"Die deutsche Wirtschaft ist als Ziel interessant"
Die Welt befindet sich in einem Wirtschaftskrieg, meint der Ökonom Bernd Oliver Bühler. Nur wenn Deutschland das endlich anerkennt, könne es auch Mechanismen entwickeln, sich zu schützen. Tagtäglich finde Wirtschaftsspionage statt. Und die müsse nicht einmal illegal sein, erklärt Bühler.
Deutschlandradio Kultur: Bernd Oliver Bühler ist Geschäftsführer der Firma JANUS Consulting, einem Unternehmen, das sich mit Risikomanagement und Sicherheitsberatung beschäftigt. Bernd Oliver Bühler hat in Frankreich studiert, unter anderem an einer privaten Managementschule, die sich mit Wirtschaftsspionage befasst. Inzwischen ist er auch Gastdozent an der Ecole de Guerre Economique. Guten Tag, Herr Bühler.
Bernd Oliver Bühler: Guten Tag, Herr Groth.
Deutschlandradio Kultur: An der Pariser Schule für Wirtschaftskrieg lehren Sie, so steht es auf Ihrer Webseite, unter anderem Macht und Wirtschaftskrieg sowie Management in unternehmensfeindlichem Umfeld. Befinden wir uns mitten in einem Wirtschaftskrieg?
Bernd Oliver Bühler: Wir befinden uns zumindest nicht in einem Wirtschaftsfrieden. Jedes Land hat eigentlich ein besonderes Interesse daran, seine Wirtschaftskraft zu stärken. Sprich: Nationale Volkswirtschaften, die auf schwachen Füßen stehen, sind eben auch demokratisch gefährdet – siehe Weimarer Republik.
Ja, man kämpft nicht immer mit fairen Mitteln. Darum geht es ja im Wirtschaftskrieg. Da sind wir natürlich auch wieder bei der Interessenvertretung. Die ist legitim. Die Wahl der Mittel ist es nicht immer. Ich erinnere zum Beispiel an die mehrfachen Veränderungen der Ausschreibungskriterien für die Erneuerung der amerikanischen Lufttankerflotte.
""Totschweigen hilft nur den Tätern""
Deutschlandradio Kultur: Wie hoch ist der Schaden, der der deutschen Wirtschaft nach Ihrer Einschätzung dadurch – sagen wir – im Jahr entsteht durch solche Wirtschaftsspionage?
Bernd Oliver Bühler: Es gibt dazu verschiedene Aussagen. Ich denke, die realistischste bewegt sich im Bereich 50 Milliarden. Aber es entsteht ja nicht nur ein Schaden. Was noch viel schlimmer ist, es entsteht kein Umsatz. Es ist nicht nur der Schaden da, es ist vor allem kein Verdienst da, was auch wiederum dazu führt, dass Arbeitsplätze wegfallen, dass Know-how abfließt. Wir können unseren Wohlstand in Deutschland nur durch einen langfristigen Technologie- und Know-how-Vorsprung sichern, solange wir kein Interesse daran haben, für 4,86 Euro die Stunde arbeiten zu wollen. Nur dann, wenn wir der Welt Produkte liefern können, die wirklich noch dem Ruf des Made in Germany gerecht werden, nur dann werden wir langfristig überleben.
Und es gibt natürlich genügend andere, die sich gerne von diesem Kuchen ein Stück abschneiden.
Deutschlandradio Kultur: Der Schaden wird ja nur gezählt bei Unternehmen, die sich öffnen und bekanntgeben, dass sie Opfer eines Spionageangriffs geworden sind. Dann gibt es eine hohe Dunkelziffer.
Bernd Oliver Bühler: Völlig korrekt.
Deutschlandradio Kultur: Wie hoch ist die?
Bernd Oliver Bühler: Ich vermute einfach mal, dass eigentlich nur jeder neunte Fall öffentlich wird, wenn überhaupt. Man sollte mit diesem Thema offen umgehen und Verbrechen – darum geht es ja – totschweigen, hilft nur den Tätern.
Deutschlandradio Kultur: Der Bundesinnenminister möchte eine Meldepflicht für solche Angriffe einführen. Hat Friedrich da recht?
Bernd Oliver Bühler: Der Bundesinnenminister hat wieder einen sehr mutigen Vorschlag gemacht, weil er einerseits eine Meldepflicht fordert, gleichzeitig aber bei Weitem nicht die staatlichen Möglichkeiten im Bereich des Wirtschaftsschutzes ausgeschöpft werden. Es ist deshalb erstens aus meiner Sicht eine hohle Forderung. Schauen wir mal, ob sie nach den Wahlen noch Bestand hat. Und zweitens, nein, ich bin dagegen, dass man es zur Pflicht ernennt. Auch ein Bürger hat das Recht zu erwägen, ob er eine Angelegenheit anzeigen möchte oder nicht. Ich bin hier gegen Verpflichtung. Ich bin hier weit mehr für eine massive weitere Sensibilisierung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft, vor allem aber auch dafür, dass der Staat endlich mal etwas für die Wirtschaft tut.
Wissen Sie, in Deutschland sagt man, die Wirtschaft schützt sich in erster Linie selbst. Kurze Anmerkung, was das Ausland angeht, sagt man, das kann sie nicht. Wenn man einerseits sagt, die Wirtschaft schützt sich in erster Linie selbst, und andererseits sagt, wir wollen eine Meldepflicht, Entschuldigung, das ist doch Kokolores.
Deutschlandradio Kultur: Das Unternehmen Enercon ist ein führender Hersteller von Windkraftanlagen. Ende der 90er Jahre wurde berichtet, die NSA, also der amerikanische Geheimdienst, habe dieses Unternehmen abgehört. Damals gab es die Echelon-Affäre in der Satellitenkommunikation. Und die Informationen sollen an einen amerikanischen Konkurrenten weitergereicht worden sein.
Ist das eines von vielen Beispielen, wie Sie sie nicht nur jetzt im Rückblick, sondern tatsächlich auch heute noch tagtäglich erleben?
Bernd Oliver Bühler: Also, tagtäglich glücklicherweise nicht. Nicht alle wollen drüber reden. Das Erschreckende daran ist, dass man heute so überrascht tut, auch im Rahmen um die NSA-Diskussion, als ob das alles neu wäre. Es gibt konkrete Fälle, die Enercon, die bekannt sind. Es gibt auch das Thema TGV-ICE, wo es möglicherweise um den französischen Geheimdienst ging. Es gibt genügend Beispiele, wo ein Know-how-Abfluss stattfand, der so nicht erklärbar war respektive ist.
