"Die Euphorie für diesen Sport ist einfach unglaublich"
Bartholomäus Grill sieht Chancen, dass die Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Südafrika die Menschen zusammenführen kann. "Es ist ein gespaltenes Land", sagte der "Zeit"-Korrespondent vor der WM-Auslosung in Kapstadt.
Jürgen König: Heute um 18 Uhr unserer Zeit werden in Kapstadt die Teilnehmer der Fußball-Weltmeisterschaft für die erste Gruppenrunde zusammengelost. In Kapstadt begrüße ich jetzt den Journalisten Bartholomäus Grill, dessen Buch "Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert" gerade bei Hoffmann und Campe erschienen ist. Vor zehn Minuten hat das mit der Leitung nicht geklappt, jetzt aber hat es geklappt. Guten Tag, Herr Grill!
Bartholomäus Grill: Guten Tag aus Kapstadt!
König: Laduuuuuma, mit fünf U geschrieben, das heißt Tor?
Grill: Das heißt Tor in der Sprache isiZulu und isiXhosa.
König: Sie sind seit 1993 Korrespondent der "Zeit" in Südafrika. Ihr Buch enthält eine Sammlung afrikanischer Fußballreportagen aus Südafrika natürlich, aber auch aus dem Senegal, aus Nigeria, Sambia, Kamerun - und das liest man und hat den Eindruck, dass der Fußball in diesen Ländern schon etwas Magisches ausstrahlt. Was macht diese Magie aus?
Grill: Es ist vor allen Dingen die flächendeckende Begeisterung, die uns in allen Ländern begegnet. Ich habe Fußballspiele gesehen in allen Hauptstädten, aber auch in den hintersten Urwalddörfern rennen die kleinen Jungs und auch Mädchen dem Ball nach, und die Euphorie für diesen Sport ist einfach unglaublich. Und oft ist es eben auch in kleineren Städten oder Orten die einzige Abwechslung in einem doch relativ monotonen Alltag. Und umso größer ist dann die Begeisterung, wenn Fußball gespielt wird. Und das ist die Magie, die dieser Sport ausstrahlt.
König: Was ist das für ein Gefühl, in einem voll besetzten, großen afrikanischen Fußballstadion zu sitzen?
Grill: Na ja, das Gefühl unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Gefühl, das man im Berliner Olympiastadion hat. Es ist bunter, es ist lauter und es ist schriller und ungeordneter, aber die Grundstimmung ist die gleiche, überall, egal ob Sie in Afrika, in Brasilien oder in Liverpool sind.
König: Nun gut, ich hatte nur jetzt, wenn Sie schreiben von Fetischen zum Beispiel, die den Mannschaften den Sieg bereiten sollen, zum Beispiel der vertrocknete Arm eines Pavians, der da verehrt wird, da hatte ich schon gedacht, dass es in den Stadien schon - also Sie sagen das so trocken, es geht bunter zu, auch ein bisschen lauter - ich hatte mir das schon sagen wir mal etwas hexenkesseliger vorgestellt.
Grill: Na ja, es gibt natürlich manchmal Auseinandersetzungen, vor allen Dingen, wenn die Fetische und die Geister mitspielen. Man muss dazusagen, dass auch der Alltag Afrikas natürlich von einem starken Ahnenglauben geprägt ist und auch von einem starken Aberglauben und dass man sozusagen alle Geschicke auf höhere Mächte zurückführt, egal ob jetzt eine Ziege stirbt oder ob jemand krank wird oder ob man Pech hat. Dasselbe gilt dann natürlich auf dem Fußballplatz. Es muss dann immer durch höhere Mächte die Linie verzaubert sein oder der Ball ist verhext oder die Torwarthandschuhe wurden bezaubert und so weiter, und das spielt natürlich eine große Rolle.
König: Und wird darüber auch während des Spiels gestritten, ob das so oder so gewesen sein könnte?
Grill: Ja, da gibt es manchmal auch kleinere Zusammenstöße. Wenn dann zum Beispiel vor dem Spiel ein Trainerassistent auf den Platz geht und ein seltsames Elixier oder Kräuterstaub verstreut auf dem Fußballplatz, dann kann es schon passieren, dass die gegnerischen Fans ihn attackieren und einen Gegenzauber aufbieten.
König: Was kostet eine Karte fürs Stadion?
Grill: Sprechen Sie jetzt von der Weltmeisterschaft oder allgemein?
