"Die deutschen Verbrecher funktionieren auch anders"
"Der Stil, wie etwas gemacht wird, misst sich natürlich immer international, weil alle Leute das gesehen haben", meint "Tatort"-Drehbuchautor Jochen Greve. Dennoch könne der deutsche Krimi nicht die bewunderten US-Vorbilder kopieren.
Ulrike Timm: Seit 40 Jahren hat das deutschen Fernsehen eine Konstante: Augen hinterm Fadenkreuz, zwei Beine rennen zur markanten Titelmelodie davon, und dann werden Mörder gejagt. Irgendwo in der Provinz, denn in den Tatort schickt jede Region ihre eigenen Ermittler. Bevor wir mit Drehbuchautor Jochen Greve Faszination und Veränderungen des legendären Krimis ermitteln, schauen wir uns den "Tatort" mit ganz anderen Augen an.
Und jetzt spreche ich mit Jochen Greve. Er schreibt für den Bremer "Tatort" und arbeitet also für die Kommissarin Inga Lürsen. Schönen guten Tag!
Jochen Greve: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Herr Greve, unser amerikanischer Freund eben, der hatte ja eigentlich einen ganz liebevollen Blick auf den "Tatort". Er hat zum Beispiel durch diesen Krimi das Wort Schrebergarten kennengelernt. Ist das ein Kompliment oder eher ernüchternd?
Greve: Nee, das finde ich gut, wir sind ja hier in Deutschland. Also nichts schlimmer, als wenn wir in Deutschland versuchen, amerikanische Geschichten zu erzählen. Die Amerikaner sind einfach völlig andere … die machen auch schöne Filme, das hat aber eben mit deutscher Realität oder deutscher Kultur, deutscher Gesellschaft überhaupt nichts zu tun. Man muss Filme machen dort, wo man lebt. Und Deutschland ist natürlich – kann man ja traurig drüber sein, ich finde das als Familienvater ganz beruhigend – eher ein bisschen ruhiger als Amerika.
Timm: Also Provinz als Stärke, bis hin zum Gartenzwerg?
Greve: Na, Provinz ist völlig falsch, das ist eine ganz andere Art von Denke. Ich gebe da mal ein Beispiel: Wenn Sie in New York morgens Frühstück in einem dieser vielen Frühstückslokale nehmen, dann kommt der Kellner, nimmt die Bestellung auf, geht raus. Sie können sich gut vorstellen, dass der jetzt gerade mal die Bank überfällt, wieder reinkommt und mir dann diese Eier mit Speck serviert. Wenn Sie das Gleiche aber sich dann vorstellen in München, dann funktioniert das nicht, dann ist das einfach albern, das glaubt man einfach nicht in Deutschland. Also Deutschland funktioniert anders, und die deutschen Verbrecher funktionieren auch anders und das nicht nur im "Tatort", ich glaube, tatsächlich auch.
Timm: Das Publikum, das sortiert sich ja auch über seine Kommissare. Jeder hat so seinen Kommissar, den er besonders schätzt, seine Fans. Wer sind denn die speziellen Fans Ihrer Bremer Kommissarin Inga Lürsen?
Greve: Ach, inzwischen haben wir – oder ich meine, ich bin ja nur ein ganz kleines Rädchen da – haben wir oder die haben sich das schön erarbeitet. Am Anfang kannte sie niemand, jetzt sind die sehr bekannt, sind auch ziemlich weit oben in den Rankings, die ich mir dann immer nicht so angucke, ehrlich gesagt, weil das macht einen auch nur nervös, das wechselt ja auch dauernd. Aber es ist zum Beispiel sehr lustig, wenn man in Bremen ankommt, dann merkt man, dass da bis zu 50 Prozent Zuschauerbeteiligung im Land Bremen ist für die Bremer "Tatorte". Weil dann kennt … der Taxifahrer weiß sofort, wovon man redet, freut sich, dass man da als Drehbuchautor drin sitzt und zum Sender fährt. Also das sind die einzigen Zuschauer, die ich persönlich kenne, die nicht zu meiner Familie gehören, die Bremer "Tatorte" gucken, weil die auch eine sehr schöne Vorführungen machen dort oben.
