"Die Fähigkeit haben, hinter das Ding zurückzutreten"
Für die Puppenspielerin Silvia Brendenal geht es bei ihrer Kunst darum, unbelebtes Material zu animieren oder Kontakt zu einem Stück Natur aufzunehmen. Sie spricht vom "Theater der Dinge" - zu erleben bei einem internationalen Festival in Berlin.
Klaus Pokatzky: Was soll Kunst eigentlich? "Es ist der Traum aller Kunst, unbelebtes Material zu beleben und ihm eine Seele zu geben." Das sagt Silvia Brendenal. Sie belebt unbelebtes Material als Leiterin des Berliner Puppentheaters Schaubude im Prenzlauer Berg und sie beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit dem Puppentheater, dem Figurentheater, das in der alten DDR übrigens ganz gleichberechtigt neben den Sprechtheatern existierte.
Am kommenden Freitag wird Silvia Brendenal für ihre Verdienste um die deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Puppentheaters zum Chevalier des französischen Kulturordens "Ordre des Arts et des Lettres" ernannt. Willkommen im Studio, Silvia Brendenal!
Silvia Brendenal: Ich grüße Sie!
Pokatzky: Wie muss ich Sie dann in einer Woche formvollendet ansprechen?
Brendenal: Als Silvia Brendenal.
Pokatzky: Nicht Madame la Chevalière?
Brendenal: Ich glaube nicht.
Pokatzky: Dann spreche ich Sie jetzt als eine der Expertinnen in Deutschland zum Thema Puppentheater an. Ich gestehe das mal ganz offen als alter Westler: Für mich ist das verbunden mit "Der Verkehrskaspar kommt" oder natürlich die berühmte "Augsburger Puppenkiste". Wenn Sie einem, ich sage einmal, solchen Ignoranten die Faszination des Puppentheaters klarmachen müssten, wie würden Sie das in zwei Sätzen tun?
Brendenal: Also, wenn Sie jetzt von dem Verkehrskasper reden und der "Augsburger Puppenkiste", sind wir eigentlich schon mitten drin. Wir sind die Theaterform, die mit den meisten Klischees besetzt sind. Also wir sind damit besetzt, dass wir Theater für Kinder sind, dass dieses Theater erzieht und dass das Theater unterhält. Wogegen nichts zu sagen wäre …
Pokatzky: Genau. Für Kinder, erziehen und unterhalten – ist doch toll!
Brendenal: Ja. Wir tun das alles auch. Aber es ist ein Teil unserer künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten und Ausdrucksformen. Wenn ich das Theater der Dinge, ich sage gern Theater der Dinge, weil das umfasst so viel. Es umfasst die Puppe, es umfasst das Material, es umfasst ein Stück Natur – mit Stück Natur meine ich jetzt einen Stein oder ein Holz oder irgendetwas. Also wenn ich dieses Theater beschreibe, dieses Theater der Dinge, versuche ich immer zu erklären, dass auf unserer Bühne findet statt, dass der Darsteller sich in Beziehung setzt zu dieser Dingwelt – diese animiert, belebt, unter anderem dadurch, dass er sich in Beziehung setzt, nicht nur, dass er sie in die Hand nimmt und damit sozusagen die Handpuppe manipuliert. Manchmal einfach auch nur, indem er Kontakt aufnimmt.
Pokatzky: Kontakt mit wem aufnimmt?
Brendenal: Mit dem Ding.
Pokatzky: Mit dem Ding?
Brendenal: Mit dem Ding. Und natürlich zwangsläufig mit dem Zuschauer. Der ist nie draußen, der Kommunikationsprozess ist immer Bestandteil.
Pokatzky: Aber es ist eine andere Art, Kontakt aufzunehmen mit dem Zuschauer, als wenn ich jetzt der Schauspieler im Sprechtheater bin. Ich verstecke mich ja hinter der Puppe, hinter der Maske, oder?
Brendenal: Nein. In dem Augenblick, in dem ich zum Beispiel mit einem Ding auf der Bühne Beziehung aufnehme, verstecke ich mich nicht, im Gegenteil, ich mache mich weitaus durchlässiger, denn ich mache sichtbar für den Zuschauer, was passiert mit mir als Darsteller, wenn ich mit diesem Ding kommuniziere.
