Die Energie eines Dorfes
Steigende Öl- und Gaspreise werden die Bevölkerung von Jühnde ab Herbst kalt lassen. Dann ist das 800-Seelen-Dorf Deutschlands erster energetischer Selbstversorger. Strom und Wärme werden komplett aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt. Weitere Energie liefert ein Holzkraftwerk, das seinen Rohstoff aus den umliegenden Wäldern bezieht.
Alle Anlagen werden als Genossenschaftsmodell betrieben, Chef ist der örtliche Bürgermeister. Der ländliche Raum wird zur Energiekammer der Zukunft. In Zeiten steigender Energiepreise ist das Jühnder Modell gefragt. Delegationen aus Japan, den USA, Dänemark und Spanien pilgern in das beschauliche niedersächsische Dörfchen.
Eine mächtige Natursteinkirche, gepflegte Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert, zwei behutsam an den Ortskern angeschlossene Neubaugebiete - das südniedersächsiche 780-Einwohner-Dorf Jühnde ist ein wahres Schmuckstück. Eingebettet in eine hügelige Landschaft mit Weiden, Feldern und Wäldern. Es gibt hier ein paar kleine Gewerbe- und Handwerksbetriebe. Und zehn Bauernhöfe. Mit insgesamt 400 Milchkühen und 1500 Schweinen.
Zur Zeit ist das sonst so idyllische Jühnde allerdings eine große Baustelle. Fast alle Strassen werden aufgerissen. Fernwärme-Rohre verlegt: Die Infrastruktur für das "Bioenergiedorf"
"Bioenergiedorf? ... Wir sind das erste und einzige Dorf in Deutschland was ... unabhängig von EON und den anderen Energieversorgern ist. Wir machen unsere eigene Energieversorgung durch Biogas. "
Bäckermeister Jürgen Kramer ist mächtig stolz auf sein Dorf. Und die neue Unabhängigkeit. In Kürze will er seine alte Ölheizungen verschrotten, die in den letzten Jahren immer mehr Geld verbrannt hat.
"Die wird demontiert... den Heizkessel schmeiß ich raus. Und ich bin ganz sicher, dass ich im September, dass wir das mit der neuen Energie anfangen können. "
Im Herbst sollen die Bauarbeiten fertig sein. Jühndes Strom und Wärmebedarf aus dem neuen Biokraftwerkspark gedeckt werden, der gerade am Rande des Dorfes entsteht.
Eine Fußballfeld große Baustelle inmitten üppiger Mais- und Getreidefelder. Einige Bauten stehen schon: Drei riesige runde Tanks aus grauem Beton. Eine Rampe mit Wiegestation, Lagerbunker für geerntete Energiepflanzen. Ein Trafohäuschen. Daneben vorbereitete Bauflächen für die Kraftwerkstechnik.
Fangmeyer: "Wir bauen ja hier so ein ganzes Energiekonzept, ne. Mit Stromerzeugung mit Wärmeerzeugung, das Dorf wird angeschlossen, ne. Die Wärme genutzt. "
Besucher: "Hat sich eigentlich das Dorf voll angeschlossen? "
Fangmeyer: "Siebzig Prozent, siebzig Prozent. "
Besucher: "Und damit kommt die Rechnung klar? "
Fangmeyer: " Genau! "
Eckhard Fangmeyer ist erster Vorsitzender der genossenschaftlichen Betreibergesellschaft "Bioenergiedorf Jühnde". Gerade erklärt er zwei Besuchern aus Hamburg, was hier, am Rande des Dorfes, entsteht.
Fangmeyer: "Wir haben hier vier Komponenten die Energie erzeugen: Biogasanlage, das Holzhackschnitzel-Heizwerk. Noch ein Spitzenlastkessel, der allein in der Lage ist das Dorf zu versorgen. Und noch einen Wärmepuffer von 100 Kubikmeter heißem Wasser... "
Alle für die Kraftwerke benötigten Energierohstoffe kommen aus der örtlichen Land- und Forstwirtschaft, erläutert Dorfbewohner Fangmeyer den staunenden Großstädtern. Rinder- und Schweinegülle und Ackerpflanzen werden zu Methangas vergoren, das dann zur Stromerzeugung in der Biogasanlage eingesetzt wird. Die Abwärme der Anlage wird zum Heizen des Dorfes benutzt. Das zusätzliche Holzschnitzel-Heizwerk wird mit Holzabfälle aus den umliegenden Wäldern befeuert.