Timm: Die Kommissare haben sich ja gewandelt im Laufe der 40 Jahre – eigentlich auch die Täter? Anfangs waren das ja eher Straßenganoven, inzwischen sind es Banker, Politiker, Großgrundbesitzer …
Greve: Das stimmt, finde ich, nicht. Nun bin ich leider schon so alt, dass ich den ersten "Tatort" tatsächlich als Junge gesehen habe, da war das auch nicht so ganz im hohen Milieu angesiedelt. Eine der Prinzipien des "Tatort" ist, dass die Verbrechen innerhalb der Gesellschaft stattfinden, also dass man weniger diese schrillen Dinge bedient, die vielleicht jetzt, was der Kollege da eben erzählte, in "CSI" bedient werden, sondern man bedient das normale Grauen, was in der Gesellschaft ist. Natürlich wandelt sich die Gesellschaft, die ist ja heute auch nicht mehr so wie in den 70er-Jahren, aber in der Regel, finde ich, kommen die Konflikte doch immer aus dem Zwischenmenschlichen.
Timm: Ihre Kommissarin – sage ich mal in Anführungsstrichen – Ihre Inga Lürsen ist altlinks, sie ist nach dem langen Marsch durch die Institutionen bei den Bullen gelandet, sehr eigene Karriere. Mögen Sie die Frau eigentlich immer?
Greve: Ja, die finde ich super. Das mit diesem Altlink, das ist merkwürdig …
Timm: Also sie ist schon sehr korrekt.
Greve: Ja, ja, die ist schon sehr korrekt, das mit dem Altlink haben wir auch im Laufe der Jahre doch eher in den Hintergrund gedrängt, weil das auch dann doch – weiß ich nicht, wie die waren, Altlinken – ja dann auch am Leben vorbeigeht. Die sind ja inzwischen auch ganz woanders angekommen. Wenn man sich anguckt, wer da die Galionsfiguren früher und heute waren. Ich mag die sehr, also ich mag die sowohl als Figur, weil sie ganz eigenständig inzwischen ist, und sie ist auch nicht so eitel, das ist für mich als Autor besonders schön, da darf ich nämlich auch was schreiben, wo sie nicht vorkommt immer in jedem Bild. Das ist bei anderen vielleicht schwieriger.
Timm: Was ist denn für Sie so toll dran, einen "Tatort" zu schreiben, jenseits des, glaube ich, ARD-weit besten Honorars für einen Drehbuchautor?
Greve: Ja, das stimmt leider nicht.
Timm: Schade!
Greve: Das nur nebenbei. Nein, "Tatort" ist das Flaggschiff der ARD, mit der "Tagesschau" zusammen. Das heißt also, das ist besonders hoch angesiedelt in den Redaktionen. Man hat da als Autor, aber auch als Regisseur noch mehr Freiräume und – das ist mein Hauptgrund, warum ich da gelandet bin, ich hab mir das gar nicht ausgesucht – man kann dort Geschichten erzählen eben, was ich interessant finde übrigens auch in amerikanischen Thrillern, wenn man dem Tod bei der Arbeit zuschauen kann, also wie sich ein Unglück entwickelt. Das kann man dort erzählen, was man im normalen Fernsehprogramm kaum erzählen kann, weil man da doch dann die heile Welt bevorzugt, und man hat dann auch noch sieben oder acht oder neun Millionen Zuschauer, ich meine, das ist klasse.
Timm: Der "Tatort" nimmt ja für sich in Anspruch, dass er auch die Zeit spiegelt, in der wir leben, die Politik spiegelt, die Gesellschaft. Von daher betrachtet, müssen wir eigentlich heute relativ nüchtern sein, denn es gibt weder einen singenden Kommissar wie Manfred Krug noch einen mit Durchschlagskraft wie einst Schimanski von Götz George, stattdessen gibt es eine gestresste, alleinerziehende Mutter – Maria Furtwängler – oder eben die politisch korrekte Inga Lürsen. Ärgert Sie das nicht manchmal, dass Sie nicht so einen schrägen Typen ermitteln lassen können?
