Die edlen Tugenden des Mannes
"The Germans to the front", heißt es wieder vielerorts. Nicht so militant wie einst in Preußen, aber die deutsche Idylle auf der Zuschauertribüne der Weltpolitik ist längst vorbei. Immerhin sei der moderne Soldat im Kern seines Selbstverständnisses ein Kämpfer, so Verteidigungsminister Franz Josef Jung.
Ist es Gleichgültigkeit, wenn Deutsche nicht militärisch auf die Drohungen radikaler Islamisten reagieren? Was ist mit unserer noch sehr jungen Friedenstradition? Und wie weit ist es mit den preußischen Tugenden?
Der Ernstfall ist längst da. Mit dem jüngsten Beschluss des Berliner Kabinetts, die Marine ins nahöstliche Mittelmeer zu schicken, folgt es nur konsequent einen Weg, den die deutsche Politik schon mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan beschritten hatte. Vorbei ist die deutsche Idylle auf der Zuschauertribüne der Weltpolitik: Demnächst werden deutsche Soldaten nicht nur durch Dienstunfälle oder Anschläge sterben, sondern sie werden im Kampf fallen. Über sechzig Jahre nach dem Inferno des von Deutschland ausgelösten Weltkrieges und ein halbes Jahrhundert nach Gründung der Bundeswehr geriert sich Deutschland wieder als Militärmacht. Nicht so furchterregend und militant wie einst, aber immerhin heißt es wieder vielerorts: "The Germans to the front".
Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat schnell den neuen Ton zur nicht mehr ganz neuen Lage gefunden. Auf einer Tagung in Potsdam erklärte er vor Militärhistorikern kurz und bündig, es gelte zu berücksichtigen, dass der moderne Soldat im Kern seines Selbstverständnisses ein Kämpfer sei. Das ist nicht sehr originell, was der Minister da zum Besten gab, aber leider doch eine kaum zu widerlegende Beschreibung der Wirklichkeit. Wenn Jung aber im gleichen Atemzug wieder auf das alte Preußen verweist und in den angeblich großen Militärpersönlichkeiten dieses Staates so etwas wie Traditionsvorbilder für die Bundeswehr heraufbeschwört - dann sollte man aufhorchen.
Preußen ist zwar - wie viel andere Mächte - durch Krieg groß geworden, aber schließlich in einem Inferno untergegangen, weil seine militarisierte Oberschicht nicht auf Diplomatie und Ausgleich setzte, sondern die Entscheidung immer wieder auf dem Schlachtfeld suchte. Friedrich der Große, auf den Jung mit historischer Ungenauigkeit hinweist, hat mit seinem räuberischen Überall auf das Schlesien der Habsburger einen jahrelangen und opferreichen europäischen Krieg heraufbeschworen.
Preußens Generalstabchef Helmut von Moltke - ein weiterer Favorit auf der Traditionsliste des Verteidigungsministers - war zweifellos ein großer Militärstratege, der hohen Anteil an der Bismarckschen Reichseinigung hatte. Aber die drei Kriege, die Bismarck bewusst heraufbeschwor, um Preußens Macht in Deutschland zu zementieren, haben damals Europa nicht befriedet.
Die Triumphe der preußischen Armeen, für die Städtenamen wie Königgrätz oder Sedan stehen, brachten die Deutschen in den folgenden Jahrzehnten vollends um den Verstand. Am Ende stand der millionenfache Mord auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges. Und nur wenig später kam Adolf Hitler.
Wenn jetzt junge deutsche Soldaten auf Anweisung der Politik ihr Leben irgendwo in der Welt riskieren müssen, dann können sie verlangen, dass diejenigen die für ihren Einsatz verantwortlich sind, nicht schwadronieren. Es mag sein, dass wir unsere Sicherheit in Afghanistan verteidigen müssen. Welcher Deutsche könnte zudem gleichgültig auf die permanenten Drohungen radikaler Islamisten und ihrer Geldgeber in Teheran und Damaskus reagieren, die Israels physische Vernichtung fordern?
Aber wer in diesen Tagen wieder preußische Tugenden beschwört, der beweist eigentlich nur, wie sehr er die schreckliche Wahrheit der Kriegsgeschichte verleugnet. Nicht erst George W. Bush hat sein Volk durch Lüge und Betrug in einen Krieg geführt. Die Rechtfertigung von Kriegen war nahezu immer - und ist bis in unsere Tage hinein - der meist erfolgreiche Versuch, die Völker für die Macht- und Wirtschaftsinteressen einer kleinen Elite zu opfern. Den Pathos der Gedenkreden, die Beschwörung von angeblich nur mit Gegengewalt zu verhindernden Vernichtungsbedrohungen, das blinde Freund-Feind-Denken - das sind in der Regel Nebelkerzen mit denen die Politik vor ihren Bürgern die Wirklichkeit zu verbergen versucht.
Wir hatten in den letzten sechzig Jahren das große Glück, dass die gesellschaftliche und machtpolitische Rolle des Militärs in der Bundesrepublik bedeutungslos blieb. Die Politik in diesem Land wurde nicht von Generälen bestimmt. Gerade dies unterscheidet unsere Demokratie vom weiland unseligen Preußen. Berufen sollten wir uns auf unsere noch sehr junge Friedenstradition und nicht auf Männer, deren wankendes Schlachtenglück zum Schicksal so vieler verlorener Generationen geworden war.
