"Die deutschen Tugenden sind gut"

Peter Boehm im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 18.10.2012
Peter Boehm hatte einen tollen Job und ein Büro mit Blick über die Stadt. Nun wechselt er zurück nach Ottawa. Nach vier Jahren in Berlin fällt sein Urteil überaus positiv aus: Deutschland sei ein wichtiges und gutes Land - ohne Sorge könne man auch von einer "führenden Rolle" sprechen.
Jan-Christoph Kitzler: Im November wird Peter Boehm Staatssekretär in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. Boehm gilt als einfühlsreicher, aber auch als kritischer Beobachter der deutschen Politik und im kleinen Kreis soll er auch schon mal recht undiplomatisch sein. Und vielleicht gilt das ja besonders jetzt zum Ende seiner Zeit in Deutschland. Ich habe Peter Boehm vor der Sendung gesprochen. Herr Boehm, wenn Sie Berlin verlassen, was ist denn Ihr prägendster Eindruck von Deutschland und den Deutschen?

Peter Boehm: Na ich habe schon vier Jahre hier verbracht und mein Eindruck ist, Sie werden lachen: Deutschland ist eigentlich ein großes Land. Ich vertrete ein großes Land hier in Deutschland, aber ich bin sehr viel gefahren, also in die verschiedenen Regionen, und habe sehr viel erlebt und ich finde, Deutschland ist groß und auch unterschiedlich.

Kitzler: Sie haben ja auch persönlich gefärbte Erfahrungen, weil Sie deutschsprachige Vorfahren haben. Seit 2008, da sind Sie wahrscheinlich mit Erwartungen hier hergekommen, vielleicht sogar mit Befürchtungen. Was davon hat sich denn bestätigt?

Boehm: Es hat sich eigentlich nichts bestätigt. Ich fand überall eine offene Tür. Vielleicht ist das, weil ich auch Deutsch spreche. Und da finde ich, die Deutschen waren überall freundlich und wir haben uns überall gut unterhalten und wurden gut aufgenommen.

Kitzler: Berlin ist ja vermutlich einer der wichtigeren Posten für Diplomaten in Europa. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Deutschland in der europäischen Krise so auf der Bremse steht?

Boehm: Na ja, es gibt ja verschiedene Gründe. Wir als Kanadier beobachten Deutschland mit großem Interesse. Deutschland ist nicht nur wirtschaftlicher Motor in Europa. Aber ein vereintes Deutschland jetzt in den letzten Jahren hat sich sehr auch in der Politik und Außenpolitik sehr bewährt und stark gezeigt, und das ist etwas, was für Deutschland neu ist. Man muss sehen, dass Deutschland eigentlich nach der Vereinigung noch ein junges Land ist und in der Politik wächst. Bremsen ist nicht die Frage; die Frage ist, wie und wo man auch Gas geben kann. Die europäischen Angelegenheiten sind sehr komplex, wirtschaftlich sicher, aber auch politisch mit der Integration und wie sie dann weitergeht.

Kitzler: Jahrzehntelang, vor allem nach der Nazi-Zeit, war ja eine Führungsrolle Deutschlands irgendwie obsolet. Jetzt sind die Zeiten ja ganz andere. Haben Sie den Eindruck, dass sich Deutschland immer noch so ein bisschen hinter der Geschichte versteckt?

Boehm: Ich glaube nicht, aber Deutschland rechnet auch und nimmt das sehr wahr. Deutschland hat mehr Grenzen in Europa als irgendein anderes Land. Aber es ist auch ein Schengen-Europa, Mobilität ist normal, und in einem grenzenlosen Europa ist Deutschland auch in einer neuen Stelle und Position. Das heißt, dass das Land wie auch die anderen Länder ein wenig von der Souveränität abgeben, und die geben dieses nach Brüssel ab. Das ist bei jedem Vertrag so, multilateral, was man so in meinem Geschäft macht.

Eine führende Rolle? Die deutschen Tugenden sind gut. Man kann ruhig von einer führenden Rolle sprechen. Die deutschen Werte sind auch die besten und wir teilen sie in Kanada. Also es kann nur so weitergehen.

Kitzler: Weltpolitisch verschieben sich ja gerade die Achsen. Die letzte Weltmacht, sagt man so, die USA, ist unter Druck, es entstehen neue Machtzentren in China, Indien, Brasilien. Wie wird denn eigentlich das alte Europa von Kanada aus gesehen zurzeit, als eine Region, die vor allem mit sich selbst beschäftigt ist?

Boehm: Unsere zwei Mutterländer, wenn man das so sagen kann, Großbritannien und Frankreich, sind europäische Länder. Zehn Prozent unserer Bevölkerung, das heißt 3,4 Millionen, haben irgendwie deutsche, deutschsprechende Herkunft. Somit sind wir an Europa sehr gebunden und fühlen uns auch nicht unbedingt transatlantisch, manchmal sogar mittelatlantisch, weil wir ähnliche Sozialsysteme haben. Ich glaube, wenn man neue Pole auf der Welt sieht – wir haben jetzt auch eine G20 und da sind alle diese Schwellenländer auch dabei, und da ist die europäische Kraft zu sehen wie auch die nordamerikanische zum Beispiel. Mit nordamerikanisch meine ich Kanada und die USA natürlich. Ich glaube, das Weltsystem ändert sich langsam, man hat natürlich die Vereinten Nationen und so weiter, aber es gibt jetzt andere Gruppen, wo man diese großen globalen Fragen auch diskutieren kann und hoffentlich auch Entscheidungen treffen kann.

Kitzler: Klar: ein Botschafter muss seine Gastgeber loben, wo immer es geht. Was werden Sie denn an Deutschland vermissen? Was nehmen Sie vielleicht mit nach Kanada?

Boehm: Was ich mitnehme und was ich nicht erwartet habe: in diesem Land gibt es auch eine Vielfalt. Ich dachte, wir hätten da fast ein Monopol, wir in Kanada, oder die Australier, oder die Amerikaner, aber das sieht man auch in Deutschland. In meinen vier Jahren hier habe ich gemerkt, Deutschland wird immer bunter. Ich halte das für gut. Das ist die neue postmoderne Welt. Wir sind halt so, wir sind globalisiert. Und ich glaube, Deutschland ist da auf gutem Weg.

Kitzler: Peter Boehm, noch ist er Kanadas Botschafter in Deutschland und ab Ende des Jahres wieder zurück in der Heimat. Alles Gute für Ihre neue Aufgabe und danke für das Gespräch.

Boehm: Ich danke Ihnen, Herr Kitzler.


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