Ruppert: "Wir wissen, wie wir aus Biomasse Wärme und Strom machen können und aus Holz Wärme machen können, das sind uralte Techniken. "
Sagt Hans Ruppert, Professor für Geowissenschaften an der Universität Göttingen. Und Leiter des dortigen "Interdisziplinären Zentrums für nachhaltige Entwicklung". Vor fünf Jahren haben die Göttinger Wissenschaftler das Projekt "Bioenergiedorf" "angestoßen". Als eine Art Freilandversuch für eine dörfliche Komplettversorgung mit umwelt- und klimaverträglicher Bioenergie.
Ruppert: "Die wichtige wissenschaftliche Fragestellung ist, wie können wir das hinkriegen in anderen Dörfern, dass die Menschen zu der Einsicht kommen: Jetzt ist die richtige Zeit zu agieren. Und zwar nicht von uns vorgeschrieben, sondern aus einer eigenen Erkenntnis heraus. Aus der Erkenntnis, ja wir müssen jetzt was tun, damit es unsere Kinder auch noch gut haben. "
Das Göttinger Forschungsteam besteht aus Geo- und Agrarwissenschaftlern, Ökonomen, Soziologen und Psychologen. Im Jahr 2000 begann es zunächst mit einer Ausschreibung im ländlichen Umfeld von Göttingen. Viele Dörfer zeigten Interesse, aber nur eines konnte für das Bioenergiedorf-Projekt ausgewählt werden. Die wichtigsten Auswahl-Kriterien: Erstens, es muß genug Landwirte geben, die als Energiewirte die notwendigen Rohstoffe produzieren. Und zweitens: Die Dorfbevölkerung muß voll dahinter stehen und bereit sein, ihre Energieversorgung selbst mit zu organisieren. So stießen die Forscher auf Jühnde und seinen Bürgermeister August Brandenburg.
"Da wollte man eben dem Gemeinderat das vorstellen. Und das habe ich so nicht gemacht. Ich habe gesagt: ich lade gleich das ganze Dorf ein …"
August Brandenburg ist 75 Jahre alt. Aber immer noch voller Energie. Vor allem, wenn es um die Zukunft seines Dorfes geht.
"Da habe ich das ganze Dorf eingeladen, das war im Januar 2001, da waren 120 Leute da und da haben die das von der Uni da vorgestellt. Und da habe ich abgefragt, wollen wir mehr davon wissen und da haben sie gesagt, ja das ist ganz interessant hier, da wollen wir mehr von wissen. "
Das Interesse der Jühnder an der Bioenergie war groß. Nicht nur bei den alteingesessenen Landwirten. Auch bei den zugezogenen, von denen viele im nahen Göttingen arbeiten. Aber auf die bunten Grafiken und guten Argumente der Wissenschaftler allein wollten die Dorfbewohner sich nicht verlassen. Und beschlossen kurzerhand, sich selbst zu informieren über den Stand der Bioenergie-Technik. Bürgermeister Brandenburg organisierte einen Reisebus.
"Dann sind wir nach Österreich gefahren, haben uns noch welche angeschaut, nach Baden-Würtemberg, an die holländische Grenze gefahren und, und, und ... "
Die moderne Technik zur Strom und Wärmeerzeugung aus Gülle, Energiepflanzen und Holz funktioniert, davon konnten sich die Jühnder überzeugen. Aber noch nirgendwo gab ein ganzes Dorf, das sich ausschließlich mit Strom und Wärme aus eigener Biomasse versorgt. Kann das wirklich funktionieren? Und was soll das alles kosten? Umfangreiche und teure Voruntersuchungen würden nötig werden, um das zu klären. Dafür gäbe es staatliche Fördermittel, versprachen die Göttinger Wissenschaftler den Jühndern. Aber nur, wenn sie zehn Prozent der Kosten aus eigener Tasche bezahlen. Eine Summe von immerhin vierzigtausend Euro war das, erinnert sich der Bürgermeister.