Ich denke, wir wollten uns jetzt an dieser Stelle auch nicht nur auf die Amerikaner kaprizieren. Im Endeffekt hat die deutsche Wirtschaft ein Know-how zu bieten, das sie eigentlich für jeden Mitbewerber, für jeden Industriestaat, auch für jeden Staat, der es werden möchte, in Anführungszeichen, als Ziel interessant macht.
Man spricht ja gerne über Russland. Man spricht ja gerne über China. Man spricht jetzt auch über die USA und Großbritannien. Aber mit Verlaub, wir sind nicht von Freunden umzingelt. Der ehemalige Chef des französischen Auslandsnachrichtendienstes DGSE sagte mal so schön: "Politisch kooperieren wir. Wirtschaftlich sind wir Konkurrenten." Damit ist alles gesagt.
Natürlich dienen solche Beispiele als – in Anführungszeichen – Beweis, Nachweis, aber es ist tägliche Praxis in der Welt, dass versucht wird, sich durch Spionage einen Vorteil zu verschaffen – sei es politisch, sei es wirtschaftlich.
""Sicherheit ist, wenn das Unternehmen funktioniert""
Deutschlandradio Kultur: Ich will trotzdem, da wir Ecolon schon erwähnt haben, bei den Amerikanern bleiben. Man weiß doch eigentlich seit der Erfindung des Internet, das aus Amerika kommt, dass Amerika alles das, was damit zusammenhängt, und das ist eben auch der Fluss der Daten und die Auswertung der Daten, wie wir jetzt erfahren haben, wenn nicht kontrolliert, dann zumindest beobachtet und auswertet.
Waren wir da nicht einfach viel zu lange zu blauäugig?
Bernd Oliver Bühler: Es gibt ja diese Aussage, deutsches Recht würde in Deutschland nicht gebrochen werden. Das will ich gerne glauben, denn wenn Sie das Internet nutzen und Daten versenden, es gehen ja eigentlich alle Datenpakete über die USA. – Das schon mal als erster Punkt, dass hier natürlich eine Möglichkeit zur Auswertung gegeben wird, die wir in Deutschland so nicht haben, so auch nicht kontrollieren können.
Es heißt nicht umsonst "Geheimdienst". Und ich glaube auch nicht, dass unsere amerikanischen Partner uns da wirklich alle Möglichkeiten offenlegen, die ihnen zur Verfügung stehen. Da sind wir immer noch dabei, den Eisberg von der Spitze aus nach unten aufzuklären.
Deutschlandradio Kultur: Ihr Unternehmen bietet ja zum Beispiel sichere Prozesse, sichere Unternehmensprozesse an. Wie kann sich denn ein deutsches Unternehmen gegen diese Spionage wehren?
Bernd Oliver Bühler: Es ist weniger eine Frage der Technik. Es ist eine Frage des Menschen. Sicherheit ist nicht, wenn es zu einem Vorfall kommt. Sicherheit ist, wenn das Unternehmen funktioniert, sprich, indem es auch sichere Datenautobahnen hat, die nur ihm zur Verfügung stehen und die auch den Mitarbeitern – in Anführungszeichen – die Daten zur Verfügung stellen im Sinne Verfügbarkeit, Integrität, Vertraulichkeit usw. usf., die sie brauchen, um ihrem Job nachkommen zu können. Da sind wir genau bei der Problematik.
Es steht und fällt mit den Mitarbeitern. Ein Vorstand kann ein Leck sein. Eine Putzfrau kann ein Leck sein – nicht immer durch böswillige Aktionen, sondern auch mal – in Anführungszeichen – durch Nichtwissen oder unbewusstes Fehlverhalten. Umso wichtiger ist es, dass sich die Firmenleitungen erstmal bewusst werden oder wirklich auch erklären, Leute, wir haben etwas, was es zu schützen gilt. Und das geht alle an. Denn nur, wenn das Unternehmen geschützt ist, kann es auch Arbeitsplätze bieten. Wenn Sie hundert Mitarbeiter haben und 99 halten sich an die Sicherheitsregeln und einer halt nicht, dann haben Sie ein Problem.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht können wir es einfach mal konkret machen. E-Mails generell verschlüsseln, allgemeine Datenzurückhaltung, nur noch Einweghandys auf Auslandsreisen benutzen – das sind ja all die Dinge, die man so hört. Ist das der Weg? Es gibt Firmen, die jetzt tatsächlich elektrische Schreibmaschinen wieder benutzen und ihre Papier in Koffern von A nach B bringen.
Bernd Oliver Bühler: Sagen wir es mal so: Es gibt verschiedene Wege. Sie haben das schon richtig angesprochen. Man kann natürlich auch die Festplatten verschlüsseln, transportieren, nicht nur Post, sondern mit Fahrzeugen. Aber ich denke, man sollte da jetzt gleichzeitig nicht in eine Hysterie verfallen. – Sie können nie alles schützen. Das ist schon mal ganz wichtig. Sie müssen ab und zu auch Informationen preisgeben, damit das Unternehmen arbeiten kann. Sie schreiben Pressemitteilungen. Sie veröffentlichen Broschüren.
Das Gros der Aufklärung, der Wirtschaftsaufklärung, nennen wir es mal so, ist ja nicht illegal oder findet nicht durch illegale Maßnahmen statt, sondern dadurch, dass offene Quellen ausgewertet werden. Da muss man sich einfach erstmal die Frage stellen: Was ist das Besondere Know-how, das besondere Wissen, das unser Unternehmen auszeichnet? Wie kann ich dieses schützen? Und vor allem, was kann ich nach außen geben? – Das ist ja die große Frage.
Man muss heute, wenn man Wirtschaftsaufklärung betreibt, eigentlich gar nicht mehr oft in die Unternehmen eindringen, wie das früher vielleicht der Fall war. Nein, man muss erstmal schauen, was gibt denn das Unternehmen freiwillig preis. Und da gibt es einfach verschiedene Beispiele, wo man sagt, da hat es nicht gegriffen.
Ich kenne zum Beispiel den Fall von einem französischen Unternehmen, Hochtechnologie. Das wurde geknackt, indem – in Anführungszeichen – wirklich die Mülltonne ausgewertet wurde. Da wurde konkret nachgeschaut, welche Daten gehen raus. Und man muss zur Ehrenrettung dieses Unternehmens sagen, dass alle Mitarbeiter – außer dem Vorstandsvorsitzenden – die Daten geschreddert haben. Es war alles in Ordnung. Nur der Vorstandsvorsitzende selber glaubte, er habe es nicht nötig. Und der Müll ging quasi ungeschreddert raus. Sie sehen, einer kann alles kaputtmachen. Und manchmal ist es sogar der Chef.