Pokatzky: Muss ich da mehr leisten, wenn ich mit diesem Ding auf der Bühne Kontakt aufnehme oder eine Beziehung zu dem aufbaue, als wenn ich der ganz normale Schauspieler im Sprechtheater bin?
Brendenal: Na, ich habe eben nicht die Chance, mich hinter einer Rolle zu verbergen als Darsteller.
Pokatzky: Können Sie das einmal an einer Rolle exemplarisch versuchen, zu erklären? Welches ist Ihre liebste Puppe?
Brendenal: Meine liebste Puppe? Ich glaube, ich habe keine liebste Puppe. Ich glaube, mir wird die Puppe immer in dem Augenblick lieb, in dem sie gut animiert ist auf der Bühne. Also, ich könnte Ihnen sagen, welches vielleicht eine Puppenspielerin ist, die ich sehr gern hab oder einen Puppenspieler, den ich sehr gern habe. Ich finde zum Beispiel einen der größten deutschen Puppenspieler, den wir haben, das ist Frank Söhnler, der gerade in der Komischen Oper im "Orpheus" auf der Bühne steht und dort seine Puppen animiert …
Pokatzky: Warum ist der so gut? Was zeichnet den aus?
Brendenal: Na, weil er fast ein Magier auf der Bühne ist. Also er schafft es wirklich, diese Puppen mit einer großen Lebendigkeit, ja, fast mit einer magischen Ausstrahlungskraft zu versehen.
Pokatzky: Was gehört dazu, welche Fähigkeiten muss ich haben, wenn ich über diese Magie verfüge?
Brendenal: Ich muss ein sehr genaues Gefühl haben für das Material, das in meinen Händen ist. Ich muss sehr genau wissen, wie es sich auszudrücken vermag. Also mit welchen Bewegungen in welchem Rhythmus. Und ich muss die Fähigkeit haben, hinter das Ding zurückzutreten.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Silvia Brendenal, die Leiterin des Berliner Puppentheaters "Schaubude". Frau Brendenal, was darf ich auf gar keinen Fall als guter Puppenspieler machen. Was ist so eine Todsünde, eine Kardinalsünde?
Brendenal: Die Puppe zu verraten.
Pokatzky: Wie verrate ich die Puppe?
Brendenal: Na, indem ich mich für wichtiger auf der Bühne präsentiere als die Puppe.
Pokatzky: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Puppen und Marionetten?
Brendenal: Puppe ist der Überbegriff und die Marionette ist ein Unterbegriff. Also wir reden von der Puppe, wir reden von der Handpuppe, wir reden von der Stabpuppe, wir reden von der Marionette …
Pokatzky: Wie weit muss der gute Puppenspieler auch ein Bastler und Tüftler sein?
Brendenal: Muss er nicht, wenn er einen sehr guten Puppengestalter an seiner Seite hat. Aber sehr, sehr oft sind die Puppenspieler auch Schöpfer ihrer Objekte.
Pokatzky: Also basteln die, setzen die selber zusammen?
Brendenal: Na, basteln nicht, ich würde mich ein bisschen wehren gegen dieses Wort Basteln. Das ist schon ein schöpferischer Vorgang, so ein Puppenkopf.
Pokatzky: Kreieren, schaffen?
Brendenal: Ja bitte!
Pokatzky: Welche Rolle spielen da Licht und Musik, bei der Inszenierung des Ganzen?
Brendenal: Also eine von mir sehr verehrte Kollegin hat mal von der Synergie der Künste im Puppentheater gesprochen und war der Meinung, dass es die Theaterform ist, wo die Schwesterkünste des Theaters sich wirklich tatsächlich am exemplarischsten verwirklichen können. Also das ist die bildende Kunst, also das gestaltete Ding, das ist die darstellende Kunst, also der Darsteller, das ist die Musik, das ist das Licht, das ist der Rhythmus. Also ich denke, in diese Inszenierungen fließen schon alle Künste auf irgendeine Weise sehr zwingend ein.
Pokatzky: In der DDR gab es ja wirklich eine ganze Fülle von Puppentheatern, die auch wirklich gleichberechtigt neben dem normalen Sprechtheater existierten. Es gab auch eine spezielle Ausbildung an der Ernst-Busch-Schauspielschule – wie kam das? Warum wurde in der DDR das Puppentheater so ernst genommen?
