Halten wir es nicht mehr mit uns selbst aus?
Früher gab es im Tagesablauf immer mal wieder Momente, in denen der Mensch mit sich alleine war. Heute ist mindestens eines immer dabei: sein Smartphone. Kaum denkbar, dass dies folgenlos für die Menschen bleibt.
Anfang der 90er-Jahre wohnte ich erstmals einer Datenübertragung via ISDN bei. Ich war hingerissen wie weiland ein Südseeinsulaner von europäischen Glasklunkern, der mit seiner freundlichen Natur nicht ahnte, was auf ihn zukam. Entsprechend willig betrieb ich meine digitale Einwanderung. Und Handys - toll! Auch wenn sie damals noch Backsteinen glichen, versprachen sie eine wunderbare Mobilität. Beides zusammen? Arbeiten überall - große Freiheit!
Das Versprechen der Mobilität ist mehr als eingelöst. Längst trage ich im Smartphone mein ganzes Büro am Körper und kann von unterwegs Printaufträge an meinen Drucker senden. Alle können das. Die Digitalisierung ist bis in die hintersten Winkel unseres beruflichen wie privaten Lebens gekrochen. Wie selbstverständlich sind wir umgeben von einer Vielzahl technologischer Diener, die alle möglichen Aufgaben für uns erledigen. Aber Freiheit?
Das Versprechen der Mobilität ist mehr als eingelöst. Längst trage ich im Smartphone mein ganzes Büro am Körper und kann von unterwegs Printaufträge an meinen Drucker senden. Alle können das. Die Digitalisierung ist bis in die hintersten Winkel unseres beruflichen wie privaten Lebens gekrochen. Wie selbstverständlich sind wir umgeben von einer Vielzahl technologischer Diener, die alle möglichen Aufgaben für uns erledigen. Aber Freiheit?
Roboter als Sklaven
Im Jahr 1951 beschrieb der rumänische Schriftsteller Virgil Gheorgiu eine Zukunft, in der die Menschheit über eine Armee arbeitsamer Roboter herrscht. Die Folge: "Wir lernen die Gesetzmäßigkeiten und den Jargon unserer Sklaven, um ihnen Befehle geben zu können. Und langsam, unmerklich verzichten wir auf unsere menschlichen Eigenschaften und Gesetze. [...] Das erste Symptom dieser Dehumanisierung ist die Missachtung des Menschlichen."
Als ich über diesen Satz stolperte, dachte ich zunächst an die Enthüllungen Edward Snowdons und das Bestreben internationaler Geheimdienste, jede unserer digitalen Regungen zu registrieren. Es ist bereits eine resigniert hingenommene Binse, dass die Überwachungsmaßnahmen früherer totalitärer Regime ein müder Witz sind gegen die Möglichkeiten heutiger Demokratien.
Dann kamen mir die sozialen Medien mit ihren zahllosen Shitstormern und Hatern in den Sinn, die im Netz und darüber hinaus für eine latente Pogromstimmung sorgen, und bei den Internetkonzernen für klingende Kassen.
Dann kamen mir die sozialen Medien mit ihren zahllosen Shitstormern und Hatern in den Sinn, die im Netz und darüber hinaus für eine latente Pogromstimmung sorgen, und bei den Internetkonzernen für klingende Kassen.
Irgendeinen Unsinn gut finden
Unerfreulich, um das mindeste zu sagen. Aber das eigentliche Problem ist wahrscheinlich viel unscheinbarer und verbreiteter. Jeder kennt diese seltsam somnabulen Zeitgenossen, die von einer eisigen Smartphone-Aureole erleuchtet durch die Straßen tappen und nur mit Glück nicht vor das nächste Auto rennen: Wir sind es im Zweifel selbst! Wie fiebrige Junkies checken wir unsere Messages und Mails, telefonieren, skypen, durchblättern Nachrichten-Apps, bewerten oder liken irgendeinen Unsinn.
Ich frage mich, ob wir uns nicht im Prozess einer schleichenden digitalen Deformation befinden, bei dem etwas Grundlegendes verloren zu gehen droht: Die Fähigkeit, auf ganz einfache, analoge Weise mit uns allein zu sein. Ohne Außenreiz und Stimulation. Mit nichts anderem beschäftigt als den eigenen Gedanken und Gefühlen.
Um noch einmal auf den Totalitarismus zurückzukommen, so besteht nach Hannah Arendt eine seiner wirkungsvollsten Unterdrückungsmethoden darin, "jegliche Form des Alleinseins abzuschaffen - von der unmenschlichen Form der Einzelhaft abgesehen." Alleinsein, so Arendt, sei aber erforderlich, um eigenes Denken und damit Gewissen zu entwickeln. Nur wer es verstehe, mit sich selbst zu leben, sei geeignet für das Leben mit anderen.
Alleinsein ist die schwerste Kunst
Wenn es also eine obskure Macht gäbe, die sich gegen die Freiheit verschworen hätte, würde sie vergnügt in die Hände patschen. Alles so schön bequem. Nicht einmal staatliche Jugendorganisationen müsste man erfinden, um junge Wirrköpfe von sich selbst und damit unerwünschter Hirntätigkeit abzuhalten.
Aber vielleicht ist das Unsinn.
Unter mir wohnt ein älterer Mann, der ständig ins Telefon brüllt. Offenbar will er sich durch sein Gebrüll Gehör verschaffen. Es scheint nicht zu klappen. Recht bald schon legt der Gesprächspartner auf, und ich höre meinen Nachbarn aufheulen wie ein verwundetes Tier. Als nächstes dröhnt der Fernseher. Er ist ein sehr trauriger und sehr einsamer Mensch.
Alleinsein ist schon unter schlicht analogen Umständen eine Kunst, die gelernt sein will. Vermutlich die schwerste.
Alleinsein ist schon unter schlicht analogen Umständen eine Kunst, die gelernt sein will. Vermutlich die schwerste.
Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln, Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht.