Die ethischen Defizite des neuen Sterbehilfegesetzes
Ende Januar soll der Bundestag ein Gesetz verabschieden, das die "gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellt. Sterbehilfe generell wird nicht untersagt. Der Medizinethiker Axel W. Bauer hält es für eine "logische Konsequenz" der Gesetzeslage, dass man Menschen daran gewöhnt, dass es eben ganz normal sei, irgendwann mal freiwillig aus dem Leben zu scheiden.
Ulrike Timm: Bald schon soll der Bundestag ein Gesetz verabschieden, das die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Wer wollte da widersprechen? Widerlich, wenn jemand Geld daran verdient, dass ein Mensch stirbt oder sterben will! Schwierig ist der heiß diskutierte zweite Satz: Nicht gewerbsmäßige Hilfe beim Selbstmord soll straffrei bleiben, wenn es sich um Angehörige oder nahe Personen handelt. Wer sind denn das, die nahen Personen, etwa Ärzte, die im Umgang mit Schwerstkranken passive Sterbehilfe doch längst täglich leisten, sollen die jetzt zu aktiven Sterbehelfern werden, die also letztlich über Leben und Tod entscheiden? Der kleine und womöglich sogar gut gemeinte Satz von den Angehörigen und den nahestehenden Personen, der sorgt für Aufregung! Wir sprechen darüber mit dem Medizinethiker Axel Bauer, schönen guten Tag!
Axel W. Bauer: Guten Tag!
Timm Herr Bauer, der Präsident der Bundesärztekammer hat sich ganz erschrocken gezeigt. Er meint, dass so die Rolle des Arztes zu einem Schwerkranken ganz entscheidend verändert wird. Wie sehen Sie das?
Bauer: Da hat Herr Montgomery durchaus recht, wenngleich die juristische Betrachtung etwas komplizierter ist, als auf den ersten Blick scheint. Man muss ja wissen, wie die derzeitige Rechtslage ist. Und die derzeitige Rechtslage ist, dass Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord straffrei sind. Es wird also in Zukunft nichts erlaubt sein, was heute verboten ist, sondern es soll etwas verboten werden, was heute gar nicht stattfindet, nämlich die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung. Und durch dieses Verbot von etwas, was es in Deutschland so gut wie gar nicht gibt, wird erst deutlich, was in Deutschland heute schon alles erlaubt ist.
Timm Wir sollten das noch mal auffächern, Herr Bauer! Das Gesetz zielt ja auf kommerzielle Sterbehilfevereine. Die gibt es, selten, aber es gibt sie in der Schweiz, wo man hinfahren kann und sich dann beim gewünschten Tod helfen und assistieren lassen kann. Aber die Kopplung mit dem Passus der nahestehenden Personen, diese Kopplung ist es ja, die es für den Präsidenten der Bundesärztekammer so problematisch macht.
Bauer: Also, die nahestehenden Personen, das können auch Ärzte sein, das können Angehörige, Freunde sein, die ja nun auch nicht unproblematisch sind. Nicht selten handelt es sich dabei um die späteren Erben. Herr Montgomery hat aber zweifellos recht, dass auch Ärzte unter diese Regelung fallen können. Nun gibt es derzeit in Deutschland ja nur wenige Organisationen, die Sterbehilfe anbieten, insbesondere die Sterbehilfe Deutschland des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch. Die hat sich aber bereits umgestellt und ist nicht mehr gewerbsmäßig tätig. Das Gleiche gilt für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben und dasselbe gilt auch für die schweizerische Organisation Dignitas. Das alles sind Organisationen, die sich als gemeinnützig bezeichnen und die deshalb von dem künftigen Verbot überhaupt nicht erfasst würden.
Timm Moment, die sind aber nach Vereinsrecht schlicht organisiert, die sind nicht gemeinnützig. Damit kämen sie nicht durch.
Bauer: Die werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unter das Gesetz fallen, und wenn doch, werden sie sehr wahrscheinlich dagegen klagen. Also, ich bleibe dabei, dass dieses Gesetz etwas regelt, was in Deutschland nicht zu regeln wäre, stattdessen aber das, was dringend geregelt werden müsste, nämlich das Verbot der organisierten Suizidbeihilfe, offenlässt, ja geradezu dadurch adelt, möchte ich fast sagen, dass sie es nicht verbietet.
