Die deutsche Stimme von Johnny Depp

Von Martin Böttcher |
Er ist die Stimme von Johnny Depp, von Val Kilmer, von Christian Bale und von anderen Stars. Dabei hat David Nathan eigentlich Maler und Lackierer gelernt. Jetzt wohnt er in Berlin Mitte und fühlt sich manchmal ganz schizophren vor lauter Rollenwechseln zwischen all den Massenmördern, romantischen Liebhabern und Verrückten, die er spricht.
"Morgens geht man los, ist von 9 bis 11 Uhr 30 der Massenmörder, von 12 bis 17 Uhr bin ich der romantische Liebhaber und abends mache ich dann den Verrückten, weiß nicht. Hab überlegt ein Buch zu schreiben über 'nen schizophrenen Synchronsprecher, der Leute umbringt und glaubt, er wäre die Rolle, die er da spricht."

Schizophren sieht er nicht aus, wie er da in seiner 6-Zimmer-Wohnung in Berlin-Mitte sitzt: David Nathan, 36 Jahre alt, kurz geschorene Haare, Drei-Tage-Bart. Es ist früher Nachmittag und er ist gerade aufgestanden - eine Ausnahme, versichert er, normalerweise geht es früh morgens los. Dabei blinzeln seine schon sehr wachen, sanften braunen Augen. David Nathan ist einer der besten Synchronsprecher Deutschlands – und einer der meistbeschäftigten. Ein Knochenjob?

"Mein Gott, es gibt Leute, die gehen Straßen bauen und Dächer decken bei Regen und Schnee. 'Nen Knochenjob ist das nun wirklich nicht."

Ausschnitt aus Film "Ghostrider": "Okay, jetzt hör mal gut zu: Du wirst nicht mehr für meinen Vater arbeiten - sondern für mich!"

David Nathan ist Johnny Depp, Christian Bale und Val Kilmer. Er war auch schon Leonardo DiCaprio, Joaquin Phoenix, Jude Law und Adrien Brody. Aber als Schauspieler sieht er sich nicht - eher als ein Schauspielerkind: Sein Vater, Michael Pan, kommt vom Theater.

"Ich habe zwar Lust, vor Publikum zu sein, aber ich habe keine Lust, klassisches Theater auf der Bühne zu spielen. Das interessiert mich nicht. Wenn man nicht dafür brennt, dann kannst Du es auch gleich lassen."

1971 in Ost-Berlin geboren, im März. Ein typischer Fisch, behaupten die Freunde. Ein wenig zurückgezogen, hilfsbereit, sensibel. Manchmal auch chaotisch und verträumt. Mag sein, sagt David Nathan. Doch mit Astrologie kann er nichts anfangen - Esoterisches und höhere Mächte haben keinen Platz in seinem Leben:

"Meine Frau ist evangelisch, ich bin Atheist. Von einem altkommunistischen Großvater großgezogen, der immer gesagt hat: Die Popen. Das ist hängen geblieben. Ich habe mit diesen Kirchen nichts zu tun. Und will auch nichts damit zu tun haben."

Wäre Berlin ein Mensch, dann wäre Berlin Johnny Depp, sagte einmal der italienische Designer Andrea Cannelloni. Vielleicht passt deshalb Nathans Stimme so gut zu dem amerikanischen Schauspieler. Eigen, ein wenig mysteriös, so, als könnte Johnny Depp gar keine andere Stimme haben.

Ausschnitt aus dem Film "Ghostrider": "Wir wissen beide: Du kannst mir hier nichts anhaben. Jetzt bricht meine Zeit an."

Es gibt Menschen - Frauen vor allem - die sagen, David Nathan und Johnny Depp sähen sich ähnlich. Das stimmt nicht. David Nathan ist zwar attraktiv. Aber vom Typ her eher so wie Fernsehkoch Tim Mälzer.

"Johnny Depp macht schon gute Filme. Ich kenne keinen, der mir nicht gefallen hat - und dahin zu kommen, den zu sprechen, das ist immer toll. Christian Bale habe ich auch schon zehnmal gesprochen, den mag ich auch genau so gerne, ist ein ganz anderer Typ."

Ausgerechnet beim Kassenerfolg "Fluch der Karibik" ist David Nathan nicht die Synchronstimme Depps. Es gab Streit um die Art und Weise, wie "Kapitän Jack Sparrow" in der deutschen Rolle zu klingen hätte. Nathan wollte nicht nachgeben - und wurde sofort ausgewechselt:

"Das hängt natürlich auch mit unserem Status zusammen: Wir sind völlig austauschbar, das wurde mir so klar. Das hat zwei Tage am Ego genagt, dann war gut."

David Nathan hat es weit gebracht. Er kann sich seine Sprecherrollen aussuchen - nicht schlecht für einen ehemaligen Maler und Lackierer, dem man die Herkunft aus Ost-Berlin mit jedem Satz anhört. Den Akzent kann Nathan für die Arbeit komplett abschalten - und auch die Maler-Lehre hat er lange hinter sich gelassen. Sie war eh ein Unfall, damals in der DDR:

"Meine Eltern sind aus der DDR ausgereist, da war ich 18. Mit 'nem Ausreiseantrag konntest Du nicht auf die Schauspielschule, wurde ich Maler und Lackierer. Mit 18 dann im Westen bin ich sofort zu den Synchronstudios. Und wenn Du das kannst, dann saugen die dich ein. Sssssttttt!"

Man merkt es ihm an: David Nathan ist ein Arbeitstier. Und angenehm uneitel. Ein Familienmensch, der seit Jahren die gleiche Lieblingsband hat, die Smashing Pumpkins. Der mit seiner Frau, zwei Kindern, zwei Katzen, zwei Aquarien und einem Hund dort wohnt, wo Berlin-Mitte am mittigsten ist, ganz nah am Hackeschen Markt. Nathan taugt nicht zum Mitte-Schicki-Micki - und deshalb will er von dort wegziehen, in den beschaulicheren Berliner Bezirk Pankow. Hören wird man dennoch auch in Zukunft von ihm:

"Also: Im Moment öffnen sich ganz viele Türen. Und ich geh einfach durch die meisten durch und gucke ma. Egal was kommt, es geht weiter."

Die neuen Türen, das sind Sprecherrollen in Computerspielen und Hörbüchern. Und auch live-Auftritte, wenn er gemeinsam mit anderen vor Publikum vorliest. Seit einiger Zeit schreibt David Nathan sogar Synchron-Drehbücher. Sein letzter großer Erfolg: Die deutsche Fassung von "Thank you for Smoking". Dafür könnte er am 22. März den Deutschen Synchronpreis bekommen.