Die Erben des Punk und Pioniere des Pop
Punk krempelte 1976 alles um. Keine zwei Jahre später war die musikalische Revolution schon vorbei. Doch im Postpunk in der Zeit von 1978-1984 wurden die Versprechen von Punk erst eingelöst, behauptet der Musikjournalist Simon Reynolds. Reynolds stellt Bands wie Joy Division oder The Fall vor, die Teil einer Bewegung gegen musikalische Engstirnigkeit waren und auch keine Angst vor Pop hatten.
Der "New Musical Express" nannte den Titel einfach "das Buch des Jahres". Man könnte sogar meinen, dies sei ein wenig tief gestapelt, denn es gibt nur wenige Bücher, die so lebhaft, voller Witz und Anteilnahme über Musik erzählen.
Simon Reynolds war 1977 selbst gerade einmal 13 Jahre alt und gibt in seinem Vorwort unumwunden zu, dass ihn die vermeintliche Revolution des Punk weder ansprach noch irgendwie musikalisch beeindruckte. Kein Wunder, denn der Punk war ein Phänomen der Metropolen. In den britischen und amerikanischen Klein- und Mittelstädten fiel er einfach aus. Dort kam nur der Abgesang an die Rockmusik der 70er an und die Erfahrung, dass auch der Punk selbst in die gleiche Sackgasse geriet wie die so verdammte Rockmusik.
Kein Wunder also, dass das Buch mit jenem legendären Ausspruch beginnt, mit dem Johnny Rotten sich am 14.Januar 1978 in San Francisco vom Publikum und seiner Band, den Sex Pistols, verabschiedete und wieder zu seinem bürgerlichen Ich zurückfand: "Schon mal das Gefühl gehabt, verarscht worden zu sein?"
Doch dieser Ausspruch kann sich gar nicht allein auf den Punk beziehen - und dies tut Reynolds in seinem Buch auch nicht. Das "verarscht worden sein" war ganz offensichtlich ein sehr verbreitetes Gefühl unter den Jugendlichen der angloamerikanischen Welt am Ende der 70er Jahre. Die wirtschaftliche Lage wurde durch das Aufbegehren der arabischen Länder in Schieflage gebracht, als diese plötzlich den Weltmarktpreis für Öl selbst gestalten wollten. Der kalte Krieg wandelte sich zusehends in eine heiße Vorphase des ultimativen nuklearen Wettrüstens - und um das alles irgendwie bezahlen zu können, schröpften die Regierungen den Steuerzahler, strichen soziale und kulturelle Förderung abseits der Hochkultur rigoros zusammen.
Es blieb also nur der Aufbruch in eine neue musikalische Ausdrucksform, die sich vor allen Dingen auch ihre eigene Organisationsform suchte - unabhängige Plattenlabel, Raves auf Wiesen oder alten Flughafengeländen, eigene Zeitungen...
Das Buch erzählt Geschichten davon. Dabei umreißt Simon Reynolds in seinem kurzen Vorwort all die sozialen und kulturellen Missstände, aus denen notwendigerweise etwas Neues entstehen musste. Und er zieht wichtige Querverbindungen zu früheren kulturellen Ausbruchsversuchen, die nun noch einmal Widerhall fanden.
Dabei tappt er nicht in die Falle, jegliches Phänomen (und derer gab es in dieser wilden Zeit des Neuanfangs viele) innermusikalisch begründen zu wollen, sondern folgt konsequent einem sozialen und ästhetischen Blickwinkel. So wird vieles auch jenen Lesern als logisch und zwangsläufig erschlossen, die weder zur beschriebenen Musik noch zur damaligen Zeit ein besonderes Verhältnis haben.
Dabei beschränkt sich der Autor allerdings auf die Szene Großbritanniens und der USA - eine weitere Betrachtung zum Beispiel der deutschen Szene hätte den vorliegenden Band wohl auch gesprengt, obwohl wichtige Einflüsse wie zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten oder DAF dennoch gewürdigt werden.
Schade ist nur, dass der deutschen Übersetzung noch ein Vorwort von Klaus Walter vorangestellt wurde. Darin wird einerseits der deutsche Musikjournalismus der damaligen und teilweise noch heutigen Zeit in seinem "Authentizitätswahn" streng gegeißelt, aber auch behauptet, dass sowohl Punk als auch Postpunk in Deutschland nie ankamen, weil hier Reggae und Dub durch linke Kulturhippies gänzlich vom Punk abgekoppelt worden seien.
Das mag man so sehen; trotzdem darf in einem anderen musikalischen Umfeld die Entwicklung eines Musikstils auch andere Formen annehmen, die eben nicht in allen Punkten dem vermeintlich authentischen folgen muss. Doch diese Seiten überschlägt man schnell.
Simon Reynolds entwirft schon in seinem Prolog einen soziokulturellen Blickwinkel, den er in den folgenden Kapiteln mit Leben und Farben zu schmücken versteht; er findet stets das richtige Mischungsverhältnis zwischen musikalischer Insiderinformation und dem jeweiligen Zeitgeschehen und sozialen Umfeld, in dem sich die Musiker bewegen. Ein Ansatz, der im heutigen Musikjournalismus immer noch die Ausnahme ist - leider!
