Die Erde schwitzt die Toten aus
Vor 70 Jahren endete an der Wolga die Schlacht von Stalingrad. Mehr als eine Million Menschen kamen damals ums Leben. Im heutigen Wolgograd feiern Veteranen den Sieg der Roten Armee. Und auf den Feldern rund um die Stadt erinnern Kriegsüberreste an das Grauen der Kämpfe.
Ein kleiner Saal im Stadtzentrum. Weiß getünchte Wände. In der Mitte ein langer runder Tisch. Vor jedem Platz ein Glas Wodka, belegtes Brot, Piroggen, ein Glas süßer Sekt, eingegossen eine halbe Stunde zuvor.
Der Gouverneur empfängt eine Delegation der Veteranen. Vor der Tür sammeln sich die Alten. Es ist ihr Feiertag und sie haben ihre Orden angelegt, ihren Brustkorb zugehängt mit roten Sternen. Einer der Veteranen ist Alexander Fjodorowitsch, 87 Jahre. In der Hand hat er drei rote Nelken.
"Ich habe schon Urenkel, und natürlich interessieren die sich für den Krieg. Wir gehen aber auch in Schulen und Kinderheime und erzählen dort vom Krieg. Und die Kinder kommen auch zu uns und gratulieren uns zu den Gedenktagen. Sie interessieren sich dafür, wie wir Veteranen leben. Vorgestern waren mein Enkel und mein Urenkel bei mir zu Besuch. Das war sehr fröhlich. Wir hatten viel Spaß."
Kamerateams des lokalen Fernsehens bauen Stative auf und wieder ab, Fotografen drängeln. Ein kleiner alter Mann im blauen Anzug steht auf.
"Ich möchte an diesem Tag an alle erinnern, die mit uns unter unerträglichen Schwierigkeiten diesen schweren, großen Sieg errungen haben. Nach der Eröffnung der zweiten Front in diesem blutigen Zweiten Weltkrieg haben 73 Prozent des gesamten Militärs des faschistischen Deutschlands gegen uns gekämpft. Und wir haben gesiegt. Später haben wir gemerkt, dass nur zwei bis drei Prozent von der Front zurückgekehrt sind. Wir gedenken derer, die nicht zurückkamen, und derer, mit denen wir in der Kälte ... Wir werden sie nicht vergessen."
Der Gouverneur sortiert seine Notizen, schaut hoch. Er ist neu und in der Stadt unter Druck: Es gibt eine Initiative der Veteranen, die Stadt wieder Stalingrad zu nennen. Weil doch jeder wisse, was in Stalingrad passiert ist, niemand aber Wolgograd kenne.
Der kleine Veteran im blauen Anzug schaut in die Runde, dann fixiert er den Gouverneur und erhebt sein Glas:
"Und noch das letzte, Sergej Anatoliewitsch. Ungeachtet all dessen, was geredet wird, wir unterstützen Sie. Wir haben gesiegt und wir werden siegen."
Der Gouverneur empfängt eine Delegation der Veteranen. Vor der Tür sammeln sich die Alten. Es ist ihr Feiertag und sie haben ihre Orden angelegt, ihren Brustkorb zugehängt mit roten Sternen. Einer der Veteranen ist Alexander Fjodorowitsch, 87 Jahre. In der Hand hat er drei rote Nelken.
"Ich habe schon Urenkel, und natürlich interessieren die sich für den Krieg. Wir gehen aber auch in Schulen und Kinderheime und erzählen dort vom Krieg. Und die Kinder kommen auch zu uns und gratulieren uns zu den Gedenktagen. Sie interessieren sich dafür, wie wir Veteranen leben. Vorgestern waren mein Enkel und mein Urenkel bei mir zu Besuch. Das war sehr fröhlich. Wir hatten viel Spaß."
Kamerateams des lokalen Fernsehens bauen Stative auf und wieder ab, Fotografen drängeln. Ein kleiner alter Mann im blauen Anzug steht auf.
"Ich möchte an diesem Tag an alle erinnern, die mit uns unter unerträglichen Schwierigkeiten diesen schweren, großen Sieg errungen haben. Nach der Eröffnung der zweiten Front in diesem blutigen Zweiten Weltkrieg haben 73 Prozent des gesamten Militärs des faschistischen Deutschlands gegen uns gekämpft. Und wir haben gesiegt. Später haben wir gemerkt, dass nur zwei bis drei Prozent von der Front zurückgekehrt sind. Wir gedenken derer, die nicht zurückkamen, und derer, mit denen wir in der Kälte ... Wir werden sie nicht vergessen."
Der Gouverneur sortiert seine Notizen, schaut hoch. Er ist neu und in der Stadt unter Druck: Es gibt eine Initiative der Veteranen, die Stadt wieder Stalingrad zu nennen. Weil doch jeder wisse, was in Stalingrad passiert ist, niemand aber Wolgograd kenne.
Der kleine Veteran im blauen Anzug schaut in die Runde, dann fixiert er den Gouverneur und erhebt sein Glas:
"Und noch das letzte, Sergej Anatoliewitsch. Ungeachtet all dessen, was geredet wird, wir unterstützen Sie. Wir haben gesiegt und wir werden siegen."
Niemand weiß genau, wo die Toten liegen
Sträucher, Feldblumen. Es ist heiß, die Luft flimmert. Weit hinten ein paar Bäume, Krähen. Ein weites Feld, das Schlachtfeld, knapp 50 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
"Das ist Munition der deutschen Wehrmacht, Mauserpatrone. Ist nicht abgefeuert. Die wurde wahrscheinlich in einer Patronentasche gefunden. Guck mal, die sind alle noch intakt."
