"Die Fotografie ist das Leitmedium innerhalb der bildenden Kunst"
Der Fotograf Thomas Demand nutzt Bilder, die in den kollektiven Erfahrungsschatz übergegangen sind, für seine Werke. Seine dreidimensionalen Nachbauten von Orten und Ereignissen seien der kindlichen Idee entsprungen, "dass man vielleicht reinlaufen könnte in Bilder".
Liane von Billerbeck: "Nationalgalerie" sind und heißen Ort wie Titel der Ausstellung, an dem von heute an, die Fotos von Themas Demand zu sehen sein werden, einem der bekanntesten deutschen Gegenwartskünstler, der mit Bildern von Bildern spielt, die wir im kollektiven Gedächtnis haben. Für "Nationalgalerie" hat er 40 Bilder ausgewählt, aus seinem Schaffen, die die neuere deutschen Geschichte abbilden, 20 Jahre nach dem Mauerfall und 60 nach Gründung von Bundesrepublik.
(…)
Und genau das wollen wir jetzt auch tun im Gespräch mit Thomas Demand, einem der gefragtesten Gegenwartsfotografen. Herzlich Willkommen!
Thomas Demand: Danke!
Von Billerbeck: "Nationalgalerie", das ist der Ausstellungstitel und zugleich der Ort, an dem Ihre ungewöhnlichen Fotos gezeigt werden. Warum dieser deutsche Fokus auf Ihr Werk?
Demand: Der kam eher zufällig zustande, ehrlich gesagt. Also, wenn Sie eine Retrospektive machen sollen - das heißt, Sie fahren zurück auf die Arbeiten der letzten 10, 15 Jahre oder so was - müssen Sie eben eine Auswahl treffen. Der nächste Schritt ist ganz klar: Welche nehme ich rein, welche nehme ich nicht rein? Und dann dachte ich, man könnte es vielleicht thematisch anlegen, das ist ja viel interessanter als die Erfolgreichsten, die Populärsten, die Kleinsten, die Größten. Und das Thema fiel mir dann passend ein, zunächst mal alle Bilder, die ich hier gemacht habe und die sich auf irgendetwas beziehen, wovon ich weiß, dass es von hierher kommt oder von dem auch die anderen wissen, dass es irgendwas mit Deutschland zu tun hat, und daraus entstand das, also gänzlich unideologisch.
Von Billerbeck: Wann ist eigentlich ein Ereignis etwas, oder das Bild von einem Ereignis für Sie so wichtig, dass Sie beschließen, es auf Ihre Weise nachzubauen und diese Attrappe noch mal zu fotografieren?
Demand: Es gibt dieses viel zu oft verwendete Wort von Picasso, wo er sagt, die Bilder finden mich, ich muss die nicht suchen. So ist es leider doch wirklich dann. Es bleiben Sachen hängen. Ich kann Ihnen jetzt einfach drei, vier Sachen sagen, die Zuhörer wissen sofort, was war. Eisdiele in Rüsselsheim, Schießerei zum Beispiel. Manche haben noch diese rot-weiße Markise im Kopf, dann aber auch dieses Eisdielenambiente. Das wird nicht in der Ausstellung sein, aber nur, um zu sagen ... Michael Rust (Anm. d. Red.: eigentlich Matthias Rust), der Flieger im Roten Platz.
Es gibt so diese Bilder, die haben wir einfach im Kopf, die haben wir auch geläufig, aber die müssen wir gar nicht sehen, um deren Beweiskraft sozusagen wieder herstellen zu können für unsere Erinnerung, sondern wir können darüber kommunizieren, wir wissen die. Und solche Materialien interessieren mich einfach sehr, nicht deswegen, weil die Ereignisse so einmalig wären, sondern einfach, weil sie so eine bildliche Kraft besitzen, die mir sofort aus diesem Schatz von Bildern, von dem man immer spricht, den haben wir ja gar nicht, sondern wir setzen das ja jedes Mal neu zusammen. Aber wir können sofort kommunizieren.
Ich gehe in Argentinien ... mache ich einen Vortrag über meine Arbeit, als erstes Mal und vor Kunststudenten sage ich: Könnt ihr mal alle aufzeichnen, wie der Tunnel von Lady Di aussah in Paris? Und das können die alle und keiner von denen war jemals in Paris.
