"Die ersten Punks waren wie die Landung Außerirdischer"

Moderation: Jürgen König |
Der Regisseur Carsten Fiebeler hat darauf hingewiesen, dass die Punk-Szene in der DDR in ihren Ursprüngen weitgehend unpolitisch war. "Man war am Anfang gar nicht so politisch und hatte irgendeine Idee, jetzt wollen wir den Staat stürzen. Sondern man wurde einfach dazu gedrängt", sagte der Macher des Dokumentarfilms "ostPunk! too much future", der jetzt in den Kinos gestartet ist.
Filmausschnitt: "Wir waren ja als Punks zum Teil schon fast Popper. Also wir haben uns sehr viel Mühe gegeben mit unserem Outfit. Wir haben uns auch selber drüber lustig gemacht. Aber wir haben uns schon Mühe gegeben, gut auszusehen, also als Typen. Und wir haben auch viel Zeit vorm Spiegel verbracht, das ist mal sicher.

Und Springerstiefel, ein normaler kamen 100 Mark. Der Kurs war ja damals 1:6 circa, 1:7, also kann sich jeder vorstellen, was wir für Schuhe ausgegeben haben. Eigentlich waren wir Snobs. Ich kannte, glaube ich, keinen, der so viel Geld für Schuhe ausgegeben hat wie wir."

Jürgen König: Punk ist eine Musikrichtung und Punk ist eine Lebenseinstellung. Und Punk ist auch eine Mode. Vor allem aber, so hat es der Bassist der "Ärzte" einmal formuliert, vor allem ist Punk das, was im Kopf passiert, nicht das, was man am Körper trägt. Der Punk entstand in den 70er Jahren in New York und London, schwappte alsbald nach Berlin über.

Da sah man dann auch junge Menschen in schwarzen Klamotten, Sicherheitsnadeln, Nietenarmbänder, die T-Shirts mit "No Future" drauf, die Haare mit Tapetenkleister stachelig gemacht, mit Lackfarben zugesprüht. In den 80ern war Westberlin die bundesdeutsche Punkstadt.

In der DDR gab es Punk auch. Das kann man ab dieser Woche im Kino nachvollziehen: "ostPunk! too much future" heißt der Dokumentarfilm von Carsten Fiebeler und Michael Boehlke, der gestern Abend seine Deutschlandpremiere hatte. Carsten Fiebeler ist jetzt unser Gast, freue mich sehr.

Carsten Fiebeler: Hallo.

König: Herr Fiebeler, einen Ausschnitt aus dem Film haben wir gehört. Woher hatten Sie eigentlich die Sachen? Also ich stelle mir vor, in der DDR echte "Doc Martins" aufzutreiben, war nicht so einfach.

Fiebeler: Nee, es war extrem schwierig. Das war aber auch das Schöne am Punk im Osten, man musste das erst mal neu erfinden, weil es gab keinerlei Läden oder irgendwie andersartige Orte, wo man hingehen konnte und sagen, okay, ich möchte gerne dies und dies und dies. Man hatte einfach sozusagen die Kleiderschränke der Omas, Opas, der Eltern oder keine Ahnung, was auch immer, woher auch immer, durchforstet und hat sich angeguckt, was kann man irgendwie daraus basteln.

Das war eigentlich auch die intensivste Zeit sozusagen. Auch später gab's natürlich diese Uniformierung, wo dann irgendwie die Lederjacke Pflicht war und dann irgendwie, keine Ahnung, eine Militärhose drunter und so. Aber so am Anfang war genau dieses Ding, sich selbst neu erfinden sozusagen angesagt.

König: Bei uns stand "No Future" drauf, Ihr Film heißt "too much future", also zu viel Zukunft. War das damals so eine Art Reflex auf die durch und durch Verplanung des Lebens durch die DDR-Behörden?

Fiebeler: Absolut, ja. Es geht ja wirklich auch in dem Film ja darum, dass es so deren völlig eigenständige Geschichte war. Und es gab natürlich im Osten einfach andere Voraussetzungen, andere Bedingungen. Da war eben nicht das Problem, dass man keine Zukunft hatte, sondern dass die einfach so durchnormiert war.

Man wurde quasi kurz nach der Geburt an die Hand genommen und eigentlich erst auf der Bahre wieder losgelassen. Und dies ist natürlich auch kein Zustand sozusagen, ist eigentlich auch "no future", aber ist sozusagen nur dieselbe Bedeutung mit einer anderen Formulierung, also mit anderen Vorzeichen. Deswegen dieser Titel.

König: Sie erzählen in dem Film die Lebensgeschichten von sechs Menschen, die in der DDR in verschiedensten Bands und Bewegungen mitmachten. Was würden Sie sagen, worin unterschied sich der Ostpunk vom Westpunk?