""Wundert es uns wirklich, dass die Amerikaner das tun?""
Deutschlandradio Kultur: Das ist jetzt ein französisches Unternehmen. Wenn wir mal zurück nach Deutschland gehen, würden Sie auch hierzulande sagen, das Bewusstsein dafür, dass mein Konkurrent, ob er nun im Inland oder im Ausland sitzt, darauf erpicht ist, mich auszuspionieren, das Bewusstsein ist noch nicht so ausgebreitet, wie es nach Ihren Erkenntnissen ausgebreitet sein sollte?
Bernd Oliver Bühler: Die Sensibilisierung hat zugenommen glücklicherweise, aber bei Weitem nicht in dem Maße, wie das in anderen Ländern der Fall ist. Das hat auch damit zu tun, dass der politische Wille aus meiner Sicht fehlt, dieses Thema massiv voranzutreiben.
Ich zitiere jetzt hier mal als Beispiel den ehemaligen französischen Präsidenten Francois Mitterand, der zur Vorbereitung seiner zweiten Amtszeit 1988, als wir hier in schon in Deutschland die Zeit des ewigen Friedens fühlten, folgende Botschaft an seine Bürger rausgab. Ich zitiere eine Passage:
"Betrachten wir die Weltwirtschaft, so sieht man ein Schlachtfeld vor sich, auf dem sich die Unternehmen einen gnadenlosen Krieg liefern. Gefangene werden nicht gemacht. Wer fällt, stirbt. Der Sieger kämpft nach alterprobten kriegsstrategischen und sehr einfachen Regeln, die beste Vorbereitung, die schnellsten Bewegungen, der Vorstoß auf feindliches Terrain, gute Verbündete, der Wille zum Sieg."
Das sagt er gegenüber seinen Bürgern. Und es ist heute noch für mich undenkbar, dass eine Angela Merkel vor die Medien tritt und sagt: Liebe Wirtschaft, wir befinden uns in einem Wirtschaftskrieg. Wir haben in Deutschland schon Schwierigkeiten, das Wort Krieg in den Mund zu nehmen, wenn es um das Thema Afghanistan geht, was ein Kriegseinsatz ist. Aber solange die deutsche Politik nicht fähig oder willens ist, das Kind beim Namen zu nennen, solange werden wir auch nicht die gleiche Sensibilität respektive doch einen ziemlich fahrlässigen Umgang mit solchen Themen haben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Bühler, sprechen wir über die Zusammenarbeit von IT-Konzernen mit Regierungen bzw. mit Geheimdiensten. In Amerika scheint das gang und gäbe zu sein. Einerseits müssen die Konzerne ihre Daten der NSA zur Verfügung stellen. Andererseits gibt es einen Wechsel zwischen Persönlichkeiten, Mitarbeitern sowohl in der Industrie wie auch im Geheimdienst. Auch das ist hier – um es mal vorsichtig zu sagen – wohl eher unterentwickelt.
Bernd Oliver Bühler: Wenn man mal wirklich das Problem logisch durchdenkt, ist doch wirklich die Frage: Wundert es uns wirklich, dass die Amerikaner das tun? – Eigentlich nicht. Wir dürfen eins nicht vergessen. Die haben den 11. September erlebt. Das muss man dazu sagen. Schauen Sie sich doch nur mal die ganzen amerikanischen Fernsehsendungen an. Da wird nicht über Frieden oder Einsatz gesprochen, sondern da sagt man klipp und klar: Wir sind im Krieg. Die gehen dieses Thema einfach anders an wie wir.
Deutschland ist in einem Kriegseinsatz und fühlt sich im Frieden. Und die Amerikaner sind im Krieg, begründen das mit dem Thema nationale Sicherheit. Das ist ein weites Feld. Das ist auch nachvollziehbar. Aber für mich ist wiederum weniger das Problem, was die Amerikaner tun, sondern was wir nicht tun. Aber es handelt in der Welt niemand so wie wir. Und es wird uns in der Welt auch niemand auf diesem Weg folgen. Und die Politik opfert weiter auf dem Altar einer politischen Korrektheit einen Teil unserer Wirtschaftsinteressen mit einer Blauäugigkeit, die so nicht nachvollziehbar ist.
Deutschlandradio Kultur: Wie steht’s denn um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit?
Bernd Oliver Bühler: Die Sicherheitsbestrebungen können auch ausgebaut werden, ohne dass man Bürgerrechte massiv untergräbt. Und das Schlimme ist für mich eigentlich, dass man es getan hat, ohne mit dem Bürger drüber zu reden respektive den Bürger drüber zu informieren, gleichzeitig aber immer vom mündigen Bürger spricht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie manchmal auch die Befürchtung, dass durch die Speicherung von Daten Unbeteiligte in Lagen geraten können, aus denen sie eigentlich gar nicht mehr herauskommen können?
Bernd Oliver Bühler: Das Risiko besteht. Sie müssen nur die falschen Leute kennen oder mal zufälligerweise mit denen zusammengetroffen sein.
Deutschlandradio Kultur: Oder am falschen Ort wohnen.
Bernd Oliver Bühler: Oder am falschen Ort wohnen. Aber deswegen ist es auch ein Irrglaube zu denken, dass das Heil durch die Technik kommt. Die Technik ist immer nur ein Mittel. Sie kann nicht das Ziel sein. Deswegen könnte ich mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, dass wir in Deutschland die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausweiten, dafür würde ich sogar plädieren, aber im konkreten Verdachtsfall, der sauber dokumentiert ist und richterlich geprüft.
Wir sind schließlich ein Rechtsstaat, zumindest wollen wir einer sein.
Deutschlandradio Kultur: Sollten eigentlich diese Datenschutzprobleme, die Fakten, die jetzt in diesem Sommer neu auf den Tisch kamen, auch in die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA einfließen?
Bernd Oliver Bühler: Wir haben einfach so ein paar Punkte, die nicht passen. Wir haben die Ausschreibungen. Als es um die Ausschreibung der Tankerflotte in den USA ging, sind ja die Ausschreibungskriterien verändert worden. Airbus hätte gewinnen müssen. Boeing hat am Schluss das Rennen gemacht. Das heißt, die Frage, die wir schon mal haben, ist: Gibt’s hier wirklich Ausschreibungssicherheit? – Die erste Frage.
Die zweite Frage ist auch: Wie steht es mit der Förderung der Wirtschaft? Das Problem, das ich einfach sehe, ist: Wir glauben, in solchen Verhandlungen die gleiche Augenhöhe zu haben, können sie aber in der Realität nicht so nachweisen.