Greve: Die gäbe es ja auch, in Münster zum Beispiel, die sind ja doch recht schräg. Oder man kann ja auch … in München ist ja nicht immer alles …
Timm: Ja, stimmt, aber das Singen und das Prügeln stach doch mehr raus.
Greve: Ja, das ist … Wie überall im Fernsehen guckt man nach Zielgruppen, und da sind die Frauen eine ganz wichtige Zielgruppe, das ist auch der Grund, warum es so viele Kommissare gibt, weil natürlich man sich da viel besser identifizieren kann als Frau, wobei, alle Männer gucken sowieso schon Krimis, davon wird ausgegangen. Also will man noch ein paar Leute dazugewinnen, muss man die Ehefrauen davor zwingen, und das tut man natürlich mit Geschichten, wo die Frauen sich auch wiederfinden. Das ist jetzt reine Theorie, in der Praxis schreibe ich einfach gerne Geschichten für Frauen. Fast alle meine Krimis sind … Mörder sind die Frauen und die Kommissare sind die Frauen. Das liegt vielleicht daran, dass in Wahrheit die Männer die Schwachen sind.
Timm: "Bisschen langsam", meinte unser amerikanischer Kollege vorhin über den "Tatort" ganz generell. Werden denn die schnellen amerikanischen Serien, die man ja zunehmend auch auf DVD kriegt, werden die zur Konkurrenz?
Greve: Ja, das ist schwierig zu beantworten. Der Stil, wie etwas gemacht wird, misst sich natürlich immer international, weil alle Leute das gesehen haben. Andererseits darf man nicht vergessen, dass das, was wir von amerikanischen Produktionen in Deutschland sehen, ist die Crème oben auf der Torte. Das sind die besten Produktionen, die sind zum größten Teil gar nicht aus dem öffentlichen empfangbaren Fernsehen, sondern aus den Kabelkanälen, wo man viel härter erzählen kann, weil man die ganzen Jugendschutzdinge nicht beachten muss, und deswegen ist das sehr schwer zu vergleichen mit deutschen Krimis, die natürlich öffentlich empfangbar sind, vor zehn Uhr dann auch unter 16 freigegeben sein müssen – das ist zum Beispiel ein Unterschied. Dann haben die Amerikaner, weil die auch ein viel, viel größerer Markt sind, viel mehr Geld, das muss man auch einfach sagen. Also eine Anfangsfolge wie jetzt die neue Serie über die Mafia an der Ostküste, wo Martin Scorsese Regie geführt hat, über 20 Millionen Dollar die erste Stunde gekostet. Dafür kann man locker 15 "Tatorte" drehen.
Timm: Aber immerhin gibt es "Tatort"-immanenten Länderfinanzausgleich, der funktioniert. Ich glaube, die Bremer kriegen von der ARD ein bisschen Geld zugeschossen.
Greve: Dies zahlt die ARD, ja.
Timm: Das ist gut zu wissen. – Gab es eigentlich je einen Kommissar, der im Dienst ermordet wurde, oder einen gar, der selbst der Täter war?
Greve: Oh, da bin ich überfragt. So verfolge ich denn doch nicht jede Folge, sind ja auch schon inzwischen 700 oder mehr.
Timm: Aber wäre doch mal eine Idee, ne? Kommissar kommt um im Dienst.
Greve: Ja, das Problem ist so ein bisschen natürlich – das ist das Problem der Reihe. Die Reihe ist das Hauptpersonal, also sprich jetzt in dem Fall die Kommissare oder Kommissarinnen, müssen irgendwie so wieder von mir als Macher abgegeben werden, wie ich sie in Empfang genommen habe am Anfang meiner Arbeit. Ich darf die nicht wirklich beschädigen, kaputt machen oder gar umbringen. Das ist natürlich der Traum jedes Drehbuchautors oder Regisseurs, das mal zu machen, wird in der Regel dann ja auch nur gemacht, wenn der Schauspieler aufhören möchte zu spielen.