Brendenal: Ich glaube, das hat historische Ursachen. Also zunächst, nach dem Ende des Krieges, wurde es auch als Instrument der kulturellen Bildung der Kinder eingesetzt, weil in der DDR war Theaterbesuch, war musische Erziehung Pflichtfach. Und da hat man entsprechend dem großen russischen Vorbild, Sergej Obraszow, der ja ein großes Puppentheater in Moskau leitete, hat man sozusagen auch in der DDR diese Puppentheater gegründet als fast nahezu kleine Stadttheater. Beispielsweise, wo die Schaubude jetzt residiert, das war mal das Puppentheater Berlin mit nahezu 70 Mitarbeitern.
Pokatzky: Sie haben von 1991 bis 1997 in Bochum als Direktorin des Deutschen Forums für Figurentheater gearbeitet. Und aus dieser Zeit rührt auch so eine besondere Beziehung zum belgischen und gerade auch zum französischen Puppentheater. Was machen die da anders? Was haben Sie von denen vielleicht gelernt, und was haben die von Ihnen gelernt? Sonst würden Sie ja nicht am nächsten Freitag Chevalier.
Brendenal: Also, wichtig ist zu sagen, dass es das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst ist. In diesem Titel mischen sich sozusagen der Ost- und der Westbegriff für diese Theaterform. Und es ist eine Funktion, die ich nach der Wende übernommen habe. Und das heißt auch, dass sich nach der Wende für mich die Welt öffnete. Und zwar nicht nur persönlich, sondern auch die künstlerische Welt. Und in Belgien oder in Frankreich begegnete mir plötzlich das Théâtre d'objèt. Eben dieses von mir beschriebene Theater der Dinge. Wo die Puppe nicht mehr als verkleinerter Mensch nur auf der Bühne fungiert, sondern wo eben das Ding eine tragende Rolle auf der Bühne übernehmen kann.
Das hat mich unendlich fasziniert, weil ich für mich sofort begriffen habe, dass sich mein Verständnis von dieser Theaterform, von dieser Puppenspielkunst um ein Unglaubliches erweitert. Und ich hab mich dafür sehr interessiert und habe, ja, dieses für mich entdeckt. Und im Gegensatz zum Beispiel zu dem Festival, was bis zu meiner Ankunft in Bochum durchgeführt wurde, also die Fidena, die immer ost-orientiert war, weil im Osten existierte das Ensemblespielprinzip, was auch was Außergewöhnliches war, orientierte dann in meiner künstlerischen Leitung die Fidena doch weitaus mehr, sich zu öffnen für dieses Theater der Dinge.
Pokatzky: Also wenn Sie sagen, Ensemble im Osten, dann waren es im Westen mehr so die Einzelkämpfer?
Brendenal: Die Solisten.
Pokatzky: Die Solisten. Sie sagen Festival. Heute beginnt auch ein Festival, nämlich das Festival "Theater 2 plus" zum Spielauftakt in der Schaubude. Wer kommt da alles? Was sind für Sie die Höhepunkte?
Brendenal: Das Theater für die ganz Kleinen ist im Augenblick in Deutschland dabei, sich durchzusetzen. Und immer, wenn sich was durchsetzt, also der Markt beginnt, das künstlerische Geschehen zu diktieren, ist es wichtig, noch einmal innezuhalten und drauf zu schauen; sich zu überlegen, was ist eigentlich die Qualität, die künstlerische Qualität dieses Theaters für ganz Kleine. Und für mich war ganz wichtig beim Innehalten mal die einzuladen, die das schon seit 20 Jahren und länger machen. Die sozusagen über Erfahrung verfügen, die den mühevollen Weg der Entdeckung und Erkenntnis wirklich gegangen sind. Und die sind dabei.
Pokatzky: Aber nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Ausland …
Brendenal: Aus Frankreich …
Pokatzky: Dänemark?
Brendenal: Dänemark, USA, Holland.
Pokatzky: Und was präsentieren die?
Brendenal: Jede der Gruppen präsentiert eine ästhetisch eigenwillige Inszenierung für ganz Kleine.
Pokatzky: Und wie alt sollten die Zuschauer sein?
Brendenal: Na, tatsächlich ab zwei.
Pokatzky: Ab zwei. Bis wohin?
Brendenal: Maximal, maximal viereinhalb.
