Die dritte Strophe ist ein "makellos vormärzliches Wertbekenntnis"

Moderation: Frank Meyer |
Vor 90 Jahren hat Reichspräsident Friedrich Ebert Hoffmann von Fallerslebens "Lied der Deutschen" zur Nationalhymne gemacht. Die Musik sei so schön, dass man sie beibehalten könne, meint Historiker Peter Reichel. Das Singen dürfe aber nicht "zur Pflicht öffentlicher Akteure" gemacht werden.
Frank Meyer: Die deutschen Spieler haben unsere Hymne nicht ausreichend inbrünstig gesungen oder sogar gar nicht gesungen. Da musste das Halbfinale gegen Italien ja verloren gehen. Solche bizarren Äußerungen waren vor wenigen Wochen zu hören nach der Fußball-EM. Es wurde sogar über eine Hymnensingpflicht für die Fußballer gesprochen. Seit 90 Jahren ist das Lied der Deutschen nun unsere Hymne. Was uns wirklich mit diesem Lied verbindet, das besprechen wir gleich mit dem Historiker Peter Reichel. Vorher gibt Ihnen Winfried Sträter einen Überblick über die Geschichte unserer Hymne.

Meyer: Winfried Sträter über Geschichte und Gegenwart des Deutschlandliedes. Im Studio ist jetzt der Historiker Peter Reichel, der gerade ein Buch geschrieben hat über die nationalen Symbole der Deutschen, und da gehört ja die Hymne unbedingt dazu.

Herr Reichel, wir waren gerade bei den Nationalspielern. Franz Beckenbauer hatte als Bundestrainer eine Hymnensingpflicht für seine Spieler eingeführt. Wurde jetzt wieder diskutiert. Was halten Sie von so etwas?

Peter Reichel: Gar nichts. Wir leben nicht mehr in einer Zeit, wo man öffentlichen Gesang oder öffentliche Bekenntnisse zur Pflicht machen kann. Ich denke, diese angebliche Verlegenheit, das einige singen, einige möglicherweise den falschen Text singen, widerspiegelt nur die Unsicherheit im Umgang mit dieser Hymne. Also man sollte dann doch etwas von der Geschichte dieser Hymne und ihrer Praxis wissen, bevor man Anordnungen trifft oder sich mokiert.

Wenn ich gleich anschließen darf an die Anmoderation und das, was Sie vorhin sagten: Es ist auch falsch, also, was immer wieder kolportiert wird, dass Ebert in einem Staatsstreich 22, am 11. August, das Deutschlandlied zur Nationalhymne gemacht hat. Es ist auch nicht selbstherrlich gewesen.

Es war alternativlos und, das ist viel entscheidender, es gab eine breite, eine breite Mehrheit und Zustimmung im Parlament. Nur das kann zählen als empirischer Beweis, von links, von der USPD bis in die rechte Mitte.

Meyer: Aber es heißt dann, dass diese Hymne, die von Ebert eingeführte, gerade von den Rechtsradikalen, gerade auch von den rechten Feinden der Weimarer Republik dann als ihre Hymne angesehen wurde und gesungen wurde, als sie die Republik bekämpft haben.

Reichel: Ebert hat auf Vorschlag von Adolf Köster, den heute niemand mehr kennt, sozialdemokratischer Innenminister in dem Kabinett Wirth als Reaktion auf das Rathenau-Attentat und das erste Opfer Hitlers in der Weimarer Republik, vorgeschlagen, überlasse das schon blutverschmierte Deutschlandlied durch die Langemarck-Legende nicht den Rechten, nicht den Republikgegnern, sondern mache es zur Hymne.

Es ist das populäre Lied, wir haben kein anderes. Und Ebert war klug genug, nicht die Beschränkung seiner Nachfolger in die Verordnung reinzuschreiben, sondern das ganze Deutschlandlied, also von der ersten Strophe bis zur heute sogenannten demokratischen Strophe.

Meyer: Aber ist das denn tatsächlich gelungen, sozusagen dieser Plan, dieses Lied zu demokratisieren und den Rechten zu entreißen? Ich meine, dass die Nazis das später zu ihrer Hymne gemacht haben, spricht doch genau dagegen.

Reichel: In der kurzen Zeit ist das wohl geschehen. Also, der Text, "Einigkeit und Recht und Freiheit", war regelmäßig bei den jährlichen Verfassungsfeiern in Berlin im Reichstag die große Parole, das große Wertbekenntnis der Republik. Kein Wunder, dass die Nazis dieses sofort unter Verbot gestellt haben und die erste, großdeutsche, angeblich großdeutsche Strophe, also ein Missverständnis aus Unkenntnis des Textes, mit dem Horst-Wessel-Lied zusammen zur Hymne des Dritten Reiches gemacht haben.

Meyer: Diese Nazi-Geschichte hatte die Hymne ja dann auf dem Buckel, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zur deutschen Hymne gemacht wurde von Adenauer. Wie ist das eigentlich gelaufen? Gab es da auch, wie Sie vorhin für Ebert sagten, eine breite Zustimmung?

Reichel: Insofern, weil in dem Streit zwischen Heuss und Adenauer - Heuss wollte eine neue Hymne einführen, einen neuen Text, eine neue Musik ...

