Dr. Daniela Schwarzer, Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Dr. Weronika Priesmeyer-Tkocz, stellvertretende Direktorin der Europäischen Akademie Berlin
Thomas Mayer, Korrespondent der österreichischen Zeitung "Der Standard" in Brüssel
Wie tief sind die Risse in Europa?
53:42 Minuten
1824 Milliarden Euro will die EU in den nächsten Jahren ausgeben, davon allein 750 Milliarden gegen die Corona-Folgen. Viel Geld, um das es viel Streit gibt. Es geht um Solidarität, Werte und nationale Egoismen. Ist die EU nun stärker oder schwächer?
Vier Tage und Nächte lang haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf ihrem Sondergipfel gerungen, jetzt steht der Kompromiss - zumindest vorerst: 1824 Milliarden für Europa bis 2027. 750 Milliarden davon sollen gegen die Folgen der Corona-Krise ausgegeben werden, der Rest ist der EU-Haushalt für die kommenden Jahre.
Die Gipfelteilnehmer waren erleichtert ob der Einigung, denn der Streit war heftig, hinter verschlossenen Türen wurde es bisweilen laut. Vier, später fünf Länder, die sich selbst sparsam nennen, wollten, dass die EU weniger Geld in die Hand nimmt und den von der Pandemie besonders gebeutelten Staaten wie Italien oder Spanien genau auf die Finger schaut, was sie mit den Corona-Hilfen anfangen. Ungarn und Polen kämpften mit harten Bandagen dagegen, Geld aus Brüssel mit Auflagen bei der Rechtstaatlichkeit zu verbinden.
Alle irgendwie Sieger
Heraus kam ein typischer EU-Kompromiss, bei dem sich alle irgendwie als Sieger fühlen dürfen. Doch genau das ist nun das Problem. Im Europa-Parlament formiert sich breiter Widerstand gegen den Deal der Staatenlenker. Zu wenig Geld im Haushalt für Klima, Innovation, Bildung, Migration, das ist der eine Kritikpunkt. Sauer stoßen vielen Abgeordneten auch die vagen Formulierungen zur Rechtstaatlichkeit im Gipfeldokument auf. Dass Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán das Ergebnis als Sieg feiert, trägt nicht zur Beruhigung bei.
Haben die nationalen Egoismen gesiegt bei dem Gipfel, der schon allein wegen der Menge des in Bewegung gesetzten Geldes als historisch gilt? Hier großzügige Beitragsrabatte für die Nörgler aus Den Haag, Wien, Kopenhagen, Stockholm und Helsinki. Dort Nachsicht gegenüber den Angriffen auf Justiz und Medien in Budapest und Warschau. Werden die Konflikte innerhalb der Union mit Geld und zugedrückten Augen übertüncht?
Verliert die EU ihre Werte?
Ist die Achse Berlin-Paris geschwächt durch Pressure Groups kleinerer Staaten wie den Sparsamen Vier oder den mittelosteuropäischen Visegrád-Ländern? Und ist das gut oder schlecht für Europa? Es sei "mehr Sensibilität gefragt gegenüber den Kleinen", sagt der österreichische Journalist Thomas Mayer. Der deutsch-französische Motor als alles dominierender Richtungsgeber sei Vergangenheit.
Verlieren die EU-Europäer ihre Werte aus dem Blick, wenn die größten Nettoempfänger weiterhin unabhängige Gerichte und freie Presse demontieren können, ohne dass Brüssel am Geldhahn dreht? Wenn es so komme, "dann hat Europa verloren", meint Daniela Schwarzer von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Und Weronika Priesmeyer-Tkocz von der Europäischen Akademie Berlin hofft hier auf das Europa-Parlament als "demokratisches Korrektiv".
Kann Europa in dieser Verfassung die Corona-Krise überwinden - und gegen die zunehmende Konkurrenz aus Fernost bestehen?
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(pag)