Die Fahne hochgehalten
Was aus verwaltungstechnischer Sicht sinnvoll erscheinen mag, muss die Bürgerinnen und Bürger noch lange nicht überzeugen. Bei geplanten Gemeinde- und Kreisreformen gibt es immer wieder Streit. Zwei Beispiele aus Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt.
Schleswig-Holstein
Von Frauke Schäfer
Der Trotz der Dithmarscher ist bekannt, historisch belegt. Nun proben sie wieder den Aufstand, diesmal mit der rot-weißen Kreisfahne in der Hand, mit Aufklebern "Nein zur Kreisreform", mit Unterschriftenaktionen und Austritten aus den regierenden Parteien da in Kiel. Der Grund ist ein ungeheuerlicher, jedenfalls im Dithmarscher Selbstverständnis - der Landkreis Dithmarschen soll mit dem Kreis Steinburg fusioniert werden.
Die Dithmarscher haben ihren Ruf längst weg. Wohlgesonnene bezeichnen sie als bedächtig und treu, bösere Zungen nennen sie stur. Das alles ficht die Dithmarscher aber nicht an.
"Ja der Dithmarscher ist halt ein typischer Norddeutscher, er ist ruhig gelassen, aber auch sehr nachdenklich und ist halt ein Typ Mensch, den man gerne haben muss, aber der auch gerne nachdenkt und der auch gerne selbst bestimmt, was für sein Land das Beste ist."
Oliver Kumbartsky muss es wissen, er ist Dithmarscher in vierter Generation, Ahnenforschung gehört in Dithmarschen zum guten Ton. Sie sind eben heimatverbunden, haben ihr Land der Nordsee abgetrotzt und verteidigen es bis heute gegen Sturm und Flut. Kein Wunder, dass diesen Menschenschlag so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Aber Vorsicht, unterschätze nie einen Dithmarscher und versuche bloß nicht, ihm etwas vorzuschreiben, dann schaltet er auf stur, ganz stur. Das erleben die Damen und Herren Politiker in Kiel gerade. Dort fasste die seit zwei Jahren regierende schwarz-rote Koalition einen Entschluss. Neue Kreise braucht das Land, hieß es dort, genauer gesagt weniger, da könne man doch schön sparen. In Dithmarschen klingelten sofort die Alarmglocken, denn ihr Kreis, das war den Widerspenstigen schnell klar, müsste auch dran glauben. Und dabei ist er doch - hübsch eingerahmt von Nordsee, Eider und Elbe - der älteste Kreis Deutschlands!
Mann: "Die Kreisgebietsreform ist also das Letzte, was angehen kann, ist einfach so."
Junge Frau: ""Ich halt da nichts von."
Mann: "Ich mein, ich finde das auch nicht, ich finde auch besser, dass wir Dithmarscher bleiben und so weiter."
Reporterin: "Wieso?"
Mann: ""Jo, das ist so traditionsgemäß. Würde ich sagen."
Frau: "Also sie werden glaube ich kaum einen finde, der dafür ist, weil es ist ja auch für die alten Leute, wenn die das hier anfangen, dicht zu machen und alles, wir sollen nach Pinneberg oder sonst wo, was fürn Quatsch, was fürn Blödsinn, was ham wir damit zu tun? Wir sind Landleute und keine Stadtleute, also unsere Vorfahren haben für Dithmarschen gekämpft und gemacht, mit Mistforken, und so soll das auch bleiben und das verteidigen wir."
Jo klar, mit Mistforken für Dithmarschen gekämpft, erzähl mir mehr, könnte der ahnungslose Hörer aus Bottrop oder Berlin denken. Adrett gekleidet steht Ute Sibbert hinter dem Verkauftresen einer Heider Schlachterei, bewaffnet nur mit einer Suppenkelle, es ist Mittagszeit. Aber Ute Sibbert übertreibt nicht, Widerstand liegt den Dithmarschern im Blut, ihr Freiheitswille ist Stoff für Legenden und Lieder:
Vielleicht ist an dieser Stelle eine kleine Übersetzung angebracht, wer alles verstanden hat, kann ja weghören. Anka und Wolfgang Mohr, zusammen das Duo Driefholt, singen folgendes: Dithmarschen, du hast schon so viel erlebt, das zeigt uns ja deine Geschichte, du brauchst dich wirklich nicht zu verstecken.
"Also, die Dithmarscher Geschichte beginnt eigentlich 1227, bei der Schlacht von Bornhöved. Ab Bornhöved waren wir dem Bischof von Bremen unterstellt, der eigentlich nur provisorisch da war. Er bekam sein Geld, das heißt Fährgelder und so kleine Sachen, und die Dithmarscher waren herrenloses Land, es gab ja keinen Adel hier. Und das war den Dänen, ihr Reich reichte bis zur Elbe, ein Dorn im Auge, auch den Holsteinischen Grafen, sie hams schon vorher versucht und ham sich häufig blutige Nasen geholt hier in Dithmarschen, weil durch List und Tücke und Mut die Dithmarscher es immer wieder geschafft haben, sie zu schlagen."
Aber 1500 reichte es den Dänen, sie wollten endlich Steuern von den reichen Dithmarscher Bauern und so zog König Johann in Dithmarschen ein. Er engagierte die Schwarze Garde, ein Zusammenschluss von Landsknechten, gefürchtet in ganz Europa. Bis Meldorf marschierten die Invasoren, metzelten alle nieder, die nicht rechtzeitig geflohen waren und warteten darauf, dass die Dithmarscher kapitulierten. Aber die dachten gar nicht dran. Also setzte sich das Heer in Bewegung, auf dem Landweg nach Norden, Richtung Heide. 12.000 Söldner und Soldaten gegen 6.000 Dithmarscher Bauern.
