Die erste Verbindung zur Welt
Nach ihren ersten musikalischen Erlebnissen gefragt, erinnern sich viele von uns an den Gesang der Mutter oder Großmutter vor dem Einschlafen. Meist wird diese Erinnerung ein Leben lang gehütet. Der Dokumentarfilm "Wiegenlider" von Johan Feindt und Tamara Trampe spürt dieser ersten musikalischen Erfahrung nach.
Weißt du wieviel Mücklein spielen
in der heißen Sonnenglut?
Wieviel Fischlein auch sich sühlen
in der kühlen Wasserflut?
Der Film "Wiegenlieder" der beiden Dokumentaristen Johann Feindt und Tamara Trampe erzählt von Begegnungen mit Menschen in Berlin, die über ihre Träume und Hoffnungen berichten. Ausgangspunkt dieser biographischen Erkundungen ist fast immer die Erinnerung an die eigenen Einschlaflieder.
Film:
"Singt Mama Dir eigentlich ein Wiegenlied? So ein Schlaflied?"
"Also, am Sonntag singt sie mir nie eins, weil sie da immer gleich Tatort gucken muss."
"Und kannst Du Dich da an eins erinnern, das sie mal gesungen hat?"
"Also zum Beispiel, als ich kleiner war, da hat sie immer 'Der Mond ist aufgegangen' gesungen."
Wiegenlieder - so Tamara Trampe, Drehbuchautorin und Kamerafrau, sind unsere erste Verbindung zur Welt. Eine universelle Erfahrung, die wir alle miteinander teilen und die doch zutiefst persönlich ist.
"Ich kann mich sehr gut erinnern. Ich bin aufgewachsen bei meiner Großmutter auf dem Dorf in der Ukraine. Und sie hatte so eine ganz tiefe Stimme. Und wenn sie gebetet hat vor der Ikone, dann fing sie an, für mich das Lied zu singen. Und ich bin ganz schnell eingeschlafen, weil es war so schön. Später stellte sich heraus, dass es ein ganz grauenhafter Text war von einem jungen Mädchen, das verheiratet wird in ein fremdes Dorf, wo der Alkohol fließt und das Blut fließt. Das habe ich aber nicht mitgekriegt, weil die Melodie war so schön, dass ich davon eingeschlafen bin."
Film:
"Ein Kinderlied? Ich habe immer Pionierlieder gelernt. Was haben wir gesungen? Kommt ein Vöglein geflogen, kommt aus Moskau daher. Kommt die Taube geflogen, bringt den Frieden auf Welt und Meer."
In der Dokumentation von Feindt und Trampe werden viele Einzelgespräche assoziativ aneinander gereiht. Die beiden Filmemacher montieren Aussagen über Kindheit oder Heimatlosigkeit mit Berliner Stadtansichten. Ihr Filmessay setzt sich zusammen aus Geräuschen und Erinnerungssplittern, aus Wolkenbildern und Häuserfassaden, aus Stadtansichten und Liedtexten, aus Farbspielen im Regen und aus Momenten des Innehaltens.
Film:
"Darf ich Sie was fragen?"
"Bitte."
"Können Sie sich an ein Lied erinnern, das Ihnen Ihre Mutter zum Schlafengehen gesungen hat?"
"Ja. (Pause) Nee. Also, meine Mutter hat mir mit Sicherheit kein Lied gesungen."
"Warum?"
"Na, weil ich nicht bei meiner Mutter groß geworden bin."
"Wo war ihre Mutter?"
"Weg. Warum wollen Sie das wissen? Wer sind Sie überhaupt?"
"Können Sie sich an ein Lied erinnern, das Ihnen Ihre Mutter zum Schlafengehen gesungen hat?" Die ersten Reaktionen auf diese ebenso einfache wie selten gestellte Frage, so Tamara Trampe, war meist ein überraschter Ausdruck im Gesicht der Befragten.
"Das war das Schöne beim Recherchieren, bevor wir überhaupt ein Buch geschrieben haben, sind wir rumgelaufen und haben Leute im Café, auf der Straße und so gefragt. Und man erlebt immer das Gleiche: erst so ein Nachdenken, dann ein Lächeln und dann ein Summen. Und das hat uns ermuntert zu sagen, na, dann machen wir das mal. Sprechen wir Leute auf der Straße an und fragen sie, woran sie sich erinnern, wenn sie 'Wiegenlied' hören."