"Wir haben sie zusammengekriegt. Immer mit dem Hinweis darauf, es ist Risikokapital. Wenn wir nicht bauen ist das Geld weg. Wenn wir bauen, kriegt ihr das Geld wieder, bzw. wird euch angerechnet. Und trotzdem haben wir es gekriegt. Kleinere Beträge aber auch etwas größere Beträge. "
Die Planungen für das Bioenergiedorf konnten beginnen. Gesteuert nicht durch eine Behörde oder eine Projektgesellschaft, sondern vor allem von den Jühndern selber. Unter Anleitung der Göttinger Wissenschaftler bildeten sich eine Reihe von Arbeitsgruppen. Ähnlich wie in einem Uni-Seminar. Eine Arbeitsgruppe im Dorf kümmerte sich um die Planung der Biokraftwerksanlagen, eine um das Fernwärmenetz, eine weitere um die landwirtschaftliche Rohstoffversorgung. Mit den örtlichen Bauern wurde ein Preis für die zukünftig zu liefernden Energiepflanzen ausgehandelt und in Vorverträgen festgelegt. Dieser orientiert sich am Weltmarkt-Preis für Weizen. Und ist für die Landwirte sehr interessant, weil beim notwendigen Anbau von Energiepflanzen auf etwa 300 Hektar die Kosten für Kunstdünger und teure Pflanzenschutzmittel weitgehend entfallen. Zusammen mit der Gülle von Schweinen und Kühen, so war schnell klar, könnte das Bioenergiedorf Jühnde ausreichend Wärme und sogar einen kräftigen Überschuss an elektrischen Strom erzeugen.
Ende 2002 war die umfangreiche Planungs- und Genehmigungsphase für das Bioenergiedorf abgeschlossen. Nun wollten die Jühnder endlich loslegen, so bald wie möglich den Kraftwerkspark und das Fernwärmenetz bauen. Und sich als genossenschaftliche Energieversorger selbstständig machen. Den Kraftwerkspark könnten sie aus den Einnahmen für Strom und Wärme selbst finanzieren, hatten die Dörfler zusammen mit den Wissenschaftlern berechnet. Nicht aber die circa drei Millionen Euro für die Verlegung eines Fernwärme-Netzes. Das ging nur mit staatlichen Fördermitteln, die ihnen zu Beginn des Projektes in Aussicht gestellt worden waren. Doch nun zeigte man sich im zuständigen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft plötzlich ziemlich zugeknöpft, erinnert sich Bürgermeister Brandenburg.
"Die hatten nun schon viel Geld ausgegeben für die Machbarkeitsstudie. Und dann wollten sie so ungefähr: die Schublade auf und da reinpacken, ne. Die zweifelten dadran, dass wir das hinkriegen. Das war der Hintergrund und das haben die uns auch deutlich zu verstehen gegeben. Wie soll ich sagen, also die haben uns so ein bißchen "vom Dorf" angesehen. Und naja, das haben wir uns nicht bieten lassen. "
Nun waren die Beziehungen der Wissenschaftler und der Uni Göttingen gefragt. Sie gefragt: Sie halfen den Jühndern einen prominenten Schirmherren für das Projekt zu suchen. Einen, der politisch Druck machen könnte. Und fanden dafür den renommierten Umweltforscher und Bundestagsageordneten Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Gleichzeitig mobilisierte Bürgermeister Brandenburg sein ganzes Dorf. Um den Berliner Bedenkenträgern möglichst viele Anschlusswillige für ein Bioenergie-Fernwärmenetz präsentieren zu können.
"Wir haben Straßenversammlungen gemacht. Wir haben Dorfversammlungen gemacht. Einzelgespräche, sind zu den Leuten hingegangen. Wir wollten ja auch wissen, ... von denen die nicht anschließen, warum wollt ihr nicht anschließen, sind wir da nicht intensiv genug gewesen oder nicht deutlich genug usw. "
Die Fernwärme aus den Biogas- und dem Holzschnitzelkraftwerk soll den Jühndern nicht teuerer kommen als die bisherige Heizung mit privaten Öl- und Gas. Das war die Ausgangskalkulation bei Beginn des Projektes im Jahr 2001. Für die meisten Dorfbewohner war das aber nur einer von mehreren Gründen, beim Bioenergiedorf mitzumachen. Wie zum Beispiel bei Familie Ludwig:
"Dass man wirklich ne saubere Art der Energiegewinnung hat und das man hier die Region unterstützen kann. Auch unsere Bauern unterstützen hier man kann der Region auch mal was Gutes tun, denn das Geld, was wir später dann mal zahlen bleibt ja dann auch hier. "
Rund 300.000 Euro pro Jahr bezahlen die Jühnder bisher für das Öl und Flüssiggas ihrer Heizungen. Geld das in Zukunft nicht in ferne Öl- oder Gaslieferländer fließen wird, sondern in den örtlichen Wirtschaftskreislauf des Bioenergiedorfes. Ein paar tausend Euro pro Haushalt könnten für die Umrüstung auf die Fernwärme aus den Biokraftwerken allerdings fällig werden, darauf hatte der Bürgermeister alle Anschlusswilligen hingewiesen. Aber auch diese Hürde wollen die meisten Dorfbewohner nehmen. Und zwar in eigener Regie, sagt August Brandenburg.
