"Die Erde ist das beste Raumschiff"

Ralf Jaumann im Gespräch mit Ulrike Timm |
Der Planetologe Ralf Jaumann ist ein überzeugter Erdling: Die Erde sei "das beste Raumschiff, das die Natur jemals erzeugt hat". Deshalb sieht er Visionen zur Besiedelung des Mars kritisch: "Bevor wir andere Planeten erdähnlich machen, sollten wir eigentlich unsere Erde erhalten und reparieren".
Ulrike Timm: Und an den Pioniergeist appellieren wir jetzt: Im Studio ist zu Gast Professor Ralf Jaumann, Planetologe beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. Schönen guten Morgen!

Ralf Jaumann: Guten Morgen!

Timm: Herr Jaumann, die Kollegin war ja schon ein paar Generationen oben auf dem Roten Planeten, hatte ihn schon etwas angewärmt. Derzeit sind es minus 60 Grad. Wenn Leben auf dem Mars, wenn diese Utopie wahr werden könnte, müssten wir uns den Planeten ein bisschen zurechtmodeln. Wie heizen wir ihn auf?

Jaumann: Na ja, man könnte das sicherlich so machen, wie wir das gerade auf der Erde üben. Aber wenn Sie von minus 60 Grad auf 5 Grad plus kommen wollen, dann sind es 65 Grad, und wir streiten gerade dadrüber, ob wir in – wie lange? – 100 Jahren ein oder zwei Grad schaffen. Also, ist keine einfache Aufgabe.

Timm: Also es ginge um eine Art intelligenter Klimakatastrophe?

Jaumann: Ah, es ging ein bisschen mehr, also der Begriff "Terraforming" sagt ja schon, dass man in der Lage ist, einen ganzen Planeten so zu verändern und so zu gestalten, wie man ihn haben will. Nur ich würde sagen, wenn wir das wirklich können, dann könnten wir ja auch die Erde wieder reparieren, wenn wir sie kaputt gemacht haben.

Timm: Bleiben wir erst mal ganz oben. Mehr als ein Leben im Treibhaus scheint ja auch bei bester Utopiekonstellation nicht drin zu sein. Ja, der Mars, warum ist das überhaupt so ein faszinierender Planet? Von Saturnmännchen hat niemand was gehört, Marsmännchen sind in aller Munde, fester Bestandteil der Science-Fiction-Literatur. Warum ist der Mars so ein Planet für große Utopien?

Jaumann: Weil er relativ nah zu uns ist. Das heißt, wir haben noch ein Verhältnis zu ihm, er ist sozusagen der kleine Bruder, wirklich der kleine Bruder der Erde, er hat es nicht ganz dahin geschafft, wo es die Erde geschafft hat, aufgrund seiner Größe, aufgrund seiner größeren Sonnenentfernung. Und er ist natürlich in der Fantasie in den letzten 200 Jahren nicht zu kurz gekommen. Das heißt also, man hat immer wieder von ihm geträumt als einen Planeten, auf dem es dann doch Wasser gibt, das man letztlich auch gefunden hat, und natürlich auf dem es möglicherweise auch die sogenannten ersten Aliens gab, die dann ja auch zur Erde gekommen sind und auch hier sehr viel Verwüstung angerichtet haben. Das heißt, er hat die Fantasie schon immer beflügelt. Und das hat er schon im Altertum getan, der Rote Planet Mars war der Kriegsgott, das heißt also, man hat sich sehr intensiv mit ihm beschäftigt, auch nicht immer zum Besten.

Timm: Wenn es auf einem Planeten Wasser gibt – gerade heute Morgen wurde gemeldet, man hätte vielleicht sogar ein großes Seengebiet auf dem Mars entdeckt –, dann wird das ja als Zeichen für mögliches Leben gedeutet. Vielleicht ist die Utopie zwar noch sehr weit entfernt, aber muss gar nicht wirklich Utopie bleiben, wenn es wirklich Leben gibt, wäre ja auch Leben möglich.