"Das war ja am 17. Februar ganz genau. An dem Tag hatten wir Tauwetter, es hatte vorher gefroren, wir hatten Nordweststurm, das Wetter spielte natürlich mit. Die Dithmarscher hatten hier links und rechts vom Landweg die Gräben saubergemacht. Klei, das ist ja Kleiboden hier, und den Klei auf den Weg geworfen und die Ritter vorab, die Garde und so weiter mit ihren schweren gepanzerten Zeug und Pferden dadurch, die konnten sich schwer bewegen, auch mit ihren Kanonen usw."
Und ausweichen konnten sie auch nicht, die Dithmarscher hatten Siele und Deich geöffnet und das Land geflutet. Bei Hemmingstedt nahmen sie die Invasoren unter Kanonenbeschuss. Die steckten fest, konnten nicht vor und nicht zurück, vorne die Schanze, dahinter eine sechs Kilometer lange Menschenmasse mit Wagen, die zurück bis Meldorf reichte. Die Dithmarscher kamen von allen Seiten.
"Zum Schluss haben sie ihre Harnische und alles weggeworfen und dann nur noch mit Springstöcken über die Gräben, die wussten ja Bescheid die Dithmarscher. Und dann kam es zur großen Flucht, teilweise wurden Menschen tot getrampelt, durch Pferde und so weiter, und die Dithmarscher hinterher. Ungefähr 3.000 Menschen sind hier auf dem Schlachtfeld, dieses ganze Gebiet heißt übrigens Blutfeld nach der alten Flurbezeichnung, sind hier erschlagen worden, innerhalb von zwei Stunden ist das passiert hier. Also das ist ein riesiger Tag gewesen in der Geschichte Dithmarschen."
Bis zur "Letzten Fehde" 1559 blieb Dithmarschen von Angriffen verschont. Dann war es vorbei mit der Freien Bauernrepublik. Aber immerhin, ihren Name durften sie bis heute behalten, die Grenzen habe sich nicht verändert. Und so soll es bleiben, dafür kämpfen sie, die Mistforken bleiben im Stall, jetzt werden Laptop und Maus herausgeholt. Und da kommt Oliver Kumbartzky ins Spiel.
"Ja das fing an mit einer Internetkampagne an www.wir sind dithmarschen.de. Das war im Zuge dessen, dass die Landeszeitung veröffentlicht hat, dass die Kreisgebietsreform kommen soll. Dann gab's da hunderte von Leserbriefen, dann wollten wir halt ein Forum schaffen im Internet, damit die Leute auch dort Dampf ablassen können. Und daraus hat sich dann später die Volksinitiative entwickelt, weil wir hatten ne Onlinepetition und die hat ja keinen Rechtscharakter, dafür muss man eine wirkliche Volksinitiative gründen. Und das war dann der logische nächste Schritt."
Und ein erfolgreicher dazu, innerhalb von sechs Wochen sammelten die Aufrührer rund 33.000 Unterschriften. Nach Kumbartskys Schätzung haben damit mehr als ein Drittel der zeichnungsberechtigten Dithmarscher unterschrieben und erzwangen so eine Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Landtages. Zwischen Eider und Nordsee ist man sich einig, über die Parteigrenzen hinweg. Die CDU verzeichnete schon mehr als 100 Austritte, in Eddelak verabschiedete sich ein kompletter Ortsverband incl. Bürgermeister von der SPD. Renate Walter, Sozialdemokratin und Kreistagsabgeordnete, kann das verstehen. Gerade erhielt der Kreis Dithmarschen vom Land eine Auszeichnung, weil er schon jetzt über die Kreisgrenzen hinaus fusioniert und dadurch Geld spart. Kein Wunder, dass die Menschen sich verschaukelt fühlen.
"Wir sind kämpferisch, wir sind Dithmarscher, aber wir sind nicht allein, es sind viele andere Kreise, wo sich die Bürger auch begehren, Dithmarschen ist zwar zuerst aufgestanden, aber ich versteh es trotzdem nicht so richtig, weil man sieht, dass in der Bevölkerung sehr viele Unmut ist, man sieht das wirklich. Und das man da nicht einlenken kann, dass man da von oben herab so einfach sagt, so wir wollen das jetzt, wir machen das jetzt, und da habt ihr euch dran zu gewöhnen und basta, das kann nicht sein."
Wird es vielleicht ja auch nicht, dem scharfen Gegenwind aus Dithmarschen konnte Kiel nicht ausweichen, der Landtag gab ein unabhängiges Gutachten in Auftrag, das die Wirtschaftlichkeit künftiger Verwaltungen berechnen soll. Und die Dithmarscher geben nicht auf, kommt es zur Zwangsfusion, streben sie ein Volksbegehren an, dafür bräuchten sie 100.000 Unterschriften, innerhalb eines Jahres:
"Dass wir diese Unterschriften zusammen kriegen, ist, glaube ich, kein Problem, wenn man sich die Umfragen anschaut. Und wenn’s dann geklappt hat, dann gibt es einen Volksentscheid, ein Votum aller Bürger Schleswig-Holsteins. Und ich glaube, dann kann sich die Landesregierung warm anziehen."