""Nur durch die deutsch-französische Kooperation war dieser Erfolg möglich""
Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kämpft wirtschaftlich gesehen sowieso jeder für sich. Das heißt, das, was jetzt immer gefordert wird, nämlich eine europäische Gegenbewegung, eine europäische Lösung dieser Frage, ist doch eigentlich dann sinnlos. Oder sehe ich das falsch?
Bernd Oliver Bühler: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich denke einfach, wir müssen einfach mal erst die europäische Frage klären. Das geht schon im Bereich der Verteidigung los.
Gestatten Sie mir ein Beispiel. Die USA schaffen es zum Beispiel, hunderttausend Mann innerhalb eines Monats zu bewegen. Das ist eine kapitale Sache. In Europa schaffen wir vielleicht fünftausend auf europäischer Ebene mit diesen Battlegroups. Sie sehen ein Gap, wie es so nicht nachvollziehbar ist. Gleichzeitig wir doch, insbesondere auf europäischer Ebene, unsere Interessen trotz aller Differenzen daran, gemeinsam zu agieren. Siehe das Beispiel Airbus. Als Airbus in den 70er Jahren anfing, wurde der internationale zivile Luftfahrtmarkt zu 95 Prozent durch die amerikanischen Konzerne Boeing und McDonnell Douglas kontrolliert. Heute gehört McDonnell Douglas zu Boeing. Boeing und Airbus teilen sich den Markt ungefähr fifty-fifty und wir haben eine Marktpräsenz erreicht, die weder die Franzosen alleine, noch wir Deutschen alleine, noch die Briten alleine, wenn sie es jemals gewollt hätten, hätten erreichen können. Nur durch die deutsch-französische Kooperation war dieser Erfolg möglich.
Nichtsdestotrotz gibt es auch im Rahmen dieser deutsch-französischen Kooperation Bestrebungen – in Anführungszeichen – aus einem deutsch-französischen Konzern eher einen französischen zu machen denn einen deutsch-französischen. Und das Problem ist wiederum, dass man auch innerhalb der EADS gerne sagt, dass Paris für Wirtschaftsinteressen ein weit offeneres Ohr habe als Berlin.
Deutschlandradio Kultur: Was uns auch wieder zur Schule für Wirtschaftskrieg bringt. Hundert Studenten, wir sagten es, die meisten davon sind schon im Beruf, also eine anwendungsorientierte Lehre.
Lassen Sie uns doch mal hinter die Kulissen gucken. Was lernen die denn da?
Bernd Oliver Bühler: Was ich in Frankreich sehr schätze, ist, dass man versucht, noch die Dinge beim Namen zu nennen. Das heißt, es geht schon mal los mit dem Themenbereich Wirtschaftskrieg. Es gibt Situationen, wo sich das Unternehmen plötzlich in einem unternehmensfeindlichen Umfeld befindet, das nicht mehr durch Dialog, sondern durch Konfrontation geprägt wird, respektive Konflikt.
Deutschlandradio Kultur: Zum Beispiel feindliche Übernahme.
Bernd Oliver Bühler: Zum Beispiel feindliche Übernahme. Das ist ja ein Wort, das zur Wirtschaft gehört, gleichzeitig sich aber nicht mit den berühmten Wirtschaftstheorien verträgt. Man muss auch dazu sagen, dass es einfach Erscheinungsformen innerhalb des Wirtschaftslebens gibt, die finden Sie in keiner Betriebswirtschaftslehre, gehören aber leider trotzdem zur Realität des Alltags – sei es Informationsabfluss, sei es Spionage, sei es Sabotage, sei es Desinformation gegen Unternehmen, um deren Ruf oder deren Produkte zu schädigen.
Dann ist auch die Frage: Wie gehe ich natürlich mit so was um? Das ist der erste große Themenbereich.
Der zweite große Themenbereich ist das Thema Intelligence. Intelligence hat jetzt sicherlich auch mit dem deutschen Wort Intelligenz zu tun, aber es dreht sich eigentlich um Erkenntnisgewinnung. Das ist eine gute Übersetzung, die zum Beispiel das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg für diesen Begriff gefunden hat.
Deutschlandradio Kultur: "Spionage" wäre dann die schlechte Übersetzung?
Bernd Oliver Bühler: Jein. Spionage ist eine Form der Erkenntnisgewinnung, aber nicht jede Form von Erkenntnisgewinnung ist Spionage. Auch die Nachrichtendienste, die sitzen meistens am Schreibtisch und machen sehr viel Auswertungen und lesen die Tageszeitungen.
Deutschlandradio Kultur: Der Leiter der Schule sucht nach einem Partner in Deutschland und damit tut er sich schwer. Wir haben es ja schon mehrfach angesprochen. Offenkundig gibt es das Klima, das Bewusstsein für diese Bedrohung hier nicht.
Bernd Oliver Bühler: Die deutsche Haltung ist eine defensive. Sprich: In Frankreich gibt es nicht eine Ecole de Guerre Economique, ja klar, eine, die diesen Namen trägt, aber es gibt inzwischen über 30 Ausbildungsstudiengänge in diesem Segment, die auch an weiteren Universitäten und Managementschulen gewachsen sind. Und es gibt eine nationale Ausbildung für den Bereich Sicherheitsmanagement – direkt angesiedelt an der Schule der Police nationale in Paris.
Wenn ich mir das jetzt in Deutschland anschaue, dann haben wir sicherlich inzwischen zehn Ausbildungsstudiengänge für den Bereich Sicherheitsmanagement, aber keinen einzigen für etwas Offensives wie Intelligence, also Erkenntnisgewinnung. Und Sicherheitsmanagement hat nun mal schwerpunktmäßig eine defensive Komponente.
Natürlich gab es schon verschiedene Diskussionen und Gespräche, um hier auch einen Dialog zu schaffen, aber die Ausbildung eines Stürmers ist nun mal eine andere als die Ausbildung des Torwarts. Natürlich kann man in Dialog treten und miteinander reden, aber in Deutschland – das ist für mich die Schlussfolgerung, die sich einfach immer noch ergibt – ist man von der Haltung zu defensiv, weil man sich der Notwendigkeit der Offensive noch gar nicht bewusst ist.
Deutschlandradio Kultur: Die üblichen Verdächtigen waren die Russen und die Chinesen. Lachen die sich jetzt ins Fäustchen, weil seit den Enthüllungen des Herrn Snowden jeder plötzlich mit dem Finger auf die Briten und auf die Amerikaner zeigt?
Bernd Oliver Bühler: Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass auch Russland und China immer wieder diese Spionage betreiben, dann bringt diese NSA-Affäre ein Thema in den Vordergrund, über das am liebsten alle nicht reden würden. Es sollte eine gesteigerte deutsche Sensibilität zu schaffen.