Denis Derjabkin bückt sich.
"Das ist ein Stück von Arzneimitteln, wahrscheinlich. Du siehst, das war wahrscheinlich für Jod, auch ein Stück Metall, eine Dose. Die Reste von Schuhen. Hier waren die deutschen Truppen stationiert, und zum Schluss sind sie hier alle geblieben. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie gefunden werden. Niemand weiß genau, wo sie liegen."
Die Erde rund um Wolgograd schwitzt den Krieg aus. In der Sowjetunion wurden Kriegstote oft nicht begraben. Die Felder wurden bestellt. Für den Sieg des Sozialismus pflügten Kolchosbauern das Feld. Ihre Pflüge fuhren die Knochen der Skelette auseinander, trennten Schädel ab, Beine, verteilten die Einzelteile auf dem Totenacker. Im Winter bedeckte Schnee das Feld. Bis zum nächsten Frühjahr. Jahr um Jahr. Auf dem Feld ein paar Kreuze, Steinblöcke mit Namen. Ein deutsches Massengrab.
Denis Derjabkin geht zu einem Obelisken. Auch hier ist heute eine Feier. Grüne Helme, Tafeln. Russische Gräber. Viele namenlos, gesichtslos alle.
"Der Stein des Ivan Nikolajewitsch. Den hab ich gefunden, da war ein Markenzeichen bei ihm, da war sehr gut geschrieben, wenn ich getötet werde, bitte meinen Verwandten melden. Das war so gut lesbar, ich hab sofort gelesen. Und seine Urenkelin, die war hier nach einer Woche. Wir haben die Sachen, die wir dabei gefunden haben mit den Knochen, das war ein Messer, ein Löffel, so kleine Soldaten-Sachen. Das haben wir direkt hier übergeben, an dieser Stelle. Das wurde den Verwandten übergeben."
Viele waren Jungen, 18, 19 Jahr alt. Auf dem Weg ins Leben. Wie viele von ihnen hatten noch nie geküsst, bevor sie ums Überleben gekämpft haben, töten mussten, getötet wurden. Hunderttausendfach hätten sie heute ihr Leben hinter sich, hätten Kinder und Enkel, wären bestattet und hätten Blumen auf den Gräbern.
"Guck mal, das sind zwei Helme, die wir vor einer Woche gefunden haben. Ein Soldat hat die ineinander gepresst und auf den Kopf gesetzt. Er versuchte, sich zu schützen. Und trotzdem hat er eine Kugel in den Kopf bekommen. Die Kugel hat sich gedreht, und er wurde getötet, also zwei Helme haben ihm nicht geholfen, weißt du.
Die sind nur verarscht worden. Einerseits baut man große Denkmäler und feiert, und 50 Kilometer davon, in den Feldern, ist der richtige Krieg. Hier liegen richtige Veteranen, die das verdient haben, richtig begraben zu werden."
"Das ist Munition der deutschen Wehrmacht, Mauserpatrone. Ist nicht abgefeuert. Die wurde wahrscheinlich in einer Patronentasche gefunden. Guck mal, die sind alle noch intakt."
Denis Derjabkin bückt sich.
"Das ist ein Stück von Arzneimitteln, wahrscheinlich. Du siehst, das war wahrscheinlich für Jod, auch ein Stück Metall, eine Dose. Die Reste von Schuhen. Hier waren die deutschen Truppen stationiert, und zum Schluss sind sie hier alle geblieben. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie gefunden werden. Niemand weiß genau, wo sie liegen."
Die Erde rund um Wolgograd schwitzt den Krieg aus. In der Sowjetunion wurden Kriegstote oft nicht begraben. Die Felder wurden bestellt. Für den Sieg des Sozialismus pflügten Kolchosbauern das Feld. Ihre Pflüge fuhren die Knochen der Skelette auseinander, trennten Schädel ab, Beine, verteilten die Einzelteile auf dem Totenacker. Im Winter bedeckte Schnee das Feld. Bis zum nächsten Frühjahr. Jahr um Jahr. Auf dem Feld ein paar Kreuze, Steinblöcke mit Namen. Ein deutsches Massengrab.
Denis Derjabkin geht zu einem Obelisken. Auch hier ist heute eine Feier. Grüne Helme, Tafeln. Russische Gräber. Viele namenlos, gesichtslos alle.
"Der Stein des Ivan Nikolajewitsch. Den hab ich gefunden, da war ein Markenzeichen bei ihm, da war sehr gut geschrieben, wenn ich getötet werde, bitte meinen Verwandten melden. Das war so gut lesbar, ich hab sofort gelesen. Und seine Urenkelin, die war hier nach einer Woche. Wir haben die Sachen, die wir dabei gefunden haben mit den Knochen, das war ein Messer, ein Löffel, so kleine Soldaten-Sachen. Das haben wir direkt hier übergeben, an dieser Stelle. Das wurde den Verwandten übergeben."
Viele waren Jungen, 18, 19 Jahr alt. Auf dem Weg ins Leben. Wie viele von ihnen hatten noch nie geküsst, bevor sie ums Überleben gekämpft haben, töten mussten, getötet wurden. Hunderttausendfach hätten sie heute ihr Leben hinter sich, hätten Kinder und Enkel, wären bestattet und hätten Blumen auf den Gräbern.
"Guck mal, das sind zwei Helme, die wir vor einer Woche gefunden haben. Ein Soldat hat die ineinander gepresst und auf den Kopf gesetzt. Er versuchte, sich zu schützen. Und trotzdem hat er eine Kugel in den Kopf bekommen. Die Kugel hat sich gedreht, und er wurde getötet, also zwei Helme haben ihm nicht geholfen, weißt du.
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