Sachsen-Anhalt
Von Verena Kemna
Ohne Diskussionen hat es noch nie eine Gemeindegebietsreform gegeben. Da hat die Landesregierung von Sachsen-Anhalt mal ganz scharf zurückblicken lassen auf die letzten 30/40 Jahre bundesrepublikanischer Erfahrung, um sich vielleicht einiges zu ersparen. Experten erstellten ein Gutachten, mit dem sie nun vorangetrieben werden soll - die Gemeindereform. Beschlossen im Koalitionsvertrag vor einem Jahr zwischen CDU und SPD.
Rüdiger Erben, Staatssekretär für die SPD im Innenministerium, ist zufrieden. Er hat nichts anderes erwartet. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Gutachten zur Einheits- und Verbandsgemeinde. In der Expertise stellen Wissenschaftler der Universität Halle und des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle beide Modelle auf eine Stufe. Ein klares Nein dagegen bekommen die Verwaltungsgemeinschaften, so wie sie in den meisten Gemeinden in Sachsen-Anhalt derzeit existieren. Das ist ganz im Sinne der Landesregierung.
"Die Gebietsreform auf der Gemeindeebene haben ja bis auf Sachsen-Anhalt alle Bundesländer in verschiedenen historischen Phasen durchgemacht. Manche bereits vor 30 oder 40 Jahren. Wir sind nun die Letzten, die an der Reihe sind."
Schon im Koalitionsvertrag vor einem Jahr haben CDU und SPD den Weg für eine Gemeindereform vorgegeben. Wenn es nach dem Willen der Landesregierung geht, sollen sich in den nächsten beiden Jahren kleinere Orte freiwillig zu Einheitsgemeinden mit etwa 10.000 Einwohnern zusammenschließen. Ein hauptamtlicher Bürgermeister ein Haushalt, ein Gemeinderat. An diesem Leitbild hängen vor allem die Sozialdemokraten im Land. Gleichmacherei und ein Verlust an Identität, sagen die Gegner. Für Staatssekretär Rüdiger Erben kein Argument.
"Es soll ja mit der Einheitsgemeinde nicht die örtliche Identität aufgegeben werden. Wir brauchen Gemeindestrukturen, die in Lage sind, gemeinsame Investitionen zu tätigen und die haben wir heute nicht."
In den nächsten 20 Jahren wird Sachsen-Anhalt eine halbe Million Einwohner verlieren. Das bedeutet, weniger Geld für die öffentlichen Haushalte. Statistische Zahlen sind das eine, große Emotionen das andere. Nach einem Koalitionsstreit um die Gemeindereform haben sich CDU und SPD im Grundsatz zur Einheitsgemeinde bekannt. Außerdem steht fest: Im nächsten Monat wird das SPD-geführte Innenministerium dem Kabinett ein Leitbild für die Reform vorlegen. Staatssekretär Rüdiger Erben ist optimistisch.
"Ohne Diskussionen, und die sind ja auch wichtig, hat es noch nie eine Gemeindegebietsreform gegeben. Das ist ganz natürlich und ich glaube, alle die an dem Thema beteiligt sind, haben auch gewusst, dass es dazu in diesem Land Widerstand geben wird."
Etwa in Jävenitz in der Altmark. Ein kleiner Ort mit nur 1200 Einwohnern. Trotzdem können Grundschüler in Jävenitz in die Schule gehen. Es gibt eine Kindertagesstätte, Sportplatz und Turnhalle, drei neue Wohngebiete und neu geteerte Hauptstraßen. Zum Einkaufen treffen sich die Jävenitzer beim Fleischer, im Blumenladen, beim Bäcker oder in der Eisdiele. Keiner in Jävenitz will eine Einheitsgemeinde. Einige hundert haben bei Unterschriftenaktion dagegen gestimmt.
"Ich find's schon in Ordnung, dass die Gemeinde für sich arbeiten kann. Alles in einen Topf, das finde ich nicht so gut. Da hat die Gemeinde gar nichts mehr zu melden."
"Ein großer Beschiss ist das, weil wir im Moment so leben, wie wir leben möchten und dann ist das vorbei."
"Wurscht ist mir das nicht, wenn, dann wollen wir eigenständig bleiben."
"Für Jävenitz wäre es zum Nachteil, weil wir einen ausgeglichenen Haushalt haben und nicht viel Schulden. Von daher wäre es für uns zum Nachteil."
Im Auftrag der Jävenitzer leistet Heinz Baldus erbitterten Widerstand. Der Mann aus dem Westerwald lebt seit zwölf Jahren in Jävenitz. Seit sechs Jahren ist er dort ehrenamtlicher Bürgermeister. Jahrzehntelang war er CDU-Mitglied. Nun hat er sein Parteibuch abgegeben. Dass seine Partei für die Einheitsgemeinde ist, kann er nicht verstehen.
"Diese Geschichten mit Zentralisierung, das machen wir ja in Westdeutschland seit 40 Jahren und deshalb leuchtet mit nicht ein, warum wir das im Zeitrafferverfahren von zehn Jahren hier alles nachmachen müssen."
In der Einheitsgemeinde würde Heinz Baldus zum Ortsbürgermeister. Einer, der hinsehen darf, aber nicht entscheiden. Dieses Recht hat in der Einheitsgemeinde nur der hauptamtliche Bürgermeister und der hat seinen Schreibtisch im schlimmsten Fall viele Kilometer entfernt. Also kein kurzes Gespräch mit dem Gemeinderat über die kaputte Kirchenmauer, keine schnelle Reparatur. Stattdessen Ausschreibung und lange Wartezeiten, sagt Heinz Baldus. Er glaubt zu wissen, worum es eigentlich geht.
"Es geht um Plünderung von Gemeinden, die noch einigermaßen gut dastehen zu Gunsten von Gemeinden, die ihre Kohle verwirtschaftet haben mit Hilfe der Regierung, die ja oberste Kommunalaufsicht darstellt."