Einerseits ist es natürlich trivial, andererseits ist es auch ein unglaublicher Bilderschatz, mit dem Künstler arbeiten können, über den wir kommunizieren können, über den wir uns vergewissern, unsere Zeitgenossenschaft bestätigen und dergleichen mehr. Deswegen weiß ich nicht genau, was es ist, aber so diese Bilder, die zirkulieren und die um uns herum aus bestimmten Gründen an uns vorbeiziehen, das ist ungefähr das Material, aus dem ich mich bediene.
Von Billerbeck: Ist die Fotografie für Sie die stärkste Kunst der Gegenwart?
Demand: Stark - das würde dann heißen, dass die anderen schwach sind. Ich komme von der Malerei und ich glaube, dass das, was ich mache, sehr viel mit Skulptur zu tun hat. Die Fotografie, da bin ich auch, ehrlich gesagt, Amateur. Amateur kann man jetzt auch nicht mehr sagen, aber ich bin sozusagen ungelernter Fotograf.
Aber sie ist auf jeden Fall so was wie ein Leitmedium, also, wie Friedrich Merz damals die Leitkultur - die Fotografie ist das Leitmedium innerhalb von der bildenden Kunst, mit Sicherheit, und die daraus abgeleiteten, also Video, weil Sie überprüfen die Darstellung, die Ihnen vorgesetzt wird, vorgelegt wird, anhand dessen, was Sie als fotografisch erkennen. Also, wenn Sie jetzt die Figuration sehr abstrahieren, dann machen Sie das von dem Wissen um die fotografische Abbildung eines menschlichen Körpers zum Beispiel und umgekehrt, also selbst wenn das nicht fotografisch aussieht, messen Sie es daran. Und insofern hat es eine ziemliche Bedeutung innerhalb dessen, was wir erkennen können.
Von Billerbeck: Thomas Demand ist mein Gesprächspartner. Seine Fotos sind jetzt zum ersten Mal in Berlin in einer großen Ausstellung unter dem Titel "Nationalgalerie" in der gleichnamigen neuen Nationalgalerie zu sehen. Sie kommen - Sie haben es eben so beiläufig erwähnt - ja von der Bildhauerei, vom Dreidimensionalen also. Sie wählen das Bild - das ist zweidimensional - aus, bauen es nach, dreidimensional, machen davon wieder ein Bild, also zurück zum Zweidimensionalen. Das Modell, den Nachbau, den vernichten Sie danach, haben wir erfahren. Spielt also das Räumliche für Sie so gar keine Rolle?
Demand: Man muss dazu sehen, es ist ... die Dinge sind sehr groß, die ich baue.
Von Billerbeck: Eins zu eins, ja.
Demand: Das heißt, das ist auch eine echte Erleichterung, wenn die weg sind. Ich sehe das eher als Übersetzung von einem, sagen wir mal, Status zum nächsten zum nächsten. Ich sehe ein Foto und ich versenke mich einfach in das Foto und diese kindliche Idee, dass man vielleicht reinlaufen könnte in Bilder, dass man einfach sich selber wiederfindet in genau dem Bild, was Sie da sehen, das könnte ... Ihre Vorstellung erlaubt Ihnen so was. Aber ich nehme sozusagen meine Vorstellung so ernst, dass ich die Umgebung um mich herum nach meiner Vorstellung baue von dem, was ich da auf dem Bild sehe. Und wenn man es sich so vorstellt, dann klingt es auch gar nicht mehr so verstiegen, sondern es ist sozusagen ... Ich will einfach nur wissen, was ist auf dem Foto drauf? Da will ich einmal durchlaufen, ein Foto machen und dann kann das Ding auch wieder verschwinden. Das ist dann wie eine Leiter, die Sie in den zweiten Stock gebracht hat, und dann brauchen Sie aber die Leiter nicht mehr, weil Sie schon oben sind.
Von Billerbeck: Sie spielen ja mit dem Bild vom Bild eines Ereignisses, das wir im Kopf haben. Nehmen wir mal ein Beispiel, den Raum der Stasizentrale in der Berliner Normannenstraße, wie er ausgesehen hat nach der Erstürmung im Januar 1990, an der, wie wir wissen, ja auch Stasileute beteiligt waren. Wie wichtig ist das Wissen um das Originalereignis für das Verständnis des Fotos?
