Die Erfolgsstory der "Pille"
Die Liebe Anfang der 60er Jahre war vor allen Dingen eins: ziemlich verklemmt. Sex kam für junge Frauen moralisch betrachtet gar nicht in Frage - solange sie nicht verheiratet waren. Natürlich hatten viele trotzdem welchen, aber er war gefährlich.
Lisa R.: "Also ich meine, als die Pille raus kam, das war irgendwie ´ne Sensation. Deshalb sagt man ja auch nur "die Pille". Es ist die "Anti-Baby-Pille" und jeder weiß, was damit gemeint ist. Es gibt ja so viele Pillen, aber DIE Pille. Ne? Und deshalb war das eben auch ein ganz einschneidendes Ergebnis, was da raus kam, und jeder wollte das irgendwie auch ausprobieren."
Ausprobiert wurde die Pille in den 50ern erst mal an Frauen in Puerto Rico - dort testete der Forscher Gregory Pincus seine Erfindung in den Slums von San Juan. Erst als sicher war, dass die Frauen in San Juan nicht schwanger und auch nicht unmittelbar krank wurden, wurde die Pille für die USA freigegeben. Am 18. August 1960 kam sie unter dem Namen "Envoid" auf den Markt und fand dort reißenden Absatz. Knapp ein Jahr später brachte der Pharmakonzern Schering die Pille dann auch in der Bundesrepublik heraus.
"Anovlar" hieß sie, war rund und blau und im Vergleich zu heutigen Pillen ein echter Hormonhammer. 50 Milligramm Östrogen schluckten Frauen damals jeden Tag, und sie taten es gern.
Theresa H.: "Sicherlich hat es Frauen gegeben, die Angst gehabt haben, wegen der Nebenwirkungen, aber Gott, es ist ja nun heute nun auch so, mit den Hormonpräparaten und so, man hat sie eben genommen, weil es die hundertprozentige Sicherheit war. Der Schutz eben gegen Schwangerschaft. Und das war doch wichtig. Und das stellt doch auch alles in den Hintergrund, wenn Du kein Kind haben willst..."
Auf dem Beipackzettel stand, Anovlar sei bei Menstruationsbeschwerden und Akne einzunehmen. Dass die Pille auch gegen Schwangerschaft gut ist, war erst viel weiter hinten zu lesen. Und das war auch gut so, fand die deutsche Ärzteschaft und gab sich 1964 in ihrer Ulmer Denkschrift kämpferisch.
"Die strenge Rezeptpflicht der so genannten Antibabypillen muss unter allen Umständen gewahrt werden, um dem Missbrauch zur weiteren Aufweichung unserer Ehe- und Familienordnung vorzubeugen."
Tatsächlich sollte Anovlar nur an verheiratete Frauen verschrieben werden, die schon mehrere Kinder hatten. Aber das ließ sich nicht durchhalten, dafür hatten die Frauen einfach zu lange gehofft, dass einmal etwas so Geniales wie die Pille erfunden werde.
Ulrike G.: "Es gab sicherlich vielleicht ein paar Gynäkologen, die sagten: Ach, sie finden das medizinisch nicht so gut zu vertreten, aber aus meinem Freundeskreis habe ich nur gehört, dass Freundinnen, wenn sie drauf bestanden haben, die Pille zu kriegen, die auch bekommen haben. Weil sonst die Gynäkologen ihre Patientinnen losgeworden wären - schlicht und ergreifend."
Ende der 60er war der Minirock in Mode. In Berlin gründete sich die Kommune eins. Die Studentenbewegung kämpfte für die Befreiung aller Menschen von der Herrschaft des Kapitalismus und propagierte die Freie Liebe. Junge Frauen wollten über sich selbst bestimmen, Tabus und überkommene Moralvorstellungen wurden gebrochen. Die Sexualität war tatsächlich freier als noch zehn Jahre zuvor. Aber Abtreibung war auf legalem Wege nicht möglich.
