Die erste und die umfassendste Mozart-Biographie
Wer sich umfassend kundig machen will, dem stehen im Mozart-Jahr viele Möglichkeiten offen von Gesamtdarstellung des Lebens und des Werks Mozarts. Wir haben heute, an Mozarts 250. Geburtstag, exemplarisch zwei herausgegriffen. Die erste Biographie und die jüngste umfassende.
1798 erschien die erste Mozart-Biographie überhaupt. Von Franz Xaver Niemetschek. Welches Bild von Mozart zeichnet sein Biograph sieben Jahre nach dem Tod Mozarts?
Ein seiner Zeit verpflichtetes natürlich. Ein romantisches, geprägt von Geniekult und dramatischen Anekdoten. Aber auch eines, das von der Unmittelbarkeit der Anschauung lebt. Niemetschek war Augenzeuge, er kann aus eigener Anschauung berichten - und er tut das ohne jede kritische Distanz, aber mit großer Leidenschaft. Das macht den Rang seines Buchs aus.
200 Jahre später: Maynard Salomons große Biographie. Ein anderer Mensch Mozart?
Ja. Und das nicht nur, weil Salomons Perspektive eine andere ist. Er ist Engländer, gewissermaßen "wissenschaftlich neutral" (auch wenn man das bei Mozarts Musik natürlich nicht sein kann). Und er ist psychologisch, psycho-analytisch geschult. Er nimmt vor allem den Vater-Sohn-Konflikt in den Blick, der bei Niemetschek natürlich nicht unter psychologischen Kategorien gesehen wird.
Salomon sieht - wie manche andere auch - den jungen Mozart als "Opfer" der Karrieresucht seines Vaters, der ihn kreuz und quer durch ganz Europa schleppt, der ihn antreibt und zu Höchstleistungen anspornt (aber auch Demütigungen als Karriere fördernd ertragen heißt). Aber er sieht Mozarts gesamtes Schaffen unter diesem unbewältigten Trauma von Liebe, Schuld und Buße.
Über Mozart war auch vor seinem 250. Geburtstag schon alles gesagt. Oder nicht? Wo gibt es neue Ansätze bei Maynard Salomon?
Im Zusammenhang mit seiner psychoanalytischen Deutung. Etwa, wenn Salomon schreibt, der kindliche Mozart, das Wunderkind, habe man mit einer "Mischung aus Eros und Christkind" bewundert. Und auch über Mozarts Verhältnis zu den Frauen, das inzwischen fast zu einem Modethema geworden ist, schreibt Salomon Erhellendes.
Maynard Salomons Buch heißt schlicht: "Mozart. Ein Leben". Das lässt sich als Ausdruck von Bescheidenheit oder von Anspruch werten. Wie ist es gemeint?
Vor allem wohl als Ausdruck eines "exemplarischen" Lebens. Nicht eines typischen natürlich, nicht eines repräsentativen. Aber eines Künstlerlebens am Ende des 18. Jahrhunderts, einem Leben, das all jene Zerrissenheit und Ambivalenz, all jene Widersprüchlichkeiten und Abgründe in sich birgt, die man dem Genie gerne attestiert. Das ist gefährlich nahe am Gemeinplatz, aber man täte dem Buch sehr unrecht, wenn man als Ergebnis von 618 Seiten nur diese Erkenntnis sähe.
Salomon schlüsselt das kurze Leben des Wolfgang Amadeus Mozart wirklich mustergültig auf, er lässt nahezu keine Frage aus, bringt alles, verzettelt sich aber doch nur selten in Details. Sein Buch ist von allen Gesamtdarstellungen Mozarts, die derzeit auf dem Markt sind, sicher die beste. Nicht unbedingt die originellste - da gibt es viel witzigere, auch aberwitzige Ansätze. Nicht die brillanteste - aber es ist ein Kompendium dessen, was wir heute über Mozarts Leben wissen - ein Kompendium in Biographie-Form und nicht in Lexikon-Form, die gibt es nämlich zum Mozartjahr auch.