"Hier haben wir auch ne Bank angesprochen, zwei Banken, die haben hier so ne Sonderauflage gemacht für Biokunden, ich glaube 3,2 Prozent bis zu 10.000 Euro, länger laufende Kredite. Um den Leuten das ein bißchen einfacher zu machen. "
Trotz aller Bemühungen: Nicht alle Jühnder wollten sich von den Vorteilen der bioenergetischen Selbstversorgung überzeugen lassen. Es habe viele hitzige Diskussionen um die Bioenergie gegeben, sagt der Bürgermeister. Auf Dorffesten und Geburtstagsfeiern. Manchmal habe sogar schlichtend eingreifen müssen.
"So dass nicht so ein Riss hier durchs Dorf geht. Das sind die guten, die mitmachen und die anderen sind die schlimmen. "
Aber eines habe er klargestellt. Die Mehrheit des Dorfes steht hinter der Idee einer eigenständigen Energieversorgung. Und die Minderheit sollte das akzeptieren.
"Ja, wenn einer nicht anschließen will, dann braucht er sich auch nicht drüber aufregen, ob das gut ist oder nicht gut ist. "
Mitte letzen Jahres fällt in Berlin dann endlich die Entscheidung: Die Jühnder bekommen das Geld für das Bioenergie-Fernwärmenetz komplett aus staatlichen Fördermitteln. Im November 2004 kommen dann Verbraucherministerin Künast und Umweltminister Trittin in das südniedersächsiche Dorf, machen den ersten Spatenstich. Es folgt ein langer Winter. Der Beginn der Bauarbeiten verzögert sich noch einmal. Aber im Frühjahr dieses Jahres kann es endlich losgehen.
Bauleiter: " Eine Vorgrube, ein Fermenter und ein Zwischenlagerbehälter. Diese dreigroßen Behälter in Spannbetonbauweise sehen sie hier. "
Eine 20-köpfige Besuchergruppe aus Südkorea besichtigt die Bauarbeiten im Bioenergiedorf Jühnde. Die Koreaner interessieren sich für neue Konzepte einer klimaverträglichen Energiezeugung. Delegationen aus Japan und Kanada waren auch schon hier. Die Interessenten kämen aus aller Welt und es werden immer mehr, freut sich Professor Hans Ruppert, der Initiator und wissenschaftliche Leiter des Bioenergiedorf-Projektes in Jühnde.
"Als wir gesagt haben: Ihr kriegt bestimmt ne Menge Touristen haben sie alle lauthals gelacht und jetzt wissen sie gar nicht, wie sie die Touristen in den Griff kriegen sollen. Da lassen sich jetzt 16 Leute hier ausbilden, Touristenführer zu machen. "
In Jühnde geht es aber nicht nur um den Umwelt- und Klimaschutz. Das Projekt zeigt, wie sich der ländliche Raum genossenschaftlich organisieren und gleichzeitig die regionale Wirtschaft wieder beleben kann. Demnächst sogar ohne staatliche Hilfe, wie Eckhard Fangmeyer von der Bioenergiedorf-Genossenschaft den Besuchern in Jühnde erläutert.