Jävenitz hat einen ausgeglichenen Haushalt und eine Sonderrücklage von 20.000 Euro. Sollte die Landesregierung die Jävenitzer in die Einheitsgemeinde zwingen, dann werden sie Verfassungsklage einreichen. 20.000 Euro für alle Fälle. Jävenitz ist zu allem bereit. Heinz Baldus schlägt mit der Hand auf den Tisch.
"Wenn ich einen Gemeinderatsbeschluss habe: Die Gemeinde Jävenitz gibt ihre Selbstständigkeit nicht freiwillig auf, dann ist das für mich ein Auftrag. Der Gemeinderat ist mein Dienstherr und das Ende ist an dieser Stelle eben die Verfassungsklage, das ist nun mal so."
Die beiden Gemeinderäte Rudi Kuschfeld und Friedhelm Matthies sitzen neben ihm und nicken.
"Die funktioniert die Verwaltung. Vor vier Jahren mussten wir das alles hinkriegen und jetzt haben wir es geschafft und jetzt soll alles wieder umgekrempelt werden. Das ist nicht nachvollziehbar."
Erich Wasserthal, SPD-Mitglied und hauptamtlicher Bürgermeister der Einheitsgemeinde Sülzetal macht schon seit sechs Jahren ganz andere Erfahrungen. Die etwa 12.000 Einwohner in den acht ehemals eigenständigen Gemeinden bei Magdeburg haben sich vor Jahren freiwillig als Einheitsgemeinde organisiert. Als das Sülzetal noch Verwaltungsgemeinschaft war, da hatten einige Gemeinden Schwimmbäder und Sportplätze, andere standen kurz vor der Pleite. Mit dem ersten gemeinsamen Haushalt hat sich viel geändert. Erich Wasserthal erinnert sich.
"So dass sämtliche Verbindlichkeiten in einen Topf kamen und auch das gesamte Vermögen, auch das Barvermögen und dann wurden gemeinsame Aufgaben angegangen. Wie zum Beispiel in der Gemeinde Dodendorf, wo wir in kürzester Zeit fast zwei Millionen Euro investiert haben. Das Dorf ist heute fast fertig, aus eigener Kraft hätten sie nicht mehr gekonnt."
30 Millionen Euro hat die Einheitsgemeinde in den vergangenen Jahren investiert. Es gibt nicht mehr acht Haushalte, nur noch einen. In der Verwaltung arbeiten zehn Mitarbeiter weniger als zu Zeiten der Verwaltungsgemeinschaft. Ein Kindergarten, ein Hort, eine freiwillige Feuerwehr, ein eigener Betriebshof. All das gehört allen Sülzetalern. Aber Bürgermeister Erich Wasserthal räumt auch Fehler ein. So hat ein Investitionsplan von Anfang an gefehlt.
"Nun sind beide Fraktionen im Gemeinderat soweit zu sagen, Schluss jetzt, es muss ein Plan rein, so dass jeder weiß, wann er dran ist und nicht, wer am lautesten schreit, kriegt zuerst. Ich denke, wir sind da jetzt auf einem guten Weg."
Ortschaftsräte vertreten heute die Interessen der Dorfbewohner vor dem Gemeinderat.
"Sie legen fest, was sie gemacht haben wollen. Dann muss im Gemeinderat die Wunschliste zusammengepackt werden. Dann kommt das große Streichkonzert. Die Ortschaftsräte sind schon für ihre Ortsteile verantwortlich, für das kulturelle Leben und das örtliche Brauchtum."
Früher war Heinz Triskiel ehrenamtlicher Bürgermeister in Dodendorf. Eine arme Gemeinde mit 750 Einwohnern. Heute gibt es im Ort einen Kinderspielplatz, fast alle Straßen sind erneuert. Da hätten die Dodendorfer früher jahrelang sparen müssen. Ganz klar, sagt Heinz Triskiel, wir haben von der Einheitsgemeinde profitiert.
"Heute müssen wir uns dazu bequemen, dass man sich im Kreis der Gemeinderatsmitglieder und Ortsbürgermeister einigt, wer ist denn nun in diesem, im nächsten oder übernächsten Jahr dran. Alles zusammen geht nicht."
Dieter Kühne ist alteingesessener Dodendorfer. Auch er sieht keine Nachteile. Er ist Mitglied im Heimatverein und stolz auf den Kulturkalender der Einheitsgemeinde Sülzetal.
"Da gibt es in Sülldorf das Salzblütenfest, dann gibt es ein Heimatfest, im Gewerbegebiet gibt es ein Sommerfest. Wir haben unsere Ahnenforschung. Wir haben eine Gruppe im Heimatverein, die die Geschichte von Dodendorf erforscht. Das ist alles erhalten geblieben. Man hat das Gefühl in der Gemeinde tut sich was. Obwohl wir eine Einheitsgemeinde sind, hat jede Gemeinde ihr eigenes Profil behalten."
Solche Stimmen aus dem Sülzetal werden im Innenministerium gern gehört. Die Beamten im Ministerium sollen die Gemeindereform im Grundsatz so umsetzen, wie es im Koalitionsvertrag steht. Bis 2009 bleibt der Zusammenschluss freiwillig. Erst 2011 soll das Gesetz greifen. SPD-Staatssekretär Rüdiger Erben sieht möglichen Verfassungsbeschwerden gelassen entgegen.