Fiebeler: Sagen wir mal, die Ursprünge sind bestimmt sehr ähnlich. Aber wenn man dann einfach in die Sache reingeht, hat das natürlich ganz andere, wieder auch durch die Bedingungen, hier gab's ‛ne Diktatur, ganz andere äußere Bedingungen, und es wurde da natürlich der Punk ganz anders aufgenommen. Und dadurch wurde er natürlich extrem anders. Nämlich da waren dann die ersten Punks sozusagen die Landung Außerirdischer.

König: Können Sie das mal beschreiben, solche Begegnungen, die es da gab, und Reaktionen, die Sie auch selber ja erlebt haben?

Fiebeler: Also es ging von. "Ist irgendwie Karneval" oder "Haben wir irgendwas passiert" oder eben einfach wirklich sprachlose Gesichter, wirklich anstarrend, was natürlich auch viele Punks dann einfach auch zum Anlass genommen haben, um da natürlich auch noch mal eins draufzusetzen, zu provozieren und die Leute eben daraufhin anzugehen, was es hier zu glotzen gäbe, man wäre nicht im Zoo.

Und das war halt natürlich ‛ne totale Irritation für viele. Und das haben natürlich irgendwann ganz schnell die staatlichen Organe dann auch für sich in Anspruch genommen und haben gesagt, okay, die stören das öffentliche Bild, also müssen wir sie aus dem öffentlichen Raum entfernen. Also es fing damit an wirklich, dass Punks dann eben nicht mehr gewisse öffentliche Plätze benutzen durften, man durfte nicht in den "Palast", man durfte nicht ins Theater, nicht in Gaststätten, nicht in Kinos.

Wenn es jetzt nicht direkt so eine Einlassersituation gab, gab's dann immer die Kollegen, die dann gerne in zivil daherkamen und sagten, "Können wir Sie mal kurz sprechen und Ihren Ausweis sehen", und dann durften sie sie herausgeleiten, also waren nicht immer so freundlich. Deswegen passierte da eben was ganz Eigenartiges, natürlich zog sich diese Punkszene quasi in so Privaträume zurück oder in den Schutzraum der Kirche.

König: Was ich mir auch irgendwie illuster vorstelle, wenn ich mir die Bandnamen angucke, die es damals unter anderem gab, also ich habe einige herausgegriffen: "Wutanfall", "Schleimkeim", "l'attentat", also das Attentat, "Betonromantik", "Planlos", "Müllstation", "Scheißhaufen". War das zielgerichtete Subversion oder irgendwie einfach, ja heute würde man sagen, cool?

Fiebeler: Nee, es fing natürlich am Anfang an so mit diesem Spaßfaktor, okay, wie kann ich besonders auffallen, wie kann ich besonders rebellieren, was stößt am meisten ab vielleicht auch. Weil natürlich auch im Osten Punk erst mal ‛ne Gegenreaktion und ‛ne Rebellion auf die Elterngeneration war oder gegen eben genau diese Normierung dieser Jugendkultur und natürlich genauso in den Bandnamen.

Wo man einfach gesagt hat, man muss sich da einfach ganz klar abgrenzen und muss sozusagen schon diesen Faktor des Abstoßes oder der Ausgrenzung schon beim Aussprechen des Namens geben. Natürlich irgendwann war es auch ganz klar dann die Provokation auch Kampfansage an die behördliche Situation, sage ich mal.

König: Das kam auch in den Liedertexten zum Ausdruck, die nun nichts mit Liedermachern oder Ostrock-Balladen zu tun hatten. Wir hören einen Ausschnitt aus dem Film, wo diese "Liedtexte" kurz, wie soll ich sagen, paraphrasiert werden.

Filmausschnitt: "Krieg, Tod, aufstehen, wieder hoch.

Du stehst in ‛ner Schlange am Imbissstand, du drehst dich nicht um, du hast ihn erkannt.

Macht eure Fenster zu, macht eure Fenster zu, dann hört ihr unsere Schreie nicht, dann habt ihr eure Ruh‛.

Aussteiger macht ihr eh gleich kalt.

Den Arsch, den kneift ihr zu, und eure Hände, so verwachsen wie Flossen eines Krokodils, und eure Nasen sind nach hinten losgegangen.

Überall, wohin's dich führt, wird dein Ausweis kontrolliert. Und sagst du einen falschen Ton, was dann geschieht, du weißt es schon."

König: Herr Fiebeler, Sie erzählen in dem Film die Geschichten von sechs Punks. Wie war das jetzt, gemeinsam - 30 Jahre später - auf den eigenen Sommer der Anarchie sozusagen zu gucken? Ich stelle mir das schon sehr anrührend vor.

Fiebeler: Ja, es löst alles Mögliche aus natürlich. Also es gibt ja da auch noch ganz große Befindlichkeiten, es sind nicht alle Dinge verarbeitet, weil - muss man einfach auch sagen - es ist ein Minenfeld. Aber ...

König: Nennen Sie mal ein paar Minen.