König: Erst mal allgemein. Ich wollte einfach wissen, wer da hingeht, wer sich das leisten kann. Bei uns sind die Karten ja manchmal sehr teuer, wie ist das in afrikanischen Ländern?
Grill: Die Karten sind relativ billig, aber für einen echten Fußballfan, auch wenn sie etwas teurer sind, ein echter Fußballfan gibt das auch in Afrika aus, egal um welchen Betrag es geht. Und bei der Weltmeisterschaft hat man nun eine spezielle Ticketkategorie eingeführt. Man kann hier WM-Spiele sehen für 140 Rand, das sind ungefähr 12 Euro.
König: Sie schreiben von der versöhnenden, auch von der emanzipatorischen Kraft des Fußballs. Von was emanzipiert sich der afrikanische Kontinent durch den Fußball?
Grill: Ich meine das in einem doppelten Sinn. Individuell emanzipiert der Fußball durch das gemeinsame Spiel. Wenn Sie sich vorstellen, Südafrika ist ein Land, wo schwarze, weiße und farbige Kinder und Fußballer getrennt spielen mussten.
Und die Tatsache, dass man nun gemeinsam spielen kann in gemeinsamen Ligen, in gemeinsamen Teams auftritt, hat eine emanzipatorische Kraft, denn auf dem Fußballplatz sind alle gleich und es zählt nicht mehr die Hautfarbe, sondern die Qualität, mit der man spielt.
Und wenn man das überträgt auf Länderebene, auf Nationalmannschaften - die Afrikaner waren ja lange sozusagen, wurden als Kanonenfutter angesehen weltweit, das hat sich geändert, seit es Mannschaften wie Kamerun oder Côte d'Ivoire/Elfenbeinküste gibt. Sie sind jetzt durch diese Weltmeisterschaft eben als gleichwertige Mitglieder der Weltfußballfamilie anerkannt, und man begegnet ihnen auf Augenhöhe. Das hat emanzipatorische Kraft.
König: Kommen wir mal auf den Gastgeber der Weltmeisterschaft, Südafrika. Sie nennen das Land fragil, also eine zerbrechliche Nation. Haben Sie, Herr Grill, den Eindruck, dass diese Weltmeisterschaft die Menschen des Landes zusammenführt oder dass sie eher das Zerbrechliche, also das Auseinanderdriftende verstärkt?
Grill: Beides. Man muss ja immer auf die Geschichte zurückblicken, wenn man über Südafrika redet. Es ist ein gespaltenes Land, nach Rassenkriterien in der Apartheid wurden die Bevölkerungsgruppen getrennt, und das ist natürlich auch nach wie vor zu spüren und auch im Sport zu spüren.
Während die Weißen und indischstämmigen Südafrikaner eher Cricket lieben und die Buren, also die holländischen Einwanderer Rugby lieben, ist Fußball der Sport der Schwarzen. Und es gibt natürlich sehr viele Weiße in diesem Lande, die sich überhaupt nicht für diesen Fußballzirkus interessieren und auch nicht wissen, wie etwa Abseits aussehen würde. Aber man erhofft sich trotzdem, dass durch diese allgemeine nationale Begeisterung auch ein versöhnender Aspekt dabei sein wird.
König: Letzten Sonntag wurde das neue Stadion in der Hafen- und Badestadt Durban am Indischen Ozean eingeweiht, ein Bau wie eine riesige Auster, gebaut von den Hamburger Architekten Gerkan, Marg und Partner, die auch das Stadion am Green Point von Kapstadt bauen. Als ich die Bilder aus Durban sah, dachte ich, also die reichen Südafrikaner werden so etwas mit Stolz vermutlich wahrnehmen, als Ausdruck auch nationaler Größe. Für die Armen – und davon gibt es ja nun sehr viele auch in Südafrika –, haben diese mondänen Fußballstadien für sie nicht auch etwas sehr Provokantes?
Grill: Nein, im Gegenteil. Also ich habe in Durban niemanden getroffen, der dieses Stadion nicht bewundern würde und stolz drauf wäre, weil es vor allen Dingen auch Klischees überwindet. Wir haben ja die Vorstellung von Afrika, das ist ländlich, das ist romantisch, das ist rückständig, und das ist genau das Gegenbild. Ich meine, Südafrika ist eine Stadt mit urbanen Metropolen, und es gibt eine neue afrikanische Urbanität nach der Apartheid. Und ein Stadion wie dieses symbolisiert eben genau diese neue Urbanität. Das ist ein anderes Afrika und nicht dieses ländlich-romantische. Das sind ja im Grunde nur all die kolonialen Stereotype, die wir pflegen.
