu sprechen. Sie hätten von einer Spezialliste gehört, ob sie die mal sehen könnten? Der Direktor ging zu dem Safe in der Ecke seines Büros, zog ein Dokument hervor und legte es auf seinen Schreibtisch. 'Unglaublich', murmelte der Botschafter, während seine Augen über die Namen von mehr als siebzig führenden deutschen Politikern glitten, die allesamt Mitglieder der NSDAP gewesen waren."
Der Mut zur Wahrheit fehlt
Herwig beschreibt, szenenartig verdichtet, was bis in die 1990er Jahre gängige politische Praxis war: Aus dem unter Verschluss gehaltenen Aktenkonvolut sortierten die Amerikaner jene Parteikarten heraus, die die NSDAP-Mitgliedschaft führender westdeutscher Politiker belegten - ganz im Sinne der Bundesrepublik Deutschland. Im Kalten Krieg sollte die Gegenseite, speziell die DDR, nicht mit kompromittierenden Informationen Politik machen können. Dieses Wegschauen auf der staatlichen Ebene empört Herwig weit stärker als das persönliche Verschweigen.
"Ich glaube, dass uns noch die Augen übergehen werden, wenn wir feststellen, dass nicht nur die 50er Jahre unter Adenauer und Globke eine Zeit der Verdrängung waren, sondern auch die 60er Jahre, die 70er Jahre. Vom Kabinett Konrad Adenauers bis zu dem Helmut Kohls saßen in jeder deutschen Regierung ehemalige NSDAP-Mitglieder am Kabinettstisch. Allein unter Willy Brandt dienten zwölf ehemalige Nationalsozialisten als Minister und noch in den 60er Jahren war die stärkste Fraktion im Bundestag nach der ersten Parteizugehörigkeit die NSDAP."
Heutzutage, sagt Herwig, müsse man nicht mehr die NS-Geschichte selbst erforschen, sondern den Umgang mit dieser Geschichte nach 1945. Hier sieht der 1972 geborene Autor die eigene Generation in der Pflicht: Sie könne das falsche Schwarz-Weiß-Bild - hier die bösen Nazis, dort die guten bundesrepublikanischen Aufklärer - revidieren und den Blick für die Kontinuitäten schärfen - gerade weil sie genug emotionalen Abstand habe.
"Und jetzt ist es eine Geschichte, ja die noch qualmt, aber der wir uns jetzt unbefangener zuwenden können."
Malte Herwig erzählt - im gediegenen Feuilleton-Stil - von der kulturellen Neuverortung nach 1945 und ihren verschwiegenen Schattenseiten. Er klagt nicht an, fordert aber den Mut zur ganzen Wahrheit. Am spannendsten aber wird sein Buch dort, wo es um den offiziellen Umgang mit der NSDAP-Mitgliederkartei in der BRD geht, um die Instrumentalisierung der deutschen Vergangenheit im Kalten Krieg. Die Aufarbeitung der Aufarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen.
"Ich glaube, dass uns noch die Augen übergehen werden, wenn wir feststellen, dass nicht nur die 50er Jahre unter Adenauer und Globke eine Zeit der Verdrängung waren, sondern auch die 60er Jahre, die 70er Jahre. Vom Kabinett Konrad Adenauers bis zu dem Helmut Kohls saßen in jeder deutschen Regierung ehemalige NSDAP-Mitglieder am Kabinettstisch. Allein unter Willy Brandt dienten zwölf ehemalige Nationalsozialisten als Minister und noch in den 60er Jahren war die stärkste Fraktion im Bundestag nach der ersten Parteizugehörigkeit die NSDAP."
Heutzutage, sagt Herwig, müsse man nicht mehr die NS-Geschichte selbst erforschen, sondern den Umgang mit dieser Geschichte nach 1945. Hier sieht der 1972 geborene Autor die eigene Generation in der Pflicht: Sie könne das falsche Schwarz-Weiß-Bild - hier die bösen Nazis, dort die guten bundesrepublikanischen Aufklärer - revidieren und den Blick für die Kontinuitäten schärfen - gerade weil sie genug emotionalen Abstand habe.
"Und jetzt ist es eine Geschichte, ja die noch qualmt, aber der wir uns jetzt unbefangener zuwenden können."
Malte Herwig erzählt - im gediegenen Feuilleton-Stil - von der kulturellen Neuverortung nach 1945 und ihren verschwiegenen Schattenseiten. Er klagt nicht an, fordert aber den Mut zur ganzen Wahrheit. Am spannendsten aber wird sein Buch dort, wo es um den offiziellen Umgang mit der NSDAP-Mitgliederkartei in der BRD geht, um die Instrumentalisierung der deutschen Vergangenheit im Kalten Krieg. Die Aufarbeitung der Aufarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen.
Malte Herwig: Die Flakhelfer - Wie aus Hitlers jüngsten Parteimitgliedern Deutschlands führende Demokraten wurden
DVA Sachbuch
320 Seiten, 22,90 Euro
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320 Seiten, 22,90 Euro