"Die einzige Lösung ist, sich als Künstler von den alten Systemen zu trennen"

Tim Renner im Gespräch mit Frank Meyer |
Die Plattenfirmen haben die Digitalisierung der Musik verschlafen, der Musikmarkt hat im vergangenen Jahrzehnt die Hälfte seiner Größe eingebüßt. Doch das muss nicht unbedingt zum Schaden der Künstler sein, meint der Musikmanager Tim Renner. Es gibt Wege, diese Veränderungen zu nutzen - auch für kleine Künstler.
Frank Meyer: Die Musikindustrie hatte richtig schwere Zeiten in den letzten Jahren. Der CD-Markt ist nach unten gerauscht, massenhaft illegale Downloads haben die Kassen belastet, und die Labels selbst haben sich mit immer neuen rasch auf den Markt geworfenen kommerziellen Bandprojekten auch nicht so richtig einen Gefallen getan. Ein Musikmanager, Tim Renner, der scheint jetzt aber sehr viel bessere Zeiten heraufdämmern zu sehen, die beschreibt er in seinem Buch "Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten".

"Trümmer" von Die Sterne: Aus dem Song hat sich Tim Renner den Titel für sein neues Buch geborgt, Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten". Und das ist eins von zwei neuen Büchern über das Musikgeschäft. Interessant ist, dass diese beiden Bücher die Lage komplett unterschiedlich beurteilen. Der Konzertagent Berthold Seliger, der hat gerade seine Agentur geschlossen aus Frust über die Herrschaft des Kommerzes über die ganze Konzertszene, und er rechnet in einem sehr grantigen Buch ab mit der Musikindustrie. Aber nicht grantig, sondern geradezu fröhlich schaut der Musikmanager Tim Renner auf die Lage der Musikindustrie. Gestern ist sein neues Buch erschienen, und er ist hier bei uns im Studio. Herzlich willkommen!

Tim Renner: Hallo!

Meyer: Warum sind Sie denn so fröhlich im Blick auf die Lage der Musikindustrie?

Die Digitalisierung ignoriert
Renner: Na, ich glaub, wir haben schon teilweise das hinter uns, was Seliger und Co. noch vor sich haben. Also, die Musikindustrie in Form von Plattenfirmen, die hat es zuerst getroffen. Die hat wacker die Digitalisierung ignoriert, die Möglichkeiten, die man plötzlich hatte durch Downloads und Streams, daraus viel zu spät ein Geschäftsmodell gemacht, und dadurch hat sie grandios an Masse verloren. Man muss sich vorstellen, der Weltmusikmarkt ist zwischen 2001 und 2011, in zehn Jahren, um 50 Prozent gefallen. Mittlerweile steigt er wieder. Insofern haben wir zwar Trümmer, aber wir haben wieder jetzt das Gefühl, es geht aufwärts, man kann seinen Leidenschaften nachgehen, deshalb der Sex, und man kann träumen von einer Zukunft, und wir denken wieder nach vorne. Wir merken bei meiner eigenen Firma, die sich mehr darauf spezialisiert hat, Künstlern Dienstleister zu sein, denen zu helfen, Platten zu veröffentlichen, keine klassische Plattenfirma mehr zu sein, dass wir eher mehr Leute anstellen. Insofern ist es bei uns genau die Gegenbewegung zu dem, was der Kollege Seliger leider jetzt gerade anfängt, im Konzertbereich zu erleben.

Meyer: Aber kommen Sie an der Kommerzialisierung des ganzen Betriebes vorbei? Sie erwähnen auch ein Beispiel, das fand ich sehr eindrücklich. Bob Dylan, also der hat es ja eigentlich nicht nötig, noch groß Werbung zu machen, Marketing und so weiter, aber der verkauft seine Musik auch über den Kaffeeriesen Starbucks. Wenn selbst Bob Dylan solche Wege geht, dann muss doch da schon ganz schön was im Argen liegen im Markt?

Renner: Ich glaube, einem Bob Dylan geht es am Ende darum, sein Publikum zu erreichen und eben halt möglichst einfach zu Ihnen und zu mir zu kommen als Leuten, von denen er will, dass sie ihm zuhören. Und dabei ist es doch eigentlich, da bin ich relativ entspannt, schnuppe, ob er einen traditionellen Vertriebsweg nimmt oder einen sogenannten non-traditional Outlet wie einen Kaffeehändler. Er hat den Kaffeehändler gewählt, weil da jeder mal rein- oder rausgeht. Und dazu muss ich nur angucken die Lage in Amerika: In Amerika haben wir mittlerweile über 50 Prozent Download und Streams, die finden ja noch ganz normal mit dem Bob-Dylan-Album statt, und, wie gesagt, halt unter 50 Prozent physische Tonträger. Es gibt da kaum mehr Plattenläden. Dagegen ist Deutschland mit seinen Strukturen, Elektromärkten noch eher selig.