König: Aber ist auch ein Stereotyp das Thema Sicherheitslage, das hier immer wieder anklingt? Man hört sogar, dass viele Journalisten gar nicht so scharf darauf seien, zur WM-Berichterstattung nach Südafrika zu fahren wegen der Sicherheitslage. Sie sind seit Langem in Südafrika, wie erleben Sie das Land, was die Sicherheit angeht?
Grill: Ja, ich halte das für vollkommen übertrieben. Rein statistisch ist es natürlich, sind die Mordzahlen erschreckend, es werden pro Tag 50 Menschen umgebracht in diesem Land, mehr als in jedem anderen Land der Welt, aber man muss sich die Statistiken genauer ansehen. Die meisten Verbrechen geschehen innerhalb der Townships, treffen also Schwarze, Täter und Opfer kennen sich. Wir haben neulich mal eine Recherche gestartet und haben versucht herauszufinden bei großen Versicherungsunternehmen, wie viele Touristen wurden denn eigentlich in den letzten zehn Jahren hier umgebracht.
König: Und?
Grill: Das waren ganze vier.
König: Vier, in zehn Jahren?
Grill: Ja. Also die Häufigkeit von Verkehrsunfällen oder auch Hundebissen, oder selbst zwei Schlangenbisse waren dabei, ist größer als umgebracht zu werden. Als Tourist ist man hier relativ sicher. Man ist jedenfalls so sicher, wie man in Rio ist oder in anderen Megastädten des Südens.
Da ist überall eine riesige Kluft zwischen Arm und Reich, da gibt es überall hohe Kriminalitätsraten, und das ist eben der Preis für diese extreme Ungleichheit. Aber man kann ohne Sorge hierher fahren, ich halte das für vollkommen überzogen. Die Südafrikaner machen sich hier schon lustig über die Deutschen, weil angeblich eine Sicherheitsfirma vorgeschlagen hat, dass die deutsche Nationalmannschaft mit schusssicheren Westen hier auflaufen möge.
König: Nicht schlecht.
Grill: Die Südafrikaner sagen, na wunderbar, wenn Ballack diese Weste trägt, dann verlieren die Deutschen, dann soll er sie doch tragen.
König: Heute um 18 Uhr unserer Zeit werden in Kapstadt die Gruppen zusammengelost. Was merken Sie jetzt schon davon in der Stadt?
Grill: Also ich habe hier ein Büro im Stadtzentrum von Kapstadt. Die ganze Stadt sieht dem Ereignis mit fiebriger Freude entgegen. Man hört Vuvuzeelas, das sind diese berühmten südafrikanischen Fußballtröten. Leider schallt gerade keine, sonst könnte ich den Hörer aus dem Fenster halten …
König: Sie haben auch zufällig keine dabei?
Grill: Ich habe leider in meinem Büro keine, nein. Aber zu Hause natürlich, und mein Sohn hat auch eine.
König: Und Sie schreiben in Ihrem Buch, dass das ein gewaltiges Hintergrundsummen ergäbe, das zur globalen Sommermelodie des Sommers 2010 werden könnte. Wie klingt das denn, können Sie das mal beschreiben?
Grill: Ach, das ist schwer zu beschreiben. Stellen Sie sich vor, sämtliche Elefanten im Krügerpark tröten zur Brunftzeit gleichzeitig.
König: Das kann ich mir vorstellen.
Grill: So klingt das ungefähr.
König: Sie sind ja selber Fußballenthusiast, Herr Grill, das spürt man in jeder Zeile. Für wen wird denn Ihr Herz bei der WM schlagen oder schneller schlagen – für Bafana Bafana, die Mannschaft Südafrikas, oder für die Deutschen?
Grill: Na ja, natürlich für die Deutschen, wobei mein Herz auch für Bafana Bafana schlägt, aber das ist eine schwierige Geschichte, weil die kein besonders gutes Team haben und alle hoffen, dass sie die Vorrunde überstehen. Ganz stark schlägt mein Herz natürlich auch für die Elfenbeinküste. Denen traue ich eine Halbfinalteilnahme dieses Mal zu.