Timm: Ich bedanke mich. Jochen Greve war das, er schreibt für den Bremer "Tatort" als Drehbuchautor. Vor 40 Jahren ging der erste "Tatort" über den Fernsehschirm.
Greve: Ja, vielen Dank!
Und jetzt spreche ich mit Jochen Greve. Er schreibt für den Bremer "Tatort" und arbeitet also für die Kommissarin Inga Lürsen. Schönen guten Tag!
Jochen Greve: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Herr Greve, unser amerikanischer Freund eben, der hatte ja eigentlich einen ganz liebevollen Blick auf den "Tatort". Er hat zum Beispiel durch diesen Krimi das Wort Schrebergarten kennengelernt. Ist das ein Kompliment oder eher ernüchternd?
Greve: Nee, das finde ich gut, wir sind ja hier in Deutschland. Also nichts schlimmer, als wenn wir in Deutschland versuchen, amerikanische Geschichten zu erzählen. Die Amerikaner sind einfach völlig andere … die machen auch schöne Filme, das hat aber eben mit deutscher Realität oder deutscher Kultur, deutscher Gesellschaft überhaupt nichts zu tun. Man muss Filme machen dort, wo man lebt. Und Deutschland ist natürlich – kann man ja traurig drüber sein, ich finde das als Familienvater ganz beruhigend – eher ein bisschen ruhiger als Amerika.
Timm: Also Provinz als Stärke, bis hin zum Gartenzwerg?
Greve: Na, Provinz ist völlig falsch, das ist eine ganz andere Art von Denke. Ich gebe da mal ein Beispiel: Wenn Sie in New York morgens Frühstück in einem dieser vielen Frühstückslokale nehmen, dann kommt der Kellner, nimmt die Bestellung auf, geht raus. Sie können sich gut vorstellen, dass der jetzt gerade mal die Bank überfällt, wieder reinkommt und mir dann diese Eier mit Speck serviert. Wenn Sie das Gleiche aber sich dann vorstellen in München, dann funktioniert das nicht, dann ist das einfach albern, das glaubt man einfach nicht in Deutschland. Also Deutschland funktioniert anders, und die deutschen Verbrecher funktionieren auch anders und das nicht nur im "Tatort", ich glaube, tatsächlich auch.
Timm: Das Publikum, das sortiert sich ja auch über seine Kommissare. Jeder hat so seinen Kommissar, den er besonders schätzt, seine Fans. Wer sind denn die speziellen Fans Ihrer Bremer Kommissarin Inga Lürsen?
Greve: Ach, inzwischen haben wir – oder ich meine, ich bin ja nur ein ganz kleines Rädchen da – haben wir oder die haben sich das schön erarbeitet. Am Anfang kannte sie niemand, jetzt sind die sehr bekannt, sind auch ziemlich weit oben in den Rankings, die ich mir dann immer nicht so angucke, ehrlich gesagt, weil das macht einen auch nur nervös, das wechselt ja auch dauernd. Aber es ist zum Beispiel sehr lustig, wenn man in Bremen ankommt, dann merkt man, dass da bis zu 50 Prozent Zuschauerbeteiligung im Land Bremen ist für die Bremer "Tatorte". Weil dann kennt … der Taxifahrer weiß sofort, wovon man redet, freut sich, dass man da als Drehbuchautor drin sitzt und zum Sender fährt. Also das sind die einzigen Zuschauer, die ich persönlich kenne, die nicht zu meiner Familie gehören, die Bremer "Tatorte" gucken, weil die auch eine sehr schöne Vorführungen machen dort oben.