Meyer: Aber wenn man solche Wege geht, gut, Bob Dylan hat das sicher nicht mehr nötig, dann vielleicht auf Ansprüche, Bedürfnisse von Starbucks einzugehen. Aber wenn man jetzt mal an junge Bands denkt, die solche Vertriebswege brauchen, deformiert das nicht auch deren Musik, fängt man da nicht an zu denken, wie mache ich Musik, die zu diesen Vertriebswegen passt?

Heute ist die künstlerische Qualität höher
Renner: Nee, ich glaube, der Gedanke an den Vertriebsweg ist deutlich geringer ausgeprägt als die Intervention, die es früher klassisch von demjenigen gab, der die eigentliche Macht, nämlich das Geld und die Maschine hatte. Das war die Plattenindustrie. Das, was Seliger in seinem Buch beklagt, ist ja, dass plötzlich solche industriellen Formen, solche Großkonzerne, die an der Börse notiert sind, den Live-Markt beherrschen und beginnen, in das Werk und die Aufführungsform rein zu pfuschen. Das hat die Musikindustrie lange hinter sich. In der Musikindustrie war es schon in den späten 80ern, Anfang der 90er so, dass, bedingt durch den kommerziellen Erfolg der CD plötzlich die Plattenfirmen wuchsen, an die Börse gingen, in Quartalszahlen dachten und eben halt ganz massiv angefangen haben, den Künstlern auch ins Werk rein zu pfuschen. Da ist mir, so absurd das vielleicht hier für den Hörer klingen mag, ein Starbucks oder ein anderer Kaffee- oder Sonst-was-Händler lieber, der nur ein Vertriebsweg ist als eine Plattenfirma, die plötzlich mit dem Anspruch, ich hab ja Ahnung von Musik, dem Künstler reinredet, wie seine Musik zu klingen hat. Und da, glaube ich, ist heute trotz solcher merkwürdiger Vertriebswege die Freiheit und die künstlerische Qualität höher.

Meyer: Aber Plattenfirmen gibt es doch nach wie vor. Halten die sich heute vornehm zurück oder sind sie einfach so gesundgeschrumpft, dass sie sich deshalb nicht mehr so stark einmischen? Was machen dann die Plattenfirmen heute?

Renner: Einerseits haben die Plattenfirmen schon an Macht und Gewicht verloren. Wie gesagt, der Markt hat sich halbiert und somit eben halt auch und sind nicht mehr unbedingt die großen Plattenfirmen, die den Ton setzen. Die ganz großen deutschen Künstler, die ganz erfolgreichen, machen eh schon alles selbst, vorbei an den Plattenfirmen. Xavier Naidoo macht das, die Toten Hosen machen das, die Ärzte machen das, Westernhagen macht das, und, und, und. Also, das sind alles Leute, die schon unabhängig ihre Karriere anpacken und eher freie Teams organisieren, die ihnen dann helfen, und vielleicht die großen Plattenfirmen noch als Vertriebskanal nutzen. Ganz viele kleine Künstler haben gar keine Chance, weil die Plattenfirmen heutzutage viel kleinere Etats haben, und packen ihre Karriere selbst an im Digitalen, veröffentlichen sich selbst, teilweise nicht mal physisch, sondern sind dann eben halt nur auf iTunes und Co. zu haben. Denn inzwischen die Plattenfirmen sind, wie Sie richtig sagen, dünner besetzt und haben teilweise gar nicht mehr die zeitliche Möglichkeit, so richtig dazwischen zu pfuschen.

Meyer: Insofern war die Krise ganz gut für die Musik, für das Musikleben?

Kopf hoch trotz Krise!
Renner: Ja! Krisen haben auch ihr Gutes. Krisen haben natürlich immer was Reinigendes auch, was neu Definierendes. Und nach jeder Krise geht es weiter, und insofern würde ich auch meinem Kollegen Berthold sagen: Kopf hoch!

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Tim Renner über sein Buch "Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten". Zusammen mit Sara Wächter hat er dieses Buch geschrieben über die Zukunft der Musikindustrie. Sie führen da ein Beispiel an, Rammstein, diese Band mit ihrem Manager zusammen. Das scheint mir in die Richtung zu gehen, die Sie gerade beschrieben haben, dass sich eine Band einen sehr eigenwilligen Manager sucht und damit seinen Weg macht, ja enorm erfolgreich im Fall von Rammstein, und die Musikindustrie mit ihren Strukturen da eigentlich viel weniger wichtig ist. Ist da Rammstein das leuchtende Beispiel?

