Die dunkle Seite des Menschen
Das Projekt "Bagdad - Berlin" führt irakische Theaterleute derzeit nach Deutschland. Das Werkstattstück "Bagdad - Berlin" nach Motiven von Heiner Müller, das die dunkle Seite des Menschen erkundet, hatte in der Berliner Werkstatt der Kulturen Premiere. "Phantasie eines Reisenden" von Awatif Naim, das unter Saddam verboten war, wird im Maxim Gorki Theater zu sehen sein.
Bagdad unter Raketenfeuer, Explosionen, Truppen in der Wüste, Flugzeuge am Himmel, Straßensperren, Hausdurchsuchungen: die Bilder, die auf den Bühnenhintergrund projiziert werden, kennen wir aus dem Fernsehen – das heißt aus sicherer Distanz.
Awatif Naim: " Die Phantasie reicht gar nicht aus, um sich auszumalen, wie die Realität momentan aussieht im Irak, wie wir im Alltag leben. Drei Kriege haben wir hinter uns und auch die amerikanische Besatzung mit all ihren Folgen kostet so viele Menschenleben. Was da passiert, ist mehr, als Menschen ertragen können."
Die Dramatikerin und Schauspielerin Awatif Naim gehört zur Gruppe der 15 Theaterschaffenden, die zweieinhalb Monate gemeinsam in Berlin gearbeitet haben. Besuche von Berliner Theatern, nicht nur von Vorstellungen, auch Begegnungen mit zahlreichen Künstlern gehörten ebenfalls zum Programm. Das wichtigste aber, weil gar nicht mehr vorstellbar: Sicherheit als Normalität.
" Wir haben viele Menschen hier getroffen und alle haben sie versucht, uns Lebenskraft und Freude zu vermitteln. Und es gibt so viele andere, die versuchen nur, uns dem Tod näher zu bringen im Irak."
Fadhil Abbas, Regisseur und Schauspieler, hat zwar ein Theater in Bagdad – wenn auch mittlerweile ziemlich ramponiert und ohne technische Ausstattung. Doch an einen normalen Theaterbetrieb ist dort gar nicht zu denken.
" Das Theater ist zwar in meiner Seele lebendig geblieben. Aber durch die Umstände im Irak ist natürlich nicht an Förderung oder irgendwelche finanziellen Mittel zu denken. Auch die Zuschauer bleiben aus wegen der Gefahren auf der Straße. Nach 18 Uhr verlässt niemand mehr das Haus. Aber das Theater als Traum lebt weiter – in einzelnen Personen und auch als Gruppenprojekt. Es ist ja nicht so, dass uns die Themen ausgehen würden. Das, was wir mit dem Theater erreichen möchten, hat sich nicht erledigt."
Tatsächlich wird in Bagdad weiter gearbeitet. So hat Awatif Naim zwei ihrer Stücke mit nach Deutschland gebracht. Darunter "Phantasie eines Reisenden", das im Maxim Gorki Theater zu sehen sein wird. Kritisches Theater ist auch hier in Deutschland entstanden – und zwar ausgerechnet in der Auseinandersetzung mit Heiner Müller.