Demand: Lassen Sie es mich mit einem anderen Beispiel sagen, weil es dann klarer wird und es nicht so sehr um meine Kunst geht dabei. Wenn Sie in ein Museum gehen und Sie gucken sich ein Bild von Tizian an, ein Porträt von Karl dem Fünften, dann müssen Sie nicht wissen, ob der Karl der Fünfte ein netter Mensch war, ein schlechter Herrscher, ein guter Herrscher und Sie müssen auch nicht wissen, ob Tizian einen guten Tag hatte, einen schlechten Tag hatte. Sie müssen auch nicht wissen, ob der sein Bild bezahlt hat, warum das Bild zustande kam, Sie müssen all diese Dinge nicht wissen, um diesen Tizian wahrzunehmen als Bild. Das würde ich mal voraussetzen sozusagen, sonst könnten wir uns auch gar keine Museen erlauben. Die Museen machen genau das, die erhalten einfach Dinge aus den Zeitläufen heraus.
Der Tizian selber brauchte aber Karl den Fünften, und zwar erst einmal, weil der dem die Rechnung bezahlte, zweitens aber auch, weil er einfach das Gesicht vor der Staffelei war sozusagen. Ich kann also nur Auskunft geben über die Dinge, die ich wissen musste, um diese Bilder zu machen. Aber ich kann überhaupt nicht beurteilen, ob die Besucher, wie viel die wissen müssen, um damit was anfangen zu können. Das muss ja erstens die Zeit zeigen, also wenn ...
Diese Geschichten vergehen ja auch einfach, also es gibt Bilder von Leuten, die heute nicht mehr dieselbe Rolle spielen wie vor 20 Jahren. Ich habe mal einmal ein Bild gemacht über Bill Gates, das ist heute nicht mehr der reichste Mann der Welt, aber dennoch ist das Bild noch da und es hat immer noch sein eigenes Recht als Bild. Und ich kann Ihnen nur Auskunft geben über die Dinge, die nötig waren für diesen Gedanken, aber ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie sehen sollen oder so was.
Von Billerbeck: Das herausstechendste Merkmal aller Bilder, wenn man sich die anguckt von Ihnen, ist ja, dass die Menschen, die die handelnden Subjekte in den Ereignissen oder bei den Ereignissen waren, die fehlen. Nehmen wir das Foto "Fundort Uwe Barschel", also im Genfer Hotel, das berühmte Bild, wo Uwe Barschel, die Leiche Uwe Barschels im Genfer Hotel Beau Rivage in der Badewanne entdeckt wurde und fotografiert wurde. Da fehlt auch das scheinbar Wichtigste, nämlich Uwe Barschel. Warum entkleiden Sie uns diese Szenerie so?
Demand: Ich kann mich nur darüber auslassen, was die Zeitung mir gesagt hat und dass die Zeitung mir es gesagt hat. Dieses Verhältnis zwischen diesen Medien und dem Austausch von Informationen ist sozusagen das Terrain, in dem ich mich bewege, aber nicht die wirklich berichtete Tat. Ich kann dazu überhaupt nichts hinzufügen.
Aber ich kann natürlich zum Beispiel darüber sprechen, dass es einen moralischen Aufschrei gab, als der Journalist damals die Bilder auf den "Stern"-Titel lieferte, bevor er die Polizei angerufen hatte. Ich kann darüber sprechen, dass der Staatsanwalt zehn Jahre später zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es wohl Mord gewesen sei, weil die einzig unbeschädigten Beweismittel, die es gab, eben diese Filme waren, die vorher noch diese bösen, verlotterten Sitten repräsentierten, die der Journalismus inzwischen angenommen haben sollte.
Das heißt, Sie haben hier eine Bildgeschichte, die sich hinzieht über eine Zeit lang, und Sie haben Verhältnisse, die sich abhandeln lassen von Bildern her. Und über diese Bilder kann ich sprechen. Und dann könnte man darüber nachdenken, wie banale Orte plötzlich eine Prominenz erhalten, ob sie das wollen oder nicht, und was für eine Rolle dann solche banalen Orte eben in unserem Bildgedächtnis spielen könnten. Aber da würde ich dann ganz gerne den Ball wieder flach halten, weil das dann auch wiederum Spekulationen sind, die sich vielleicht andere Leute erlauben, aber da würde ich mich gerne raushalten.
Von Billerbeck: Sind Sie Moralist?