Wenn wir also mit Maynard Salomon auf den neuesten Stand gebracht werden, warum soll man sich dann trotzdem noch Franz Xaver Niemetschek kaufen?
Salomon spiegelt das Wissen von heute - und die Perspektive von heute. Die Biographie von Niemetschek ist ein historisches Buch. Nicht aus gesicherten Quellen, vieles vom Hörensagen kolportiert, aber immerhin auch damals schon ein Kapitel über "Mozart als Mann" - ein Thema, das im Jahr 2006 deutlich mehr Interesse auf sich zieht als zum letzten Mozart-Jubiläum 1991.
Niemetschek hat auch damals schon viel Kritik auf sich gezogen. Und die Edition des Herausgebers Jost Perfahl geht auch sehr kritisch mit dem Text ins Gericht. Inhaltlich wie editorisch. Von Salomon lernt man, was man heute über Mozart weiß. Von Niemetschek das, wie man Mozart kurz nach seinem Tod sah. Das ist manchmal gar nicht so weit auseinander, aber natürlich ist Salomon ungleich informativer und facettenreicher.
Maynard Salomons Buch erschien schon vor zehn Jahren in England. Warum erst jetzt bei uns?
Zu erklären ist das nicht. Außer mit dem katastrophalen Zustand des deutschen Musikbuchs. Das ist zum Nischen-Dasein verurteilt, ernst zu nehmende musikalische Sach- oder gar Fachbücher gibt es schon, aber sie erscheinen nicht mehr in den wichtigen Verlagen. Das Mozart-Jahr ist da natürlich eine große Ausnahme. Und so können wir dankbar sein, dass neben viel Spekulation auf die Sensationslust des "Amadeus"-Liebhabers auch Lektüre für den ein oder anderen Musik-Enthusiasten auf den Markt gekommen ist.
Franz Xaver Niemetschek: Lebensbeschreibung des K.K. Kapellmeisters Wolfgang Amadeus Mozarts
hg. von Jost Perfahl;
Langen Müller 2005;
128 Seiten, € 14,90
(ein Reprint des Originals ist auch im Laaber-Verlag erschienen)
Maynard Salomon: Mozart. Ein Leben
Bärenreiter Verlag, 660 Seiten, € 39,95
Ein seiner Zeit verpflichtetes natürlich. Ein romantisches, geprägt von Geniekult und dramatischen Anekdoten. Aber auch eines, das von der Unmittelbarkeit der Anschauung lebt. Niemetschek war Augenzeuge, er kann aus eigener Anschauung berichten - und er tut das ohne jede kritische Distanz, aber mit großer Leidenschaft. Das macht den Rang seines Buchs aus.
200 Jahre später: Maynard Salomons große Biographie. Ein anderer Mensch Mozart?
Ja. Und das nicht nur, weil Salomons Perspektive eine andere ist. Er ist Engländer, gewissermaßen "wissenschaftlich neutral" (auch wenn man das bei Mozarts Musik natürlich nicht sein kann). Und er ist psychologisch, psycho-analytisch geschult. Er nimmt vor allem den Vater-Sohn-Konflikt in den Blick, der bei Niemetschek natürlich nicht unter psychologischen Kategorien gesehen wird.
Salomon sieht - wie manche andere auch - den jungen Mozart als "Opfer" der Karrieresucht seines Vaters, der ihn kreuz und quer durch ganz Europa schleppt, der ihn antreibt und zu Höchstleistungen anspornt (aber auch Demütigungen als Karriere fördernd ertragen heißt). Aber er sieht Mozarts gesamtes Schaffen unter diesem unbewältigten Trauma von Liebe, Schuld und Buße.
Über Mozart war auch vor seinem 250. Geburtstag schon alles gesagt. Oder nicht? Wo gibt es neue Ansätze bei Maynard Salomon?