Ulrike G .: " Aus meinem Freundeskreis hat keine Frau ein Kind bekommen, was sie nicht haben wollte. Manche fuhren nach Holland, andere, die das Geld hatten, ließen es hier machen - aber unter unguten medizinischen Bedingungen - also schwanger zu werden, war für Frauen, die keine Kinder haben wollten, natürlich ein echtes Problem. "
In der DDR kam die erste Pille erst 1965 auf den Markt. Sie hieß "Ovosiston", was soviel bedeutet wie "Eistopp", und wurde als "Wunschkindpille" bekannt gemacht. Der Volkseigene Betrieb "Jenafarm" kam in den ersten Jahren mit der Produktion nicht nach, denn genau wie im Westen waren viele Frauen von der neuen Verhütungsmethode begeistert. Ab 1972 bekamen Frauen in der DDR die Pille gratis - jeden Monat wurden mehr als eine Million Packungen verteilt.
Während in der DDR die Akzeptanz der Pille sehr hoch war, kam im Westen in den 80ern eine gewisse Pillenmüdigkeit auf. Vor allem in Kreisen der Frauenbewegung galt die Pille auf einmal als ein Mittel, Frauen jederzeit zur sexuellen Verfügung zu haben. Auch die ständige Hormonschluckerei wurde vielen Frauen immer unheimlicher.
Birgit T.: "Ich hab sie in erster Linie abgesetzt, weil ich mal wieder mein eigenes Körpergefühl spüren wollte und weil ich es so satt hatte, jeden Tag die Pille zu schlucken. "
Heike K. : "Das war damals einfach das allerletzte, was ´ne frauenbewegte Frau tun konnte - die Pille zu nehmen. Als ich damals, `83, in die WG gezogen bin, die Frauen die waren einfach fassungslos, die haben mich angestarrt, wie wenn ich von ´nem anderen Planeten käme, ... als sie dann rausfanden, dass ich die Pille nehme."
Mitte der 80er kam Aids. Aber der Pillenabsatz ging nicht etwa zurück - nach wie vor war die Pille das Verhütungsmittel Nummer eins. Kondome wurden zusätzlich benutzt.
Die Östrogenmenge ist nach und nach gesenkt worden, außerdem kam die Minipille auf den Markt. Trotzdem sind die Bedenken auch bei Gynäkologen nicht zerstreut.
Martina S.: "Ich beobachte, dass die zum Beispiel psychische Nebenwirkungen haben, depressive Verstimmungen, das ist sogar relativ häufig, dass die Schmerzen in den Beinen haben und hab auch Berichte, allerdings selbst noch nicht erlebt, von jungen Frauen mit Thrombosen und 'ner Lungenembolie. Und wo nur Risiko Rauchen und Pille bestand... Auch in heutiger Konzentration."
Trotz aller Bedenken ist der Absatz der Pille in den 90er Jahren weiter gestiegen. Der Pharmakonzern Schering hat 1997 die ostdeutsche Jenafarm aufgekauft und macht glänzende Umsätze.
Die meisten Pillenkonsumentinnen kommen heute aus den westlichen Industriestaaten, in denen die katholische Kirche ihre Macht verloren hat. In Deutschland schluckt heute jede dritte Frau zwischen 14 und 49 ihre tägliche Dosis Hormone zur Verhütung. Sie tun es nicht mehr so gern wie in den 60ern, aber die Pille für den Mann wird schließlich seit Jahren nicht erfunden.
Irgendwie gehört die Pille heute für junge Frauen auch dazu.
