Die Flagship-Messe gastiert im Zelt

Von Jürgen Kalwa · 11.05.2013
Der New Yorker Ableger der Londoner Frieze Art Fair unterstreicht: Der internationale Kunstmarkt ist ein Wanderzirkus geworden. Der Schauplatz - eine Insel im East River - ist geschickt gewählt. Der Zeitpunkt erst recht. Im Mai gibt es in Manhattan viele bemerkenswerte Ausstellungen und Auktionen.
Der Weg hinaus aus Manhattan auf die Insel im East River ist ein wenig beschwerlich. Selbst mit dem Auto über die Brücke Richtung Queens. Aber das ist durchaus Teil der Attraktion. In einer Stadt mit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Galerien, mit zahllosen Museen. Mit Künstlern zuhauf und wohlhaben Sammlern und Gönnern, die das alles mit ihrem Geld am Leben halten, muss man anders sein. Deutlich anders. Was Amanda Sharp wusste, als sie darüber nachdachte, eine Kunstmesse von Format nach New York zu bringen:

"”Randalls Island ist einer dieser unerforschten Teile von Manhattan. Als ich das erste Mal hierherkam, wirkte es düster. Wie die New-York-Filme in den 70er-Jahren. Ich dachte: Das wird ein Abenteuer. Eine Kunstmesse ist ja auf eine gewisse Weise Alchemie. Ein Ort, um etwas zu entdecken. Warum also nicht ein Erlebnis schaffen, das außergewöhnlich ist?”"

Ableger eines Markenzeichens
Amanda Sharp ist die geschäftsführende Direktorin der Frieze Art Fair. Die Messe ist in London beheimatet und hat sich dort über die Jahre einen exzellenten Ruf erworben. Ein Markenzeichen sozusagen. Wie die Art Basel. Die Schweizer haben vorgemacht, wie man mit Ablegern einen kräftigen Fußabdruck in anderen Teilen der Welt hinterlässt. In Miami. In Hongkong. Boomende Wohlstandsenklaven.

Nach New York drängte in all den Jahren niemand. Aber seit Weltfirmen ihre sogenannten Flagship-Stores in den Avenues von Manhattan einrichten, um hier ihre Markennamen aufzupolieren, war vielen Galeristen klar: Auch ihr Geschäft, das mit zeitgenössischer junger Kunst, kann so ein Schaufenster gut vertragen. Die Flagship-Messe sozusagen.

Die inszenierte Frieze vor einem Jahr zum ersten Mal und machte gleich bombastisch Eindruck. Mit einem riesigen weißen Zelt, das sich wie eine Schlange über 300 Meter hinzieht. Es lässt auf eine angenehme Weise das Tageslicht durchschimmern und bietet Platz für 180 Galerien aus 32 Ländern und für Tausende von Besuchern. Christian Wassmann, ein Schweizer Architekt, der in New York lebt und der vor einem Jahr das Interieur der "Independent", einer kleineren Messe in Chelsea, entworfen hatte:

""Die Architekten So-Il haben das sehr geschickt gelöst, mit diesem Monstrum von einem Zelt umzugehen. In dem sie diese Wedges, wie sie’s nennen, eingeführt haben, was das Ganze etwas dynamischer macht. Große Fensteröffnungen mit Aussicht auf den Fluss, wo dann jeweils die Restaurants und die Verpflegungsorte untergebracht sind. Das lockert die Sache auf. Und trotzdem hat es die Dichte einer konzentrierten Kunstmesse.”"

New York als Nabel der Kunstwelt
Draußen ist noch mehr Platz. Und so wird man dort in diesem Jahr von einem dreistöckigen roten Knubbelhund von Paul McCarthy begrüßt. Titel: "Balloon Dog". Der wirkte auf den Kritiker des "Guardian" so, als wolle da jemand Jeff Koons, dem zur Zeit teuersten zeitgenössischen Künstler der Welt, eine Nase drehen. Der stellt übrigens gerade in zwei Galerien in New York aus. Was auch immer der Hintergedanke ist. Für Florian Berktold von der Galerie Hauser und Wirth in Zürich, die McCarthy vertritt, zählt vor allem dies:

""New York ist nach wie vor der Nabel der zeitgenössischen Kunstwelt. Hier spielt sich sowohl vom Sammlerinteresse als auch von den Institutionen einfach soviel ab. Der Mai zusätzlich ist ein wichtiger Termin mit den internationalen Auktionen. In dieser Woche zwischen impressionistischen und zeitgenössischen Auktionen, da ist einfach das ganze Publikum hier in New York.”"

Das sind hauptsächlich Sammler aus Amerika – Nord- und Südamerika. Darunter auch Kunstfans wie Peter Marino, der "Leder-Peter”, wie ihn "Der Spiegel” vor Kurzem in einem Porträt nannte. Ein Mann, der Läden von großen Modefirmen einrichtet. Und auf Randalls Island ganz viel Inspiration findet:

""Nächste Woche bei Christie’s und Sotheby’s haben sie die besten Sachen. Einen Jackson Pollock. Einen Rothko. Es ist gut, dass es hier um junge Künstler geht. Von diesem Typen hier habe ich noch nie etwas gehört. 30 Jahre alt. Aus Glasgow. Wegen so etwas komme ich hierher.”"

Marktgetöse auf allen Kontinenten
Und wegen Typen wie Marino kommen die Galerien hierher. Aber bei dem einen oder anderen kann man eine gewisse Müdigkeit heraushören. Das Getöse, das der globale Kunstmarkt inzwischen auf allen Kontinenten produziert, ist kein Wert an sich. Gerd Harry Lybke, Besitzer der Galerie Eigen+Art in Leipzig und Berlin, sieht einen Verdrängungswettbewerb voraus:

""Es gibt wahrscheinlich viel zu viele Messen. Das muss man mal klar und deutlich feststellen. Und es werden nicht alle diese Messen, die jetzt noch existieren, und auch Nebenmessen und, und, und für immer und ewig überleben. Man wird sich auch wieder verschärft auf die Arbeit in der Galerie konzentrieren. Auf die Arbeit mit den Künstlern, mit den Museen. Auch das Verfolgen dieses eines Künstlers und das Aufbauen dieses Werkes.”"

Was sicher auch etwas mit den Nachwehen der Finanzkrise zu tun hat, die 2008 und 2009 den Kunstmarkt erheblich verunsicherte. Das Tief scheint überwunden, zumindest im Bereich der zeitgenössischen Kunst. Und das auch, weil Galeristen wie der Berliner Mehdi Chouakri bei der Frieze Art Fair im Gespräch mit interessierten Sammlern bewusst einen vorsichtigen Ton anschlagen:

""Es ist anders. Man geht mehr in die Substanz. Preise und Rekord – das spielt nicht mehr eine solche Rolle. Ein Künstler, der hohe Preise erzielt – das heißt nicht, dass er ein guter Künstler ist. Und er wird auch kritisch gesehen.”"
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