König: Aha, das ist der erste Tipp, wir werden noch viele hören. Heute um 18 Uhr also die Auslosung der ersten Gruppen der 32 Teilnehmer der Fußball-WM in Südafrika. Ein Gespräch mit dem Afrika-Journalisten Bartholomäus Grill. Sein Buch "Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert" ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Herr Grill, ich danke Ihnen und wünsche heute Abend eine schöne Feier!
Grill: Vielen Dank!
Hinweis:
Über die WM-Auslosung informieren dieDeutschlandfunk-Nachrichten.
Bartholomäus Grill: Guten Tag aus Kapstadt!
König: Laduuuuuma, mit fünf U geschrieben, das heißt Tor?
Grill: Das heißt Tor in der Sprache isiZulu und isiXhosa.
König: Sie sind seit 1993 Korrespondent der "Zeit" in Südafrika. Ihr Buch enthält eine Sammlung afrikanischer Fußballreportagen aus Südafrika natürlich, aber auch aus dem Senegal, aus Nigeria, Sambia, Kamerun - und das liest man und hat den Eindruck, dass der Fußball in diesen Ländern schon etwas Magisches ausstrahlt. Was macht diese Magie aus?
Grill: Es ist vor allen Dingen die flächendeckende Begeisterung, die uns in allen Ländern begegnet. Ich habe Fußballspiele gesehen in allen Hauptstädten, aber auch in den hintersten Urwalddörfern rennen die kleinen Jungs und auch Mädchen dem Ball nach, und die Euphorie für diesen Sport ist einfach unglaublich. Und oft ist es eben auch in kleineren Städten oder Orten die einzige Abwechslung in einem doch relativ monotonen Alltag. Und umso größer ist dann die Begeisterung, wenn Fußball gespielt wird. Und das ist die Magie, die dieser Sport ausstrahlt.
König: Was ist das für ein Gefühl, in einem voll besetzten, großen afrikanischen Fußballstadion zu sitzen?
Grill: Na ja, das Gefühl unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Gefühl, das man im Berliner Olympiastadion hat. Es ist bunter, es ist lauter und es ist schriller und ungeordneter, aber die Grundstimmung ist die gleiche, überall, egal ob Sie in Afrika, in Brasilien oder in Liverpool sind.
König: Nun gut, ich hatte nur jetzt, wenn Sie schreiben von Fetischen zum Beispiel, die den Mannschaften den Sieg bereiten sollen, zum Beispiel der vertrocknete Arm eines Pavians, der da verehrt wird, da hatte ich schon gedacht, dass es in den Stadien schon - also Sie sagen das so trocken, es geht bunter zu, auch ein bisschen lauter - ich hatte mir das schon sagen wir mal etwas hexenkesseliger vorgestellt.
Grill: Na ja, es gibt natürlich manchmal Auseinandersetzungen, vor allen Dingen, wenn die Fetische und die Geister mitspielen. Man muss dazusagen, dass auch der Alltag Afrikas natürlich von einem starken Ahnenglauben geprägt ist und auch von einem starken Aberglauben und dass man sozusagen alle Geschicke auf höhere Mächte zurückführt, egal ob jetzt eine Ziege stirbt oder ob jemand krank wird oder ob man Pech hat. Dasselbe gilt dann natürlich auf dem Fußballplatz. Es muss dann immer durch höhere Mächte die Linie verzaubert sein oder der Ball ist verhext oder die Torwarthandschuhe wurden bezaubert und so weiter, und das spielt natürlich eine große Rolle.
König: Und wird darüber auch während des Spiels gestritten, ob das so oder so gewesen sein könnte?
Grill: Ja, da gibt es manchmal auch kleinere Zusammenstöße. Wenn dann zum Beispiel vor dem Spiel ein Trainerassistent auf den Platz geht und ein seltsames Elixier oder Kräuterstaub verstreut auf dem Fußballplatz, dann kann es schon passieren, dass die gegnerischen Fans ihn attackieren und einen Gegenzauber aufbieten.
König: Was kostet eine Karte fürs Stadion?
Grill: Sprechen Sie jetzt von der Weltmeisterschaft oder allgemein?
König: Erst mal allgemein. Ich wollte einfach wissen, wer da hingeht, wer sich das leisten kann. Bei uns sind die Karten ja manchmal sehr teuer, wie ist das in afrikanischen Ländern?