Demand: Nein, gar nicht, aber ein Freund von mir, ein sehr guter Kunsthistoriker, hat mal gesagt: Vor 100 Jahren gab es keine Interviews. Und immer, wenn er Texte schreibt oder wenn er Gedanken macht sich über zeitgenössische Künstler, ist es wahnsinnig anstrengend, dass die immer alles selber schon gesagt haben, während von Monet weiß man nicht, was der dachte oder so, da kennt man Briefe an seine Mutter und an seinen Kollegen oder so, aber ansonsten weiß man gar nichts. Und ich finde das ganz entlastend. Ich finde, der Künstler muss nicht die ganze Zeit sozusagen den Leuten auch noch erklären, was sie sehen sollen auf ihren Bildern.
Von Billerbeck: Gibt es eigentlich ein Foto von einem Ereignis, das Sie nie machen würden? Sie ahnen schon, das ist die Frage nach der Selbstbegrenzung des Künstlers.
Demand: Zum Beispiel 9/11, da können Sie gar nichts dazu machen. Das ist ein furchtbares Drama. Viele Sachen kann ich sowieso nicht bearbeiten mit meiner Kunst, ich bin ja auch nicht Mutter Theresa, aber es gibt Sachen, wo einfach nicht klar ist, was das Bild jetzt da drin zu suchen hat oder meine Arbeit da drin zu suchen hätte.
Von Billerbeck: Machen Sie eigentlich so was, was normale Leute tun, also Urlaubsfotos von Frau, Freundin, Kindern? Oder ist Ihr Verhältnis zur Fotografie ein rein berufliches, rein künstlerisches?
Demand: Jahrelang gar nicht, aber ... Es gab ja ganz lange eine Diskussion über die digitale Fotografie, und dann wurde ich immer so als einer der wenigen genommen, die sozusagen beweisen, schlagkräftig beweisen, dass man jetzt Fotografie, digital, ... dass das alles am Ende ist und die Fotografie wird aussterben, weil sie nicht mehr verlässliche Daten liefert. Und ich dachte: Das ist eigentlich fantastisch. Jedes Telefon hat ja eine Kamera und jeder weiß, wie ein Foto ... jetzt wissen noch mehr Leute als früher, wie Fotos gemacht werden und wie man die manipulieren kann, wie man die rumschicken kann. Eigentlich ist die Fotografie lebendiger denn je. Und so geht es mir auch. Seitdem mein Telefon eine Kamera hat, mache ich auch viel mehr Fotos von irgendwelchem Zeug, wo ich nie weiß, wofür ich es brauchen kann, gar nichts mit Beruf zu tun hat.
Von Billerbeck: Sagt der Fotograf Thomas Demand, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Demand: Danke!
(…)
Und genau das wollen wir jetzt auch tun im Gespräch mit Thomas Demand, einem der gefragtesten Gegenwartsfotografen. Herzlich Willkommen!
Thomas Demand: Danke!
Von Billerbeck: "Nationalgalerie", das ist der Ausstellungstitel und zugleich der Ort, an dem Ihre ungewöhnlichen Fotos gezeigt werden. Warum dieser deutsche Fokus auf Ihr Werk?
Demand: Der kam eher zufällig zustande, ehrlich gesagt. Also, wenn Sie eine Retrospektive machen sollen - das heißt, Sie fahren zurück auf die Arbeiten der letzten 10, 15 Jahre oder so was - müssen Sie eben eine Auswahl treffen. Der nächste Schritt ist ganz klar: Welche nehme ich rein, welche nehme ich nicht rein? Und dann dachte ich, man könnte es vielleicht thematisch anlegen, das ist ja viel interessanter als die Erfolgreichsten, die Populärsten, die Kleinsten, die Größten. Und das Thema fiel mir dann passend ein, zunächst mal alle Bilder, die ich hier gemacht habe und die sich auf irgendetwas beziehen, wovon ich weiß, dass es von hierher kommt oder von dem auch die anderen wissen, dass es irgendwas mit Deutschland zu tun hat, und daraus entstand das, also gänzlich unideologisch.
Von Billerbeck: Wann ist eigentlich ein Ereignis etwas, oder das Bild von einem Ereignis für Sie so wichtig, dass Sie beschließen, es auf Ihre Weise nachzubauen und diese Attrappe noch mal zu fotografieren?