Wilhelm von Sternburg, geboren 1939 in Stolp (Pommern), war Fernseh-Chefredakteur des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main. Er lebt jetzt überwiegend in Irland. Sternburg schrieb unter anderem Biografien über Konrad Adenauer, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher "Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie" und "Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne".
Der Ernstfall ist längst da. Mit dem jüngsten Beschluss des Berliner Kabinetts, die Marine ins nahöstliche Mittelmeer zu schicken, folgt es nur konsequent einen Weg, den die deutsche Politik schon mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan beschritten hatte. Vorbei ist die deutsche Idylle auf der Zuschauertribüne der Weltpolitik: Demnächst werden deutsche Soldaten nicht nur durch Dienstunfälle oder Anschläge sterben, sondern sie werden im Kampf fallen. Über sechzig Jahre nach dem Inferno des von Deutschland ausgelösten Weltkrieges und ein halbes Jahrhundert nach Gründung der Bundeswehr geriert sich Deutschland wieder als Militärmacht. Nicht so furchterregend und militant wie einst, aber immerhin heißt es wieder vielerorts: "The Germans to the front".
Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat schnell den neuen Ton zur nicht mehr ganz neuen Lage gefunden. Auf einer Tagung in Potsdam erklärte er vor Militärhistorikern kurz und bündig, es gelte zu berücksichtigen, dass der moderne Soldat im Kern seines Selbstverständnisses ein Kämpfer sei. Das ist nicht sehr originell, was der Minister da zum Besten gab, aber leider doch eine kaum zu widerlegende Beschreibung der Wirklichkeit. Wenn Jung aber im gleichen Atemzug wieder auf das alte Preußen verweist und in den angeblich großen Militärpersönlichkeiten dieses Staates so etwas wie Traditionsvorbilder für die Bundeswehr heraufbeschwört - dann sollte man aufhorchen.
Preußen ist zwar - wie viel andere Mächte - durch Krieg groß geworden, aber schließlich in einem Inferno untergegangen, weil seine militarisierte Oberschicht nicht auf Diplomatie und Ausgleich setzte, sondern die Entscheidung immer wieder auf dem Schlachtfeld suchte. Friedrich der Große, auf den Jung mit historischer Ungenauigkeit hinweist, hat mit seinem räuberischen Überall auf das Schlesien der Habsburger einen jahrelangen und opferreichen europäischen Krieg heraufbeschworen.
Preußens Generalstabchef Helmut von Moltke - ein weiterer Favorit auf der Traditionsliste des Verteidigungsministers - war zweifellos ein großer Militärstratege, der hohen Anteil an der Bismarckschen Reichseinigung hatte. Aber die drei Kriege, die Bismarck bewusst heraufbeschwor, um Preußens Macht in Deutschland zu zementieren, haben damals Europa nicht befriedet.
Die Triumphe der preußischen Armeen, für die Städtenamen wie Königgrätz oder Sedan stehen, brachten die Deutschen in den folgenden Jahrzehnten vollends um den Verstand. Am Ende stand der millionenfache Mord auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges. Und nur wenig später kam Adolf Hitler.
Wenn jetzt junge deutsche Soldaten auf Anweisung der Politik ihr Leben irgendwo in der Welt riskieren müssen, dann können sie verlangen, dass diejenigen die für ihren Einsatz verantwortlich sind, nicht schwadronieren. Es mag sein, dass wir unsere Sicherheit in Afghanistan verteidigen müssen. Welcher Deutsche könnte zudem gleichgültig auf die permanenten Drohungen radikaler Islamisten und ihrer Geldgeber in Teheran und Damaskus reagieren, die Israels physische Vernichtung fordern?
Aber wer in diesen Tagen wieder preußische Tugenden beschwört, der beweist eigentlich nur, wie sehr er die schreckliche Wahrheit der Kriegsgeschichte verleugnet. Nicht erst George W. Bush hat sein Volk durch Lüge und Betrug in einen Krieg geführt. Die Rechtfertigung von Kriegen war nahezu immer - und ist bis in unsere Tage hinein - der meist erfolgreiche Versuch, die Völker für die Macht- und Wirtschaftsinteressen einer kleinen Elite zu opfern. Den Pathos der Gedenkreden, die Beschwörung von angeblich nur mit Gegengewalt zu verhindernden Vernichtungsbedrohungen, das blinde Freund-Feind-Denken - das sind in der Regel Nebelkerzen mit denen die Politik vor ihren Bürgern die Wirklichkeit zu verbergen versucht.
Wir hatten in den letzten sechzig Jahren das große Glück, dass die gesellschaftliche und machtpolitische Rolle des Militärs in der Bundesrepublik bedeutungslos blieb. Die Politik in diesem Land wurde nicht von Generälen bestimmt. Gerade dies unterscheidet unsere Demokratie vom weiland unseligen Preußen. Berufen sollten wir uns auf unsere noch sehr junge Friedenstradition und nicht auf Männer, deren wankendes Schlachtenglück zum Schicksal so vieler verlorener Generationen geworden war.
Wilhelm von Sternburg, geboren 1939 in Stolp (Pommern), war Fernseh-Chefredakteur des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main. Er lebt jetzt überwiegend in Irland. Sternburg schrieb unter anderem Biografien über Konrad Adenauer, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher "Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie" und "Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne".

Wilhelm von Sternburg© privat