Jaumann: Das muss man ein bisschen unterscheiden. Wasser ist eine notwendige Voraussetzung, aber es heißt noch lange nicht, bloß weil Wasser da ist, dass auch Leben da ist. Aber wenn man natürlich als Mensch, der vom Wasser abhängt, irgendwo anders hin will, dann muss man gefälligst dafür sorgen, dass dort Wasser vorkommt. Entweder man nimmt es mit oder man erzeugt es selber oder man findet es dort vor. Und da ist der Mars natürlich durchaus einer der Kandidaten, wo man sagen kann, es ist eine brauchbare Menge vorhanden. Nur das Wasser allein ist nicht grundsätzlich entscheidend für das Leben.

Timm: Was fehlt noch? Es gibt keine Luft zum Atmen, die Temperaturen sind unwirtlich, wie könnte denn eine dauerhafte Präsenz des Menschen auf dem Mars überhaupt aussehen?

Jaumann: Man müsste schon wirklich sehr viel können. Man müsste eine Atmosphäre erzeugen – der Mars ist kleiner, wie ich das gesagt habe, das heißt, er verliert seine Luftmoleküle, sprich die Atmosphäre, an den Weltraum, man müsste sie ununterbrochen nachfüttern. Das heißt also, man müsste eine Atmosphärenproduziermaschine auf dem Mars erfinden, was sicherlich nicht einfach ist in diesen großen Mengen.

Das ist aber auch noch nicht die Lösung des Gesamtproblems – der Mars hat kein eigenes Magnetfeld. Unser Magnetfeld bei der Erde schützt uns vor der schwerwiegenden Strahlung von der Sonne und auch von allem, was außerhalb unseres Sonnensystems kommt. Das heißt also, die Strahlung kann so hoch werden, dass sie lebensgefährlich ist. Das heißt, man müsste da auch etwas erfinden, und das ist bestimmt nicht einfach, denn man müsste dem Mars ein Magnetfeld verpassen. Dazu müsste man ihn wahrscheinlich im Inneren wieder aufschmelzen, man müsste seine Rotation so anpassen, dass Strom induziert wird. Also den Mars zu einer Erde zu machen, glaube ich, da sind wir noch sehr weit entfernt.

Timm: Also ein bisschen Kosmetik auf der Oberfläche reicht gar nicht ...

Jaumann: Überhaupt nicht.

Timm: ... man müsste bis in das Innere des Planeten vordringen?

Jaumann: Sie müssen den ganzen Planeten verändern können.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen in dieser Woche über die großen Utopien. Eine davon: Wir verlagern einen Teil der Menschen auf einen anderen Planeten und besiedeln den Mars. Herr Jaumann, ich höre bei Ihnen so viel Skepsis raus, Sie sind derzeit zumindest noch ein überzeugter Erdling?

Jaumann: Ach ja, klar, ich meine, es ist hier gemütlich. Wenn Sie das andere angucken, das ist das beste Raumschiff, das die Natur jemals erzeugt hat. Wir können es sicherlich irgendwann mal nachbauen, aber es wird schon sehr, sehr lange dauern, bis wir in der Lage sind, aus dem Mars ein brauchbares Raumschiff für die Menschheit zu machen. Also nicht in den nächsten 50 Jahren, auch nicht in den nächsten 100, da bin ich überzeugt.

Timm: Und Sie würden das beliebte Terraforming, was Sie uns beschrieben haben, lieber auf der Erde anwenden. Was könnte es uns hier nützen?

Jaumann: Na ja, wir sind ja gerade dabei, so ein kleines bisschen zu experimentieren, möglicherweise in die falsche Richtung. Und wie das halt so ist, wenn man was kaputt gemacht hat, dann sollte man hinterher auch in der Lage sein, es zu reparieren. Und ich denke, das ist der einfachere Weg, bevor wir andere Planeten erdähnlich machen, sollten wir eigentlich unsere Erde a) erhalten und b) reparieren, denn systemtechnisch ist dieses Gebilde in unserem Sonnensystem und wahrscheinlich auch in allen Sonnensystemen unschlagbar. Besser geht es nicht.