Demand: Es gibt dieses viel zu oft verwendete Wort von Picasso, wo er sagt, die Bilder finden mich, ich muss die nicht suchen. So ist es leider doch wirklich dann. Es bleiben Sachen hängen. Ich kann Ihnen jetzt einfach drei, vier Sachen sagen, die Zuhörer wissen sofort, was war. Eisdiele in Rüsselsheim, Schießerei zum Beispiel. Manche haben noch diese rot-weiße Markise im Kopf, dann aber auch dieses Eisdielenambiente. Das wird nicht in der Ausstellung sein, aber nur, um zu sagen ... Michael Rust (Anm. d. Red.: eigentlich Matthias Rust), der Flieger im Roten Platz.
Es gibt so diese Bilder, die haben wir einfach im Kopf, die haben wir auch geläufig, aber die müssen wir gar nicht sehen, um deren Beweiskraft sozusagen wieder herstellen zu können für unsere Erinnerung, sondern wir können darüber kommunizieren, wir wissen die. Und solche Materialien interessieren mich einfach sehr, nicht deswegen, weil die Ereignisse so einmalig wären, sondern einfach, weil sie so eine bildliche Kraft besitzen, die mir sofort aus diesem Schatz von Bildern, von dem man immer spricht, den haben wir ja gar nicht, sondern wir setzen das ja jedes Mal neu zusammen. Aber wir können sofort kommunizieren.
Ich gehe in Argentinien ... mache ich einen Vortrag über meine Arbeit, als erstes Mal und vor Kunststudenten sage ich: Könnt ihr mal alle aufzeichnen, wie der Tunnel von Lady Di aussah in Paris? Und das können die alle und keiner von denen war jemals in Paris.
Einerseits ist es natürlich trivial, andererseits ist es auch ein unglaublicher Bilderschatz, mit dem Künstler arbeiten können, über den wir kommunizieren können, über den wir uns vergewissern, unsere Zeitgenossenschaft bestätigen und dergleichen mehr. Deswegen weiß ich nicht genau, was es ist, aber so diese Bilder, die zirkulieren und die um uns herum aus bestimmten Gründen an uns vorbeiziehen, das ist ungefähr das Material, aus dem ich mich bediene.
Von Billerbeck: Ist die Fotografie für Sie die stärkste Kunst der Gegenwart?
Demand: Stark - das würde dann heißen, dass die anderen schwach sind. Ich komme von der Malerei und ich glaube, dass das, was ich mache, sehr viel mit Skulptur zu tun hat. Die Fotografie, da bin ich auch, ehrlich gesagt, Amateur. Amateur kann man jetzt auch nicht mehr sagen, aber ich bin sozusagen ungelernter Fotograf.
Aber sie ist auf jeden Fall so was wie ein Leitmedium, also, wie Friedrich Merz damals die Leitkultur - die Fotografie ist das Leitmedium innerhalb von der bildenden Kunst, mit Sicherheit, und die daraus abgeleiteten, also Video, weil Sie überprüfen die Darstellung, die Ihnen vorgesetzt wird, vorgelegt wird, anhand dessen, was Sie als fotografisch erkennen. Also, wenn Sie jetzt die Figuration sehr abstrahieren, dann machen Sie das von dem Wissen um die fotografische Abbildung eines menschlichen Körpers zum Beispiel und umgekehrt, also selbst wenn das nicht fotografisch aussieht, messen Sie es daran. Und insofern hat es eine ziemliche Bedeutung innerhalb dessen, was wir erkennen können.
Von Billerbeck: Thomas Demand ist mein Gesprächspartner. Seine Fotos sind jetzt zum ersten Mal in Berlin in einer großen Ausstellung unter dem Titel "Nationalgalerie" in der gleichnamigen neuen Nationalgalerie zu sehen. Sie kommen - Sie haben es eben so beiläufig erwähnt - ja von der Bildhauerei, vom Dreidimensionalen also. Sie wählen das Bild - das ist zweidimensional - aus, bauen es nach, dreidimensional, machen davon wieder ein Bild, also zurück zum Zweidimensionalen. Das Modell, den Nachbau, den vernichten Sie danach, haben wir erfahren. Spielt also das Räumliche für Sie so gar keine Rolle?
Demand: Man muss dazu sehen, es ist ... die Dinge sind sehr groß, die ich baue.
Von Billerbeck: Eins zu eins, ja.