Meyer: Also der Bundespräsident ...

Reichel: Der Bundespräsident hat dafür aber keine Zustimmung bekommen. Adenauer war pfiffig genug, eine Wahlkampfveranstaltung in Berlin zu benutzen, und hat im Titania-Palast die Leute nach seinem Vortrag über Deutschland und Europa gebeten, mit ihm gemeinsam das Nationallied, die Hoffmann/Haydn-Hymne zu singen.

Es ist nicht überliefert worden, ob alle sofort wussten, welche Strophe sie singen sollten und mussten. Auf jeden Fall hat er eine breite Zustimmung bekommen dafür, ist dann verspottet worden, attackiert worden von den Sozialdemokraten, Zustimmung bekommen von den bürgerlich-konservativen, aber es war klar, dass er an die Weimarische Tradition, an die Entscheidung Eberts anknüpfen wollte, sehr wohl wissend, dass man Hymnen nicht wie Hemden, selbst dann nicht wie Hemden wechselt, wenn diese Hemden blutbeschmiert sind.

Meyer: Also Sie sagen im Prinzip, 1922 und 1950, um die Zeit herum, war die Entscheidung für das Deutschlandlied als deutsche Hymne eigentlich alternativlos. Wie war das dann aber 1990, als zwei deutsche Staaten zusammenkamen, als es Überlegungen gab, die west- und die ostdeutsche Hymne vielleicht zusammenzuführen oder die Brecht-Eisslersche Kinderhymne zur neuen deutschen Nationalhymne zu machen - also da gab es diskutierte Alternativen zumindest. Realistische Alternativen?

Reichel: Es gab eine kurzzeitige Diskussion. Sie ist nicht vom Parlament, sie ist auch nicht von den Staatsspitzen aufgegriffen worden, und Kohl und von Weizsäcker sind für meine Begriffe einigermaßen geschichtsbewusstlos in dieser - der Debatte ausgewichen und haben einfach den legalisierenden Akt, also außerhalb des Gesetzgebers, durch eine Verordnung erklärt, durch einen Briefwechsel erklärt.

Die Praxis, die durch Ebert, die Tradition, die durch Ebert gestiftet worden ist, die Praxis, die 52 durch Heuss und Adenauer erneuert worden ist, würde von ihnen bestätigt werden. Es wäre die Chance gewesen, genau das zu tun, oder zumindest darüber nachzudenken, was Sie eben angedeutet haben, wohl nicht die offizielle DDR-Hymne in irgendeiner Weise mit dem Deutschlandlied zu kombinieren, auch wenn es textlich wie musikalisch viele Parallelen gibt, aber dann doch das oppositionelle, die oppositionelle DDR-Hymne von Brecht und Eissler, die Kinderhymne zu nehmen.

Und sie mit dem Deutschlandlied, mit der dritten Strophe zusammen als die Hymne eines vereinten Deutschlands zu verkünden.

Meyer: Das ist nicht zustande gekommen damals vor 20 Jahren. Nun haben wir nach wie vor das Deutschlandlied als Hymne. Man spricht ja immer wieder davon, dass sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte entspannen würde. Meinen Sie denn, dass sich auch das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Hymne auf längere Sicht entspannen wird?

Reichel: Die Hymne ist das denkbar schlechteste Beispiel dafür. Also wenn man sich zu der Praxis versteht, den Text entweder singen zu lassen oder die Musik spielen zu lassen und sie nicht zu spielen, weil das anders eben ist als bei unseren französischen Nachbarn oder bei den Amerikanern.

Die haben dieses Problem nicht. Jeder weiß aber, dass es mit diesem Lied ein Problem auf sich hat, ohne das Problem in seinen Facetten zu kennen, und auch eine Urteilssicherheit zu haben.

Also ich glaube, die Musik ist so schön, dass man sie beibehalten kann. Die dritte Strophe ist so makellos vormärzliches Wertbekenntnis, dass man auch sie singen darf, singen sollte. Aber um Gottes willen, so was doch nicht par ordre du mufti zur Pflicht öffentlicher Akteure machen.

Meyer: Morgen vor 90 Jahren, am 11. August 1922 hat Reichspräsident Friedrich Ebert Hoffmann von Fallerslebens "Lied der Deutschen" zur Nationalhymne gemacht. Darüber haben wir mit Peter Reichel gesprochen. Sein Buch über die Hymne und andere nationale Symbole wird im kommenden Monat im Wallstein Verlag erscheinen unter dem Titel "Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung". Vielen Dank, Herr Reichel!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Nach dem WM-Finale Argentinien-Deutschland (0:1) in Rom am 8.7.1990
Beckenbauer hatte eine Hymnensingpflicht für seine Spieler eingeführt.© picture alliance / dpa / Frank Kleefeldt
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, wollte eine neue Hymne einführen.© AP
Am Tag nach der Öffnung am 9. November 1989 steigen Menschen auf die Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Man hätte 1990 die oppositionelle DDR-Hymne mit dem Deutschlandlied als die Hymne eines vereinten Deutschlands verkünden sollen, so Peter Reichel.© AP
Mehr zum Thema