Timm Sie sprachen vorhin sogar von den möglichen Erben, die dann aus eigennützigen Gründen beim Suizid assistieren könnten. Sie denken also nicht nur an die Schwerstkranken, die tatsächlich womöglich nicht mehr leben wollen, sondern Sie sehen die Gefahr eines Missbrauchs einer Euthanasie?
Bauer: Ja, der Gesetzentwurf spricht ja überhaupt nicht von Kranken oder von Patienten, sondern bespricht allgemein, verbietet die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung, das kann jeden Staatsbürger betreffen. Nun wissen wir, dass weit über 90 Prozent aller Suizidenten letzten Endes unter einer klinischen Depression leiden, dass sie nicht in den Freitod gehen, als wenn sie eine Alternative hätten, sondern dass sie sich in einer ausweglosen Lage befinden, aus der sie, in der sie Hilfe bräuchten und nicht, sozusagen, den kostenlosen Todesstoß.
Timm Das ist ja eine makabre Szenerie, die Sie da entwerfen: Sie halten es ja für möglich, dass man ein Geschäft mit dem Selbstmord macht, dass man also depressive Patienten in den Tod stößt und dass man - ich spinne weiter, aber das liegt ja auf dieser Argumentationslinie - womöglich alte Menschen dazu auffordert, Selbstmord zu begehen, nach dem Motto: Ihr seid alt, ihr seid krank, ihr seid nicht mehr nützlich, ihr kostet nur!
Bauer: Wir hören ja ständig in den Medien davon, dass in den nächsten Jahrzehnten wir sehr viel mehr ältere Menschen haben werden und sehr viel weniger jüngere. Die geburtenstarken Jahrgänge, die werden alt in den nächsten Jahrzehnten, viele von uns werden pflegebedürftig, die Renten werden geringer sein und da stellt sich selbstverständlich die Frage, was will man mit den vielen alten und älteren Menschen anfangen. Und wenn es bis in 20, 30 Jahren so weit käme, dass eben ältere Menschen von sich aus die Idee hätten, zu sagen: Nun, ich war jetzt 70, 80 Jahre auf der Welt, nun reicht es auch, ich möchte meinen Angehörigen nicht länger zur Last fallen, mache ich doch Gebrauch von der Suizidbeihilfe, solange sie nicht kommerziell ist. Dann hätten wir eine durchaus inhumane Gesellschaft, die das auch noch mit dem Begriff der Autonomie des Subjekts rechtfertigt. Und selbstverständlich kann so etwas nicht von heute auf morgen passieren, deswegen braucht das einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Wir sollen daran gewöhnt werden im Lauf der nächsten Jahrzehnte, dass es eben ganz normal ist, dass man irgendwann freiwillig aus dem Leben scheidet.
Timm Meinen Sie tatsächlich, dass das hinter diesem Gesetzentwurf steht?
Bauer: Ich will nicht sagen, dass das sozusagen Absicht derjenigen ist, die das Gesetz jetzt eingebracht haben, aber es erscheint mir als eine ganz logische Folge für die nächsten Jahre. Diese Konsequenz muss man sehen, wenn man ein solches Gesetz macht. Ein solches Gesetz wird zur Umbewertung des höheren Lebensalters führen, der schweren Krankheit, der Depression. Man wird immer sagen: Ihr habt ja auch theoretisch die Alternative, euch durch Mitwirkung am Suizid aus dem Leben zu verabschieden, warum tut ihr's nicht?
Timm Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Medizinethiker Axel Bauer über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Sterbehilfe erleichtern soll, in den Augen vieler Kritiker aber überhaupt nicht durchdacht ist. Herr Bauer, passive Sterbehilfe ist dem Arzt ja vertraut, er darf, er soll sogar einem Krebskranken sein Leiden zum Beispiel durch hohe Dosen von Morphium erleichtern, die Schmerzen lindern, selbst dann, wenn das die Zeit des Lebens verkürzt, das ist tägliche Praxis. Ist die Diskussion um die aktive Sterbehilfe so verbreitet, weil man die Möglichkeiten dieser Palliativmedizin immer noch zu wenig kennt?