Im Zusammenhang mit seiner psychoanalytischen Deutung. Etwa, wenn Salomon schreibt, der kindliche Mozart, das Wunderkind, habe man mit einer "Mischung aus Eros und Christkind" bewundert. Und auch über Mozarts Verhältnis zu den Frauen, das inzwischen fast zu einem Modethema geworden ist, schreibt Salomon Erhellendes.
Maynard Salomons Buch heißt schlicht: "Mozart. Ein Leben". Das lässt sich als Ausdruck von Bescheidenheit oder von Anspruch werten. Wie ist es gemeint?
Vor allem wohl als Ausdruck eines "exemplarischen" Lebens. Nicht eines typischen natürlich, nicht eines repräsentativen. Aber eines Künstlerlebens am Ende des 18. Jahrhunderts, einem Leben, das all jene Zerrissenheit und Ambivalenz, all jene Widersprüchlichkeiten und Abgründe in sich birgt, die man dem Genie gerne attestiert. Das ist gefährlich nahe am Gemeinplatz, aber man täte dem Buch sehr unrecht, wenn man als Ergebnis von 618 Seiten nur diese Erkenntnis sähe.
Salomon schlüsselt das kurze Leben des Wolfgang Amadeus Mozart wirklich mustergültig auf, er lässt nahezu keine Frage aus, bringt alles, verzettelt sich aber doch nur selten in Details. Sein Buch ist von allen Gesamtdarstellungen Mozarts, die derzeit auf dem Markt sind, sicher die beste. Nicht unbedingt die originellste - da gibt es viel witzigere, auch aberwitzige Ansätze. Nicht die brillanteste - aber es ist ein Kompendium dessen, was wir heute über Mozarts Leben wissen - ein Kompendium in Biographie-Form und nicht in Lexikon-Form, die gibt es nämlich zum Mozartjahr auch.
Wenn wir also mit Maynard Salomon auf den neuesten Stand gebracht werden, warum soll man sich dann trotzdem noch Franz Xaver Niemetschek kaufen?
Salomon spiegelt das Wissen von heute - und die Perspektive von heute. Die Biographie von Niemetschek ist ein historisches Buch. Nicht aus gesicherten Quellen, vieles vom Hörensagen kolportiert, aber immerhin auch damals schon ein Kapitel über "Mozart als Mann" - ein Thema, das im Jahr 2006 deutlich mehr Interesse auf sich zieht als zum letzten Mozart-Jubiläum 1991.
Niemetschek hat auch damals schon viel Kritik auf sich gezogen. Und die Edition des Herausgebers Jost Perfahl geht auch sehr kritisch mit dem Text ins Gericht. Inhaltlich wie editorisch. Von Salomon lernt man, was man heute über Mozart weiß. Von Niemetschek das, wie man Mozart kurz nach seinem Tod sah. Das ist manchmal gar nicht so weit auseinander, aber natürlich ist Salomon ungleich informativer und facettenreicher.
Maynard Salomons Buch erschien schon vor zehn Jahren in England. Warum erst jetzt bei uns?
Zu erklären ist das nicht. Außer mit dem katastrophalen Zustand des deutschen Musikbuchs. Das ist zum Nischen-Dasein verurteilt, ernst zu nehmende musikalische Sach- oder gar Fachbücher gibt es schon, aber sie erscheinen nicht mehr in den wichtigen Verlagen. Das Mozart-Jahr ist da natürlich eine große Ausnahme. Und so können wir dankbar sein, dass neben viel Spekulation auf die Sensationslust des "Amadeus"-Liebhabers auch Lektüre für den ein oder anderen Musik-Enthusiasten auf den Markt gekommen ist.
Franz Xaver Niemetschek: Lebensbeschreibung des K.K. Kapellmeisters Wolfgang Amadeus Mozarts
hg. von Jost Perfahl;
Langen Müller 2005;
128 Seiten, € 14,90
(ein Reprint des Originals ist auch im Laaber-Verlag erschienen)
Maynard Salomon: Mozart. Ein Leben
Bärenreiter Verlag, 660 Seiten, € 39,95