Deutschlandradio Kultur: Diejenigen Wirtschaftsunternehmen, die das erkennen, werden Ihr Unternehmen oder vergleichbare Unternehmen ansprechen. Generell gefragt: Boomt Ihre Branche?
Bernd Oliver Bühler: Ein Boom hält in der Regel nur sechs Monate. Ich denke, gerade jetzt müssen wir wieder mit Ruhe an das Thema rangehen, um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Bühler.
Bernd Oliver Bühler: Guten Tag, Herr Groth.
Deutschlandradio Kultur: An der Pariser Schule für Wirtschaftskrieg lehren Sie, so steht es auf Ihrer Webseite, unter anderem Macht und Wirtschaftskrieg sowie Management in unternehmensfeindlichem Umfeld. Befinden wir uns mitten in einem Wirtschaftskrieg?
Bernd Oliver Bühler: Wir befinden uns zumindest nicht in einem Wirtschaftsfrieden. Jedes Land hat eigentlich ein besonderes Interesse daran, seine Wirtschaftskraft zu stärken. Sprich: Nationale Volkswirtschaften, die auf schwachen Füßen stehen, sind eben auch demokratisch gefährdet – siehe Weimarer Republik.
Ja, man kämpft nicht immer mit fairen Mitteln. Darum geht es ja im Wirtschaftskrieg. Da sind wir natürlich auch wieder bei der Interessenvertretung. Die ist legitim. Die Wahl der Mittel ist es nicht immer. Ich erinnere zum Beispiel an die mehrfachen Veränderungen der Ausschreibungskriterien für die Erneuerung der amerikanischen Lufttankerflotte.
""Totschweigen hilft nur den Tätern""
Deutschlandradio Kultur: Wie hoch ist der Schaden, der der deutschen Wirtschaft nach Ihrer Einschätzung dadurch – sagen wir – im Jahr entsteht durch solche Wirtschaftsspionage?
Bernd Oliver Bühler: Es gibt dazu verschiedene Aussagen. Ich denke, die realistischste bewegt sich im Bereich 50 Milliarden. Aber es entsteht ja nicht nur ein Schaden. Was noch viel schlimmer ist, es entsteht kein Umsatz. Es ist nicht nur der Schaden da, es ist vor allem kein Verdienst da, was auch wiederum dazu führt, dass Arbeitsplätze wegfallen, dass Know-how abfließt. Wir können unseren Wohlstand in Deutschland nur durch einen langfristigen Technologie- und Know-how-Vorsprung sichern, solange wir kein Interesse daran haben, für 4,86 Euro die Stunde arbeiten zu wollen. Nur dann, wenn wir der Welt Produkte liefern können, die wirklich noch dem Ruf des Made in Germany gerecht werden, nur dann werden wir langfristig überleben.
Und es gibt natürlich genügend andere, die sich gerne von diesem Kuchen ein Stück abschneiden.
Deutschlandradio Kultur: Der Schaden wird ja nur gezählt bei Unternehmen, die sich öffnen und bekanntgeben, dass sie Opfer eines Spionageangriffs geworden sind. Dann gibt es eine hohe Dunkelziffer.
Bernd Oliver Bühler: Völlig korrekt.
Deutschlandradio Kultur: Wie hoch ist die?
Bernd Oliver Bühler: Ich vermute einfach mal, dass eigentlich nur jeder neunte Fall öffentlich wird, wenn überhaupt. Man sollte mit diesem Thema offen umgehen und Verbrechen – darum geht es ja – totschweigen, hilft nur den Tätern.
Deutschlandradio Kultur: Der Bundesinnenminister möchte eine Meldepflicht für solche Angriffe einführen. Hat Friedrich da recht?
Bernd Oliver Bühler: Der Bundesinnenminister hat wieder einen sehr mutigen Vorschlag gemacht, weil er einerseits eine Meldepflicht fordert, gleichzeitig aber bei Weitem nicht die staatlichen Möglichkeiten im Bereich des Wirtschaftsschutzes ausgeschöpft werden. Es ist deshalb erstens aus meiner Sicht eine hohle Forderung. Schauen wir mal, ob sie nach den Wahlen noch Bestand hat. Und zweitens, nein, ich bin dagegen, dass man es zur Pflicht ernennt. Auch ein Bürger hat das Recht zu erwägen, ob er eine Angelegenheit anzeigen möchte oder nicht. Ich bin hier gegen Verpflichtung. Ich bin hier weit mehr für eine massive weitere Sensibilisierung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft, vor allem aber auch dafür, dass der Staat endlich mal etwas für die Wirtschaft tut.
Wissen Sie, in Deutschland sagt man, die Wirtschaft schützt sich in erster Linie selbst. Kurze Anmerkung, was das Ausland angeht, sagt man, das kann sie nicht. Wenn man einerseits sagt, die Wirtschaft schützt sich in erster Linie selbst, und andererseits sagt, wir wollen eine Meldepflicht, Entschuldigung, das ist doch Kokolores.
Deutschlandradio Kultur: Das Unternehmen Enercon ist ein führender Hersteller von Windkraftanlagen. Ende der 90er Jahre wurde berichtet, die NSA, also der amerikanische Geheimdienst, habe dieses Unternehmen abgehört. Damals gab es die Echelon-Affäre in der Satellitenkommunikation. Und die Informationen sollen an einen amerikanischen Konkurrenten weitergereicht worden sein.
Ist das eines von vielen Beispielen, wie Sie sie nicht nur jetzt im Rückblick, sondern tatsächlich auch heute noch tagtäglich erleben?
Bernd Oliver Bühler: Also, tagtäglich glücklicherweise nicht. Nicht alle wollen drüber reden. Das Erschreckende daran ist, dass man heute so überrascht tut, auch im Rahmen um die NSA-Diskussion, als ob das alles neu wäre. Es gibt konkrete Fälle, die Enercon, die bekannt sind. Es gibt auch das Thema TGV-ICE, wo es möglicherweise um den französischen Geheimdienst ging. Es gibt genügend Beispiele, wo ein Know-how-Abfluss stattfand, der so nicht erklärbar war respektive ist.
Ich denke, wir wollten uns jetzt an dieser Stelle auch nicht nur auf die Amerikaner kaprizieren. Im Endeffekt hat die deutsche Wirtschaft ein Know-how zu bieten, das sie eigentlich für jeden Mitbewerber, für jeden Industriestaat, auch für jeden Staat, der es werden möchte, in Anführungszeichen, als Ziel interessant macht.
