"Die Frage war: ich oder sie?"
Nach Fukushima hing Angela Merkels politische Zukunft plötzlich von der Atompolitik ab, behauptet Cerstin Gammelin von der "Süddeutschen Zeitung". Die Regierung habe sich deshalb für den Komplettausstieg entschieden und riskiere Streit mit den Energieversorgern.
Matthias Hanselmann: Der Stern nannte die Energieversorger noch im vergangenen Oktober Deutschlands dunkle Macht. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg, gerade mal ein halbes Jahr her, wurde von vielen Kritikern als massiver Erfolg der Atomlobby bezeichnet. Jetzt haben wir die komplette Kehrtwende – von den selben Politikern! Komplettausstieg bis 2022. In ihrem Buch "Die Strippenzieher" beschreibt Cerstin Gammelin mit ihrem Co-Autor Götz Hamann unter anderem die Verflechtung von Politik und Energiegroßkonzernen in Deutschland. Die Autorin ist außerdem EU-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Brüssel. Frage an Frau Gammelin, mit der ich mich vor der Sendung unterhalten habe, was ist da eigentlich passiert?
Cerstin Gammelin: Oh, das ist eigentlich relativ einfach zu erklären: Frau Merkel hat gemerkt, dass der Ausstieg aus der Atomenergie einfach so ein Massenthema ist, das den Grünen die Wähler zutreibt, dass sie einfach reagieren musste. Wir haben seit Anfang des Jahres gesehen, dass jede Landtagswahl noch mit großen Erfolgen für die Grünen ausgegangen ist. Und da jetzt weitere Wahlen folgen, musste einfach auch politisch strategisch gedacht werden und das Thema Atomausstieg ein für alle Mal erledigt werden.
Hanselmann: Wie ist es denn in so einer Situation, haben die Lobbyisten da geschlafen, hätten die nicht schnell reagieren können? Sie hätten doch auch merken können, was nach Fukushima oder mit dem Unglück von Fukushima sich geändert hat und passiert ist – auch moralisch, ethisch, innerhalb der Regierung?
Gammelin: Ja, ich denke, zuerst konnte eigentlich niemand ahnen, welche Auswirkungen Fukushima haben wird. Das ist ja wirklich für alle Beteiligten, muss man sagen, für die vor Ort, aber auch hier, jeden Tag neu gewesen, welche Ausmaße das hat. Und dann denke ich, haben auch viele Atomlobbyisten unterschätzt, welche Wirkung das vor allen Dingen auf die deutsche Bevölkerung hat, die ja eigentlich seit jeher gegen Atomkraft ist.
Und am Ende kam es, denke ich, schon zu der Entscheidung für die Politik, auch für Frau Merkel: Entweder gebe ich jetzt wieder den Atomkonzernen nach und ich lasse alles so, wie es ist mit der Laufzeitverlängerung – und dabei riskiere ich einfach verlorene Wahlen –, oder ich erledige das Thema ein für alle Mal und mache jetzt den Komplettausstieg. Und sie hat sich halt für letzteres entschieden. Man kann, wenn man es ganz zugespitzt formuliert, einfach sagen, die Frage war: ich oder sie? Und sie hat sich für sich selber entschieden.
Hanselmann: Wie ist das eigentlich konkret – Sie kennen sich ja sehr gut aus mit den Verflechtungen zwischen Politik und auch der Energiewirtschaft, der Energieindustrie –, sind die Beziehungen so eng, dass jetzt viele einfach nicht mehr miteinander reden nach der Atomwende?
Gammelin: Also, ich denke, die Beziehung zwischen der Energiewirtschaft und der Politik waren von Anfang an sehr eng, da ist jetzt die Regierung Merkel keine Ausnahme – das war schon früher so, das war unter Kohl so, das war unter Schröder so und ist jetzt auch unter Merkel so gewesen. Ich glaube nicht, dass die Betreiber der Energiekonzerne und die Bundesregierung jetzt für immer nicht mehr miteinander reden werden. Ich denke, das ist einfach jetzt eine Extremsituation, mit der beide umzugehen lernen müssen.
Die Konzerne haben jetzt – vor allem RWE natürlich – auch sehr emotional reagiert und erst mal eine Klage angekündigt, wobei man sich natürlich auch fragen muss, es gibt ja keine staatliche Garantie, auch für die Energiekonzerne, bestimmte Kraftwerke zu betreiben und bestimmten Strom zu liefern.
