Die Fan-Brüder: "Projekt Barnabus"
Jacoby & Stuart / Berlin 2020
72 Seiten, 16 Euro
ab 3 Jahren
Gentechnisch veränderte Kuscheltiere mit Freiheitsdrang
05:05 Minuten
Für ihr drittes Bilderbuch haben die Brüder Terry und Eric Fan Verstärkung von ihrem Bruder Devin bekommen. "Projekt Barnabus" erzählt erneut eine fantastische Geschichte und ist so aktuell wie alle hellsichtigen Märchen.
Von links oben fällt ein Lichtschein auf Barnabus, das niedliche kleine Wesen - halb Elefäntchen, halb Maus - unter der glänzenden Glasglocke. Drumherum herrscht schwarze Dunkelheit auf dem eindrucksvoll gestalteten Einband. "Projekt Barnabus" steht auf dem Etikett der Glasglocke - ein mehrdeutiger Titel. Spielt er doch auf das Gemeinschaftsprojekt der drei Fan-Brüder an - und zugleich auf das geheime Labor-Projekt, von dem sie hier erzählen.
Dieses riesige unterirdische Labor liegt in Toronto unter einem Laden für "perfekte", gentechnisch veränderte Kuscheltiere in rosa, pink und blau. Barnabus und seine Freunde sind aber nicht perfekt, sondern Mängelexemplare.
Sie leben im dunklen Labor einsam unter Glasglocken und sollen recycelt werden. Als sie das erfahren, beschließen sie, zu fliehen. Das Tröten von Barnabus lässt alle gläsernen Gefängnisse explodieren (Oskar Matzerath aus der "Blechtrommel" grüßt aus der Ferne) und die "Ausschussexemplare" kämpfen sich durch das verschlungene Abwassersystem nach draußen.
Fast werden sie geschnappt, doch sie erreichen die ersehnte Freiheit, in der es nicht nur einen silbernen See gibt, sondern auch "Gebirge, die bis zum Himmel aufragten und mit ihren eigenen Sternen leuchteten". Und das mitten in Toronto!
Modernes Märchen mit zweiter Bedeutungsebene
Eine typische Abenteuergeschichte für Kinder - könnte man denken. Tiere statt Menschen, fantastische Namen und Situationen, ein modernes Märchen über eine tödliche Gefahr, die mit Mut und Schlauheit besiegt wird. "Nichts ist unmöglich", davon ist Barnabus überzeugt, vor allem, wenn alle zusammenhalten. Eine kindgerechte Botschaft bekommen wir also gleich dazu.
Aber Achtung! Unter der Oberfläche der Geschichte liegt - wie in dem unterirdischen Labor - eine zweite Bedeutungsebene. Ist es Zufall, dass wir uns an die aktuelle Debatte um die Gentechnik und die Veränderung des Erbgutes erinnert fühlen? Oder an die Diskussion über den Umgang mit behinderten Kindern und deren Integration? Oder dass wir - wenn die "grünen Gummianzüge" auftauchen, die Mitarbeiter des Labors - unwillkürlich an Ärzte auf Corona-Stationen denken?
Einfühlsamer Text und surreale Bilder
Kleine Kinder können diese Assoziationen noch nicht haben - aber Erwachsene, die ihnen die im doppelten Wortsinn fantastisch illustrierte Geschichte vorlesen. Im Vergleich zum knapp und einfühlsam formulierten Text sind die Bilder überbordend surreal. Viele sind raffiniert und lustig im Detail - sie erinnern an Wimmelbilderbücher oder an die technisch höchst präzisen Entwürfe eines Torben Kuhlmann.
Andere Szenen wirken durch die erfundenen, genetisch vermeintlich missglückten Tierkreationen - großartig beleuchtet und höchst erfinderisch auch die Beschreibung der Flucht. Geradezu magisch zart, durchscheinend und doch materiell greifbar schimmert immer wieder Glas. Ein unheimlich schön gezeichnetes und koloriertes Buch!
Auf dem hinteren Vorsatzblatt sind noch einmal alle perfekten Kuscheltiere auf den Regalen des Ladens zu sehen - sorgfältig verpackt in ihren Pappgefängnissen. Da geht es den Ausschussexemplaren in der Freiheit doch eindeutig besser!