Renner: Rammstein ist hier ein sehr, sehr gutes Beispiel, zumal – welche deutsche Band hat dann, auch noch deutschsprachig, einen solchen globalen Erfolg jemals geschafft? Das ist, glaube ich, jetzt auch die Band, die aus Deutschland heraus die meisten Platten weltweit verkauft. Und die haben sich eine Struktur aufgebaut, die sehr, sehr stimmig ist. Das sind – wie sagt so schön Paul von Rammstein in dem Buch selbst: "Drei Jungs aus Schwerin, die keine Angst davor haben, in die Steckdose zu fassen, und drei Jungs aus Berlin, die wissen, was dann passiert." Und dazu haben sie eben halt noch einen Manager gehabt mit Emanuel Fialik, über 17 Jahre lang nur auf einen Handschlag-Deal, der besessen ist von Musik. Der Mann ist Gesangslehrer, und dazu kommt auch noch seine Historie. Der ist Sohn eines Nigerianers und einer polnischen Katholikin, und als solcher hat der auch gar keine Angst gehabt vor diesem ganzen Thema Deutschtümeln. Weil wenn der irgendwo auftauchte, war völlig klar, das kann gar kein Deutsch-Nationaler sein, so wie er aussieht.

Meyer: Wenn man in die Zukunft schaut, da scheint eine Sache das ganz große Ding zu werden, zum Teil schon zu sein, nämlich Streaming-Dienste. Und da wurde ich doch etwas skeptisch auch in Bezug auf die positiven Ausblicke, die Sie immer wieder ansprechen. Also, das wird sehr weit nach vorne gebracht, Streaming-Dienste, es gibt ganz viele, Spotify ist der Markführer. Aber es gibt immer mehr Künstler, die sich melden und sagen, für uns ist das eigentlich eine Katastrophe. David Byrne, ja kein Unbekannter, hat gesagt, diese Streaming-Dienste, das, was für uns Künstler dabei rumkommt, das ist eigentlich ein Desaster und für die gesamte Kreativindustrie auch. Also, wie können Sie Ihre positiven Ausblicke angesichts dieser Aussagen aufrechterhalten.

Auch beim Streaming kommt wenig bei den Künstlern an
Renner: Wenn alte Systeme auf neue Technologien treffen, entsteht in der Regel erst mal Schaden. Das Problem, was wir hier haben, ist, David Byrne ist noch ganz klassisch bei einer Plattenfirma unter Vertrag. Und insofern kriegt er genau die negative Seite mit. Spotify, der Marktführer, ist ein schönes Beispiel. Da kommen zwei Faktoren zusammen. Zum einen, 18 Prozent von Spotify gehören den sogenannten Major Companies, den großen Plattenfirmen. Die wurden erpresst, damit Spotify überhaupt die Recht bekam. Wenn Spotify mal für vielleicht zehn Milliarden verkauft wird an der Börse, ist schwer zu bezweifeln, dass die 1,8 Milliarden, die somit unter den drei großen Plattenfirmen landen werden, jemals an die Künstler ausgezahlt werden. Also hier werden die Künstler im Endeffekt verarscht von den alten Systemen. Dasselbe passiert Byrne und Co. bei den einzelnen Stream-Abrechnungen. Weil, die werden so abgerechnet wie früher eine Schallplatte, also auf den sogenannten Händlerabgabepreis. Aber da ist drin die Presskosten für die Schallplatte, da ist drin Rabatte, Boni, Discounts, da ist drin die Gema-Gebühren. All das entfällt bei Spotify, das heißt, der Gewinn für die Plattenfirma ist viel, viel höher, das Einkommen für den Künstler ist viel, viel geringer. Die einzige Lösung besteht darin, sich als Künstler von den alten Systemen zu trennen.

Meyer: Aber welche Chance hat man als Künstler, an diesen Streaming-Diensten heute vorbeizukommen?

Renner: An den Streaming-Diensten kommt man nicht vorbei, aber man kommt an der Plattenfirma vorbei. Also sie müssen an sich, wie der Amerikaner sagen würde, cutting of the middleman. Sie müssen diesen merkwürdigen Mitesser, der früher für sie ein zwingender Mittler war, den müssen sie umgehen, mit dem müssen sie einen Deal finden.

Meyer: "Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten", so heißt das Buch, in dem Tim Renner über solche Fragen nachdenkt, über die Gegenwart und die Zukunft der Musikindustrie schreibt, gemeinsam mit Sarah Wächter hat er das getan. Das Buch ist im Berlin-Verlag erschienen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Renner: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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