Wir sind ja immer noch in der freien Marktwirtschaft hier. Und von daher ist das schon sehr skurril, dass sie jetzt vors Bundesverfassungsgericht ziehen wollen – oder vor welches Gericht auch immer! – und dagegen klagen. Andererseits ist die Energiewirtschaft natürlich gerade für die Volkswirtschaft Deutschland auch sehr wichtig. Der Politik kann es nicht daran gelegen sein, jetzt komplett die Beziehungen zu den Energieunternehmen zu zerstören, weil schließlich Energie die Grundlage für die gesamte Produktion, für das gesamte Leben ist.
Hanselmann: Die Konzerne halten den Eilausstieg tatsächlich für verfassungswidrig und drohen mit Entschädigungsforderungen für die Gewinne, die ihnen entgehen werden. Die Rede ist von über 20 Milliarden Euro. Meinen Sie, die haben Chancen, damit durchzukommen?
Gammelin: Also, die Zahl ist vor allen Dingen deswegen interessant, weil man da sehen kann, was die eigentlich wirklich für Gewinne damit gemacht haben. Ich denke, der einzige Weg, dass sie Erfolg haben könnten, ist, wenn dieses Ausstiegsgesetz Lücken aufweist, aber ich denke, die Juristen der Bundesregierung werden das schon fehlerfrei schreiben können, sodass die Klage ins Leere verlaufen wird.
Hanselmann: Der Atomausstieg sei zwar eine Herkulesaufgabe – das sagte Angela Merkel gestern bei der Bundestagsdebatte zum Thema –, doch – Zitat – "wir alle gemeinsam können bei diesem Zukunftsprojekt ethische Verantwortung mit wirtschaftlichem Erfolg verbinden." War das schon ein Hinweis in Richtung der großen Konzerne nach dem Motto: Ihr werdet auch mit erneuerbaren Technologien richtig Geld verdienen können?
Gammelin: Ja, da möchte ich eigentlich ganz grundsätzlich sagen, was jetzt beschlossen werden soll, ist der komplette Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie. Es ist aber nicht beschlossen worden – und es wird auch kein Gesetz dafür geben –, dass das komplett mit erneuerbaren Energien ersetzt wird! Sondern pragmatisch gedacht ist es jetzt einfach so, es werden große Kraftwerke abgeschaltet, man braucht also eine große Menge Strom als Ersatz. Wo soll die herkommen?
Und da, denke ich, bieten sich vor allen Dingen erst mal Gaskraftwerke und Kohlekraftwerke an. Und die Bundesregierung hat auch gerade den Weg freigemacht für einen neuen Liefervertrag von Steinkohle von Australien, es werden überall Gaspipelines gebaut, denken wir an die Nord Steam – kommt von Russland, das Gas –, denken wir an die Nabucco, die geplant wird über die EU – da soll aus dem Kaspischen Meer das Gas kommen – und dann gibt es noch die South Stream – die geht auch durch Russland, und da soll Gas nach Europa kommen –, und ich denke, das alles deutet darauf hin, dass der Ausstieg der Atomenergie vor allen Dingen zunächst mit fossilen Energien ersetzt wird. Und damit kommt nämlich ein ganz anderes Thema auf den Tisch, was noch gar nicht jetzt bedacht wurde, nämlich das Klima-Thema.
Hanselmann: 2022, wenn die AKWs alle abgeschaltet worden sein sollen, sollen 35 Prozent der Energie kommen aus erneuerbaren Energien. Das sagte Angela Merkel. Da sagen Kritiker: Das ist viel zu wenig! Die Big Four, wie die großen Stromkonzerne genannt werden – also E.ON, Vattenfall, NBW und RWE –, die beherrschen ja 80 Prozent des deutschen Strommarktes. Ist diese Vormachtstellung ernsthaft in Gefahr?