Man spricht ja gerne über Russland. Man spricht ja gerne über China. Man spricht jetzt auch über die USA und Großbritannien. Aber mit Verlaub, wir sind nicht von Freunden umzingelt. Der ehemalige Chef des französischen Auslandsnachrichtendienstes DGSE sagte mal so schön: "Politisch kooperieren wir. Wirtschaftlich sind wir Konkurrenten." Damit ist alles gesagt.
Natürlich dienen solche Beispiele als – in Anführungszeichen – Beweis, Nachweis, aber es ist tägliche Praxis in der Welt, dass versucht wird, sich durch Spionage einen Vorteil zu verschaffen – sei es politisch, sei es wirtschaftlich.
""Sicherheit ist, wenn das Unternehmen funktioniert""
Deutschlandradio Kultur: Ich will trotzdem, da wir Ecolon schon erwähnt haben, bei den Amerikanern bleiben. Man weiß doch eigentlich seit der Erfindung des Internet, das aus Amerika kommt, dass Amerika alles das, was damit zusammenhängt, und das ist eben auch der Fluss der Daten und die Auswertung der Daten, wie wir jetzt erfahren haben, wenn nicht kontrolliert, dann zumindest beobachtet und auswertet.
Waren wir da nicht einfach viel zu lange zu blauäugig?
Bernd Oliver Bühler: Es gibt ja diese Aussage, deutsches Recht würde in Deutschland nicht gebrochen werden. Das will ich gerne glauben, denn wenn Sie das Internet nutzen und Daten versenden, es gehen ja eigentlich alle Datenpakete über die USA. – Das schon mal als erster Punkt, dass hier natürlich eine Möglichkeit zur Auswertung gegeben wird, die wir in Deutschland so nicht haben, so auch nicht kontrollieren können.
Es heißt nicht umsonst "Geheimdienst". Und ich glaube auch nicht, dass unsere amerikanischen Partner uns da wirklich alle Möglichkeiten offenlegen, die ihnen zur Verfügung stehen. Da sind wir immer noch dabei, den Eisberg von der Spitze aus nach unten aufzuklären.
Deutschlandradio Kultur: Ihr Unternehmen bietet ja zum Beispiel sichere Prozesse, sichere Unternehmensprozesse an. Wie kann sich denn ein deutsches Unternehmen gegen diese Spionage wehren?
Bernd Oliver Bühler: Es ist weniger eine Frage der Technik. Es ist eine Frage des Menschen. Sicherheit ist nicht, wenn es zu einem Vorfall kommt. Sicherheit ist, wenn das Unternehmen funktioniert, sprich, indem es auch sichere Datenautobahnen hat, die nur ihm zur Verfügung stehen und die auch den Mitarbeitern – in Anführungszeichen – die Daten zur Verfügung stellen im Sinne Verfügbarkeit, Integrität, Vertraulichkeit usw. usf., die sie brauchen, um ihrem Job nachkommen zu können. Da sind wir genau bei der Problematik.
Es steht und fällt mit den Mitarbeitern. Ein Vorstand kann ein Leck sein. Eine Putzfrau kann ein Leck sein – nicht immer durch böswillige Aktionen, sondern auch mal – in Anführungszeichen – durch Nichtwissen oder unbewusstes Fehlverhalten. Umso wichtiger ist es, dass sich die Firmenleitungen erstmal bewusst werden oder wirklich auch erklären, Leute, wir haben etwas, was es zu schützen gilt. Und das geht alle an. Denn nur, wenn das Unternehmen geschützt ist, kann es auch Arbeitsplätze bieten. Wenn Sie hundert Mitarbeiter haben und 99 halten sich an die Sicherheitsregeln und einer halt nicht, dann haben Sie ein Problem.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht können wir es einfach mal konkret machen. E-Mails generell verschlüsseln, allgemeine Datenzurückhaltung, nur noch Einweghandys auf Auslandsreisen benutzen – das sind ja all die Dinge, die man so hört. Ist das der Weg? Es gibt Firmen, die jetzt tatsächlich elektrische Schreibmaschinen wieder benutzen und ihre Papier in Koffern von A nach B bringen.
Bernd Oliver Bühler: Sagen wir es mal so: Es gibt verschiedene Wege. Sie haben das schon richtig angesprochen. Man kann natürlich auch die Festplatten verschlüsseln, transportieren, nicht nur Post, sondern mit Fahrzeugen. Aber ich denke, man sollte da jetzt gleichzeitig nicht in eine Hysterie verfallen. – Sie können nie alles schützen. Das ist schon mal ganz wichtig. Sie müssen ab und zu auch Informationen preisgeben, damit das Unternehmen arbeiten kann. Sie schreiben Pressemitteilungen. Sie veröffentlichen Broschüren.
Das Gros der Aufklärung, der Wirtschaftsaufklärung, nennen wir es mal so, ist ja nicht illegal oder findet nicht durch illegale Maßnahmen statt, sondern dadurch, dass offene Quellen ausgewertet werden. Da muss man sich einfach erstmal die Frage stellen: Was ist das Besondere Know-how, das besondere Wissen, das unser Unternehmen auszeichnet? Wie kann ich dieses schützen? Und vor allem, was kann ich nach außen geben? – Das ist ja die große Frage.
Man muss heute, wenn man Wirtschaftsaufklärung betreibt, eigentlich gar nicht mehr oft in die Unternehmen eindringen, wie das früher vielleicht der Fall war. Nein, man muss erstmal schauen, was gibt denn das Unternehmen freiwillig preis. Und da gibt es einfach verschiedene Beispiele, wo man sagt, da hat es nicht gegriffen.
Ich kenne zum Beispiel den Fall von einem französischen Unternehmen, Hochtechnologie. Das wurde geknackt, indem – in Anführungszeichen – wirklich die Mülltonne ausgewertet wurde. Da wurde konkret nachgeschaut, welche Daten gehen raus. Und man muss zur Ehrenrettung dieses Unternehmens sagen, dass alle Mitarbeiter – außer dem Vorstandsvorsitzenden – die Daten geschreddert haben. Es war alles in Ordnung. Nur der Vorstandsvorsitzende selber glaubte, er habe es nicht nötig. Und der Müll ging quasi ungeschreddert raus. Sie sehen, einer kann alles kaputtmachen. Und manchmal ist es sogar der Chef.
""Wundert es uns wirklich, dass die Amerikaner das tun?""
Deutschlandradio Kultur: Das ist jetzt ein französisches Unternehmen. Wenn wir mal zurück nach Deutschland gehen, würden Sie auch hierzulande sagen, das Bewusstsein dafür, dass mein Konkurrent, ob er nun im Inland oder im Ausland sitzt, darauf erpicht ist, mich auszuspionieren, das Bewusstsein ist noch nicht so ausgebreitet, wie es nach Ihren Erkenntnissen ausgebreitet sein sollte?