Der Regisseur Awni Karoumi, einst in Ostberlin ausgebildet und der Erste, der Stücke von Heiner Müller auf arabische Bühnen gebracht hat, lebt seit 1991 wieder in Deutschland im Exil. Er übernahm die Lotsenrolle:
" Deswegen haben wir eigentlich diese Impulse von Heiner Müller genommen, keinen richtigen Text. Und der Text entstand durch mehrere Improvisationen und haben wir an unsere eigene Realität angepasst. Die Schauspieler haben durch ihre eigenen Erinnerungen, Bilder und Themen und Gedanken, die so ähnlich sind. Und dadurch haben die Schauspieler ihre eigenen Texte, ihre eigenen Dialoge und Themen, aber muss man sagen und zugegeben: die Texte von Heiner Müller, das war der Impuls für unsere Aufführung. "
" Er ist ein großer Schriftsteller und hat mich sehr inspiriert. Er hat eine besondere Eigenschaft über Kriege und Gewalt zu erzählen, über die tiefgreifende Zerstörung des Menschen. Krieg ist Krieg in allen Sprachen und Ländern. Aber was im Irak passiert zurzeit und das, was von Deutschland ausgehend im 2.Weltkrieg passiert ist, hat doch, was das Grauen angeht, eine gewisse Ähnlichkeit. "
Das Werkstattstück "Bagdad Berlin" ist eine verwirrende Szenenfolge: Hoch der Ton der Sprache, anspielungsreich, poetisch, dann wieder roh und provozierend. Die Szenen sind selten intim oder solistisch. Eine Vorliebe für chorische Anordnungen, manchmal auch zu lebenden Bildern, lässt sich entdecken. Doch immer wieder explodieren sie regelrecht, fallen laut ins Groteske, Surreale.
Obwohl voller Spiellust und bunt, die Kostüme sind alle einsatzbereit auf der Bühne, so wird es doch immer wieder beklemmend: Ob eine Frau Helm und Uniform gebiert, ein Vater Frau und Tochter umbringen will, die tödlichen Soldatenspiele, erfolglos eingesetzte weiße Fahnen, die dunklen Geheimdienstleute, die gnadenlos abführen, foltern, töten. Alle erdenklichen Facetten der Gewalt tauchen auf – genauso wie Ohnmacht und Klage. Niemand wird geschont in den kurzen Schlaglichtern auf Opportunisten und Brudermörder, Vergewaltiger und Schwächlinge, Spieler und Deserteure, Retter der eigenen Haut und falsche Freunde. Gut und böse sind schwer auszumachen. Auch gerät die klare Unterscheidung von Opfer und Täter zuweilen ins Wanken. Eine Erkundung der dunklen Seite des Menschen: In Deutschland war sie möglich.
Service:
Vom 10. bis 12. August 2005 zeigt die Berliner Werkstatt der Kulturen die Workshop-Präsentation "Bagdad - Berlin 2005". Am 13. und 14. August 2005 wird das aus Bagdad mitgebrachte Stück "Phantasie eines Reisenden" von Awatif Naim, das unter Saddam verboten war, im Berliner Maxim Gorki Theater zu sehen sein.
Awatif Naim: " Die Phantasie reicht gar nicht aus, um sich auszumalen, wie die Realität momentan aussieht im Irak, wie wir im Alltag leben. Drei Kriege haben wir hinter uns und auch die amerikanische Besatzung mit all ihren Folgen kostet so viele Menschenleben. Was da passiert, ist mehr, als Menschen ertragen können."
Die Dramatikerin und Schauspielerin Awatif Naim gehört zur Gruppe der 15 Theaterschaffenden, die zweieinhalb Monate gemeinsam in Berlin gearbeitet haben. Besuche von Berliner Theatern, nicht nur von Vorstellungen, auch Begegnungen mit zahlreichen Künstlern gehörten ebenfalls zum Programm. Das wichtigste aber, weil gar nicht mehr vorstellbar: Sicherheit als Normalität.
" Wir haben viele Menschen hier getroffen und alle haben sie versucht, uns Lebenskraft und Freude zu vermitteln. Und es gibt so viele andere, die versuchen nur, uns dem Tod näher zu bringen im Irak."
Fadhil Abbas, Regisseur und Schauspieler, hat zwar ein Theater in Bagdad – wenn auch mittlerweile ziemlich ramponiert und ohne technische Ausstattung. Doch an einen normalen Theaterbetrieb ist dort gar nicht zu denken.