Gammelin: Ich denke nicht, dass diese Vormachtstellung in Gefahr ist, weil doch der Trend so ist, dass, wenn kleine Ökounternehmen, also Ökostromproduzenten auf den Markt kommen, werden sie zunächst gefördert, wenn sie dann einigermaßen rentabel sind, werden sie zumeist von den großen Konzernen aufgekauft. Ich denke, an den Anteilen der vier großen am Strommarkt wird sich dadurch nichts ändern.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Cerstin Gammelin, sie ist EU-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung" und Mitverfasserin des Buches "Die Strippenzieher", Untertitel "Manager, Minister, Medien – wie Deutschland regiert wird". Unser Thema: Der deutsche Atomausstieg und die Rolle der großen Energiekonzerne. Frau Gammelin, wie sieht es eigentlich auf der anderen Seite aus, also bei den Ökoenergieunternehmen – wie groß ist deren Einfluss auf die Politik? Immerhin hatten wir ja auch schon mal einen grünen Umweltminister.
Gammelin: Grundsätzlich muss man sagen, dass natürlich auch die Ökostromproduzenten oder Ökoenergieproduzenten alles Mögliche tun, um hier politischen Einfluss zu gewinnen. Unter Jürgen Trittin ist es ihnen schon gelungen, mit dem Energieeinspeisegesetz, sehr gute Vergütungen auszuhandeln – für die Einspeisung von Windstrom, aber vor allen Dingen auch für die Einspeisung von Solarenergie in das öffentliche Netz.
Und es ist ja auch in der Vergangenheit jetzt mehrmals korrigiert worden, weil nämlich natürlich mit der Zunahme der Produktion von Strom aus Solar oder Wasser oder Wind natürlich auch die Einspeisevergütung wächst, und damit wirklich vergleichsweise Wahnsinnsgewinnen generiert wurden. Aber das ist ja korrigiert worden.
Hanselmann: Ich möchte noch mal zurück zur Lobbyarbeit, die Sie ja untersucht haben und auch in Ihrem Buch beschrieben haben. Wie hat sich denn die Verflechtung von Energielobby und Politik früher für die Energiewirtschaft ausgewirkt? Wo wurde da zum Beispiel großer Einfluss genommen?
Gammelin: Wenn wir in die jüngste Vergangenheit – oder sagen wir mal, zehn Jahre ungefähr zurückblicken, mit Beginn der Ära Schröder … 1998 wurde ja erstmals das Energiewirtschaftsgesetz, das aus den – ich glaube, 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts stammte, erstmals novelliert, und da konnte man feststellen, dass ganze Textpassagen des neuen Gesetzes von den Energiekonzernen – von RWE und E.ON – geschrieben wurden.
Da konnte man den Entwurf angucken und dann mit Informationen und Dokumenten nachverfolgen, dass eben einige Abteilungen bei RWE oder auch E.ON das geschrieben hatten. Zudem ist eine der spektakulärsten Fusionen in die Zeit von Regierungschef Schröder gefallen, und zwar wollte E.ON, der große Stromerzeuger, den größten deutschen Gaskonzern Ruhrgas kaufen, was eigentlich aus kartellrechtlichen Gründen verboten war.
Es haben sich auch dann … das Kartellamt hat dagegen votiert, und da war die einzige Möglichkeit, das noch mit einer Ministererlaubnis durchzuwinken – also ein ganz spezielles Verfahren –, und lustigerweise kam der Minister damals, der Wirtschaftsminister Werner Müller auch aus der Energiewirtschaft – er war Energiemanager, bevor er Wirtschaftsminister wurde –, und er hat dann zusammen mit seinem Staatssekretär Alfred Tacke diese Ministererlaubnis erteilt:
Es durfte E.ON Ruhrgas kaufen, es entstand der größte deutsche Energiekonzern, mit natürlich einer Monopolstellung bei langfristigen Gaslieferverträgen – und ironischerweise sind dann beide, sowohl Herr Müller als auch Herr Tacke, in Vorstandssitze oder –Sessel von Beteiligungen von E.ON gewechselt. Das ist ein ganz gutes Beispiel dafür, einfach wie eng die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft ist und wie man sich auch gegenseitig dann einfach immer geholfen hat und Politik betrieben hat.
Hanselmann: Man bekommt ja sofort die Vorstellung bei dem, was Sie erzählen, dass bei dem neuen Gesetz, nämlich bei dem Ausstiegsgesetz auch wieder die Energielobbyisten mitschreiben werden. Aber eigentlich haben sie ja daran kein Interesse, oder?