Timm: Die Kommissare haben sich ja gewandelt im Laufe der 40 Jahre – eigentlich auch die Täter? Anfangs waren das ja eher Straßenganoven, inzwischen sind es Banker, Politiker, Großgrundbesitzer …
Greve: Das stimmt, finde ich, nicht. Nun bin ich leider schon so alt, dass ich den ersten "Tatort" tatsächlich als Junge gesehen habe, da war das auch nicht so ganz im hohen Milieu angesiedelt. Eine der Prinzipien des "Tatort" ist, dass die Verbrechen innerhalb der Gesellschaft stattfinden, also dass man weniger diese schrillen Dinge bedient, die vielleicht jetzt, was der Kollege da eben erzählte, in "CSI" bedient werden, sondern man bedient das normale Grauen, was in der Gesellschaft ist. Natürlich wandelt sich die Gesellschaft, die ist ja heute auch nicht mehr so wie in den 70er-Jahren, aber in der Regel, finde ich, kommen die Konflikte doch immer aus dem Zwischenmenschlichen.
Timm: Ihre Kommissarin – sage ich mal in Anführungsstrichen – Ihre Inga Lürsen ist altlinks, sie ist nach dem langen Marsch durch die Institutionen bei den Bullen gelandet, sehr eigene Karriere. Mögen Sie die Frau eigentlich immer?
Greve: Ja, die finde ich super. Das mit diesem Altlink, das ist merkwürdig …
Timm: Also sie ist schon sehr korrekt.
Greve: Ja, ja, die ist schon sehr korrekt, das mit dem Altlink haben wir auch im Laufe der Jahre doch eher in den Hintergrund gedrängt, weil das auch dann doch – weiß ich nicht, wie die waren, Altlinken – ja dann auch am Leben vorbeigeht. Die sind ja inzwischen auch ganz woanders angekommen. Wenn man sich anguckt, wer da die Galionsfiguren früher und heute waren. Ich mag die sehr, also ich mag die sowohl als Figur, weil sie ganz eigenständig inzwischen ist, und sie ist auch nicht so eitel, das ist für mich als Autor besonders schön, da darf ich nämlich auch was schreiben, wo sie nicht vorkommt immer in jedem Bild. Das ist bei anderen vielleicht schwieriger.
Timm: Was ist denn für Sie so toll dran, einen "Tatort" zu schreiben, jenseits des, glaube ich, ARD-weit besten Honorars für einen Drehbuchautor?
Greve: Ja, das stimmt leider nicht.
Timm: Schade!
Greve: Das nur nebenbei. Nein, "Tatort" ist das Flaggschiff der ARD, mit der "Tagesschau" zusammen. Das heißt also, das ist besonders hoch angesiedelt in den Redaktionen. Man hat da als Autor, aber auch als Regisseur noch mehr Freiräume und – das ist mein Hauptgrund, warum ich da gelandet bin, ich hab mir das gar nicht ausgesucht – man kann dort Geschichten erzählen eben, was ich interessant finde übrigens auch in amerikanischen Thrillern, wenn man dem Tod bei der Arbeit zuschauen kann, also wie sich ein Unglück entwickelt. Das kann man dort erzählen, was man im normalen Fernsehprogramm kaum erzählen kann, weil man da doch dann die heile Welt bevorzugt, und man hat dann auch noch sieben oder acht oder neun Millionen Zuschauer, ich meine, das ist klasse.
Timm: Der "Tatort" nimmt ja für sich in Anspruch, dass er auch die Zeit spiegelt, in der wir leben, die Politik spiegelt, die Gesellschaft. Von daher betrachtet, müssen wir eigentlich heute relativ nüchtern sein, denn es gibt weder einen singenden Kommissar wie Manfred Krug noch einen mit Durchschlagskraft wie einst Schimanski von Götz George, stattdessen gibt es eine gestresste, alleinerziehende Mutter – Maria Furtwängler – oder eben die politisch korrekte Inga Lürsen. Ärgert Sie das nicht manchmal, dass Sie nicht so einen schrägen Typen ermitteln lassen können?
Greve: Die gäbe es ja auch, in Münster zum Beispiel, die sind ja doch recht schräg. Oder man kann ja auch … in München ist ja nicht immer alles …
Timm: Ja, stimmt, aber das Singen und das Prügeln stach doch mehr raus.