Rezensiert von Thorsten Bednarz
Simon Reynolds: Rip It Up And Start Again - Schmeiss alles hin und fang neu an, Postpunk 1978-1984
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Hardcover mit Schutzumschlag; 16 Seiten Fotos, zahlreiche Abbildungen;
575 Seiten. Euro 29,90
Simon Reynolds war 1977 selbst gerade einmal 13 Jahre alt und gibt in seinem Vorwort unumwunden zu, dass ihn die vermeintliche Revolution des Punk weder ansprach noch irgendwie musikalisch beeindruckte. Kein Wunder, denn der Punk war ein Phänomen der Metropolen. In den britischen und amerikanischen Klein- und Mittelstädten fiel er einfach aus. Dort kam nur der Abgesang an die Rockmusik der 70er an und die Erfahrung, dass auch der Punk selbst in die gleiche Sackgasse geriet wie die so verdammte Rockmusik.
Kein Wunder also, dass das Buch mit jenem legendären Ausspruch beginnt, mit dem Johnny Rotten sich am 14.Januar 1978 in San Francisco vom Publikum und seiner Band, den Sex Pistols, verabschiedete und wieder zu seinem bürgerlichen Ich zurückfand: "Schon mal das Gefühl gehabt, verarscht worden zu sein?"
Doch dieser Ausspruch kann sich gar nicht allein auf den Punk beziehen - und dies tut Reynolds in seinem Buch auch nicht. Das "verarscht worden sein" war ganz offensichtlich ein sehr verbreitetes Gefühl unter den Jugendlichen der angloamerikanischen Welt am Ende der 70er Jahre. Die wirtschaftliche Lage wurde durch das Aufbegehren der arabischen Länder in Schieflage gebracht, als diese plötzlich den Weltmarktpreis für Öl selbst gestalten wollten. Der kalte Krieg wandelte sich zusehends in eine heiße Vorphase des ultimativen nuklearen Wettrüstens - und um das alles irgendwie bezahlen zu können, schröpften die Regierungen den Steuerzahler, strichen soziale und kulturelle Förderung abseits der Hochkultur rigoros zusammen.
Es blieb also nur der Aufbruch in eine neue musikalische Ausdrucksform, die sich vor allen Dingen auch ihre eigene Organisationsform suchte - unabhängige Plattenlabel, Raves auf Wiesen oder alten Flughafengeländen, eigene Zeitungen...
Das Buch erzählt Geschichten davon. Dabei umreißt Simon Reynolds in seinem kurzen Vorwort all die sozialen und kulturellen Missstände, aus denen notwendigerweise etwas Neues entstehen musste. Und er zieht wichtige Querverbindungen zu früheren kulturellen Ausbruchsversuchen, die nun noch einmal Widerhall fanden.
Dabei tappt er nicht in die Falle, jegliches Phänomen (und derer gab es in dieser wilden Zeit des Neuanfangs viele) innermusikalisch begründen zu wollen, sondern folgt konsequent einem sozialen und ästhetischen Blickwinkel. So wird vieles auch jenen Lesern als logisch und zwangsläufig erschlossen, die weder zur beschriebenen Musik noch zur damaligen Zeit ein besonderes Verhältnis haben.
Dabei beschränkt sich der Autor allerdings auf die Szene Großbritanniens und der USA - eine weitere Betrachtung zum Beispiel der deutschen Szene hätte den vorliegenden Band wohl auch gesprengt, obwohl wichtige Einflüsse wie zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten oder DAF dennoch gewürdigt werden.
Schade ist nur, dass der deutschen Übersetzung noch ein Vorwort von Klaus Walter vorangestellt wurde. Darin wird einerseits der deutsche Musikjournalismus der damaligen und teilweise noch heutigen Zeit in seinem "Authentizitätswahn" streng gegeißelt, aber auch behauptet, dass sowohl Punk als auch Postpunk in Deutschland nie ankamen, weil hier Reggae und Dub durch linke Kulturhippies gänzlich vom Punk abgekoppelt worden seien.
Das mag man so sehen; trotzdem darf in einem anderen musikalischen Umfeld die Entwicklung eines Musikstils auch andere Formen annehmen, die eben nicht in allen Punkten dem vermeintlich authentischen folgen muss. Doch diese Seiten überschlägt man schnell.
Simon Reynolds entwirft schon in seinem Prolog einen soziokulturellen Blickwinkel, den er in den folgenden Kapiteln mit Leben und Farben zu schmücken versteht; er findet stets das richtige Mischungsverhältnis zwischen musikalischer Insiderinformation und dem jeweiligen Zeitgeschehen und sozialen Umfeld, in dem sich die Musiker bewegen. Ein Ansatz, der im heutigen Musikjournalismus immer noch die Ausnahme ist - leider!
Rezensiert von Thorsten Bednarz
Simon Reynolds: Rip It Up And Start Again - Schmeiss alles hin und fang neu an, Postpunk 1978-1984
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Hardcover mit Schutzumschlag; 16 Seiten Fotos, zahlreiche Abbildungen;
575 Seiten. Euro 29,90