Gammelin: Das Lustige ist, dass auch der erste Atomausstieg, der unter Rot-grün verhandelt wurde, die Handschrift von Energiemanagern trug. Und zwar Walter Hohlefelder und Gerald Hennenhöfer, die beide einstmals Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Umweltministerium waren und danach ebenfalls in Beteiligungen von E.ON gewechselt sind, beziehungsweise Vorgängerunternehmen von E.ON gewechselt sind.
Die Beiden haben federführend diesen Atomkonsens mitgeschrieben. Und da gab es damals ja auch schon ein großes Murren im Bundestag, weil die gesagt haben: Okay, jetzt schreibt uns die Atomwirtschaft den Atomausstieg, und wir können nur noch abnicken. Ich glaube aber, dass bei diesem aktuellen Atomausstieg diese Gefahr nicht gegeben ist.
Hanselmann: Warum werden sie das nicht tun?
Gammelin: Ich denke, dass die Aufregung innerhalb der Bevölkerung jetzt über diese Energiewende oder die zweifache Energiewende der Bundesregierung sehr groß ist. Wenn jetzt noch einmal öffentlich werden würde, dass die Atomwirtschaft auch an diesem Ausstiegsbeschluss mitgeschrieben hat – ich glaube, das wäre endgültig das politische Aus für die jetzige Koalition, und ich glaube, diese Gefahr möchten sie jetzt nicht eingehen.
Hanselmann: Ist der Ausstieg aus der Kernenergie ein Sieg der Politik gegenüber der Energieindustrie? Darüber habe ich gesprochen mit Kerstin Gammelin. Sie ist EU-Korrespondentin der "Süddeutsche Zeitung" und Co-Autorin von "Die Strippenzieher" erschienen beim Econ Verlag. Vielen Dank Frau Gammelin.
Cerstin Gammelin: Oh, das ist eigentlich relativ einfach zu erklären: Frau Merkel hat gemerkt, dass der Ausstieg aus der Atomenergie einfach so ein Massenthema ist, das den Grünen die Wähler zutreibt, dass sie einfach reagieren musste. Wir haben seit Anfang des Jahres gesehen, dass jede Landtagswahl noch mit großen Erfolgen für die Grünen ausgegangen ist. Und da jetzt weitere Wahlen folgen, musste einfach auch politisch strategisch gedacht werden und das Thema Atomausstieg ein für alle Mal erledigt werden.
Hanselmann: Wie ist es denn in so einer Situation, haben die Lobbyisten da geschlafen, hätten die nicht schnell reagieren können? Sie hätten doch auch merken können, was nach Fukushima oder mit dem Unglück von Fukushima sich geändert hat und passiert ist – auch moralisch, ethisch, innerhalb der Regierung?
Gammelin: Ja, ich denke, zuerst konnte eigentlich niemand ahnen, welche Auswirkungen Fukushima haben wird. Das ist ja wirklich für alle Beteiligten, muss man sagen, für die vor Ort, aber auch hier, jeden Tag neu gewesen, welche Ausmaße das hat. Und dann denke ich, haben auch viele Atomlobbyisten unterschätzt, welche Wirkung das vor allen Dingen auf die deutsche Bevölkerung hat, die ja eigentlich seit jeher gegen Atomkraft ist.
Und am Ende kam es, denke ich, schon zu der Entscheidung für die Politik, auch für Frau Merkel: Entweder gebe ich jetzt wieder den Atomkonzernen nach und ich lasse alles so, wie es ist mit der Laufzeitverlängerung – und dabei riskiere ich einfach verlorene Wahlen –, oder ich erledige das Thema ein für alle Mal und mache jetzt den Komplettausstieg. Und sie hat sich halt für letzteres entschieden. Man kann, wenn man es ganz zugespitzt formuliert, einfach sagen, die Frage war: ich oder sie? Und sie hat sich für sich selber entschieden.
Hanselmann: Wie ist das eigentlich konkret – Sie kennen sich ja sehr gut aus mit den Verflechtungen zwischen Politik und auch der Energiewirtschaft, der Energieindustrie –, sind die Beziehungen so eng, dass jetzt viele einfach nicht mehr miteinander reden nach der Atomwende?
