Die fernen Sechziger Jahre
"Elegie für junge Liebende", eine frühe Oper von Hans Werner Henze, erzählt, wie ein Dichter die Menschen um sich herum für seine Dichtung missbraucht - auch auf die Gefahr hin, dass es deren Leben kostet. Die Premiere in Lübeck trennt fast ein halbes Jahrhundert von ihrer Uraufführung.
Nur eine hohe helle Wand mit Waffelmuster vorne, fast ganz an der Rampe, vergleichbar einer Schallabdichtung in einem Studio; in dieser Wand ein paar weiße Griffe, mit deren Hilfe man hochklettern kann. Ganz so nüchtern bleibt das Bühnenbild (Julia Hansen) zwar nicht - im Laufe des Abends werden aus dieser Wand kleine Fenster und Öffnungen gebrochen, die begrenzt Einblick in das Arbeitszimmer und einen Wohnraum des Dichtergenies Gregor Mittenhofer geben - aber ein geistreich amüsantes Konversationsstück über den Literaturbetrieb wird im Theater Lübeck nicht geboten. Es sind surreale Bilder, die die Inszenierung von Reto Nickler beschwört.
Fast ein halbes Jahrhundert ist diese einst äußerst erfolgreiche Oper Henzes alt, und so passabel sie auch in Lübeck musiziert (Musikalische Leitung: Philippe Bach) und dann in den Repertoirebetrieb des Stadttheaters integriert werden wird, "Elegie für junge Liebende" bleibt dennoch auf anregende Weise fremd. Wie fern, wie nah ist uns die "moderne" Oper aus der Mitte des 20. Jahrhunderts? Wie fern sind uns die Sechziger Jahre und ihr politisch kulturelles Klima? Hans Werner Henze, der sein Werk um 1970 selbst inszenierte, meinte, dass man seine Hauptfigur, den Dichter Georg Mittenhofer "marxistisch" deuten und "brandmarken" müsse, den Künstler, der sich das Recht nimmt, für sein Werk, für seine "Elegie" seine Umwelt auszubeuten und dafür auch den Tod zweier Liebenden in Kauf nimmt; Henze machte als Regisseur also aus seiner Oper im Nachhinein ein politisches Lehrstück. Doch distanzierte er sich damit nicht auch von sich selbst? Hatten seine Librettisten Wystan Hugh Auden und Chester Kallman nicht das Werk - voll mythologischer, aber auch psychoanalytischer Anspielungen - Hugo von Hofmannsthal gewidmet, und Stefan George, Gottfried Benn - wo aus Worten "jäher Sinn" entflammen soll - verehrt, also sich selbst feiernde Dichtergenies, durchaus vergleichbar der Bühnenfigur Mittenhofer? Und war nicht auch Henze ein solcher Künstler?
Die Lübecker Aufführung führt also in jene vorpolitischen Sechziger Jahre zurück - karg, doch aufgeladen mit Symbolen. Die hohe Wand mit den Klettergriffen ist nicht nur der österreichische Berg, von dem sich der Dichter als Inspiration Edelweiß hohlen lässt, sondern auch die Mauer, auf die man hochklettert, wenn man in der Konversation - in die Enge getrieben - sich nichts zu sagen hat.
Das ist - wie die Sechziger Jahre oft wohl auch - etwas angestrengt langweilig, vor allem bleibt der Humor von "Elegie für junge Liebende" manchmal auf der Strecke. Das intellektuelle Vergnügen liegt allerdings vor allem in Henzes musikalischen Effekten, seinen geistreichen Zitaten, seiner schlanken Kammeroper-Instrumentierung. Das Lübecker Ensemble schlägt sich zwar wacker, etwa Andrea Stadl als Koloraturen sprühende, den Dichter zu Inspirationen anregende "Verrückte" (mit "Lucia-di-Lammermoor"-Zitaten), doch den Figuren im Sprechgesang ein markantes Profil zu verleihen, ist vielleicht nach wie vor Spezialisten für "moderne" Musik vorbehalten, auch wenn diese Moderne ein halbes Jahrhundert alt ist, oder Sängerpersönlichkeiten wie Martha Mödl und Dietrich Fischer-Dieskau, denen man auf alten Einspielungen lauschen kann.
Fast ein halbes Jahrhundert ist diese einst äußerst erfolgreiche Oper Henzes alt, und so passabel sie auch in Lübeck musiziert (Musikalische Leitung: Philippe Bach) und dann in den Repertoirebetrieb des Stadttheaters integriert werden wird, "Elegie für junge Liebende" bleibt dennoch auf anregende Weise fremd. Wie fern, wie nah ist uns die "moderne" Oper aus der Mitte des 20. Jahrhunderts? Wie fern sind uns die Sechziger Jahre und ihr politisch kulturelles Klima? Hans Werner Henze, der sein Werk um 1970 selbst inszenierte, meinte, dass man seine Hauptfigur, den Dichter Georg Mittenhofer "marxistisch" deuten und "brandmarken" müsse, den Künstler, der sich das Recht nimmt, für sein Werk, für seine "Elegie" seine Umwelt auszubeuten und dafür auch den Tod zweier Liebenden in Kauf nimmt; Henze machte als Regisseur also aus seiner Oper im Nachhinein ein politisches Lehrstück. Doch distanzierte er sich damit nicht auch von sich selbst? Hatten seine Librettisten Wystan Hugh Auden und Chester Kallman nicht das Werk - voll mythologischer, aber auch psychoanalytischer Anspielungen - Hugo von Hofmannsthal gewidmet, und Stefan George, Gottfried Benn - wo aus Worten "jäher Sinn" entflammen soll - verehrt, also sich selbst feiernde Dichtergenies, durchaus vergleichbar der Bühnenfigur Mittenhofer? Und war nicht auch Henze ein solcher Künstler?
Die Lübecker Aufführung führt also in jene vorpolitischen Sechziger Jahre zurück - karg, doch aufgeladen mit Symbolen. Die hohe Wand mit den Klettergriffen ist nicht nur der österreichische Berg, von dem sich der Dichter als Inspiration Edelweiß hohlen lässt, sondern auch die Mauer, auf die man hochklettert, wenn man in der Konversation - in die Enge getrieben - sich nichts zu sagen hat.
Das ist - wie die Sechziger Jahre oft wohl auch - etwas angestrengt langweilig, vor allem bleibt der Humor von "Elegie für junge Liebende" manchmal auf der Strecke. Das intellektuelle Vergnügen liegt allerdings vor allem in Henzes musikalischen Effekten, seinen geistreichen Zitaten, seiner schlanken Kammeroper-Instrumentierung. Das Lübecker Ensemble schlägt sich zwar wacker, etwa Andrea Stadl als Koloraturen sprühende, den Dichter zu Inspirationen anregende "Verrückte" (mit "Lucia-di-Lammermoor"-Zitaten), doch den Figuren im Sprechgesang ein markantes Profil zu verleihen, ist vielleicht nach wie vor Spezialisten für "moderne" Musik vorbehalten, auch wenn diese Moderne ein halbes Jahrhundert alt ist, oder Sängerpersönlichkeiten wie Martha Mödl und Dietrich Fischer-Dieskau, denen man auf alten Einspielungen lauschen kann.