"Das Verfassungsgericht prüft ja nicht das Leitbild als solches, sondern es prüft, ob sich der Gesetzgeber an seine eigenen Leitlinien gehalten hat und nicht Willkür hat walten lassen. Wenn das eingehalten wird, bin ich mir sicher, dass das auch vor Gericht Bestand hat."
Von Frauke Schäfer
Der Trotz der Dithmarscher ist bekannt, historisch belegt. Nun proben sie wieder den Aufstand, diesmal mit der rot-weißen Kreisfahne in der Hand, mit Aufklebern "Nein zur Kreisreform", mit Unterschriftenaktionen und Austritten aus den regierenden Parteien da in Kiel. Der Grund ist ein ungeheuerlicher, jedenfalls im Dithmarscher Selbstverständnis - der Landkreis Dithmarschen soll mit dem Kreis Steinburg fusioniert werden.
Die Dithmarscher haben ihren Ruf längst weg. Wohlgesonnene bezeichnen sie als bedächtig und treu, bösere Zungen nennen sie stur. Das alles ficht die Dithmarscher aber nicht an.
"Ja der Dithmarscher ist halt ein typischer Norddeutscher, er ist ruhig gelassen, aber auch sehr nachdenklich und ist halt ein Typ Mensch, den man gerne haben muss, aber der auch gerne nachdenkt und der auch gerne selbst bestimmt, was für sein Land das Beste ist."
Oliver Kumbartsky muss es wissen, er ist Dithmarscher in vierter Generation, Ahnenforschung gehört in Dithmarschen zum guten Ton. Sie sind eben heimatverbunden, haben ihr Land der Nordsee abgetrotzt und verteidigen es bis heute gegen Sturm und Flut. Kein Wunder, dass diesen Menschenschlag so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Aber Vorsicht, unterschätze nie einen Dithmarscher und versuche bloß nicht, ihm etwas vorzuschreiben, dann schaltet er auf stur, ganz stur. Das erleben die Damen und Herren Politiker in Kiel gerade. Dort fasste die seit zwei Jahren regierende schwarz-rote Koalition einen Entschluss. Neue Kreise braucht das Land, hieß es dort, genauer gesagt weniger, da könne man doch schön sparen. In Dithmarschen klingelten sofort die Alarmglocken, denn ihr Kreis, das war den Widerspenstigen schnell klar, müsste auch dran glauben. Und dabei ist er doch - hübsch eingerahmt von Nordsee, Eider und Elbe - der älteste Kreis Deutschlands!
Mann: "Die Kreisgebietsreform ist also das Letzte, was angehen kann, ist einfach so."
Junge Frau: ""Ich halt da nichts von."
Mann: "Ich mein, ich finde das auch nicht, ich finde auch besser, dass wir Dithmarscher bleiben und so weiter."
Reporterin: "Wieso?"
Mann: ""Jo, das ist so traditionsgemäß. Würde ich sagen."
Frau: "Also sie werden glaube ich kaum einen finde, der dafür ist, weil es ist ja auch für die alten Leute, wenn die das hier anfangen, dicht zu machen und alles, wir sollen nach Pinneberg oder sonst wo, was fürn Quatsch, was fürn Blödsinn, was ham wir damit zu tun? Wir sind Landleute und keine Stadtleute, also unsere Vorfahren haben für Dithmarschen gekämpft und gemacht, mit Mistforken, und so soll das auch bleiben und das verteidigen wir."
Jo klar, mit Mistforken für Dithmarschen gekämpft, erzähl mir mehr, könnte der ahnungslose Hörer aus Bottrop oder Berlin denken. Adrett gekleidet steht Ute Sibbert hinter dem Verkauftresen einer Heider Schlachterei, bewaffnet nur mit einer Suppenkelle, es ist Mittagszeit. Aber Ute Sibbert übertreibt nicht, Widerstand liegt den Dithmarschern im Blut, ihr Freiheitswille ist Stoff für Legenden und Lieder:
Vielleicht ist an dieser Stelle eine kleine Übersetzung angebracht, wer alles verstanden hat, kann ja weghören. Anka und Wolfgang Mohr, zusammen das Duo Driefholt, singen folgendes: Dithmarschen, du hast schon so viel erlebt, das zeigt uns ja deine Geschichte, du brauchst dich wirklich nicht zu verstecken.
"Also, die Dithmarscher Geschichte beginnt eigentlich 1227, bei der Schlacht von Bornhöved. Ab Bornhöved waren wir dem Bischof von Bremen unterstellt, der eigentlich nur provisorisch da war. Er bekam sein Geld, das heißt Fährgelder und so kleine Sachen, und die Dithmarscher waren herrenloses Land, es gab ja keinen Adel hier. Und das war den Dänen, ihr Reich reichte bis zur Elbe, ein Dorn im Auge, auch den Holsteinischen Grafen, sie hams schon vorher versucht und ham sich häufig blutige Nasen geholt hier in Dithmarschen, weil durch List und Tücke und Mut die Dithmarscher es immer wieder geschafft haben, sie zu schlagen."
Aber 1500 reichte es den Dänen, sie wollten endlich Steuern von den reichen Dithmarscher Bauern und so zog König Johann in Dithmarschen ein. Er engagierte die Schwarze Garde, ein Zusammenschluss von Landsknechten, gefürchtet in ganz Europa. Bis Meldorf marschierten die Invasoren, metzelten alle nieder, die nicht rechtzeitig geflohen waren und warteten darauf, dass die Dithmarscher kapitulierten. Aber die dachten gar nicht dran. Also setzte sich das Heer in Bewegung, auf dem Landweg nach Norden, Richtung Heide. 12.000 Söldner und Soldaten gegen 6.000 Dithmarscher Bauern.
