Die Folgen des Terrors

Die Journalistin Amy Waldman hat die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York miterlebt. Über die Folgen dieses Tages hat sie nun einen Roman geschrieben – in dem sie eine US-Gesellschaft beschreibt, in der Angst und Ressentiment um sich gegriffen haben.
New York im Jahr 2003: Soeben findet die entscheidende Jury-Sitzung jenes Wettbewerbs statt, in dem darüber entschieden wird, wie die nationale Gedenkstätte aussehen wird, die zukünftig an den verheerenden Terroranschlag erinnern soll, der die Stadt zwei Jahre zuvor heimgesucht hat. Gemeint sind natürlich die Anschläge des 11. September 2001. Doch der Begriff 9/11 fällt im Roman kein einziges Mal. Denn Amy Waldman – von Haus aus Journalistin, die zum Zeitpunkt der damaligen Anschläge gerade in den Räumen der New York Times eingetroffen war – geht es weniger um den Terror selbst. Sie beleuchtet vielmehr die emotionale Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft in der Zeit danach.

Diese entzündete sich vor allem an der symbolischen Bedeutung des Ground Zero und an der Frage, wie ein nationales Denkmal eigentlich beschaffen sein müsse. In ihrem Roman, einer Art Was-wäre-wenn-Konstruktion, gewinnt überraschend ein gewisser Mohammed Khan die Ausschreibung – und löst damit nicht nur innerhalb der Jury, sondern in allen Fraktionen der Gesellschaft erwartungsgemäß erbitterte Debatten aus. Erzähltechnisch ist das ein so schlichter wie wirkungsvoller Plot: Denn Waldman versetzt den Leser einerseits in die Lage eines amerikanischen Muslims, der gänzlich säkular aufgewachsen ist, im Zuge von 9/11 aber plötzlich aufgrund seiner Religion, die ihm selbst nicht viel bedeutet, diskriminiert wird. Zugleich aber rührt Waldman an das emotionale Zentrum, das auch die reale Debatte um das geplante 9/11-Memorial in Amerika aufgeheizt hatte: an die Frage, wer das Recht auf Trauer besitzt – und darauf, Ground Zero für sich zu reklamieren.

Waldman erzählt daher abwechselnd aus der Sicht von verschiedenen Charakteren: Da ist Claire, Jurymitglied und verwitwete Mutter, die ihren Mann bei den Anschlägen verloren hat, und da ist Sean, dessen Bruder als Feuerwehrmann bei den Anschlägen starb und der nun seine Trauer mit wütendem Engagement kompensiert; da ist die skrupellose Journalistin, die eine Hetzjagd auf den Architekten eröffnet, nur um der Story willen; da sind die muslimischen Verbände, die den säkularen Khan für ihre eigene politische Agenda instrumentalisieren; da sind die Anti-Islam-Gruppen, die Hasstiraden loslassen im Namen von Freiheit und Demokratie.

Waldman zeigt eine Gesellschaft, in der Angst und Ressentiment auf beiden Seiten um sich gegriffen haben. Sie selbst ergreift nicht wirklich Partei, lässt in ihrem dialogbetonten Roman vielmehr alle Standpunkte in kluger Ausgewogenheit aufeinander prallen. Ein versöhnliches Ende liefert sie nicht. Stattdessen entfaltet sie ein bestechend scharfes Panorama jener Zeit, in der hysterischer Patriotismus und eine panische Furcht vor der eigenen Niederlage die Tagesordnung bestimmten. Amerika, das sich stets auf die Fahne geschrieben hatte, Menschen nicht nach ihrer Herkunft oder Religion zu definieren, beging somit Verrat an der eigenen Identität, gab die besten seiner Ideale zumindest teilweise preis. Dass dieser Kampf noch immer nicht ausgestanden ist, daran lässt Waldmans so packender wie faktengesättigter Roman keinerlei Zweifel.

Besprochen von Claudia Kramatschek

Amy Waldman: Der amerikanische Architekt
Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt am Main 2013
507 Seiten, 24,95 Euro


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