Kristina W.: "Es war schon sehr aufregend, man fühlte sich erwachsener, ja, es war auch eine Art von Verantwortung, die man übernommen hat, und ich erinnere mich, dass das auch mit meinem damaligen Freund ein sehr wichtiger Akt war, als ich sagte: Ich geh zum Frauenarzt und lass mir die Pille verschreiben. Denn das hieß: Dann können wir miteinander schlafen und damals wäre zum Beispiel ein Kondom gar nicht ... also daran haben wir gar nicht gedacht. Meine Scham vor Kondomen war sehr viel größer als vor der Pille. Ja, seltsamerweise, darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber wir haben nie darüber gesprochen, dass wir ja auch ein Kondom benutzen können."
Ausprobiert wurde die Pille in den 50ern erst mal an Frauen in Puerto Rico - dort testete der Forscher Gregory Pincus seine Erfindung in den Slums von San Juan. Erst als sicher war, dass die Frauen in San Juan nicht schwanger und auch nicht unmittelbar krank wurden, wurde die Pille für die USA freigegeben. Am 18. August 1960 kam sie unter dem Namen "Envoid" auf den Markt und fand dort reißenden Absatz. Knapp ein Jahr später brachte der Pharmakonzern Schering die Pille dann auch in der Bundesrepublik heraus.
"Anovlar" hieß sie, war rund und blau und im Vergleich zu heutigen Pillen ein echter Hormonhammer. 50 Milligramm Östrogen schluckten Frauen damals jeden Tag, und sie taten es gern.
Theresa H.: "Sicherlich hat es Frauen gegeben, die Angst gehabt haben, wegen der Nebenwirkungen, aber Gott, es ist ja nun heute nun auch so, mit den Hormonpräparaten und so, man hat sie eben genommen, weil es die hundertprozentige Sicherheit war. Der Schutz eben gegen Schwangerschaft. Und das war doch wichtig. Und das stellt doch auch alles in den Hintergrund, wenn Du kein Kind haben willst..."
Auf dem Beipackzettel stand, Anovlar sei bei Menstruationsbeschwerden und Akne einzunehmen. Dass die Pille auch gegen Schwangerschaft gut ist, war erst viel weiter hinten zu lesen. Und das war auch gut so, fand die deutsche Ärzteschaft und gab sich 1964 in ihrer Ulmer Denkschrift kämpferisch.
"Die strenge Rezeptpflicht der so genannten Antibabypillen muss unter allen Umständen gewahrt werden, um dem Missbrauch zur weiteren Aufweichung unserer Ehe- und Familienordnung vorzubeugen."
Tatsächlich sollte Anovlar nur an verheiratete Frauen verschrieben werden, die schon mehrere Kinder hatten. Aber das ließ sich nicht durchhalten, dafür hatten die Frauen einfach zu lange gehofft, dass einmal etwas so Geniales wie die Pille erfunden werde.
Ulrike G.: "Es gab sicherlich vielleicht ein paar Gynäkologen, die sagten: Ach, sie finden das medizinisch nicht so gut zu vertreten, aber aus meinem Freundeskreis habe ich nur gehört, dass Freundinnen, wenn sie drauf bestanden haben, die Pille zu kriegen, die auch bekommen haben. Weil sonst die Gynäkologen ihre Patientinnen losgeworden wären - schlicht und ergreifend."
Ende der 60er war der Minirock in Mode. In Berlin gründete sich die Kommune eins. Die Studentenbewegung kämpfte für die Befreiung aller Menschen von der Herrschaft des Kapitalismus und propagierte die Freie Liebe. Junge Frauen wollten über sich selbst bestimmen, Tabus und überkommene Moralvorstellungen wurden gebrochen. Die Sexualität war tatsächlich freier als noch zehn Jahre zuvor. Aber Abtreibung war auf legalem Wege nicht möglich.