"Das war ja am 17. Februar ganz genau. An dem Tag hatten wir Tauwetter, es hatte vorher gefroren, wir hatten Nordweststurm, das Wetter spielte natürlich mit. Die Dithmarscher hatten hier links und rechts vom Landweg die Gräben saubergemacht. Klei, das ist ja Kleiboden hier, und den Klei auf den Weg geworfen und die Ritter vorab, die Garde und so weiter mit ihren schweren gepanzerten Zeug und Pferden dadurch, die konnten sich schwer bewegen, auch mit ihren Kanonen usw."
Und ausweichen konnten sie auch nicht, die Dithmarscher hatten Siele und Deich geöffnet und das Land geflutet. Bei Hemmingstedt nahmen sie die Invasoren unter Kanonenbeschuss. Die steckten fest, konnten nicht vor und nicht zurück, vorne die Schanze, dahinter eine sechs Kilometer lange Menschenmasse mit Wagen, die zurück bis Meldorf reichte. Die Dithmarscher kamen von allen Seiten.
"Zum Schluss haben sie ihre Harnische und alles weggeworfen und dann nur noch mit Springstöcken über die Gräben, die wussten ja Bescheid die Dithmarscher. Und dann kam es zur großen Flucht, teilweise wurden Menschen tot getrampelt, durch Pferde und so weiter, und die Dithmarscher hinterher. Ungefähr 3.000 Menschen sind hier auf dem Schlachtfeld, dieses ganze Gebiet heißt übrigens Blutfeld nach der alten Flurbezeichnung, sind hier erschlagen worden, innerhalb von zwei Stunden ist das passiert hier. Also das ist ein riesiger Tag gewesen in der Geschichte Dithmarschen."
Bis zur "Letzten Fehde" 1559 blieb Dithmarschen von Angriffen verschont. Dann war es vorbei mit der Freien Bauernrepublik. Aber immerhin, ihren Name durften sie bis heute behalten, die Grenzen habe sich nicht verändert. Und so soll es bleiben, dafür kämpfen sie, die Mistforken bleiben im Stall, jetzt werden Laptop und Maus herausgeholt. Und da kommt Oliver Kumbartzky ins Spiel.
"Ja das fing an mit einer Internetkampagne an www.wir sind dithmarschen.de. Das war im Zuge dessen, dass die Landeszeitung veröffentlicht hat, dass die Kreisgebietsreform kommen soll. Dann gab's da hunderte von Leserbriefen, dann wollten wir halt ein Forum schaffen im Internet, damit die Leute auch dort Dampf ablassen können. Und daraus hat sich dann später die Volksinitiative entwickelt, weil wir hatten ne Onlinepetition und die hat ja keinen Rechtscharakter, dafür muss man eine wirkliche Volksinitiative gründen. Und das war dann der logische nächste Schritt."
Und ein erfolgreicher dazu, innerhalb von sechs Wochen sammelten die Aufrührer rund 33.000 Unterschriften. Nach Kumbartskys Schätzung haben damit mehr als ein Drittel der zeichnungsberechtigten Dithmarscher unterschrieben und erzwangen so eine Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Landtages. Zwischen Eider und Nordsee ist man sich einig, über die Parteigrenzen hinweg. Die CDU verzeichnete schon mehr als 100 Austritte, in Eddelak verabschiedete sich ein kompletter Ortsverband incl. Bürgermeister von der SPD. Renate Walter, Sozialdemokratin und Kreistagsabgeordnete, kann das verstehen. Gerade erhielt der Kreis Dithmarschen vom Land eine Auszeichnung, weil er schon jetzt über die Kreisgrenzen hinaus fusioniert und dadurch Geld spart. Kein Wunder, dass die Menschen sich verschaukelt fühlen.
"Wir sind kämpferisch, wir sind Dithmarscher, aber wir sind nicht allein, es sind viele andere Kreise, wo sich die Bürger auch begehren, Dithmarschen ist zwar zuerst aufgestanden, aber ich versteh es trotzdem nicht so richtig, weil man sieht, dass in der Bevölkerung sehr viele Unmut ist, man sieht das wirklich. Und das man da nicht einlenken kann, dass man da von oben herab so einfach sagt, so wir wollen das jetzt, wir machen das jetzt, und da habt ihr euch dran zu gewöhnen und basta, das kann nicht sein."
Wird es vielleicht ja auch nicht, dem scharfen Gegenwind aus Dithmarschen konnte Kiel nicht ausweichen, der Landtag gab ein unabhängiges Gutachten in Auftrag, das die Wirtschaftlichkeit künftiger Verwaltungen berechnen soll. Und die Dithmarscher geben nicht auf, kommt es zur Zwangsfusion, streben sie ein Volksbegehren an, dafür bräuchten sie 100.000 Unterschriften, innerhalb eines Jahres:
"Dass wir diese Unterschriften zusammen kriegen, ist, glaube ich, kein Problem, wenn man sich die Umfragen anschaut. Und wenn’s dann geklappt hat, dann gibt es einen Volksentscheid, ein Votum aller Bürger Schleswig-Holsteins. Und ich glaube, dann kann sich die Landesregierung warm anziehen."
Sachsen-Anhalt
Von Verena Kemna
Ohne Diskussionen hat es noch nie eine Gemeindegebietsreform gegeben. Da hat die Landesregierung von Sachsen-Anhalt mal ganz scharf zurückblicken lassen auf die letzten 30/40 Jahre bundesrepublikanischer Erfahrung, um sich vielleicht einiges zu ersparen. Experten erstellten ein Gutachten, mit dem sie nun vorangetrieben werden soll - die Gemeindereform. Beschlossen im Koalitionsvertrag vor einem Jahr zwischen CDU und SPD.
