Die Erlösung vom Bösen

Von Marta Kupiec |
In der katholischen Kirche gibt es immer noch das Ritual der Teufelsaustreibung, den Exorzismus. Vor allem in Polen ziehen solche Heilungsmessen tausende von Gläubigen an. Zugleich werden immer mehr Priester zu Exorzisten ernannt.
Der polnische Pilgerort Tschenstochau, bekannt für das Bild der schwarzen Madonna. In einer Kirche am Rande der Stadt haben sich etwa 2000 Menschen zu einer Heilungsmesse versammelt. Anwesende und Priester sprechen ein Heilungsgebet – zum Schutz vor Dämonen, vor Krankheit, Unglück und vielem anderen. Ab und zu durchbricht ein lauter Schrei das Gebet, "es wird geweint und getobt". Unsichtbar für die anderen Besucher befinden sich in der Sakristei Menschen, die unter dem Einfluss des Bösen stehen sollen. Exorzisten begleiten sie während der Messe.

Ursula kam eigens aus Deutschland zu der Heilungsmesse, um für einen Freund zu beten. Sie glaubt, dass bei ihm die Mächte des Bösen im Spiel sein könnten:

"Ich habe hier schon viel Hilfe bekommen, andere auch – die Menschen kommen mit einer großen Last, die sie hier abladen können. Die Stimmung ist so fröhlich, der Gesang ist toll, es wird ständig applaudiert, die Leute erheben ihre Hände und beten in vielen Sprachen – ich habe sogar eine Frau aus der Dominikanischen Republik getroffen."

Alle zwei Jahre findet in Tschenstochau ein internationales Exorzistentreffen statt. Hunderte Priester und Psychiater erörtern gemeinsam, welche Wege der Satan wähle, um von einer Person Besitz zu ergreifen. Einer davon sei ein sündhaftes Leben, sagt Stanislaw Deszcz, der früher Missionar im Kongo war und seit vier Jahren als Exorzist in Krakau arbeitet:

"Wo der Glaube schwächer wird, bekommt das Böse einen größeren Einfluss auf das Leben. Die Kirche weiß das, deshalb wird das Exorzismusgebet neu entdeckt. In Polen gibt es kaum eine Diözese ohne Exorzisten. In manchen arbeiten sogar acht Priester. Zum letzten Exorzistentreffen in Tschenstochau kamen Gäste aus Frankreich, aus Österreich und aus Deutschland. Unsere Arbeit wird derzeit von einem deutschen Priester koordiniert."

Noch vor zehn Jahren arbeiteten in Polen nur ein Dutzend Exorzisten, heute sind es über 100 Priester – ständig werden neue berufen. Der Bedarf steige, weil immer mehr Menschen in Kontakt mit Okkultismus und Spiritismus kämen, sagt Stanislaw Deszcz:

"Magie, Wahrsagerei, Hexerei und okkulte Heilungspraktiken werden überall praktiziert. Die italienischen Priester klagen, dass die Hexerei in ihrem Land stark zugenommen hat. In der Ukraine ist es genauso. Selbst die Polen geben circa 500 Millionen Euro jährlich für Wahrsagerdienste aus."

Das öffne dem satanischen Einfluss Tür und Tor, behauptet der polnische Geistliche. Auf der Liste der gefährlichen Praktiken stünden auch Geisterbeschwörung oder Kartenlegen, erklärt Grzegorz Bacik. Seit sieben Jahren begleitet er als Laie die Priester bei dem Exorzismusgebet. Seine Erfahrungen hat er in mehreren Büchern publiziert:

"Eine Frau ließ sich Tarot-Karten legen. Sie wollte von einem Mann geliebt werden. Zusätzlich musste sie sich einem Ritual unterziehen, bei dem ihr Menstruationsblut verwendet wurde. Diesen Mann hat sie tatsächlich bekommen. Manch einer würde sagen: Okay, das ist die weiße Magie - sie dient einem guten Zweck. Aber so was gibt es nicht, das war das Werk der Dämonen."

Die Liste der Handlungen, die zur Besessenheit und ihrer etwas milderen Form – der Umsessenheit - führen sollen, ist lang. Dazu gehörten Kontakte zu satanischen Sekten, Hellsehern und fragwürdigen Heilern, sagt der Exorzist Stanislaw Deszcz. Ihr Tun sei nichts als Geschäftemacherei, warnt er und empfiehlt, die Finger davon zu lassen.