Greve: Ja, das ist … Wie überall im Fernsehen guckt man nach Zielgruppen, und da sind die Frauen eine ganz wichtige Zielgruppe, das ist auch der Grund, warum es so viele Kommissare gibt, weil natürlich man sich da viel besser identifizieren kann als Frau, wobei, alle Männer gucken sowieso schon Krimis, davon wird ausgegangen. Also will man noch ein paar Leute dazugewinnen, muss man die Ehefrauen davor zwingen, und das tut man natürlich mit Geschichten, wo die Frauen sich auch wiederfinden. Das ist jetzt reine Theorie, in der Praxis schreibe ich einfach gerne Geschichten für Frauen. Fast alle meine Krimis sind … Mörder sind die Frauen und die Kommissare sind die Frauen. Das liegt vielleicht daran, dass in Wahrheit die Männer die Schwachen sind.
Timm: "Bisschen langsam", meinte unser amerikanischer Kollege vorhin über den "Tatort" ganz generell. Werden denn die schnellen amerikanischen Serien, die man ja zunehmend auch auf DVD kriegt, werden die zur Konkurrenz?
Greve: Ja, das ist schwierig zu beantworten. Der Stil, wie etwas gemacht wird, misst sich natürlich immer international, weil alle Leute das gesehen haben. Andererseits darf man nicht vergessen, dass das, was wir von amerikanischen Produktionen in Deutschland sehen, ist die Crème oben auf der Torte. Das sind die besten Produktionen, die sind zum größten Teil gar nicht aus dem öffentlichen empfangbaren Fernsehen, sondern aus den Kabelkanälen, wo man viel härter erzählen kann, weil man die ganzen Jugendschutzdinge nicht beachten muss, und deswegen ist das sehr schwer zu vergleichen mit deutschen Krimis, die natürlich öffentlich empfangbar sind, vor zehn Uhr dann auch unter 16 freigegeben sein müssen – das ist zum Beispiel ein Unterschied. Dann haben die Amerikaner, weil die auch ein viel, viel größerer Markt sind, viel mehr Geld, das muss man auch einfach sagen. Also eine Anfangsfolge wie jetzt die neue Serie über die Mafia an der Ostküste, wo Martin Scorsese Regie geführt hat, über 20 Millionen Dollar die erste Stunde gekostet. Dafür kann man locker 15 "Tatorte" drehen.
Timm: Aber immerhin gibt es "Tatort"-immanenten Länderfinanzausgleich, der funktioniert. Ich glaube, die Bremer kriegen von der ARD ein bisschen Geld zugeschossen.
Greve: Dies zahlt die ARD, ja.
Timm: Das ist gut zu wissen. – Gab es eigentlich je einen Kommissar, der im Dienst ermordet wurde, oder einen gar, der selbst der Täter war?
Greve: Oh, da bin ich überfragt. So verfolge ich denn doch nicht jede Folge, sind ja auch schon inzwischen 700 oder mehr.
Timm: Aber wäre doch mal eine Idee, ne? Kommissar kommt um im Dienst.
Greve: Ja, das Problem ist so ein bisschen natürlich – das ist das Problem der Reihe. Die Reihe ist das Hauptpersonal, also sprich jetzt in dem Fall die Kommissare oder Kommissarinnen, müssen irgendwie so wieder von mir als Macher abgegeben werden, wie ich sie in Empfang genommen habe am Anfang meiner Arbeit. Ich darf die nicht wirklich beschädigen, kaputt machen oder gar umbringen. Das ist natürlich der Traum jedes Drehbuchautors oder Regisseurs, das mal zu machen, wird in der Regel dann ja auch nur gemacht, wenn der Schauspieler aufhören möchte zu spielen.
Timm: Ich bedanke mich. Jochen Greve war das, er schreibt für den Bremer "Tatort" als Drehbuchautor. Vor 40 Jahren ging der erste "Tatort" über den Fernsehschirm.
Greve: Ja, vielen Dank!