Rüdiger Erben, Staatssekretär für die SPD im Innenministerium, ist zufrieden. Er hat nichts anderes erwartet. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Gutachten zur Einheits- und Verbandsgemeinde. In der Expertise stellen Wissenschaftler der Universität Halle und des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle beide Modelle auf eine Stufe. Ein klares Nein dagegen bekommen die Verwaltungsgemeinschaften, so wie sie in den meisten Gemeinden in Sachsen-Anhalt derzeit existieren. Das ist ganz im Sinne der Landesregierung.
"Die Gebietsreform auf der Gemeindeebene haben ja bis auf Sachsen-Anhalt alle Bundesländer in verschiedenen historischen Phasen durchgemacht. Manche bereits vor 30 oder 40 Jahren. Wir sind nun die Letzten, die an der Reihe sind."
Schon im Koalitionsvertrag vor einem Jahr haben CDU und SPD den Weg für eine Gemeindereform vorgegeben. Wenn es nach dem Willen der Landesregierung geht, sollen sich in den nächsten beiden Jahren kleinere Orte freiwillig zu Einheitsgemeinden mit etwa 10.000 Einwohnern zusammenschließen. Ein hauptamtlicher Bürgermeister ein Haushalt, ein Gemeinderat. An diesem Leitbild hängen vor allem die Sozialdemokraten im Land. Gleichmacherei und ein Verlust an Identität, sagen die Gegner. Für Staatssekretär Rüdiger Erben kein Argument.
"Es soll ja mit der Einheitsgemeinde nicht die örtliche Identität aufgegeben werden. Wir brauchen Gemeindestrukturen, die in Lage sind, gemeinsame Investitionen zu tätigen und die haben wir heute nicht."
In den nächsten 20 Jahren wird Sachsen-Anhalt eine halbe Million Einwohner verlieren. Das bedeutet, weniger Geld für die öffentlichen Haushalte. Statistische Zahlen sind das eine, große Emotionen das andere. Nach einem Koalitionsstreit um die Gemeindereform haben sich CDU und SPD im Grundsatz zur Einheitsgemeinde bekannt. Außerdem steht fest: Im nächsten Monat wird das SPD-geführte Innenministerium dem Kabinett ein Leitbild für die Reform vorlegen. Staatssekretär Rüdiger Erben ist optimistisch.
"Ohne Diskussionen, und die sind ja auch wichtig, hat es noch nie eine Gemeindegebietsreform gegeben. Das ist ganz natürlich und ich glaube, alle die an dem Thema beteiligt sind, haben auch gewusst, dass es dazu in diesem Land Widerstand geben wird."
Etwa in Jävenitz in der Altmark. Ein kleiner Ort mit nur 1200 Einwohnern. Trotzdem können Grundschüler in Jävenitz in die Schule gehen. Es gibt eine Kindertagesstätte, Sportplatz und Turnhalle, drei neue Wohngebiete und neu geteerte Hauptstraßen. Zum Einkaufen treffen sich die Jävenitzer beim Fleischer, im Blumenladen, beim Bäcker oder in der Eisdiele. Keiner in Jävenitz will eine Einheitsgemeinde. Einige hundert haben bei Unterschriftenaktion dagegen gestimmt.
"Ich find's schon in Ordnung, dass die Gemeinde für sich arbeiten kann. Alles in einen Topf, das finde ich nicht so gut. Da hat die Gemeinde gar nichts mehr zu melden."
"Ein großer Beschiss ist das, weil wir im Moment so leben, wie wir leben möchten und dann ist das vorbei."
"Wurscht ist mir das nicht, wenn, dann wollen wir eigenständig bleiben."
"Für Jävenitz wäre es zum Nachteil, weil wir einen ausgeglichenen Haushalt haben und nicht viel Schulden. Von daher wäre es für uns zum Nachteil."
Im Auftrag der Jävenitzer leistet Heinz Baldus erbitterten Widerstand. Der Mann aus dem Westerwald lebt seit zwölf Jahren in Jävenitz. Seit sechs Jahren ist er dort ehrenamtlicher Bürgermeister. Jahrzehntelang war er CDU-Mitglied. Nun hat er sein Parteibuch abgegeben. Dass seine Partei für die Einheitsgemeinde ist, kann er nicht verstehen.
"Diese Geschichten mit Zentralisierung, das machen wir ja in Westdeutschland seit 40 Jahren und deshalb leuchtet mit nicht ein, warum wir das im Zeitrafferverfahren von zehn Jahren hier alles nachmachen müssen."
In der Einheitsgemeinde würde Heinz Baldus zum Ortsbürgermeister. Einer, der hinsehen darf, aber nicht entscheiden. Dieses Recht hat in der Einheitsgemeinde nur der hauptamtliche Bürgermeister und der hat seinen Schreibtisch im schlimmsten Fall viele Kilometer entfernt. Also kein kurzes Gespräch mit dem Gemeinderat über die kaputte Kirchenmauer, keine schnelle Reparatur. Stattdessen Ausschreibung und lange Wartezeiten, sagt Heinz Baldus. Er glaubt zu wissen, worum es eigentlich geht.
"Es geht um Plünderung von Gemeinden, die noch einigermaßen gut dastehen zu Gunsten von Gemeinden, die ihre Kohle verwirtschaftet haben mit Hilfe der Regierung, die ja oberste Kommunalaufsicht darstellt."