Besucher: " Sie werden aber ohne Zuschüsse so ne Sache nicht bauen können. "
Fangmeyer: " Doch! "
Besucher: " Ja?! Ohne Zuschüsse ? "
Fangmeyer: "Und zwar: ... Wir haben eine Investitionsrechnung gemacht auf der Basis 35 Cent Heizölpreis. Und wenn jetzt ein nächstes Dorf, das haben möchte, dann haben sie ja ganz andere Energiekosten. Denn dann würde die Vollkostenrechnung ja auf 50 Cent Heizöl gemacht werden heute. "
Im September soll alles fertig gebaut und angeschlossen sein. Dann kann der Winter kommen. Und die Jühnder können gelassen bleiben, trotz immer weiter ansteigender Öl- und Gaspreise.
Eine mächtige Natursteinkirche, gepflegte Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert, zwei behutsam an den Ortskern angeschlossene Neubaugebiete - das südniedersächsiche 780-Einwohner-Dorf Jühnde ist ein wahres Schmuckstück. Eingebettet in eine hügelige Landschaft mit Weiden, Feldern und Wäldern. Es gibt hier ein paar kleine Gewerbe- und Handwerksbetriebe. Und zehn Bauernhöfe. Mit insgesamt 400 Milchkühen und 1500 Schweinen.
Zur Zeit ist das sonst so idyllische Jühnde allerdings eine große Baustelle. Fast alle Strassen werden aufgerissen. Fernwärme-Rohre verlegt: Die Infrastruktur für das "Bioenergiedorf"
"Bioenergiedorf? ... Wir sind das erste und einzige Dorf in Deutschland was ... unabhängig von EON und den anderen Energieversorgern ist. Wir machen unsere eigene Energieversorgung durch Biogas. "
Bäckermeister Jürgen Kramer ist mächtig stolz auf sein Dorf. Und die neue Unabhängigkeit. In Kürze will er seine alte Ölheizungen verschrotten, die in den letzten Jahren immer mehr Geld verbrannt hat.
"Die wird demontiert... den Heizkessel schmeiß ich raus. Und ich bin ganz sicher, dass ich im September, dass wir das mit der neuen Energie anfangen können. "
Im Herbst sollen die Bauarbeiten fertig sein. Jühndes Strom und Wärmebedarf aus dem neuen Biokraftwerkspark gedeckt werden, der gerade am Rande des Dorfes entsteht.
Eine Fußballfeld große Baustelle inmitten üppiger Mais- und Getreidefelder. Einige Bauten stehen schon: Drei riesige runde Tanks aus grauem Beton. Eine Rampe mit Wiegestation, Lagerbunker für geerntete Energiepflanzen. Ein Trafohäuschen. Daneben vorbereitete Bauflächen für die Kraftwerkstechnik.
Fangmeyer: "Wir bauen ja hier so ein ganzes Energiekonzept, ne. Mit Stromerzeugung mit Wärmeerzeugung, das Dorf wird angeschlossen, ne. Die Wärme genutzt. "
Besucher: "Hat sich eigentlich das Dorf voll angeschlossen? "
Fangmeyer: "Siebzig Prozent, siebzig Prozent. "
Besucher: "Und damit kommt die Rechnung klar? "
Fangmeyer: " Genau! "
Eckhard Fangmeyer ist erster Vorsitzender der genossenschaftlichen Betreibergesellschaft "Bioenergiedorf Jühnde". Gerade erklärt er zwei Besuchern aus Hamburg, was hier, am Rande des Dorfes, entsteht.
Fangmeyer: "Wir haben hier vier Komponenten die Energie erzeugen: Biogasanlage, das Holzhackschnitzel-Heizwerk. Noch ein Spitzenlastkessel, der allein in der Lage ist das Dorf zu versorgen. Und noch einen Wärmepuffer von 100 Kubikmeter heißem Wasser... "
Alle für die Kraftwerke benötigten Energierohstoffe kommen aus der örtlichen Land- und Forstwirtschaft, erläutert Dorfbewohner Fangmeyer den staunenden Großstädtern. Rinder- und Schweinegülle und Ackerpflanzen werden zu Methangas vergoren, das dann zur Stromerzeugung in der Biogasanlage eingesetzt wird. Die Abwärme der Anlage wird zum Heizen des Dorfes benutzt. Das zusätzliche Holzschnitzel-Heizwerk wird mit Holzabfälle aus den umliegenden Wäldern befeuert.