Wiegenlieder, das ist gleichermaßen ein Film über das Behütetsein und über tief sitzende Verletzungen. Interessant wird der Film immer dann, wenn Menschen ihre Einschlaflieder vorsingen und über ihre Herkunft berichten. Befragt werden ein ehemaliger tschetschenischer Vizepremier, der heute in Berlin im Exil lebt, ein HipHop-Musiker, der in einem Kinderheim groß geworden ist – aber auch viele namenlos bleibende Menschen.
"Guter Mond, du gehst so stille durch die Abendwolken hin."
Der Film fängt die Atmosphäre ein, die entsteht, wenn - meist - Mütter ihre Kinder in den Schlaf singen. Diese Wärme und Zuneigung, dieser beruhigende Klang der Stimme schafft eine Atmosphäre von Vertrautheit. Und dieser Geborgenheit wollten die beiden Filmemacher nachspüren.
Und auch wenn die Dokumentation als Berlinporträt hier und da zu unentschlossen wirkt und eine suggestive Fragetechnik mehr als einmal versucht, die Interviewten auf etwas festzulegen – der Film nimmt für sich ein, weil der Zuschauer hier auch auf sein eigenes Leben blickt.
Film:
"Da liegt jemand und schaut einen einfach so an. Und das die nächsten 20 Jahre. Das ist schon beeindruckend. Aber auch beängstigend. Ich glaub nicht, dass ich das immer wollte. Eigentlich glaube ich, wollte ich das gar nicht. (Lachen) Also dann schon. Aber das ist dann eben doch ein ganz anderes Leben. Und das andere Leben war ja auch okay, fand ich. Aber es kommt ja wieder. Wahrscheinlich."
"Gute Nacht du kleines Bein,
denn du wirst ja müde sein.
Musst springen, tanzen, stehen.
Endlich darfst du schlafen gehen."
Deutschland 2009. Regie: Johann Feindt, Tamara Trampe. Mitwirkende: Helmut Oehring, Detlef Jablonski, Santos, Apti Bisultanov, Mila, Kathrin. FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 98 Minuten
Filmhomepage "Wiegenlieder"
in der heißen Sonnenglut?
Wieviel Fischlein auch sich sühlen
in der kühlen Wasserflut?
Der Film "Wiegenlieder" der beiden Dokumentaristen Johann Feindt und Tamara Trampe erzählt von Begegnungen mit Menschen in Berlin, die über ihre Träume und Hoffnungen berichten. Ausgangspunkt dieser biographischen Erkundungen ist fast immer die Erinnerung an die eigenen Einschlaflieder.
Film:
"Singt Mama Dir eigentlich ein Wiegenlied? So ein Schlaflied?"
"Also, am Sonntag singt sie mir nie eins, weil sie da immer gleich Tatort gucken muss."
"Und kannst Du Dich da an eins erinnern, das sie mal gesungen hat?"
"Also zum Beispiel, als ich kleiner war, da hat sie immer 'Der Mond ist aufgegangen' gesungen."
Wiegenlieder - so Tamara Trampe, Drehbuchautorin und Kamerafrau, sind unsere erste Verbindung zur Welt. Eine universelle Erfahrung, die wir alle miteinander teilen und die doch zutiefst persönlich ist.
"Ich kann mich sehr gut erinnern. Ich bin aufgewachsen bei meiner Großmutter auf dem Dorf in der Ukraine. Und sie hatte so eine ganz tiefe Stimme. Und wenn sie gebetet hat vor der Ikone, dann fing sie an, für mich das Lied zu singen. Und ich bin ganz schnell eingeschlafen, weil es war so schön. Später stellte sich heraus, dass es ein ganz grauenhafter Text war von einem jungen Mädchen, das verheiratet wird in ein fremdes Dorf, wo der Alkohol fließt und das Blut fließt. Das habe ich aber nicht mitgekriegt, weil die Melodie war so schön, dass ich davon eingeschlafen bin."