Jävenitz hat einen ausgeglichenen Haushalt und eine Sonderrücklage von 20.000 Euro. Sollte die Landesregierung die Jävenitzer in die Einheitsgemeinde zwingen, dann werden sie Verfassungsklage einreichen. 20.000 Euro für alle Fälle. Jävenitz ist zu allem bereit. Heinz Baldus schlägt mit der Hand auf den Tisch.
"Wenn ich einen Gemeinderatsbeschluss habe: Die Gemeinde Jävenitz gibt ihre Selbstständigkeit nicht freiwillig auf, dann ist das für mich ein Auftrag. Der Gemeinderat ist mein Dienstherr und das Ende ist an dieser Stelle eben die Verfassungsklage, das ist nun mal so."
Die beiden Gemeinderäte Rudi Kuschfeld und Friedhelm Matthies sitzen neben ihm und nicken.
"Die funktioniert die Verwaltung. Vor vier Jahren mussten wir das alles hinkriegen und jetzt haben wir es geschafft und jetzt soll alles wieder umgekrempelt werden. Das ist nicht nachvollziehbar."
Erich Wasserthal, SPD-Mitglied und hauptamtlicher Bürgermeister der Einheitsgemeinde Sülzetal macht schon seit sechs Jahren ganz andere Erfahrungen. Die etwa 12.000 Einwohner in den acht ehemals eigenständigen Gemeinden bei Magdeburg haben sich vor Jahren freiwillig als Einheitsgemeinde organisiert. Als das Sülzetal noch Verwaltungsgemeinschaft war, da hatten einige Gemeinden Schwimmbäder und Sportplätze, andere standen kurz vor der Pleite. Mit dem ersten gemeinsamen Haushalt hat sich viel geändert. Erich Wasserthal erinnert sich.
"So dass sämtliche Verbindlichkeiten in einen Topf kamen und auch das gesamte Vermögen, auch das Barvermögen und dann wurden gemeinsame Aufgaben angegangen. Wie zum Beispiel in der Gemeinde Dodendorf, wo wir in kürzester Zeit fast zwei Millionen Euro investiert haben. Das Dorf ist heute fast fertig, aus eigener Kraft hätten sie nicht mehr gekonnt."
30 Millionen Euro hat die Einheitsgemeinde in den vergangenen Jahren investiert. Es gibt nicht mehr acht Haushalte, nur noch einen. In der Verwaltung arbeiten zehn Mitarbeiter weniger als zu Zeiten der Verwaltungsgemeinschaft. Ein Kindergarten, ein Hort, eine freiwillige Feuerwehr, ein eigener Betriebshof. All das gehört allen Sülzetalern. Aber Bürgermeister Erich Wasserthal räumt auch Fehler ein. So hat ein Investitionsplan von Anfang an gefehlt.
"Nun sind beide Fraktionen im Gemeinderat soweit zu sagen, Schluss jetzt, es muss ein Plan rein, so dass jeder weiß, wann er dran ist und nicht, wer am lautesten schreit, kriegt zuerst. Ich denke, wir sind da jetzt auf einem guten Weg."
Ortschaftsräte vertreten heute die Interessen der Dorfbewohner vor dem Gemeinderat.
"Sie legen fest, was sie gemacht haben wollen. Dann muss im Gemeinderat die Wunschliste zusammengepackt werden. Dann kommt das große Streichkonzert. Die Ortschaftsräte sind schon für ihre Ortsteile verantwortlich, für das kulturelle Leben und das örtliche Brauchtum."
Früher war Heinz Triskiel ehrenamtlicher Bürgermeister in Dodendorf. Eine arme Gemeinde mit 750 Einwohnern. Heute gibt es im Ort einen Kinderspielplatz, fast alle Straßen sind erneuert. Da hätten die Dodendorfer früher jahrelang sparen müssen. Ganz klar, sagt Heinz Triskiel, wir haben von der Einheitsgemeinde profitiert.
"Heute müssen wir uns dazu bequemen, dass man sich im Kreis der Gemeinderatsmitglieder und Ortsbürgermeister einigt, wer ist denn nun in diesem, im nächsten oder übernächsten Jahr dran. Alles zusammen geht nicht."
Dieter Kühne ist alteingesessener Dodendorfer. Auch er sieht keine Nachteile. Er ist Mitglied im Heimatverein und stolz auf den Kulturkalender der Einheitsgemeinde Sülzetal.
"Da gibt es in Sülldorf das Salzblütenfest, dann gibt es ein Heimatfest, im Gewerbegebiet gibt es ein Sommerfest. Wir haben unsere Ahnenforschung. Wir haben eine Gruppe im Heimatverein, die die Geschichte von Dodendorf erforscht. Das ist alles erhalten geblieben. Man hat das Gefühl in der Gemeinde tut sich was. Obwohl wir eine Einheitsgemeinde sind, hat jede Gemeinde ihr eigenes Profil behalten."
Solche Stimmen aus dem Sülzetal werden im Innenministerium gern gehört. Die Beamten im Ministerium sollen die Gemeindereform im Grundsatz so umsetzen, wie es im Koalitionsvertrag steht. Bis 2009 bleibt der Zusammenschluss freiwillig. Erst 2011 soll das Gesetz greifen. SPD-Staatssekretär Rüdiger Erben sieht möglichen Verfassungsbeschwerden gelassen entgegen.
"Das Verfassungsgericht prüft ja nicht das Leitbild als solches, sondern es prüft, ob sich der Gesetzgeber an seine eigenen Leitlinien gehalten hat und nicht Willkür hat walten lassen. Wenn das eingehalten wird, bin ich mir sicher, dass das auch vor Gericht Bestand hat."