Ruppert: "Wir wissen, wie wir aus Biomasse Wärme und Strom machen können und aus Holz Wärme machen können, das sind uralte Techniken. "
Sagt Hans Ruppert, Professor für Geowissenschaften an der Universität Göttingen. Und Leiter des dortigen "Interdisziplinären Zentrums für nachhaltige Entwicklung". Vor fünf Jahren haben die Göttinger Wissenschaftler das Projekt "Bioenergiedorf" "angestoßen". Als eine Art Freilandversuch für eine dörfliche Komplettversorgung mit umwelt- und klimaverträglicher Bioenergie.
Ruppert: "Die wichtige wissenschaftliche Fragestellung ist, wie können wir das hinkriegen in anderen Dörfern, dass die Menschen zu der Einsicht kommen: Jetzt ist die richtige Zeit zu agieren. Und zwar nicht von uns vorgeschrieben, sondern aus einer eigenen Erkenntnis heraus. Aus der Erkenntnis, ja wir müssen jetzt was tun, damit es unsere Kinder auch noch gut haben. "
Das Göttinger Forschungsteam besteht aus Geo- und Agrarwissenschaftlern, Ökonomen, Soziologen und Psychologen. Im Jahr 2000 begann es zunächst mit einer Ausschreibung im ländlichen Umfeld von Göttingen. Viele Dörfer zeigten Interesse, aber nur eines konnte für das Bioenergiedorf-Projekt ausgewählt werden. Die wichtigsten Auswahl-Kriterien: Erstens, es muß genug Landwirte geben, die als Energiewirte die notwendigen Rohstoffe produzieren. Und zweitens: Die Dorfbevölkerung muß voll dahinter stehen und bereit sein, ihre Energieversorgung selbst mit zu organisieren. So stießen die Forscher auf Jühnde und seinen Bürgermeister August Brandenburg.
"Da wollte man eben dem Gemeinderat das vorstellen. Und das habe ich so nicht gemacht. Ich habe gesagt: ich lade gleich das ganze Dorf ein …"
August Brandenburg ist 75 Jahre alt. Aber immer noch voller Energie. Vor allem, wenn es um die Zukunft seines Dorfes geht.
"Da habe ich das ganze Dorf eingeladen, das war im Januar 2001, da waren 120 Leute da und da haben die das von der Uni da vorgestellt. Und da habe ich abgefragt, wollen wir mehr davon wissen und da haben sie gesagt, ja das ist ganz interessant hier, da wollen wir mehr von wissen. "
Das Interesse der Jühnder an der Bioenergie war groß. Nicht nur bei den alteingesessenen Landwirten. Auch bei den zugezogenen, von denen viele im nahen Göttingen arbeiten. Aber auf die bunten Grafiken und guten Argumente der Wissenschaftler allein wollten die Dorfbewohner sich nicht verlassen. Und beschlossen kurzerhand, sich selbst zu informieren über den Stand der Bioenergie-Technik. Bürgermeister Brandenburg organisierte einen Reisebus.
"Dann sind wir nach Österreich gefahren, haben uns noch welche angeschaut, nach Baden-Würtemberg, an die holländische Grenze gefahren und, und, und ... "
Die moderne Technik zur Strom und Wärmeerzeugung aus Gülle, Energiepflanzen und Holz funktioniert, davon konnten sich die Jühnder überzeugen. Aber noch nirgendwo gab ein ganzes Dorf, das sich ausschließlich mit Strom und Wärme aus eigener Biomasse versorgt. Kann das wirklich funktionieren? Und was soll das alles kosten? Umfangreiche und teure Voruntersuchungen würden nötig werden, um das zu klären. Dafür gäbe es staatliche Fördermittel, versprachen die Göttinger Wissenschaftler den Jühndern. Aber nur, wenn sie zehn Prozent der Kosten aus eigener Tasche bezahlen. Eine Summe von immerhin vierzigtausend Euro war das, erinnert sich der Bürgermeister.