Pokatzky: Wer sich interessiert für das Festival "Theater 2+", das von heute an noch bis zum 4. Oktober, also bis zum Donnerstag in der Schaubude in Berlin in der Greifswalder Straße im Prenzlauer Berg läuft, der kann sich sachkundig machen im Internet unter Schaubude Berlin. Ganz herzlichen Dank, Silvia Brendenal, Leiterin des Berliner Puppentheaters Schaubude!
Brendenal: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am kommenden Freitag wird Silvia Brendenal für ihre Verdienste um die deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Puppentheaters zum Chevalier des französischen Kulturordens "Ordre des Arts et des Lettres" ernannt. Willkommen im Studio, Silvia Brendenal!
Silvia Brendenal: Ich grüße Sie!
Pokatzky: Wie muss ich Sie dann in einer Woche formvollendet ansprechen?
Brendenal: Als Silvia Brendenal.
Pokatzky: Nicht Madame la Chevalière?
Brendenal: Ich glaube nicht.
Pokatzky: Dann spreche ich Sie jetzt als eine der Expertinnen in Deutschland zum Thema Puppentheater an. Ich gestehe das mal ganz offen als alter Westler: Für mich ist das verbunden mit "Der Verkehrskaspar kommt" oder natürlich die berühmte "Augsburger Puppenkiste". Wenn Sie einem, ich sage einmal, solchen Ignoranten die Faszination des Puppentheaters klarmachen müssten, wie würden Sie das in zwei Sätzen tun?
Brendenal: Also, wenn Sie jetzt von dem Verkehrskasper reden und der "Augsburger Puppenkiste", sind wir eigentlich schon mitten drin. Wir sind die Theaterform, die mit den meisten Klischees besetzt sind. Also wir sind damit besetzt, dass wir Theater für Kinder sind, dass dieses Theater erzieht und dass das Theater unterhält. Wogegen nichts zu sagen wäre …
Pokatzky: Genau. Für Kinder, erziehen und unterhalten – ist doch toll!
Brendenal: Ja. Wir tun das alles auch. Aber es ist ein Teil unserer künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten und Ausdrucksformen. Wenn ich das Theater der Dinge, ich sage gern Theater der Dinge, weil das umfasst so viel. Es umfasst die Puppe, es umfasst das Material, es umfasst ein Stück Natur – mit Stück Natur meine ich jetzt einen Stein oder ein Holz oder irgendetwas. Also wenn ich dieses Theater beschreibe, dieses Theater der Dinge, versuche ich immer zu erklären, dass auf unserer Bühne findet statt, dass der Darsteller sich in Beziehung setzt zu dieser Dingwelt – diese animiert, belebt, unter anderem dadurch, dass er sich in Beziehung setzt, nicht nur, dass er sie in die Hand nimmt und damit sozusagen die Handpuppe manipuliert. Manchmal einfach auch nur, indem er Kontakt aufnimmt.
Pokatzky: Kontakt mit wem aufnimmt?
Brendenal: Mit dem Ding.
Pokatzky: Mit dem Ding?
Brendenal: Mit dem Ding. Und natürlich zwangsläufig mit dem Zuschauer. Der ist nie draußen, der Kommunikationsprozess ist immer Bestandteil.
Pokatzky: Aber es ist eine andere Art, Kontakt aufzunehmen mit dem Zuschauer, als wenn ich jetzt der Schauspieler im Sprechtheater bin. Ich verstecke mich ja hinter der Puppe, hinter der Maske, oder?
Brendenal: Nein. In dem Augenblick, in dem ich zum Beispiel mit einem Ding auf der Bühne Beziehung aufnehme, verstecke ich mich nicht, im Gegenteil, ich mache mich weitaus durchlässiger, denn ich mache sichtbar für den Zuschauer, was passiert mit mir als Darsteller, wenn ich mit diesem Ding kommuniziere.
Pokatzky: Muss ich da mehr leisten, wenn ich mit diesem Ding auf der Bühne Kontakt aufnehme oder eine Beziehung zu dem aufbaue, als wenn ich der ganz normale Schauspieler im Sprechtheater bin?
Brendenal: Na, ich habe eben nicht die Chance, mich hinter einer Rolle zu verbergen als Darsteller.
Pokatzky: Können Sie das einmal an einer Rolle exemplarisch versuchen, zu erklären? Welches ist Ihre liebste Puppe?