Grill: Die Karten sind relativ billig, aber für einen echten Fußballfan, auch wenn sie etwas teurer sind, ein echter Fußballfan gibt das auch in Afrika aus, egal um welchen Betrag es geht. Und bei der Weltmeisterschaft hat man nun eine spezielle Ticketkategorie eingeführt. Man kann hier WM-Spiele sehen für 140 Rand, das sind ungefähr 12 Euro.
König: Sie schreiben von der versöhnenden, auch von der emanzipatorischen Kraft des Fußballs. Von was emanzipiert sich der afrikanische Kontinent durch den Fußball?
Grill: Ich meine das in einem doppelten Sinn. Individuell emanzipiert der Fußball durch das gemeinsame Spiel. Wenn Sie sich vorstellen, Südafrika ist ein Land, wo schwarze, weiße und farbige Kinder und Fußballer getrennt spielen mussten.
Und die Tatsache, dass man nun gemeinsam spielen kann in gemeinsamen Ligen, in gemeinsamen Teams auftritt, hat eine emanzipatorische Kraft, denn auf dem Fußballplatz sind alle gleich und es zählt nicht mehr die Hautfarbe, sondern die Qualität, mit der man spielt.
Und wenn man das überträgt auf Länderebene, auf Nationalmannschaften - die Afrikaner waren ja lange sozusagen, wurden als Kanonenfutter angesehen weltweit, das hat sich geändert, seit es Mannschaften wie Kamerun oder Côte d'Ivoire/Elfenbeinküste gibt. Sie sind jetzt durch diese Weltmeisterschaft eben als gleichwertige Mitglieder der Weltfußballfamilie anerkannt, und man begegnet ihnen auf Augenhöhe. Das hat emanzipatorische Kraft.
König: Kommen wir mal auf den Gastgeber der Weltmeisterschaft, Südafrika. Sie nennen das Land fragil, also eine zerbrechliche Nation. Haben Sie, Herr Grill, den Eindruck, dass diese Weltmeisterschaft die Menschen des Landes zusammenführt oder dass sie eher das Zerbrechliche, also das Auseinanderdriftende verstärkt?
Grill: Beides. Man muss ja immer auf die Geschichte zurückblicken, wenn man über Südafrika redet. Es ist ein gespaltenes Land, nach Rassenkriterien in der Apartheid wurden die Bevölkerungsgruppen getrennt, und das ist natürlich auch nach wie vor zu spüren und auch im Sport zu spüren.
Während die Weißen und indischstämmigen Südafrikaner eher Cricket lieben und die Buren, also die holländischen Einwanderer Rugby lieben, ist Fußball der Sport der Schwarzen. Und es gibt natürlich sehr viele Weiße in diesem Lande, die sich überhaupt nicht für diesen Fußballzirkus interessieren und auch nicht wissen, wie etwa Abseits aussehen würde. Aber man erhofft sich trotzdem, dass durch diese allgemeine nationale Begeisterung auch ein versöhnender Aspekt dabei sein wird.
König: Letzten Sonntag wurde das neue Stadion in der Hafen- und Badestadt Durban am Indischen Ozean eingeweiht, ein Bau wie eine riesige Auster, gebaut von den Hamburger Architekten Gerkan, Marg und Partner, die auch das Stadion am Green Point von Kapstadt bauen. Als ich die Bilder aus Durban sah, dachte ich, also die reichen Südafrikaner werden so etwas mit Stolz vermutlich wahrnehmen, als Ausdruck auch nationaler Größe. Für die Armen – und davon gibt es ja nun sehr viele auch in Südafrika –, haben diese mondänen Fußballstadien für sie nicht auch etwas sehr Provokantes?
Grill: Nein, im Gegenteil. Also ich habe in Durban niemanden getroffen, der dieses Stadion nicht bewundern würde und stolz drauf wäre, weil es vor allen Dingen auch Klischees überwindet. Wir haben ja die Vorstellung von Afrika, das ist ländlich, das ist romantisch, das ist rückständig, und das ist genau das Gegenbild. Ich meine, Südafrika ist eine Stadt mit urbanen Metropolen, und es gibt eine neue afrikanische Urbanität nach der Apartheid. Und ein Stadion wie dieses symbolisiert eben genau diese neue Urbanität. Das ist ein anderes Afrika und nicht dieses ländlich-romantische. Das sind ja im Grunde nur all die kolonialen Stereotype, die wir pflegen.
