Die direkte Leitung zwischen Washington und Moskau

Von Otto Langels |
Während der Kubakrise im Oktober 1962 stand die Welt am Rande eines Atomkrieges. Als Reaktion vereinbarten die Großmächte USA und Sowjetunion am 20. Juni 1963 die Einrichtung einer direkten Nachrichtenverbindung zwischen den Regierungen, den sogenannten heißen Draht.
"Hello? Hello Dimitri, listen, I can’t hear too well, I suppose, you can turn down the music just a little, fine, I can hear you now, Dimitri."

Stanley Kubricks Spielfilm "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" handelt von einem geistesgestörten US-General, der einen Atomkrieg mit der Sowjetunion auslöst. In dem Film kontaktiert der amerikanische Präsident die sowjetische Führung über ein Rotes Telefon, um die Katastrophe zu verhindern. Als der Spielfilm 1964 in die Kinos kam, war eine entsprechende Verbindung zwischen Washington und Moskau tatsächlich erst kurz zuvor in Betrieb genommen worden, als Reaktion auf die Kubakrise.

Die Sowjets hatten 1962 Atomwaffen auf Kuba stationiert, die USA massive Militärschläge angedroht. Die Welt stand am Rande eines atomaren Krieges, bis der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow einlenkte. Die entscheidende Botschaft kam über Radio Moskau, da alle anderen Wege, Nachrichten zu übermitteln, mehrere Stunden beansprucht hätten.

Daraufhin vereinbarten die USA und die Sowjetunion am 20. Juni 1963 in Genf, einen sogenannten heißen Draht zwischen beiden Hauptstädten einzurichten.

"Er soll im Zeitalter der Kernwaffen und eines eventuellen Kriegsausbruches im Laufe von Minuten verhindern, dass es zu einem solchen Krieg durch Fehlentscheidungen kommt oder aufgrund eines Unglücks","

hieß es damals in einem RIAS-Rundfunkbericht über die Leitung zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus. In Zeiten des Kalten Krieges war diese Verbindung ein entspannungspolitisches Signal der beiden Supermächte.

Im August 1963 wurde der heiße Draht in Betrieb genommen, das Überseekabel führte von Washington über New York, London, Stockholm und Helsinki nach Moskau.

""Jede Stunde, ob Tag oder Nacht, kreuzen sich in der Stockholmer Kontrollstation zwei Botschaften. Die eine kommt vom Westen und lautet in Deutsch: Der schnelle braune Fuchs springt über den faulen Hund. Und kurz darauf lautet die Antwort aus dem Osten: Jetzt ist es an der Zeit für alle Menschen guten Willens, der Partei zu helfen."

Die beiden kryptischen Sätze enthielten alle im Alphabet vorkommenden Buchstaben und dienten der Kontrolle der Übertragungswege. Denn immer wieder kam es zu Störungen. In Finnland durchtrennten Straßenbaumaschinen oder auch mal der Pflug eines Bauern das Kabel, in New York legte ein Stromausfall mit anschließender Totalfinsternis die Leitung mehrere Stunden lang lahm.

Der heiße Draht führte nicht direkt in die Amtszimmer des US-Präsidenten und des Kremlchefs. Und die Leitung verband auch keine roten Telefone. Der USA-Korrespondent Georg Siegert:

"An den beiden Enden hängen übrigens nicht Telefonapparate, wie manch einer glauben mag, sondern Fernschreibmaschinen. Fernschreiber gelten als die beste, vor allem genaueste Übertragungsmethode, die frei von Hörfehlern ist."

Eine erste Bewährungsprobe erlebte der heiße Draht 1967 im Sechstagekrieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. US-Verteidigungsminister Robert McNamara schrieb in seinen Erinnerungen über das Krisengespräch:

"Am 5. Juni klingelte morgens im Pentagon das Telefon und eine Stimme meldete sich: 'Hier spricht General Smith im War Room. Premierminister Kossygin ist am heißen Draht und möchte den Präsidenten sprechen.‘ 'Warum rufen Sie mich an?‘, wollte ich wissen. 'Weil der heiße Draht im Pentagon endet‘, erwiderte er. Ich wusste nicht einmal, dass die dazugehörigen Fernschreiberleitungen unter meinem Büro endeten. Dem General beschied ich: 'Stellen Sie das Gespräch in den Lageraum im Weißen Haus durch, und ich rufe den Präsidenten an.‘"

Ein Jahrzehnt später hatte das alte Überlandkabel ausgedient. Die USA und die Sowjetunion setzten auf moderne Kommunikationstechnik.

"Den heißen Draht will man nun in den Himmel verlegen, das heißt, man plant in Zukunft, Weltraumsatelliten für die Übertragung einzusetzen."

Zwischen Washington und Moskau sind – via Satellit - der braune Fuchs und der faule Hund weiterhin unterwegs. Nach dem sowjetisch-amerikanischen Vorbild richtete China eine derartige Verbindung mit Russland und den USA ein, auch zwischen den rivalisierenden Atommächten Indien und Pakistan gibt es sie. Im vergangenen Jahr lehnte der Iran hingegen das Angebot der USA ab, zwischen den Militärkommandos beider Länder eine direkte Leitung zu installieren. Und vor Kurzem teilte die Führung Nordkoreas mit, dass man den heißen Draht in den Süden unterbrochen habe.
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