Brendenal: Meine liebste Puppe? Ich glaube, ich habe keine liebste Puppe. Ich glaube, mir wird die Puppe immer in dem Augenblick lieb, in dem sie gut animiert ist auf der Bühne. Also, ich könnte Ihnen sagen, welches vielleicht eine Puppenspielerin ist, die ich sehr gern hab oder einen Puppenspieler, den ich sehr gern habe. Ich finde zum Beispiel einen der größten deutschen Puppenspieler, den wir haben, das ist Frank Söhnler, der gerade in der Komischen Oper im "Orpheus" auf der Bühne steht und dort seine Puppen animiert …
Pokatzky: Warum ist der so gut? Was zeichnet den aus?
Brendenal: Na, weil er fast ein Magier auf der Bühne ist. Also er schafft es wirklich, diese Puppen mit einer großen Lebendigkeit, ja, fast mit einer magischen Ausstrahlungskraft zu versehen.
Pokatzky: Was gehört dazu, welche Fähigkeiten muss ich haben, wenn ich über diese Magie verfüge?
Brendenal: Ich muss ein sehr genaues Gefühl haben für das Material, das in meinen Händen ist. Ich muss sehr genau wissen, wie es sich auszudrücken vermag. Also mit welchen Bewegungen in welchem Rhythmus. Und ich muss die Fähigkeit haben, hinter das Ding zurückzutreten.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Silvia Brendenal, die Leiterin des Berliner Puppentheaters "Schaubude". Frau Brendenal, was darf ich auf gar keinen Fall als guter Puppenspieler machen. Was ist so eine Todsünde, eine Kardinalsünde?
Brendenal: Die Puppe zu verraten.
Pokatzky: Wie verrate ich die Puppe?
Brendenal: Na, indem ich mich für wichtiger auf der Bühne präsentiere als die Puppe.
Pokatzky: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Puppen und Marionetten?
Brendenal: Puppe ist der Überbegriff und die Marionette ist ein Unterbegriff. Also wir reden von der Puppe, wir reden von der Handpuppe, wir reden von der Stabpuppe, wir reden von der Marionette …
Pokatzky: Wie weit muss der gute Puppenspieler auch ein Bastler und Tüftler sein?
Brendenal: Muss er nicht, wenn er einen sehr guten Puppengestalter an seiner Seite hat. Aber sehr, sehr oft sind die Puppenspieler auch Schöpfer ihrer Objekte.
Pokatzky: Also basteln die, setzen die selber zusammen?
Brendenal: Na, basteln nicht, ich würde mich ein bisschen wehren gegen dieses Wort Basteln. Das ist schon ein schöpferischer Vorgang, so ein Puppenkopf.
Pokatzky: Kreieren, schaffen?
Brendenal: Ja bitte!
Pokatzky: Welche Rolle spielen da Licht und Musik, bei der Inszenierung des Ganzen?
Brendenal: Also eine von mir sehr verehrte Kollegin hat mal von der Synergie der Künste im Puppentheater gesprochen und war der Meinung, dass es die Theaterform ist, wo die Schwesterkünste des Theaters sich wirklich tatsächlich am exemplarischsten verwirklichen können. Also das ist die bildende Kunst, also das gestaltete Ding, das ist die darstellende Kunst, also der Darsteller, das ist die Musik, das ist das Licht, das ist der Rhythmus. Also ich denke, in diese Inszenierungen fließen schon alle Künste auf irgendeine Weise sehr zwingend ein.
Pokatzky: In der DDR gab es ja wirklich eine ganze Fülle von Puppentheatern, die auch wirklich gleichberechtigt neben dem normalen Sprechtheater existierten. Es gab auch eine spezielle Ausbildung an der Ernst-Busch-Schauspielschule – wie kam das? Warum wurde in der DDR das Puppentheater so ernst genommen?
Brendenal: Ich glaube, das hat historische Ursachen. Also zunächst, nach dem Ende des Krieges, wurde es auch als Instrument der kulturellen Bildung der Kinder eingesetzt, weil in der DDR war Theaterbesuch, war musische Erziehung Pflichtfach. Und da hat man entsprechend dem großen russischen Vorbild, Sergej Obraszow, der ja ein großes Puppentheater in Moskau leitete, hat man sozusagen auch in der DDR diese Puppentheater gegründet als fast nahezu kleine Stadttheater. Beispielsweise, wo die Schaubude jetzt residiert, das war mal das Puppentheater Berlin mit nahezu 70 Mitarbeitern.