Demand: Das heißt, das ist auch eine echte Erleichterung, wenn die weg sind. Ich sehe das eher als Übersetzung von einem, sagen wir mal, Status zum nächsten zum nächsten. Ich sehe ein Foto und ich versenke mich einfach in das Foto und diese kindliche Idee, dass man vielleicht reinlaufen könnte in Bilder, dass man einfach sich selber wiederfindet in genau dem Bild, was Sie da sehen, das könnte ... Ihre Vorstellung erlaubt Ihnen so was. Aber ich nehme sozusagen meine Vorstellung so ernst, dass ich die Umgebung um mich herum nach meiner Vorstellung baue von dem, was ich da auf dem Bild sehe. Und wenn man es sich so vorstellt, dann klingt es auch gar nicht mehr so verstiegen, sondern es ist sozusagen ... Ich will einfach nur wissen, was ist auf dem Foto drauf? Da will ich einmal durchlaufen, ein Foto machen und dann kann das Ding auch wieder verschwinden. Das ist dann wie eine Leiter, die Sie in den zweiten Stock gebracht hat, und dann brauchen Sie aber die Leiter nicht mehr, weil Sie schon oben sind.
Von Billerbeck: Sie spielen ja mit dem Bild vom Bild eines Ereignisses, das wir im Kopf haben. Nehmen wir mal ein Beispiel, den Raum der Stasizentrale in der Berliner Normannenstraße, wie er ausgesehen hat nach der Erstürmung im Januar 1990, an der, wie wir wissen, ja auch Stasileute beteiligt waren. Wie wichtig ist das Wissen um das Originalereignis für das Verständnis des Fotos?
Demand: Lassen Sie es mich mit einem anderen Beispiel sagen, weil es dann klarer wird und es nicht so sehr um meine Kunst geht dabei. Wenn Sie in ein Museum gehen und Sie gucken sich ein Bild von Tizian an, ein Porträt von Karl dem Fünften, dann müssen Sie nicht wissen, ob der Karl der Fünfte ein netter Mensch war, ein schlechter Herrscher, ein guter Herrscher und Sie müssen auch nicht wissen, ob Tizian einen guten Tag hatte, einen schlechten Tag hatte. Sie müssen auch nicht wissen, ob der sein Bild bezahlt hat, warum das Bild zustande kam, Sie müssen all diese Dinge nicht wissen, um diesen Tizian wahrzunehmen als Bild. Das würde ich mal voraussetzen sozusagen, sonst könnten wir uns auch gar keine Museen erlauben. Die Museen machen genau das, die erhalten einfach Dinge aus den Zeitläufen heraus.
Der Tizian selber brauchte aber Karl den Fünften, und zwar erst einmal, weil der dem die Rechnung bezahlte, zweitens aber auch, weil er einfach das Gesicht vor der Staffelei war sozusagen. Ich kann also nur Auskunft geben über die Dinge, die ich wissen musste, um diese Bilder zu machen. Aber ich kann überhaupt nicht beurteilen, ob die Besucher, wie viel die wissen müssen, um damit was anfangen zu können. Das muss ja erstens die Zeit zeigen, also wenn ...
Diese Geschichten vergehen ja auch einfach, also es gibt Bilder von Leuten, die heute nicht mehr dieselbe Rolle spielen wie vor 20 Jahren. Ich habe mal einmal ein Bild gemacht über Bill Gates, das ist heute nicht mehr der reichste Mann der Welt, aber dennoch ist das Bild noch da und es hat immer noch sein eigenes Recht als Bild. Und ich kann Ihnen nur Auskunft geben über die Dinge, die nötig waren für diesen Gedanken, aber ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie sehen sollen oder so was.
Von Billerbeck: Das herausstechendste Merkmal aller Bilder, wenn man sich die anguckt von Ihnen, ist ja, dass die Menschen, die die handelnden Subjekte in den Ereignissen oder bei den Ereignissen waren, die fehlen. Nehmen wir das Foto "Fundort Uwe Barschel", also im Genfer Hotel, das berühmte Bild, wo Uwe Barschel, die Leiche Uwe Barschels im Genfer Hotel Beau Rivage in der Badewanne entdeckt wurde und fotografiert wurde. Da fehlt auch das scheinbar Wichtigste, nämlich Uwe Barschel. Warum entkleiden Sie uns diese Szenerie so?