" Das Theater ist zwar in meiner Seele lebendig geblieben. Aber durch die Umstände im Irak ist natürlich nicht an Förderung oder irgendwelche finanziellen Mittel zu denken. Auch die Zuschauer bleiben aus wegen der Gefahren auf der Straße. Nach 18 Uhr verlässt niemand mehr das Haus. Aber das Theater als Traum lebt weiter – in einzelnen Personen und auch als Gruppenprojekt. Es ist ja nicht so, dass uns die Themen ausgehen würden. Das, was wir mit dem Theater erreichen möchten, hat sich nicht erledigt."
Tatsächlich wird in Bagdad weiter gearbeitet. So hat Awatif Naim zwei ihrer Stücke mit nach Deutschland gebracht. Darunter "Phantasie eines Reisenden", das im Maxim Gorki Theater zu sehen sein wird. Kritisches Theater ist auch hier in Deutschland entstanden – und zwar ausgerechnet in der Auseinandersetzung mit Heiner Müller.
Der Regisseur Awni Karoumi, einst in Ostberlin ausgebildet und der Erste, der Stücke von Heiner Müller auf arabische Bühnen gebracht hat, lebt seit 1991 wieder in Deutschland im Exil. Er übernahm die Lotsenrolle:
" Deswegen haben wir eigentlich diese Impulse von Heiner Müller genommen, keinen richtigen Text. Und der Text entstand durch mehrere Improvisationen und haben wir an unsere eigene Realität angepasst. Die Schauspieler haben durch ihre eigenen Erinnerungen, Bilder und Themen und Gedanken, die so ähnlich sind. Und dadurch haben die Schauspieler ihre eigenen Texte, ihre eigenen Dialoge und Themen, aber muss man sagen und zugegeben: die Texte von Heiner Müller, das war der Impuls für unsere Aufführung. "
" Er ist ein großer Schriftsteller und hat mich sehr inspiriert. Er hat eine besondere Eigenschaft über Kriege und Gewalt zu erzählen, über die tiefgreifende Zerstörung des Menschen. Krieg ist Krieg in allen Sprachen und Ländern. Aber was im Irak passiert zurzeit und das, was von Deutschland ausgehend im 2.Weltkrieg passiert ist, hat doch, was das Grauen angeht, eine gewisse Ähnlichkeit. "
Das Werkstattstück "Bagdad Berlin" ist eine verwirrende Szenenfolge: Hoch der Ton der Sprache, anspielungsreich, poetisch, dann wieder roh und provozierend. Die Szenen sind selten intim oder solistisch. Eine Vorliebe für chorische Anordnungen, manchmal auch zu lebenden Bildern, lässt sich entdecken. Doch immer wieder explodieren sie regelrecht, fallen laut ins Groteske, Surreale.
Obwohl voller Spiellust und bunt, die Kostüme sind alle einsatzbereit auf der Bühne, so wird es doch immer wieder beklemmend: Ob eine Frau Helm und Uniform gebiert, ein Vater Frau und Tochter umbringen will, die tödlichen Soldatenspiele, erfolglos eingesetzte weiße Fahnen, die dunklen Geheimdienstleute, die gnadenlos abführen, foltern, töten. Alle erdenklichen Facetten der Gewalt tauchen auf – genauso wie Ohnmacht und Klage. Niemand wird geschont in den kurzen Schlaglichtern auf Opportunisten und Brudermörder, Vergewaltiger und Schwächlinge, Spieler und Deserteure, Retter der eigenen Haut und falsche Freunde. Gut und böse sind schwer auszumachen. Auch gerät die klare Unterscheidung von Opfer und Täter zuweilen ins Wanken. Eine Erkundung der dunklen Seite des Menschen: In Deutschland war sie möglich.
Service:
Vom 10. bis 12. August 2005 zeigt die Berliner Werkstatt der Kulturen die Workshop-Präsentation "Bagdad - Berlin 2005". Am 13. und 14. August 2005 wird das aus Bagdad mitgebrachte Stück "Phantasie eines Reisenden" von Awatif Naim, das unter Saddam verboten war, im Berliner Maxim Gorki Theater zu sehen sein.