König: Aber ist auch ein Stereotyp das Thema Sicherheitslage, das hier immer wieder anklingt? Man hört sogar, dass viele Journalisten gar nicht so scharf darauf seien, zur WM-Berichterstattung nach Südafrika zu fahren wegen der Sicherheitslage. Sie sind seit Langem in Südafrika, wie erleben Sie das Land, was die Sicherheit angeht?
Grill: Ja, ich halte das für vollkommen übertrieben. Rein statistisch ist es natürlich, sind die Mordzahlen erschreckend, es werden pro Tag 50 Menschen umgebracht in diesem Land, mehr als in jedem anderen Land der Welt, aber man muss sich die Statistiken genauer ansehen. Die meisten Verbrechen geschehen innerhalb der Townships, treffen also Schwarze, Täter und Opfer kennen sich. Wir haben neulich mal eine Recherche gestartet und haben versucht herauszufinden bei großen Versicherungsunternehmen, wie viele Touristen wurden denn eigentlich in den letzten zehn Jahren hier umgebracht.
König: Und?
Grill: Das waren ganze vier.
König: Vier, in zehn Jahren?
Grill: Ja. Also die Häufigkeit von Verkehrsunfällen oder auch Hundebissen, oder selbst zwei Schlangenbisse waren dabei, ist größer als umgebracht zu werden. Als Tourist ist man hier relativ sicher. Man ist jedenfalls so sicher, wie man in Rio ist oder in anderen Megastädten des Südens.
Da ist überall eine riesige Kluft zwischen Arm und Reich, da gibt es überall hohe Kriminalitätsraten, und das ist eben der Preis für diese extreme Ungleichheit. Aber man kann ohne Sorge hierher fahren, ich halte das für vollkommen überzogen. Die Südafrikaner machen sich hier schon lustig über die Deutschen, weil angeblich eine Sicherheitsfirma vorgeschlagen hat, dass die deutsche Nationalmannschaft mit schusssicheren Westen hier auflaufen möge.
König: Nicht schlecht.
Grill: Die Südafrikaner sagen, na wunderbar, wenn Ballack diese Weste trägt, dann verlieren die Deutschen, dann soll er sie doch tragen.
König: Heute um 18 Uhr unserer Zeit werden in Kapstadt die Gruppen zusammengelost. Was merken Sie jetzt schon davon in der Stadt?
Grill: Also ich habe hier ein Büro im Stadtzentrum von Kapstadt. Die ganze Stadt sieht dem Ereignis mit fiebriger Freude entgegen. Man hört Vuvuzeelas, das sind diese berühmten südafrikanischen Fußballtröten. Leider schallt gerade keine, sonst könnte ich den Hörer aus dem Fenster halten …
König: Sie haben auch zufällig keine dabei?
Grill: Ich habe leider in meinem Büro keine, nein. Aber zu Hause natürlich, und mein Sohn hat auch eine.
König: Und Sie schreiben in Ihrem Buch, dass das ein gewaltiges Hintergrundsummen ergäbe, das zur globalen Sommermelodie des Sommers 2010 werden könnte. Wie klingt das denn, können Sie das mal beschreiben?
Grill: Ach, das ist schwer zu beschreiben. Stellen Sie sich vor, sämtliche Elefanten im Krügerpark tröten zur Brunftzeit gleichzeitig.
König: Das kann ich mir vorstellen.
Grill: So klingt das ungefähr.
König: Sie sind ja selber Fußballenthusiast, Herr Grill, das spürt man in jeder Zeile. Für wen wird denn Ihr Herz bei der WM schlagen oder schneller schlagen – für Bafana Bafana, die Mannschaft Südafrikas, oder für die Deutschen?
Grill: Na ja, natürlich für die Deutschen, wobei mein Herz auch für Bafana Bafana schlägt, aber das ist eine schwierige Geschichte, weil die kein besonders gutes Team haben und alle hoffen, dass sie die Vorrunde überstehen. Ganz stark schlägt mein Herz natürlich auch für die Elfenbeinküste. Denen traue ich eine Halbfinalteilnahme dieses Mal zu.
König: Aha, das ist der erste Tipp, wir werden noch viele hören. Heute um 18 Uhr also die Auslosung der ersten Gruppen der 32 Teilnehmer der Fußball-WM in Südafrika. Ein Gespräch mit dem Afrika-Journalisten Bartholomäus Grill. Sein Buch "Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert" ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Herr Grill, ich danke Ihnen und wünsche heute Abend eine schöne Feier!
Grill: Vielen Dank!
Hinweis:
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