Bauer: Die Palliativmedizin verbreitet sich zunehmend. Der Begriff der Palliativmedizin ist inzwischen sogar einem erheblichen Teil der Bundesbürger bekannt, vielleicht immer noch nicht bekannt genug. Es ist selbstverständlich möglich, fast alle Patienten schmerzfrei zu stellen in einer schweren Erkrankung. Das alles ist selbstverständlich keine Berechtigung zur sogenannten aktiven Sterbehilfe, die man ja juristisch als Tötung auf Verlangen bezeichnet und die auch nach wie vor verboten sein soll. Wir sind jetzt aber an einem Punkt angelangt, wo wir eben haarscharf in die Nähe der Tötung auf Verlangen kommen, nämlich in den Bereich der Mitwirkung am Suizid. 93 Prozent der Deutschen glauben, die Mitwirkung am Suizid, also Anstiftung und Beihilfe dazu, seien strafbar. Sie sind es aber tatsächlich nicht. Und dieser Bereich müsste eigentlich geregelt werden, aber nun nicht gerade durch ein völlig überflüssiges Verbot der so gut wie nicht existenten kommerziellen Suizidbeihilfe.
Timm Das Begleiten eines Schwerkranken beim Sterbeprozess, das geschieht täglich in der ärztlichen Praxis. Aktive Sterbehilfe ist ja auch aus gutem Grund mit Blick auf die deutsche Geschichte verboten, auf die Euthanasie. Nun frage ich mich, brauchen wir überhaupt mehr Gesetze zur Sterbehilfe, kommt man dem Thema gesetzlich überhaupt bei?
Bauer: Das ist eine gute Frage! Es hängt alles auch damit zusammen, dass bei uns der Suizid, der Selbstmord inzwischen regelrecht sozial akzeptiert ist. Wir hatten in den vergangenen Jahren eine Reihe von begleiteten Suiziden und nicht begleiteten Suiziden von Prominenten, ich denke an den Eberhard von Brauchitsch und seine Frau oder an Gunter Sachs. Und das Interessante war eben das jeweilige Medienecho, das öffentliche Echo darauf, das ja von großem Respekt geprägt war für diese angeblich jeweils autonomen Entscheidungen. Ich denke, wir müssten eigentlich auch unser Verhältnis zum Thema Suizid einmal neu bedenken und uns fragen, ob der Suizid wirklich etwas ist, das die Autonomie des Menschen betont und stärkt, oder ob es nicht gerade das Gegenteil davon ist. Denn wer Suizid begeht, nimmt sich ja seine Freiheit weg, und zwar für immer. Und hier wäre eigentlich eher Anlass, darüber nachzudenken, ob das so richtig ist.
Timm Das meint der Medizinethiker Axel Bauer zum Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums, das die Sterbehilfe neu fassen will. Und diese Meinung, die stellt er nun auch in seinem Buch noch mal dar. Das stellt er heute in Berlin vor. Herr Bauer, herzlichen Dank fürs Gespräch!
Bauer: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Axel W. Bauer, Andreas Krause Landt und Reinhold Schneider: Wir sollen sterben wollen/Todes Helfer/Über den Selbstmord: Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss
Manuscriptum Verlag, Waltrop, 2013, 200 Seiten, 14,90
Links auf dradio.de:
Darf im Sterbebett gelacht werden? - "Abschied braucht Zeit. Palliativmedizin und Ethik des Sterbens", Suhrkamp Verlag, 295 Seiten
Bundestag debattiert über Sterbehilfe-Gesetz
Axel W. Bauer: Guten Tag!
Timm Herr Bauer, der Präsident der Bundesärztekammer hat sich ganz erschrocken gezeigt. Er meint, dass so die Rolle des Arztes zu einem Schwerkranken ganz entscheidend verändert wird. Wie sehen Sie das?
Bauer: Da hat Herr Montgomery durchaus recht, wenngleich die juristische Betrachtung etwas komplizierter ist, als auf den ersten Blick scheint. Man muss ja wissen, wie die derzeitige Rechtslage ist. Und die derzeitige Rechtslage ist, dass Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord straffrei sind. Es wird also in Zukunft nichts erlaubt sein, was heute verboten ist, sondern es soll etwas verboten werden, was heute gar nicht stattfindet, nämlich die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung. Und durch dieses Verbot von etwas, was es in Deutschland so gut wie gar nicht gibt, wird erst deutlich, was in Deutschland heute schon alles erlaubt ist.
Timm Wir sollten das noch mal auffächern, Herr Bauer! Das Gesetz zielt ja auf kommerzielle Sterbehilfevereine. Die gibt es, selten, aber es gibt sie in der Schweiz, wo man hinfahren kann und sich dann beim gewünschten Tod helfen und assistieren lassen kann. Aber die Kopplung mit dem Passus der nahestehenden Personen, diese Kopplung ist es ja, die es für den Präsidenten der Bundesärztekammer so problematisch macht.