Bernd Oliver Bühler: Die Sensibilisierung hat zugenommen glücklicherweise, aber bei Weitem nicht in dem Maße, wie das in anderen Ländern der Fall ist. Das hat auch damit zu tun, dass der politische Wille aus meiner Sicht fehlt, dieses Thema massiv voranzutreiben.
Ich zitiere jetzt hier mal als Beispiel den ehemaligen französischen Präsidenten Francois Mitterand, der zur Vorbereitung seiner zweiten Amtszeit 1988, als wir hier in schon in Deutschland die Zeit des ewigen Friedens fühlten, folgende Botschaft an seine Bürger rausgab. Ich zitiere eine Passage:
"Betrachten wir die Weltwirtschaft, so sieht man ein Schlachtfeld vor sich, auf dem sich die Unternehmen einen gnadenlosen Krieg liefern. Gefangene werden nicht gemacht. Wer fällt, stirbt. Der Sieger kämpft nach alterprobten kriegsstrategischen und sehr einfachen Regeln, die beste Vorbereitung, die schnellsten Bewegungen, der Vorstoß auf feindliches Terrain, gute Verbündete, der Wille zum Sieg."
Das sagt er gegenüber seinen Bürgern. Und es ist heute noch für mich undenkbar, dass eine Angela Merkel vor die Medien tritt und sagt: Liebe Wirtschaft, wir befinden uns in einem Wirtschaftskrieg. Wir haben in Deutschland schon Schwierigkeiten, das Wort Krieg in den Mund zu nehmen, wenn es um das Thema Afghanistan geht, was ein Kriegseinsatz ist. Aber solange die deutsche Politik nicht fähig oder willens ist, das Kind beim Namen zu nennen, solange werden wir auch nicht die gleiche Sensibilität respektive doch einen ziemlich fahrlässigen Umgang mit solchen Themen haben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Bühler, sprechen wir über die Zusammenarbeit von IT-Konzernen mit Regierungen bzw. mit Geheimdiensten. In Amerika scheint das gang und gäbe zu sein. Einerseits müssen die Konzerne ihre Daten der NSA zur Verfügung stellen. Andererseits gibt es einen Wechsel zwischen Persönlichkeiten, Mitarbeitern sowohl in der Industrie wie auch im Geheimdienst. Auch das ist hier – um es mal vorsichtig zu sagen – wohl eher unterentwickelt.
Bernd Oliver Bühler: Wenn man mal wirklich das Problem logisch durchdenkt, ist doch wirklich die Frage: Wundert es uns wirklich, dass die Amerikaner das tun? – Eigentlich nicht. Wir dürfen eins nicht vergessen. Die haben den 11. September erlebt. Das muss man dazu sagen. Schauen Sie sich doch nur mal die ganzen amerikanischen Fernsehsendungen an. Da wird nicht über Frieden oder Einsatz gesprochen, sondern da sagt man klipp und klar: Wir sind im Krieg. Die gehen dieses Thema einfach anders an wie wir.
Deutschland ist in einem Kriegseinsatz und fühlt sich im Frieden. Und die Amerikaner sind im Krieg, begründen das mit dem Thema nationale Sicherheit. Das ist ein weites Feld. Das ist auch nachvollziehbar. Aber für mich ist wiederum weniger das Problem, was die Amerikaner tun, sondern was wir nicht tun. Aber es handelt in der Welt niemand so wie wir. Und es wird uns in der Welt auch niemand auf diesem Weg folgen. Und die Politik opfert weiter auf dem Altar einer politischen Korrektheit einen Teil unserer Wirtschaftsinteressen mit einer Blauäugigkeit, die so nicht nachvollziehbar ist.
Deutschlandradio Kultur: Wie steht’s denn um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit?
Bernd Oliver Bühler: Die Sicherheitsbestrebungen können auch ausgebaut werden, ohne dass man Bürgerrechte massiv untergräbt. Und das Schlimme ist für mich eigentlich, dass man es getan hat, ohne mit dem Bürger drüber zu reden respektive den Bürger drüber zu informieren, gleichzeitig aber immer vom mündigen Bürger spricht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie manchmal auch die Befürchtung, dass durch die Speicherung von Daten Unbeteiligte in Lagen geraten können, aus denen sie eigentlich gar nicht mehr herauskommen können?
Bernd Oliver Bühler: Das Risiko besteht. Sie müssen nur die falschen Leute kennen oder mal zufälligerweise mit denen zusammengetroffen sein.
Deutschlandradio Kultur: Oder am falschen Ort wohnen.
Bernd Oliver Bühler: Oder am falschen Ort wohnen. Aber deswegen ist es auch ein Irrglaube zu denken, dass das Heil durch die Technik kommt. Die Technik ist immer nur ein Mittel. Sie kann nicht das Ziel sein. Deswegen könnte ich mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, dass wir in Deutschland die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausweiten, dafür würde ich sogar plädieren, aber im konkreten Verdachtsfall, der sauber dokumentiert ist und richterlich geprüft.
Wir sind schließlich ein Rechtsstaat, zumindest wollen wir einer sein.
Deutschlandradio Kultur: Sollten eigentlich diese Datenschutzprobleme, die Fakten, die jetzt in diesem Sommer neu auf den Tisch kamen, auch in die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA einfließen?
Bernd Oliver Bühler: Wir haben einfach so ein paar Punkte, die nicht passen. Wir haben die Ausschreibungen. Als es um die Ausschreibung der Tankerflotte in den USA ging, sind ja die Ausschreibungskriterien verändert worden. Airbus hätte gewinnen müssen. Boeing hat am Schluss das Rennen gemacht. Das heißt, die Frage, die wir schon mal haben, ist: Gibt’s hier wirklich Ausschreibungssicherheit? – Die erste Frage.
Die zweite Frage ist auch: Wie steht es mit der Förderung der Wirtschaft? Das Problem, das ich einfach sehe, ist: Wir glauben, in solchen Verhandlungen die gleiche Augenhöhe zu haben, können sie aber in der Realität nicht so nachweisen.
""Nur durch die deutsch-französische Kooperation war dieser Erfolg möglich""
Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kämpft wirtschaftlich gesehen sowieso jeder für sich. Das heißt, das, was jetzt immer gefordert wird, nämlich eine europäische Gegenbewegung, eine europäische Lösung dieser Frage, ist doch eigentlich dann sinnlos. Oder sehe ich das falsch?
Bernd Oliver Bühler: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich denke einfach, wir müssen einfach mal erst die europäische Frage klären. Das geht schon im Bereich der Verteidigung los.