"Wir haben sie zusammengekriegt. Immer mit dem Hinweis darauf, es ist Risikokapital. Wenn wir nicht bauen ist das Geld weg. Wenn wir bauen, kriegt ihr das Geld wieder, bzw. wird euch angerechnet. Und trotzdem haben wir es gekriegt. Kleinere Beträge aber auch etwas größere Beträge. "
Die Planungen für das Bioenergiedorf konnten beginnen. Gesteuert nicht durch eine Behörde oder eine Projektgesellschaft, sondern vor allem von den Jühndern selber. Unter Anleitung der Göttinger Wissenschaftler bildeten sich eine Reihe von Arbeitsgruppen. Ähnlich wie in einem Uni-Seminar. Eine Arbeitsgruppe im Dorf kümmerte sich um die Planung der Biokraftwerksanlagen, eine um das Fernwärmenetz, eine weitere um die landwirtschaftliche Rohstoffversorgung. Mit den örtlichen Bauern wurde ein Preis für die zukünftig zu liefernden Energiepflanzen ausgehandelt und in Vorverträgen festgelegt. Dieser orientiert sich am Weltmarkt-Preis für Weizen. Und ist für die Landwirte sehr interessant, weil beim notwendigen Anbau von Energiepflanzen auf etwa 300 Hektar die Kosten für Kunstdünger und teure Pflanzenschutzmittel weitgehend entfallen. Zusammen mit der Gülle von Schweinen und Kühen, so war schnell klar, könnte das Bioenergiedorf Jühnde ausreichend Wärme und sogar einen kräftigen Überschuss an elektrischen Strom erzeugen.
Ende 2002 war die umfangreiche Planungs- und Genehmigungsphase für das Bioenergiedorf abgeschlossen. Nun wollten die Jühnder endlich loslegen, so bald wie möglich den Kraftwerkspark und das Fernwärmenetz bauen. Und sich als genossenschaftliche Energieversorger selbstständig machen. Den Kraftwerkspark könnten sie aus den Einnahmen für Strom und Wärme selbst finanzieren, hatten die Dörfler zusammen mit den Wissenschaftlern berechnet. Nicht aber die circa drei Millionen Euro für die Verlegung eines Fernwärme-Netzes. Das ging nur mit staatlichen Fördermitteln, die ihnen zu Beginn des Projektes in Aussicht gestellt worden waren. Doch nun zeigte man sich im zuständigen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft plötzlich ziemlich zugeknöpft, erinnert sich Bürgermeister Brandenburg.
"Die hatten nun schon viel Geld ausgegeben für die Machbarkeitsstudie. Und dann wollten sie so ungefähr: die Schublade auf und da reinpacken, ne. Die zweifelten dadran, dass wir das hinkriegen. Das war der Hintergrund und das haben die uns auch deutlich zu verstehen gegeben. Wie soll ich sagen, also die haben uns so ein bißchen "vom Dorf" angesehen. Und naja, das haben wir uns nicht bieten lassen. "
Nun waren die Beziehungen der Wissenschaftler und der Uni Göttingen gefragt. Sie gefragt: Sie halfen den Jühndern einen prominenten Schirmherren für das Projekt zu suchen. Einen, der politisch Druck machen könnte. Und fanden dafür den renommierten Umweltforscher und Bundestagsageordneten Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Gleichzeitig mobilisierte Bürgermeister Brandenburg sein ganzes Dorf. Um den Berliner Bedenkenträgern möglichst viele Anschlusswillige für ein Bioenergie-Fernwärmenetz präsentieren zu können.
"Wir haben Straßenversammlungen gemacht. Wir haben Dorfversammlungen gemacht. Einzelgespräche, sind zu den Leuten hingegangen. Wir wollten ja auch wissen, ... von denen die nicht anschließen, warum wollt ihr nicht anschließen, sind wir da nicht intensiv genug gewesen oder nicht deutlich genug usw. "
Die Fernwärme aus den Biogas- und dem Holzschnitzelkraftwerk soll den Jühndern nicht teuerer kommen als die bisherige Heizung mit privaten Öl- und Gas. Das war die Ausgangskalkulation bei Beginn des Projektes im Jahr 2001. Für die meisten Dorfbewohner war das aber nur einer von mehreren Gründen, beim Bioenergiedorf mitzumachen. Wie zum Beispiel bei Familie Ludwig:
"Dass man wirklich ne saubere Art der Energiegewinnung hat und das man hier die Region unterstützen kann. Auch unsere Bauern unterstützen hier man kann der Region auch mal was Gutes tun, denn das Geld, was wir später dann mal zahlen bleibt ja dann auch hier. "
Rund 300.000 Euro pro Jahr bezahlen die Jühnder bisher für das Öl und Flüssiggas ihrer Heizungen. Geld das in Zukunft nicht in ferne Öl- oder Gaslieferländer fließen wird, sondern in den örtlichen Wirtschaftskreislauf des Bioenergiedorfes. Ein paar tausend Euro pro Haushalt könnten für die Umrüstung auf die Fernwärme aus den Biokraftwerken allerdings fällig werden, darauf hatte der Bürgermeister alle Anschlusswilligen hingewiesen. Aber auch diese Hürde wollen die meisten Dorfbewohner nehmen. Und zwar in eigener Regie, sagt August Brandenburg.