Fiebeler: Das ist vielschichtig, aber es hat viel natürlich auch mit Verrat zu tun, der irgendwann aufgedeckt wurde. Ich meine, Punks sind Individualisten und alles so Einzeltypen auf irgendeine Art und Weise. Und da hat man sich dann einfach irgendwann gekracht oder vielleicht hat man gewisse Dinge einfach nicht ausgesprochen oder nicht zu Ende gebracht, weil man unter einem ganz anderen Druck stand, der von außen kam und viel stärker war, als sich eigentlich wirklich damit zu beschäftigen, und jetzt ist er nicht mehr.

Und wenn man jetzt darauf schaut, kommen vielleicht alte Dinge wieder hoch sozusagen, die Kämpfe, die noch nicht ausgekämpft sind. Von daher ist auch dieser Film und die Beschäftigung mit diesem Material auf die Leute, denke ich mal, so was von auch Verarbeitung dieser Zeit gewesen.

König: Ab 1983 wurde die DDR-Punkbewegung von der Stasi auf persönlichen Befehl Miehlkes heftig bekämpft. Was waren das für Kämpfe, wie haben Sie das erlebt?

Fiebeler: Sagen wir mal, es gibt drei so Hauptpfeiler, um die Punks wirklich von der Straße zu kriegen. Das eine war wirklich, dass es eben dann allen Leuten, die wirklich auch nur annähernd was auf dem Kerbholz hatten, wurden einfach in den Knast gesteckt. Eine andere große Gruppe ist tatsächlich dann aus dem Land geworfen worden, also wirklich mit dieser Ausreisewelle. Und der Rest, zumindest Männer, wurde dann en bloc zur Armee gezogen, schön vereinzelt verteilt in der DDR.

König: Sie haben vorhin gesagt, Carsten Fiebeler, die Punks seien alle Individualisten, was ja nun auch ganz sicherlich so ist. Kann man trotzdem sagen, dass da irgendwie ein gemeinsames Ziel verfochten wurde, und wenn ja oder auch nicht, welche Wirkung hat der DDR-Punk letztlich gehabt?

Fiebeler: Sagen wir mal, der gemeinsame Nenner ist ja, sagen wir mal, optisch schon so erkennbar. Man kommt sozusagen aus ‛ner ähnlichen Ecke und hat ‛ne ähnliche Ausdrucksform gefunden, also es hat eben wirklich was dann eben mit Mode und Musik zu tun. Dann ist natürlich durch den Staat, eben einfach durch diese Kriminalisierung und Politisierung dieser ganzen Szene natürlich auch in so ‛ne politische Richtung gedrängt worden.

Also man war am Anfang gar nicht so politisch und hatte irgendeine Idee, jetzt wollen wir den Staat stürzen, sondern man wurde einfach dazu gedrängt eigentlich sozusagen, sich auch dann zu der ganzen Gesamtsituation zu bekennen oder zu positionieren. Das haben alle miterlebt. Und das hat alle geprägt und das wäre sozusagen der gemeinsame Nenner oder die gemeinsame Ausrichtung der Szene.

König: Welche Wirkung hat der Ostpunk gehabt?

Fiebeler: Man kann es ja nur mutmaßen, aber ich denke, durch den äußeren Habitus warst du eine Provokation. Man hatte nicht sozusagen damit im Sinn, schleichend das System zu unterwandern. Nee, das war ‛ne klare Ansage. Und ich glaube, dass das für ganze Generationen oder für viele Menschen vielleicht auch so ein Zeichen war, okay, es gibt Leute, junge Menschen, die sich in diesem Staat trauen, das Gesicht zu zeigen.

Sich hinzustellen und zu sagen, hier, ich bin Provokation, macht was damit. Mich kriegt ihr nicht vereinheitlicht. Und ich glaube, dass dies vielleicht im Kleinen manchmal so ein Impuls war für viele, auch in späterer Zeit dann vielleicht auf die Straße zu gehen, wo man einfach sagt, okay, die haben was bewirkt. Vielleicht ist das nur so ein Rädchen oder so ein kleiner Stein, der da ins Wasser geworfen wird und dann die Wellen, die einfach daraus entstehen, die sind einfach dann spannend.

Und das kann man aber natürlich nicht sagen, okay, der hat dies gemacht und daraus ist das entstanden. Aber ich denke, dies war so ein bisschen die Impulsgebung vielleicht auch, was von dieser Szene ausgegangen ist.

König: Der Dokumentarfilm "ostPunk! too much future" von Carsten Fiebeler und Michael Boehlke kommt in dieser Woche in unsere Kinos im Verleih "Neue Visionen". Mehr dazu auch über diverse Veranstaltungsreihen zum Thema unter www.toomuchfuture-derfilm.de. Das Buch sei auch noch mal erwähnt zu der Ausstellung, die jetzt in Dresden zu sehen ist, das Buch von Michael Boehlke und Henriyk Gericke "Too Much Future - Punk in der DDR", erschienen im Verbrecher-Verlag. Herr Fiebeler, vielen Dank und alles Gute mit dem Film.

Fiebeler: Ja, danke für Ihr Interesse.