Demand: Ich kann mich nur darüber auslassen, was die Zeitung mir gesagt hat und dass die Zeitung mir es gesagt hat. Dieses Verhältnis zwischen diesen Medien und dem Austausch von Informationen ist sozusagen das Terrain, in dem ich mich bewege, aber nicht die wirklich berichtete Tat. Ich kann dazu überhaupt nichts hinzufügen.
Aber ich kann natürlich zum Beispiel darüber sprechen, dass es einen moralischen Aufschrei gab, als der Journalist damals die Bilder auf den "Stern"-Titel lieferte, bevor er die Polizei angerufen hatte. Ich kann darüber sprechen, dass der Staatsanwalt zehn Jahre später zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es wohl Mord gewesen sei, weil die einzig unbeschädigten Beweismittel, die es gab, eben diese Filme waren, die vorher noch diese bösen, verlotterten Sitten repräsentierten, die der Journalismus inzwischen angenommen haben sollte.
Das heißt, Sie haben hier eine Bildgeschichte, die sich hinzieht über eine Zeit lang, und Sie haben Verhältnisse, die sich abhandeln lassen von Bildern her. Und über diese Bilder kann ich sprechen. Und dann könnte man darüber nachdenken, wie banale Orte plötzlich eine Prominenz erhalten, ob sie das wollen oder nicht, und was für eine Rolle dann solche banalen Orte eben in unserem Bildgedächtnis spielen könnten. Aber da würde ich dann ganz gerne den Ball wieder flach halten, weil das dann auch wiederum Spekulationen sind, die sich vielleicht andere Leute erlauben, aber da würde ich mich gerne raushalten.
Von Billerbeck: Sind Sie Moralist?
Demand: Nein, gar nicht, aber ein Freund von mir, ein sehr guter Kunsthistoriker, hat mal gesagt: Vor 100 Jahren gab es keine Interviews. Und immer, wenn er Texte schreibt oder wenn er Gedanken macht sich über zeitgenössische Künstler, ist es wahnsinnig anstrengend, dass die immer alles selber schon gesagt haben, während von Monet weiß man nicht, was der dachte oder so, da kennt man Briefe an seine Mutter und an seinen Kollegen oder so, aber ansonsten weiß man gar nichts. Und ich finde das ganz entlastend. Ich finde, der Künstler muss nicht die ganze Zeit sozusagen den Leuten auch noch erklären, was sie sehen sollen auf ihren Bildern.
Von Billerbeck: Gibt es eigentlich ein Foto von einem Ereignis, das Sie nie machen würden? Sie ahnen schon, das ist die Frage nach der Selbstbegrenzung des Künstlers.
Demand: Zum Beispiel 9/11, da können Sie gar nichts dazu machen. Das ist ein furchtbares Drama. Viele Sachen kann ich sowieso nicht bearbeiten mit meiner Kunst, ich bin ja auch nicht Mutter Theresa, aber es gibt Sachen, wo einfach nicht klar ist, was das Bild jetzt da drin zu suchen hat oder meine Arbeit da drin zu suchen hätte.
Von Billerbeck: Machen Sie eigentlich so was, was normale Leute tun, also Urlaubsfotos von Frau, Freundin, Kindern? Oder ist Ihr Verhältnis zur Fotografie ein rein berufliches, rein künstlerisches?
Demand: Jahrelang gar nicht, aber ... Es gab ja ganz lange eine Diskussion über die digitale Fotografie, und dann wurde ich immer so als einer der wenigen genommen, die sozusagen beweisen, schlagkräftig beweisen, dass man jetzt Fotografie, digital, ... dass das alles am Ende ist und die Fotografie wird aussterben, weil sie nicht mehr verlässliche Daten liefert. Und ich dachte: Das ist eigentlich fantastisch. Jedes Telefon hat ja eine Kamera und jeder weiß, wie ein Foto ... jetzt wissen noch mehr Leute als früher, wie Fotos gemacht werden und wie man die manipulieren kann, wie man die rumschicken kann. Eigentlich ist die Fotografie lebendiger denn je. Und so geht es mir auch. Seitdem mein Telefon eine Kamera hat, mache ich auch viel mehr Fotos von irgendwelchem Zeug, wo ich nie weiß, wofür ich es brauchen kann, gar nichts mit Beruf zu tun hat.
Von Billerbeck: Sagt der Fotograf Thomas Demand, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Demand: Danke!