Film:
"Ein Kinderlied? Ich habe immer Pionierlieder gelernt. Was haben wir gesungen? Kommt ein Vöglein geflogen, kommt aus Moskau daher. Kommt die Taube geflogen, bringt den Frieden auf Welt und Meer."
In der Dokumentation von Feindt und Trampe werden viele Einzelgespräche assoziativ aneinander gereiht. Die beiden Filmemacher montieren Aussagen über Kindheit oder Heimatlosigkeit mit Berliner Stadtansichten. Ihr Filmessay setzt sich zusammen aus Geräuschen und Erinnerungssplittern, aus Wolkenbildern und Häuserfassaden, aus Stadtansichten und Liedtexten, aus Farbspielen im Regen und aus Momenten des Innehaltens.
Film:
"Darf ich Sie was fragen?"
"Bitte."
"Können Sie sich an ein Lied erinnern, das Ihnen Ihre Mutter zum Schlafengehen gesungen hat?"
"Ja. (Pause) Nee. Also, meine Mutter hat mir mit Sicherheit kein Lied gesungen."
"Warum?"
"Na, weil ich nicht bei meiner Mutter groß geworden bin."
"Wo war ihre Mutter?"
"Weg. Warum wollen Sie das wissen? Wer sind Sie überhaupt?"
"Können Sie sich an ein Lied erinnern, das Ihnen Ihre Mutter zum Schlafengehen gesungen hat?" Die ersten Reaktionen auf diese ebenso einfache wie selten gestellte Frage, so Tamara Trampe, war meist ein überraschter Ausdruck im Gesicht der Befragten.
"Das war das Schöne beim Recherchieren, bevor wir überhaupt ein Buch geschrieben haben, sind wir rumgelaufen und haben Leute im Café, auf der Straße und so gefragt. Und man erlebt immer das Gleiche: erst so ein Nachdenken, dann ein Lächeln und dann ein Summen. Und das hat uns ermuntert zu sagen, na, dann machen wir das mal. Sprechen wir Leute auf der Straße an und fragen sie, woran sie sich erinnern, wenn sie 'Wiegenlied' hören."
Wiegenlieder, das ist gleichermaßen ein Film über das Behütetsein und über tief sitzende Verletzungen. Interessant wird der Film immer dann, wenn Menschen ihre Einschlaflieder vorsingen und über ihre Herkunft berichten. Befragt werden ein ehemaliger tschetschenischer Vizepremier, der heute in Berlin im Exil lebt, ein HipHop-Musiker, der in einem Kinderheim groß geworden ist – aber auch viele namenlos bleibende Menschen.
"Guter Mond, du gehst so stille durch die Abendwolken hin."
Der Film fängt die Atmosphäre ein, die entsteht, wenn - meist - Mütter ihre Kinder in den Schlaf singen. Diese Wärme und Zuneigung, dieser beruhigende Klang der Stimme schafft eine Atmosphäre von Vertrautheit. Und dieser Geborgenheit wollten die beiden Filmemacher nachspüren.
Und auch wenn die Dokumentation als Berlinporträt hier und da zu unentschlossen wirkt und eine suggestive Fragetechnik mehr als einmal versucht, die Interviewten auf etwas festzulegen – der Film nimmt für sich ein, weil der Zuschauer hier auch auf sein eigenes Leben blickt.
Film:
"Da liegt jemand und schaut einen einfach so an. Und das die nächsten 20 Jahre. Das ist schon beeindruckend. Aber auch beängstigend. Ich glaub nicht, dass ich das immer wollte. Eigentlich glaube ich, wollte ich das gar nicht. (Lachen) Also dann schon. Aber das ist dann eben doch ein ganz anderes Leben. Und das andere Leben war ja auch okay, fand ich. Aber es kommt ja wieder. Wahrscheinlich."
"Gute Nacht du kleines Bein,
denn du wirst ja müde sein.
Musst springen, tanzen, stehen.
Endlich darfst du schlafen gehen."
Deutschland 2009. Regie: Johann Feindt, Tamara Trampe. Mitwirkende: Helmut Oehring, Detlef Jablonski, Santos, Apti Bisultanov, Mila, Kathrin. FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 98 Minuten
Filmhomepage "Wiegenlieder"