"Wenn eine körperliche Heilung von einem Menschen herbeigeführt wird, muss ich mich grundsätzlich fragen: Ist diese Gabe ein Geschenk Gottes oder stammt sie aus ungewisser Quelle? Die Menschen erzählen mir oft, dass sie nach einem Heilungsritual eine Besserung verspürten, doch zwei Wochen später war der Schmerz wieder da. Bei anderen war der Körper geheilt, jedoch seelisch waren sie komplett durcheinander."

Solche Menschen hat der Exorzist Deszcz schon oft gesehen und ihnen dann zuerst zu einer psychologischen beziehungsweise psychiatrischen Therapie geraten. Wenn diese nicht hilfreich war, hat er sich des Falles selbst angenommen – mithilfe von lateinischen Gebeten, Weihwasser und Katechumenenöl. Die Kirche habe aus dem Fall von Anneliese Michel gelernt, sagt der Priester, deshalb wende sie das Exorzismus-Ritual mit Vorsicht an, oft in Anwesenheit der Familie.

"Ein Exorzist muss sich die Person genau anschauen – meistens besteht eine enge Verflechtung zwischen den geistigen und den gesundheitlichen Problemen. In diesem Fall setzen wir auf die Zusammenarbeit zwischen einem Arzt, der eine psychiatrische Behandlung durchführt und einem Priester, der für die Seele sorgt."

Sensationslüsterne Berichte über Besessene, die aber nur ein Prozent aller Fälle ausmachten, rückten die Kirche ins falsche Licht, sagt der Exorzistenhelfer Grzegorz Bacik. Exorzismus sei keine lebensgefährliche Praxis, vielmehr ein seelischer Heilungsprozess, der bis zu fünf Jahre dauern könne, beruhigt Bacik. Trotzdem sitzt selbst ihm manchmal die Angst im Nacken:

"Man kann es noch ertragen, wenn jemand schreit, aber wenn er wie ein wildes Tier brüllt, ist es schon schlimm. Ich erinnere mich an eine 17-Jährige, die wie ein alter Mann gesprochen hat. Sie sagte, sie werde uns zerstören und töten. Ihre Augen glänzten plötzlich golden, das macht schon Angst. Am Anfang war es mir ziemlich unheimlich, aber heute ist mir klar: Wenn sich die Anwesenheit des Bösen nicht auf diese Art und Weise äußert, ist sie weitaus schlimmer."

Menschen, die nicht daran glauben, dass das Böse Teufelsgestalt hat und sich austreiben lässt, lassen solche Beschreibungen eher unberührt. Der Krakauer Laientheologe Marcin Majewski kann eine solche Haltung jedoch kaum nachvollziehen – schließlich habe auch Jesus selbst den Teufel ausgetrieben. Auch die Heilige Schrift erwähnt das Böse an mehreren Stellen, was mit einer kritischen Haltung mancher Katholiken kaum zu vereinbaren sei. Dennoch wünscht sich der Theologe eine gesunde Distanz zum Exorzismus:

"Man darf nicht in einen Fanatismus verfallen und überall den bösen Geist sehen, weil das genauso gefährlich und schädlich ist. Aber das Problem darf nicht heruntergespielt werden. Wir Katholiken glauben doch daran, dass der böse Geist existiert. Also müssen wir auch daran glauben, dass er in der Welt wirkt, genauso wie Gott oder seine Engel. Es ist jedoch falsch, mit jedem geistigen Problem zu einem Exorzisten zu rennen. Die meisten Menschen, die Hilfe suchen, benötigen eher einen Psychologen. Eine ideale Lösung ist die Zusammenarbeit eines Priesters und eines Psychologen."

Das hält Dominika für eine Selbstverständlichkeit. Durch Zufall wurde die junge Katholikin Zeugin eines Exorzismusgebetes. Es war ein erschütterndes Erlebnis, wie sie sagt. Deshalb kann sie gut nachvollziehen, wenn manche Menschen dieses Ritual für eine heikle Angelegenheit halten:

"Was ich gesehen habe, hat selbst mich sehr erschrocken. Aber dieses Gefühl war von kurzer Dauer. Ich kann mir vorstellen, dass es für Menschen, die davon noch nie gehört haben, unverständlich und furchterregend sein kann. Es wundert mich nicht, wenn jemand darüber lacht oder es für eine mittelalterliche Handlung hält. Aber in so einem Fall muss es sich um Menschen handeln, die an die reale Existenz des Bösen nicht glauben. Ein Katholik darf dies nicht infrage stellen - für uns ist es eine der Glaubensgrundlagen."

Ob das Böse wirklich von Menschen Besitz ergreifen und dementsprechend mit einem Exorzismus ausgetrieben werden kann, darüber gehen zwar auch die Meinungen von Katholiken auseinander. Die Nachfrage nach Exorzismen steigt aber weiter – jedenfalls in Polen.

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