Bauer: Also, die nahestehenden Personen, das können auch Ärzte sein, das können Angehörige, Freunde sein, die ja nun auch nicht unproblematisch sind. Nicht selten handelt es sich dabei um die späteren Erben. Herr Montgomery hat aber zweifellos recht, dass auch Ärzte unter diese Regelung fallen können. Nun gibt es derzeit in Deutschland ja nur wenige Organisationen, die Sterbehilfe anbieten, insbesondere die Sterbehilfe Deutschland des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch. Die hat sich aber bereits umgestellt und ist nicht mehr gewerbsmäßig tätig. Das Gleiche gilt für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben und dasselbe gilt auch für die schweizerische Organisation Dignitas. Das alles sind Organisationen, die sich als gemeinnützig bezeichnen und die deshalb von dem künftigen Verbot überhaupt nicht erfasst würden.
Timm Moment, die sind aber nach Vereinsrecht schlicht organisiert, die sind nicht gemeinnützig. Damit kämen sie nicht durch.
Bauer: Die werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unter das Gesetz fallen, und wenn doch, werden sie sehr wahrscheinlich dagegen klagen. Also, ich bleibe dabei, dass dieses Gesetz etwas regelt, was in Deutschland nicht zu regeln wäre, stattdessen aber das, was dringend geregelt werden müsste, nämlich das Verbot der organisierten Suizidbeihilfe, offenlässt, ja geradezu dadurch adelt, möchte ich fast sagen, dass sie es nicht verbietet.
Timm Sie sprachen vorhin sogar von den möglichen Erben, die dann aus eigennützigen Gründen beim Suizid assistieren könnten. Sie denken also nicht nur an die Schwerstkranken, die tatsächlich womöglich nicht mehr leben wollen, sondern Sie sehen die Gefahr eines Missbrauchs einer Euthanasie?
Bauer: Ja, der Gesetzentwurf spricht ja überhaupt nicht von Kranken oder von Patienten, sondern bespricht allgemein, verbietet die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung, das kann jeden Staatsbürger betreffen. Nun wissen wir, dass weit über 90 Prozent aller Suizidenten letzten Endes unter einer klinischen Depression leiden, dass sie nicht in den Freitod gehen, als wenn sie eine Alternative hätten, sondern dass sie sich in einer ausweglosen Lage befinden, aus der sie, in der sie Hilfe bräuchten und nicht, sozusagen, den kostenlosen Todesstoß.
Timm Das ist ja eine makabre Szenerie, die Sie da entwerfen: Sie halten es ja für möglich, dass man ein Geschäft mit dem Selbstmord macht, dass man also depressive Patienten in den Tod stößt und dass man - ich spinne weiter, aber das liegt ja auf dieser Argumentationslinie - womöglich alte Menschen dazu auffordert, Selbstmord zu begehen, nach dem Motto: Ihr seid alt, ihr seid krank, ihr seid nicht mehr nützlich, ihr kostet nur!
Bauer: Wir hören ja ständig in den Medien davon, dass in den nächsten Jahrzehnten wir sehr viel mehr ältere Menschen haben werden und sehr viel weniger jüngere. Die geburtenstarken Jahrgänge, die werden alt in den nächsten Jahrzehnten, viele von uns werden pflegebedürftig, die Renten werden geringer sein und da stellt sich selbstverständlich die Frage, was will man mit den vielen alten und älteren Menschen anfangen. Und wenn es bis in 20, 30 Jahren so weit käme, dass eben ältere Menschen von sich aus die Idee hätten, zu sagen: Nun, ich war jetzt 70, 80 Jahre auf der Welt, nun reicht es auch, ich möchte meinen Angehörigen nicht länger zur Last fallen, mache ich doch Gebrauch von der Suizidbeihilfe, solange sie nicht kommerziell ist. Dann hätten wir eine durchaus inhumane Gesellschaft, die das auch noch mit dem Begriff der Autonomie des Subjekts rechtfertigt. Und selbstverständlich kann so etwas nicht von heute auf morgen passieren, deswegen braucht das einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Wir sollen daran gewöhnt werden im Lauf der nächsten Jahrzehnte, dass es eben ganz normal ist, dass man irgendwann freiwillig aus dem Leben scheidet.
Timm Meinen Sie tatsächlich, dass das hinter diesem Gesetzentwurf steht?