Ulrike G .: " Aus meinem Freundeskreis hat keine Frau ein Kind bekommen, was sie nicht haben wollte. Manche fuhren nach Holland, andere, die das Geld hatten, ließen es hier machen - aber unter unguten medizinischen Bedingungen - also schwanger zu werden, war für Frauen, die keine Kinder haben wollten, natürlich ein echtes Problem. "
In der DDR kam die erste Pille erst 1965 auf den Markt. Sie hieß "Ovosiston", was soviel bedeutet wie "Eistopp", und wurde als "Wunschkindpille" bekannt gemacht. Der Volkseigene Betrieb "Jenafarm" kam in den ersten Jahren mit der Produktion nicht nach, denn genau wie im Westen waren viele Frauen von der neuen Verhütungsmethode begeistert. Ab 1972 bekamen Frauen in der DDR die Pille gratis - jeden Monat wurden mehr als eine Million Packungen verteilt.
Während in der DDR die Akzeptanz der Pille sehr hoch war, kam im Westen in den 80ern eine gewisse Pillenmüdigkeit auf. Vor allem in Kreisen der Frauenbewegung galt die Pille auf einmal als ein Mittel, Frauen jederzeit zur sexuellen Verfügung zu haben. Auch die ständige Hormonschluckerei wurde vielen Frauen immer unheimlicher.
Birgit T.: "Ich hab sie in erster Linie abgesetzt, weil ich mal wieder mein eigenes Körpergefühl spüren wollte und weil ich es so satt hatte, jeden Tag die Pille zu schlucken. "
Heike K. : "Das war damals einfach das allerletzte, was ´ne frauenbewegte Frau tun konnte - die Pille zu nehmen. Als ich damals, `83, in die WG gezogen bin, die Frauen die waren einfach fassungslos, die haben mich angestarrt, wie wenn ich von ´nem anderen Planeten käme, ... als sie dann rausfanden, dass ich die Pille nehme."
Mitte der 80er kam Aids. Aber der Pillenabsatz ging nicht etwa zurück - nach wie vor war die Pille das Verhütungsmittel Nummer eins. Kondome wurden zusätzlich benutzt.
Die Östrogenmenge ist nach und nach gesenkt worden, außerdem kam die Minipille auf den Markt. Trotzdem sind die Bedenken auch bei Gynäkologen nicht zerstreut.
Martina S.: "Ich beobachte, dass die zum Beispiel psychische Nebenwirkungen haben, depressive Verstimmungen, das ist sogar relativ häufig, dass die Schmerzen in den Beinen haben und hab auch Berichte, allerdings selbst noch nicht erlebt, von jungen Frauen mit Thrombosen und 'ner Lungenembolie. Und wo nur Risiko Rauchen und Pille bestand... Auch in heutiger Konzentration."
Trotz aller Bedenken ist der Absatz der Pille in den 90er Jahren weiter gestiegen. Der Pharmakonzern Schering hat 1997 die ostdeutsche Jenafarm aufgekauft und macht glänzende Umsätze.
Die meisten Pillenkonsumentinnen kommen heute aus den westlichen Industriestaaten, in denen die katholische Kirche ihre Macht verloren hat. In Deutschland schluckt heute jede dritte Frau zwischen 14 und 49 ihre tägliche Dosis Hormone zur Verhütung. Sie tun es nicht mehr so gern wie in den 60ern, aber die Pille für den Mann wird schließlich seit Jahren nicht erfunden.
Irgendwie gehört die Pille heute für junge Frauen auch dazu.
Kristina W.: "Es war schon sehr aufregend, man fühlte sich erwachsener, ja, es war auch eine Art von Verantwortung, die man übernommen hat, und ich erinnere mich, dass das auch mit meinem damaligen Freund ein sehr wichtiger Akt war, als ich sagte: Ich geh zum Frauenarzt und lass mir die Pille verschreiben. Denn das hieß: Dann können wir miteinander schlafen und damals wäre zum Beispiel ein Kondom gar nicht ... also daran haben wir gar nicht gedacht. Meine Scham vor Kondomen war sehr viel größer als vor der Pille. Ja, seltsamerweise, darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber wir haben nie darüber gesprochen, dass wir ja auch ein Kondom benutzen können."