"Schaden macht nicht klug"
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Den Deutschen drohen Negativzinsen auf ihre Spareinlagen - und doch bleibt ihre liebste Geldanlage das Sparbuch. Dahinter stecke eine lange anerzogene Lebenshaltung, sagt der Sozialhistoriker Robert Muschalla. Ändert sich die Sparmentalität nie?
Deutsche Banken wollen die Negativzinsen der EZB an ihre Privatkunden weitergeben. Und doch deutet sich jetzt keine massenhafte Flucht in Aktien an. Dass die Deutschen ihr Sparbuch so lieben, hat historische Wurzeln, wie der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Robert Muschalla erklärt.
Die Erziehung zum Sparen habe schon im späten 18. Jahurhundert eingesetzt - und trotz mehrfachen Totalverlusts habe sich daran bis heute nichts geändert. Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur sagte Muschalla: "Schaden macht nicht klug an der Stelle."
Antisemitisches Stereotyp vom jüdischen Finanzkapital
Spätestens seit dem Börsencrash 1873, bei dem die ersten kleinen Anleger ihr Geld verloren, sei der Ruf von Aktien ruiniert gewesen. Diese Entwicklung habe sich mit dem "immer virulenter werdenden antisemitischen Stereotyp" ungünstig gemischt, so Muschalla, der im Deutschen Historischen Museum die Ausstellung "Sparen - Geschichte einer deutschen Tugend" kuratiert hat:
"Da ist ein Gegenbild entstanden zum arbeitsamen und sparsamen Deutschen, das sich manifestierte im jüdischen Finanzkapital. Das gehörte ganz eng in der Entstehungsphase zusammen."
Nähe zur früheren Nazi-Propaganda
Muschalla kritisiert vor dem historischen Hintergrund auch die vor allem von der AfD verwendete Formulierung von der "Enteignung der Sparer", die als Kritik an der EU oder der EZB daherkommt: "Wenn man die Quellen kennt, wird einem heute schlecht."
Er habe direkt Propagandamaterial der NSDAP vor Augen, die sich in den 1920er-Jahren zur Partei der Sparer aufgeschwungen habe. In der Zeit des Nationalsozialismus sei das Sparen dann zur Staatsdoktrin gemacht worden.
(bth)