Gestatten Sie mir ein Beispiel. Die USA schaffen es zum Beispiel, hunderttausend Mann innerhalb eines Monats zu bewegen. Das ist eine kapitale Sache. In Europa schaffen wir vielleicht fünftausend auf europäischer Ebene mit diesen Battlegroups. Sie sehen ein Gap, wie es so nicht nachvollziehbar ist. Gleichzeitig wir doch, insbesondere auf europäischer Ebene, unsere Interessen trotz aller Differenzen daran, gemeinsam zu agieren. Siehe das Beispiel Airbus. Als Airbus in den 70er Jahren anfing, wurde der internationale zivile Luftfahrtmarkt zu 95 Prozent durch die amerikanischen Konzerne Boeing und McDonnell Douglas kontrolliert. Heute gehört McDonnell Douglas zu Boeing. Boeing und Airbus teilen sich den Markt ungefähr fifty-fifty und wir haben eine Marktpräsenz erreicht, die weder die Franzosen alleine, noch wir Deutschen alleine, noch die Briten alleine, wenn sie es jemals gewollt hätten, hätten erreichen können. Nur durch die deutsch-französische Kooperation war dieser Erfolg möglich.
Nichtsdestotrotz gibt es auch im Rahmen dieser deutsch-französischen Kooperation Bestrebungen – in Anführungszeichen – aus einem deutsch-französischen Konzern eher einen französischen zu machen denn einen deutsch-französischen. Und das Problem ist wiederum, dass man auch innerhalb der EADS gerne sagt, dass Paris für Wirtschaftsinteressen ein weit offeneres Ohr habe als Berlin.
Deutschlandradio Kultur: Was uns auch wieder zur Schule für Wirtschaftskrieg bringt. Hundert Studenten, wir sagten es, die meisten davon sind schon im Beruf, also eine anwendungsorientierte Lehre.
Lassen Sie uns doch mal hinter die Kulissen gucken. Was lernen die denn da?
Bernd Oliver Bühler: Was ich in Frankreich sehr schätze, ist, dass man versucht, noch die Dinge beim Namen zu nennen. Das heißt, es geht schon mal los mit dem Themenbereich Wirtschaftskrieg. Es gibt Situationen, wo sich das Unternehmen plötzlich in einem unternehmensfeindlichen Umfeld befindet, das nicht mehr durch Dialog, sondern durch Konfrontation geprägt wird, respektive Konflikt.
Deutschlandradio Kultur: Zum Beispiel feindliche Übernahme.
Bernd Oliver Bühler: Zum Beispiel feindliche Übernahme. Das ist ja ein Wort, das zur Wirtschaft gehört, gleichzeitig sich aber nicht mit den berühmten Wirtschaftstheorien verträgt. Man muss auch dazu sagen, dass es einfach Erscheinungsformen innerhalb des Wirtschaftslebens gibt, die finden Sie in keiner Betriebswirtschaftslehre, gehören aber leider trotzdem zur Realität des Alltags – sei es Informationsabfluss, sei es Spionage, sei es Sabotage, sei es Desinformation gegen Unternehmen, um deren Ruf oder deren Produkte zu schädigen.
Dann ist auch die Frage: Wie gehe ich natürlich mit so was um? Das ist der erste große Themenbereich.
Der zweite große Themenbereich ist das Thema Intelligence. Intelligence hat jetzt sicherlich auch mit dem deutschen Wort Intelligenz zu tun, aber es dreht sich eigentlich um Erkenntnisgewinnung. Das ist eine gute Übersetzung, die zum Beispiel das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg für diesen Begriff gefunden hat.
Deutschlandradio Kultur: "Spionage" wäre dann die schlechte Übersetzung?
Bernd Oliver Bühler: Jein. Spionage ist eine Form der Erkenntnisgewinnung, aber nicht jede Form von Erkenntnisgewinnung ist Spionage. Auch die Nachrichtendienste, die sitzen meistens am Schreibtisch und machen sehr viel Auswertungen und lesen die Tageszeitungen.
Deutschlandradio Kultur: Der Leiter der Schule sucht nach einem Partner in Deutschland und damit tut er sich schwer. Wir haben es ja schon mehrfach angesprochen. Offenkundig gibt es das Klima, das Bewusstsein für diese Bedrohung hier nicht.
Bernd Oliver Bühler: Die deutsche Haltung ist eine defensive. Sprich: In Frankreich gibt es nicht eine Ecole de Guerre Economique, ja klar, eine, die diesen Namen trägt, aber es gibt inzwischen über 30 Ausbildungsstudiengänge in diesem Segment, die auch an weiteren Universitäten und Managementschulen gewachsen sind. Und es gibt eine nationale Ausbildung für den Bereich Sicherheitsmanagement – direkt angesiedelt an der Schule der Police nationale in Paris.
Wenn ich mir das jetzt in Deutschland anschaue, dann haben wir sicherlich inzwischen zehn Ausbildungsstudiengänge für den Bereich Sicherheitsmanagement, aber keinen einzigen für etwas Offensives wie Intelligence, also Erkenntnisgewinnung. Und Sicherheitsmanagement hat nun mal schwerpunktmäßig eine defensive Komponente.
Natürlich gab es schon verschiedene Diskussionen und Gespräche, um hier auch einen Dialog zu schaffen, aber die Ausbildung eines Stürmers ist nun mal eine andere als die Ausbildung des Torwarts. Natürlich kann man in Dialog treten und miteinander reden, aber in Deutschland – das ist für mich die Schlussfolgerung, die sich einfach immer noch ergibt – ist man von der Haltung zu defensiv, weil man sich der Notwendigkeit der Offensive noch gar nicht bewusst ist.
Deutschlandradio Kultur: Die üblichen Verdächtigen waren die Russen und die Chinesen. Lachen die sich jetzt ins Fäustchen, weil seit den Enthüllungen des Herrn Snowden jeder plötzlich mit dem Finger auf die Briten und auf die Amerikaner zeigt?
Bernd Oliver Bühler: Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass auch Russland und China immer wieder diese Spionage betreiben, dann bringt diese NSA-Affäre ein Thema in den Vordergrund, über das am liebsten alle nicht reden würden. Es sollte eine gesteigerte deutsche Sensibilität zu schaffen.
Deutschlandradio Kultur: Diejenigen Wirtschaftsunternehmen, die das erkennen, werden Ihr Unternehmen oder vergleichbare Unternehmen ansprechen. Generell gefragt: Boomt Ihre Branche?
Bernd Oliver Bühler: Ein Boom hält in der Regel nur sechs Monate. Ich denke, gerade jetzt müssen wir wieder mit Ruhe an das Thema rangehen, um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Bühler.