"Keine Macht ohne Gegenmacht"
Die FDP starre zu sehr auf den Staat, kritisiert Lisa Herzog von der TU München. Dabei verliere sie aus dem Blick, dass bestimmte Wirtschaftsverhältnisse die Freiheit des Einzelnen einschränken. Deshalb müsse man viel mehr demokratische Elemente in Unternehmen bringen.
Liane von Billerbeck: Vor 70 Jahren ist die FDP, die Freie Demokratische Partei, gegründet worden, die sich als Hort des Liberalismus empfindet. Wir fragen uns, was ist das, echter Liberalismus, welche Chancen hat er heute? Darüber will ich reden mit Lisa Herzog. Sie ist Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik der TU München und hat in Ihrem Buch "Freiheit gehört nicht nur den Reichen" 2015 einen komplexeren Liberalismus gefordert, über den wirtschaftsliberalen Gedanken hinaus. Jetzt ist sie am Telefon. Schönen guten Morgen, Frau Professor Herzog!
Lisa Herzog: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Die FDP hat sich ja nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet aus linksliberalen und aus nationalliberalen Kräften. Wir wollen gar nicht so früh anfangen, sondern gleich 20 Jahre überspringen. 20 Jahre später nämlich, in den Achtundsechzigern, da hat Ralf Dahrendorf mit Rudi Dutschke diskutiert und forderte die Freiheit der Bildung und eine neue Offenheit. Wie viel ist denn von dieser FDP geblieben?
Herzog: Ich befürchte, nicht allzu viel. Der Bildungsgedanke ist sicherlich weiterhin ein wichtiges Thema für die heutige FDP. Aber damals war die Vorstellung, dass Freiheit nicht nur vom Staat, sondern auch von anderen gesellschaftlichen Faktoren bedroht sein könnte, doch sehr viel ausgeprägter, während die heutige FDP sich doch sehr viel stärker im Sinne eines Marktliberalismus versteht, der vor allen Dingen eben den Staat als freiheitsbedrohend versteht.
von Billerbeck: Gab es diesen Umschwung auch mit Christian Lindner als neuem Vorsitzenden?
Herzog: Das ist schon früher passiert, eigentlich schon mit den Kieler Thesen. Aber Lindner ist jetzt nicht unbedingt jemand, von dem man erwarten würde, dass er wieder eher in eine linksliberale Ecke gehen würde.
Die FDP schaut zu sehr auf den Staat
von Billerbeck: "Freiheit gehört nicht nur den Reichen", so heißt eines Ihrer Bücher, also Schluss mit der Auslegung des Liberalismus vor allem als Neowirtschaftsliberalismus. Wie soll das aber gehen, ohne die Freiheit des Individuums als höchstes Gut des Liberalismus einzuschränken?
Herzog: Es ist immer die Frage, wessen Freiheit und welche Form von Freiheit ist hier wirklich gemeint. Und wenn man Freiheit eben sehr eng fasst als ökonomische Freiheit, dann kann die Freiheit der einen die Freiheit der anderen sehr stark bedrohen. Und eine bestimmte Richtung des Liberalismus sieht diese Arten von Freiheitseinschränkungen sozusagen gar nicht, weil sie eben immer nur auf den Staat starrt wie das Kaninchen auf die Schlange und sich nicht damit beschäftigt, inwieweit zum Beispiel die Verhältnisse in der Arbeitswelt auch die Freiheit der Einzelnen einschränken können.
Wenn es dann immer nur als freie Vertragsverhältnisse verstanden wird, was im Arbeitsmarkt passiert, dann kann man zum Beispiel überhaupt nicht sehen, inwieweit Arbeitsverhältnisse auch mit Hierarchien, mit Macht, mit Abhängigkeit zu tun haben, und man sich eben auch die Frage stellen müsste, was tut man hier, wie stellt man hier die Weichen, wie gestaltet man Arbeitsmärkte so, dass wirklich die Freiheit aller Beteiligten im Blick bleibt.
von Billerbeck: Hieße das möglicherweise auch, Sie wären für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, damit eben alle ihre Freiheit ausüben können?
Herzog: Das ist im Moment eine beliebte Utopie, dass es zu schaffen wäre. Ich glaube, das könnte vielleicht ein Element eines linken Liberalismus sein, aber ich glaube, es erlöst uns nicht davon, uns viele andere Fragen auch zu stellen. Zum Beispiel eben, wie die Machtverhältnisse in der Wirtschaft gestaltet sind. Eine Frage, die sich ja ganz offensichtlich stellt, woher würde das Geld für so ein bedingungsloses Grundeinkommen stammen? Und da müsste man sich wieder die Frage stellen, kann man wirtschaftliche Unternehmen, vielleicht auch Roboter und Software in Zukunft stärker besteuern?
Und dann haben Sie wieder Fragen nach den Machtverhältnissen, wo auch die republikanische Dimension von Freiheit dann mit ins Spiel kommt, also die Frage, ob wir uns als Bürgerinnen und Bürger gemeinsam die Spielregeln geben, nach denen wir unsere Gesellschaft gestalten wollen, oder ob da doch ganz andere Prozesse auch eine Rolle spielen.
"Durch Vermögen wird ungleiche Macht geschaffen"
von Billerbeck: Ich hör da schon raus, das ist gemeint, wenn Sie vom komplexeren Liberalismus sprechen. Die Sache ist also nicht so einfach. Was gehört da noch dazu?
Herzog: Ich glaube, dass man in der heutigen Situation sich sehr genau überlegen muss, wie man mit ungleichen Vermögen umgeht, weil einfach durch Vermögen ungleiche Macht geschaffen wird. Und ein Thema, das mich persönlich in letzter Zeit sehr umtreibt und beschäftigt, und wo ich aber auch viel Potenzial sehe, das ist in die Wirtschaft stärker demokratische Strukturen zu tragen. Das ist übrigens auch ein urliberaler Gedanke, der aber jetzt im Zuge der Neoliberalisierung eben etwas verloren ging.
Aber wenn man davon ausgeht, dass in wirtschaftlichen Verhältnissen auch Macht ausgeübt wird, dann stellt sich immer die Frage, über wen wird die ausgeübt, und welche Kontrollen gibt es. Also, keine Macht ohne Gegenmacht, ohne Kontrollen. Und das könnte dann zum Beispiel heißen, dass man sehr viel mehr partizipative und demokratische Elemente in Unternehmen, gerade in große Unternehmen tragen müsste.
von Billerbeck: Interessante Idee. Ich bin gespannt, Frau Herzog, wie dieser Vorschlag bei der FDP ankommt. Lisa Herzog war das, Professorin von der Hochschule für Politik an der TU München, über Liberalismus heute. Also, ein komplexes Thema. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Herzog: Herzlichen Dank!
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