Pokatzky: Sie haben von 1991 bis 1997 in Bochum als Direktorin des Deutschen Forums für Figurentheater gearbeitet. Und aus dieser Zeit rührt auch so eine besondere Beziehung zum belgischen und gerade auch zum französischen Puppentheater. Was machen die da anders? Was haben Sie von denen vielleicht gelernt, und was haben die von Ihnen gelernt? Sonst würden Sie ja nicht am nächsten Freitag Chevalier.
Brendenal: Also, wichtig ist zu sagen, dass es das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst ist. In diesem Titel mischen sich sozusagen der Ost- und der Westbegriff für diese Theaterform. Und es ist eine Funktion, die ich nach der Wende übernommen habe. Und das heißt auch, dass sich nach der Wende für mich die Welt öffnete. Und zwar nicht nur persönlich, sondern auch die künstlerische Welt. Und in Belgien oder in Frankreich begegnete mir plötzlich das Théâtre d'objèt. Eben dieses von mir beschriebene Theater der Dinge. Wo die Puppe nicht mehr als verkleinerter Mensch nur auf der Bühne fungiert, sondern wo eben das Ding eine tragende Rolle auf der Bühne übernehmen kann.
Das hat mich unendlich fasziniert, weil ich für mich sofort begriffen habe, dass sich mein Verständnis von dieser Theaterform, von dieser Puppenspielkunst um ein Unglaubliches erweitert. Und ich hab mich dafür sehr interessiert und habe, ja, dieses für mich entdeckt. Und im Gegensatz zum Beispiel zu dem Festival, was bis zu meiner Ankunft in Bochum durchgeführt wurde, also die Fidena, die immer ost-orientiert war, weil im Osten existierte das Ensemblespielprinzip, was auch was Außergewöhnliches war, orientierte dann in meiner künstlerischen Leitung die Fidena doch weitaus mehr, sich zu öffnen für dieses Theater der Dinge.
Pokatzky: Also wenn Sie sagen, Ensemble im Osten, dann waren es im Westen mehr so die Einzelkämpfer?
Brendenal: Die Solisten.
Pokatzky: Die Solisten. Sie sagen Festival. Heute beginnt auch ein Festival, nämlich das Festival "Theater 2 plus" zum Spielauftakt in der Schaubude. Wer kommt da alles? Was sind für Sie die Höhepunkte?
Brendenal: Das Theater für die ganz Kleinen ist im Augenblick in Deutschland dabei, sich durchzusetzen. Und immer, wenn sich was durchsetzt, also der Markt beginnt, das künstlerische Geschehen zu diktieren, ist es wichtig, noch einmal innezuhalten und drauf zu schauen; sich zu überlegen, was ist eigentlich die Qualität, die künstlerische Qualität dieses Theaters für ganz Kleine. Und für mich war ganz wichtig beim Innehalten mal die einzuladen, die das schon seit 20 Jahren und länger machen. Die sozusagen über Erfahrung verfügen, die den mühevollen Weg der Entdeckung und Erkenntnis wirklich gegangen sind. Und die sind dabei.
Pokatzky: Aber nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Ausland …
Brendenal: Aus Frankreich …
Pokatzky: Dänemark?
Brendenal: Dänemark, USA, Holland.
Pokatzky: Und was präsentieren die?
Brendenal: Jede der Gruppen präsentiert eine ästhetisch eigenwillige Inszenierung für ganz Kleine.
Pokatzky: Und wie alt sollten die Zuschauer sein?
Brendenal: Na, tatsächlich ab zwei.
Pokatzky: Ab zwei. Bis wohin?
Brendenal: Maximal, maximal viereinhalb.
Pokatzky: Wer sich interessiert für das Festival "Theater 2+", das von heute an noch bis zum 4. Oktober, also bis zum Donnerstag in der Schaubude in Berlin in der Greifswalder Straße im Prenzlauer Berg läuft, der kann sich sachkundig machen im Internet unter Schaubude Berlin. Ganz herzlichen Dank, Silvia Brendenal, Leiterin des Berliner Puppentheaters Schaubude!
Brendenal: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.