Timm: Bleiben wir trotzdem noch mal bei diesem Traum. Vielleicht ist dieses kühne Gedankenexperiment ja doch nicht nur verrückt. Anfang der 1960er hat John F. Kennedy eine ganze Nation, die halbe Welt mit dem Satz: "We choose to go to the moon" elektrisiert. Der Mars, das wäre halt ein bisschen weiter.

Jaumann: Das ist aber was anderes. Das kann ich mir ja auch vorstellen. Ich meine, Menschen sind neugierig und Menschen tun gerne das, was andere noch nicht getan haben. Warum sollte man auf den Mount Everest gehen? Dort oben gibt es nichts außer Schnee und Felsen. Dort wächst nichts, also dort oben kann man eigentlich gar nichts wollen. Und trotzdem zieht es unendlich viele Menschen dorthin, weil es eine Herausforderung ist. Und genauso gehört der Mond und der Mars dazu.

Ich bin absolut sicher, dass, wenn wir wissen, wie wir dorthin kommen und wie wir es vernünftig machen, dann wird es auch passieren. Und wir fahren ja heute auch an alle beliebigen unfreundlichen Gebiete, nur weil dort noch keiner war. Und jetzt gucken Sie sich mal die Gebirge auf dem Mars an, sie sind dreimal so hoch wie die auf der Erde, Tausende von Bergen, alle unbestiegen. Ich meine, allein schon alpinistisch ist das ein Traum.

Timm: Es gibt noch viel zu tun. Vielleicht wäre die eigentliche Utopie ja gar nicht so sehr das Leben auf dem Mars, sondern die Vorstellung, dass dort eine neue Gesellschaft entsteht, dass man noch mal ganz von vorne anfangen kann – intelligent, friedlich, ohne Mord und Totschlag. Vielleicht steht dieser Traum ja auch dahinter?

Jaumann: Durchaus. Wenn man so eine große Aufgabe hat, dass man aus nichts etwas machen muss, dann wird man sicherlich zusammenhalten müssen. Andererseits, Menschen haben auch gezeigt, dass sie ganz gerne um vorhandene, nicht vorhandene, wenig vorhandene Ressourcen sich ganz gefährlich bekriegen können.

Timm: Machen wir es mal eine Nummer kleiner, nicht das Leben auf dem Mars, sondern stellen wir uns mal vor, Sie dürften als Tourist für ein paar Stunden, für ein paar Tage dort sein und gucken: Was würden Sie sich denn unbedingt anschauen auf dem Mars?

Jaumann: Na ja, nachdem wir ja sowieso Forschungen auf dem Mars betreiben, wir kommen nicht hin, aber wir haben ja kleine Fahrzeuge dort, also kleine Roboter.

Timm: Path-Finder.

Jaumann: Zum Beispiel. Ich würde natürlich ganz gerne all diesen Fragen nachgehen, die so richtig unbeantwortet sind, und das heißt letztlich auch, wie viel Wasser ist wirklich da, wo im Untergrund steckt das Wasser, ich würde gerne ein tiefes Loch dort bohren. Und ich würde natürlich gerne wissen, wie der Mars entstanden ist und wie er sich entwickelt hat. Das kann man auf den Gesteinen ablesen, die auf der Oberfläche rumliegen.

Auf der Erde macht man das auch so. Nur auf dem Mars ist das sehr, sehr schwierig, eben mit diesen Robotern, es ist weit weg, 20 Minuten braucht ein Signal hin, 20 zurück, das heißt also, man hat eine sehr stotternde Kommunikation mit dem, was dort oben rumfährt. Und wenn man selber dort wäre, dann könnte man arbeiten wie auf der Erde, das wäre natürlich fantastisch.

Timm: Eine große Utopie wird wohl noch lange eine große Utopie bleiben: die Besiedlung des Mars. Im Studio zu Gast war der Planetologe Professor Ralf Jaumann. Ich danke Ihnen sehr und möchte Sie noch aufmerksam machen auf unseren Newsletter, eine schöne neue Erfindung von Deutschlandradio Kultur. Sie können sich informieren vorab, viel aktueller als in Zeitungen, auch noch aktueller als auf den Internetseiten, was wir planen in den nächsten sechs Stunden im Programm: www.dradio.de, dort können Sie diesen Newsletter bestellen.
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