"Hier haben wir auch ne Bank angesprochen, zwei Banken, die haben hier so ne Sonderauflage gemacht für Biokunden, ich glaube 3,2 Prozent bis zu 10.000 Euro, länger laufende Kredite. Um den Leuten das ein bißchen einfacher zu machen. "
Trotz aller Bemühungen: Nicht alle Jühnder wollten sich von den Vorteilen der bioenergetischen Selbstversorgung überzeugen lassen. Es habe viele hitzige Diskussionen um die Bioenergie gegeben, sagt der Bürgermeister. Auf Dorffesten und Geburtstagsfeiern. Manchmal habe sogar schlichtend eingreifen müssen.
"So dass nicht so ein Riss hier durchs Dorf geht. Das sind die guten, die mitmachen und die anderen sind die schlimmen. "
Aber eines habe er klargestellt. Die Mehrheit des Dorfes steht hinter der Idee einer eigenständigen Energieversorgung. Und die Minderheit sollte das akzeptieren.
"Ja, wenn einer nicht anschließen will, dann braucht er sich auch nicht drüber aufregen, ob das gut ist oder nicht gut ist. "
Mitte letzen Jahres fällt in Berlin dann endlich die Entscheidung: Die Jühnder bekommen das Geld für das Bioenergie-Fernwärmenetz komplett aus staatlichen Fördermitteln. Im November 2004 kommen dann Verbraucherministerin Künast und Umweltminister Trittin in das südniedersächsiche Dorf, machen den ersten Spatenstich. Es folgt ein langer Winter. Der Beginn der Bauarbeiten verzögert sich noch einmal. Aber im Frühjahr dieses Jahres kann es endlich losgehen.
Bauleiter: " Eine Vorgrube, ein Fermenter und ein Zwischenlagerbehälter. Diese dreigroßen Behälter in Spannbetonbauweise sehen sie hier. "
Eine 20-köpfige Besuchergruppe aus Südkorea besichtigt die Bauarbeiten im Bioenergiedorf Jühnde. Die Koreaner interessieren sich für neue Konzepte einer klimaverträglichen Energiezeugung. Delegationen aus Japan und Kanada waren auch schon hier. Die Interessenten kämen aus aller Welt und es werden immer mehr, freut sich Professor Hans Ruppert, der Initiator und wissenschaftliche Leiter des Bioenergiedorf-Projektes in Jühnde.
"Als wir gesagt haben: Ihr kriegt bestimmt ne Menge Touristen haben sie alle lauthals gelacht und jetzt wissen sie gar nicht, wie sie die Touristen in den Griff kriegen sollen. Da lassen sich jetzt 16 Leute hier ausbilden, Touristenführer zu machen. "
In Jühnde geht es aber nicht nur um den Umwelt- und Klimaschutz. Das Projekt zeigt, wie sich der ländliche Raum genossenschaftlich organisieren und gleichzeitig die regionale Wirtschaft wieder beleben kann. Demnächst sogar ohne staatliche Hilfe, wie Eckhard Fangmeyer von der Bioenergiedorf-Genossenschaft den Besuchern in Jühnde erläutert.
Besucher: " Sie werden aber ohne Zuschüsse so ne Sache nicht bauen können. "
Fangmeyer: " Doch! "
Besucher: " Ja?! Ohne Zuschüsse ? "
Fangmeyer: "Und zwar: ... Wir haben eine Investitionsrechnung gemacht auf der Basis 35 Cent Heizölpreis. Und wenn jetzt ein nächstes Dorf, das haben möchte, dann haben sie ja ganz andere Energiekosten. Denn dann würde die Vollkostenrechnung ja auf 50 Cent Heizöl gemacht werden heute. "
Im September soll alles fertig gebaut und angeschlossen sein. Dann kann der Winter kommen. Und die Jühnder können gelassen bleiben, trotz immer weiter ansteigender Öl- und Gaspreise.