Bauer: Ich will nicht sagen, dass das sozusagen Absicht derjenigen ist, die das Gesetz jetzt eingebracht haben, aber es erscheint mir als eine ganz logische Folge für die nächsten Jahre. Diese Konsequenz muss man sehen, wenn man ein solches Gesetz macht. Ein solches Gesetz wird zur Umbewertung des höheren Lebensalters führen, der schweren Krankheit, der Depression. Man wird immer sagen: Ihr habt ja auch theoretisch die Alternative, euch durch Mitwirkung am Suizid aus dem Leben zu verabschieden, warum tut ihr's nicht?
Timm Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Medizinethiker Axel Bauer über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Sterbehilfe erleichtern soll, in den Augen vieler Kritiker aber überhaupt nicht durchdacht ist. Herr Bauer, passive Sterbehilfe ist dem Arzt ja vertraut, er darf, er soll sogar einem Krebskranken sein Leiden zum Beispiel durch hohe Dosen von Morphium erleichtern, die Schmerzen lindern, selbst dann, wenn das die Zeit des Lebens verkürzt, das ist tägliche Praxis. Ist die Diskussion um die aktive Sterbehilfe so verbreitet, weil man die Möglichkeiten dieser Palliativmedizin immer noch zu wenig kennt?
Bauer: Die Palliativmedizin verbreitet sich zunehmend. Der Begriff der Palliativmedizin ist inzwischen sogar einem erheblichen Teil der Bundesbürger bekannt, vielleicht immer noch nicht bekannt genug. Es ist selbstverständlich möglich, fast alle Patienten schmerzfrei zu stellen in einer schweren Erkrankung. Das alles ist selbstverständlich keine Berechtigung zur sogenannten aktiven Sterbehilfe, die man ja juristisch als Tötung auf Verlangen bezeichnet und die auch nach wie vor verboten sein soll. Wir sind jetzt aber an einem Punkt angelangt, wo wir eben haarscharf in die Nähe der Tötung auf Verlangen kommen, nämlich in den Bereich der Mitwirkung am Suizid. 93 Prozent der Deutschen glauben, die Mitwirkung am Suizid, also Anstiftung und Beihilfe dazu, seien strafbar. Sie sind es aber tatsächlich nicht. Und dieser Bereich müsste eigentlich geregelt werden, aber nun nicht gerade durch ein völlig überflüssiges Verbot der so gut wie nicht existenten kommerziellen Suizidbeihilfe.
Timm Das Begleiten eines Schwerkranken beim Sterbeprozess, das geschieht täglich in der ärztlichen Praxis. Aktive Sterbehilfe ist ja auch aus gutem Grund mit Blick auf die deutsche Geschichte verboten, auf die Euthanasie. Nun frage ich mich, brauchen wir überhaupt mehr Gesetze zur Sterbehilfe, kommt man dem Thema gesetzlich überhaupt bei?
Bauer: Das ist eine gute Frage! Es hängt alles auch damit zusammen, dass bei uns der Suizid, der Selbstmord inzwischen regelrecht sozial akzeptiert ist. Wir hatten in den vergangenen Jahren eine Reihe von begleiteten Suiziden und nicht begleiteten Suiziden von Prominenten, ich denke an den Eberhard von Brauchitsch und seine Frau oder an Gunter Sachs. Und das Interessante war eben das jeweilige Medienecho, das öffentliche Echo darauf, das ja von großem Respekt geprägt war für diese angeblich jeweils autonomen Entscheidungen. Ich denke, wir müssten eigentlich auch unser Verhältnis zum Thema Suizid einmal neu bedenken und uns fragen, ob der Suizid wirklich etwas ist, das die Autonomie des Menschen betont und stärkt, oder ob es nicht gerade das Gegenteil davon ist. Denn wer Suizid begeht, nimmt sich ja seine Freiheit weg, und zwar für immer. Und hier wäre eigentlich eher Anlass, darüber nachzudenken, ob das so richtig ist.
Timm Das meint der Medizinethiker Axel Bauer zum Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums, das die Sterbehilfe neu fassen will. Und diese Meinung, die stellt er nun auch in seinem Buch noch mal dar. Das stellt er heute in Berlin vor. Herr Bauer, herzlichen Dank fürs Gespräch!
Bauer: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Axel W. Bauer, Andreas Krause Landt und Reinhold Schneider: Wir sollen sterben wollen/Todes Helfer/Über den Selbstmord: Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss
Manuscriptum Verlag, Waltrop, 2013, 200 Seiten, 14,90
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Darf im Sterbebett gelacht werden? - "Abschied braucht Zeit. Palliativmedizin und Ethik des Sterbens", Suhrkamp Verlag, 295 Seiten
Bundestag debattiert über Sterbehilfe-Gesetz