Gammelin: Also, ich denke, die Beziehung zwischen der Energiewirtschaft und der Politik waren von Anfang an sehr eng, da ist jetzt die Regierung Merkel keine Ausnahme – das war schon früher so, das war unter Kohl so, das war unter Schröder so und ist jetzt auch unter Merkel so gewesen. Ich glaube nicht, dass die Betreiber der Energiekonzerne und die Bundesregierung jetzt für immer nicht mehr miteinander reden werden. Ich denke, das ist einfach jetzt eine Extremsituation, mit der beide umzugehen lernen müssen.
Die Konzerne haben jetzt – vor allem RWE natürlich – auch sehr emotional reagiert und erst mal eine Klage angekündigt, wobei man sich natürlich auch fragen muss, es gibt ja keine staatliche Garantie, auch für die Energiekonzerne, bestimmte Kraftwerke zu betreiben und bestimmten Strom zu liefern.
Wir sind ja immer noch in der freien Marktwirtschaft hier. Und von daher ist das schon sehr skurril, dass sie jetzt vors Bundesverfassungsgericht ziehen wollen – oder vor welches Gericht auch immer! – und dagegen klagen. Andererseits ist die Energiewirtschaft natürlich gerade für die Volkswirtschaft Deutschland auch sehr wichtig. Der Politik kann es nicht daran gelegen sein, jetzt komplett die Beziehungen zu den Energieunternehmen zu zerstören, weil schließlich Energie die Grundlage für die gesamte Produktion, für das gesamte Leben ist.
Hanselmann: Die Konzerne halten den Eilausstieg tatsächlich für verfassungswidrig und drohen mit Entschädigungsforderungen für die Gewinne, die ihnen entgehen werden. Die Rede ist von über 20 Milliarden Euro. Meinen Sie, die haben Chancen, damit durchzukommen?
Gammelin: Also, die Zahl ist vor allen Dingen deswegen interessant, weil man da sehen kann, was die eigentlich wirklich für Gewinne damit gemacht haben. Ich denke, der einzige Weg, dass sie Erfolg haben könnten, ist, wenn dieses Ausstiegsgesetz Lücken aufweist, aber ich denke, die Juristen der Bundesregierung werden das schon fehlerfrei schreiben können, sodass die Klage ins Leere verlaufen wird.
Hanselmann: Der Atomausstieg sei zwar eine Herkulesaufgabe – das sagte Angela Merkel gestern bei der Bundestagsdebatte zum Thema –, doch – Zitat – "wir alle gemeinsam können bei diesem Zukunftsprojekt ethische Verantwortung mit wirtschaftlichem Erfolg verbinden." War das schon ein Hinweis in Richtung der großen Konzerne nach dem Motto: Ihr werdet auch mit erneuerbaren Technologien richtig Geld verdienen können?
Gammelin: Ja, da möchte ich eigentlich ganz grundsätzlich sagen, was jetzt beschlossen werden soll, ist der komplette Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie. Es ist aber nicht beschlossen worden – und es wird auch kein Gesetz dafür geben –, dass das komplett mit erneuerbaren Energien ersetzt wird! Sondern pragmatisch gedacht ist es jetzt einfach so, es werden große Kraftwerke abgeschaltet, man braucht also eine große Menge Strom als Ersatz. Wo soll die herkommen?
Und da, denke ich, bieten sich vor allen Dingen erst mal Gaskraftwerke und Kohlekraftwerke an. Und die Bundesregierung hat auch gerade den Weg freigemacht für einen neuen Liefervertrag von Steinkohle von Australien, es werden überall Gaspipelines gebaut, denken wir an die Nord Steam – kommt von Russland, das Gas –, denken wir an die Nabucco, die geplant wird über die EU – da soll aus dem Kaspischen Meer das Gas kommen – und dann gibt es noch die South Stream – die geht auch durch Russland, und da soll Gas nach Europa kommen –, und ich denke, das alles deutet darauf hin, dass der Ausstieg der Atomenergie vor allen Dingen zunächst mit fossilen Energien ersetzt wird. Und damit kommt nämlich ein ganz anderes Thema auf den Tisch, was noch gar nicht jetzt bedacht wurde, nämlich das Klima-Thema.
Hanselmann: 2022, wenn die AKWs alle abgeschaltet worden sein sollen, sollen 35 Prozent der Energie kommen aus erneuerbaren Energien. Das sagte Angela Merkel. Da sagen Kritiker: Das ist viel zu wenig! Die Big Four, wie die großen Stromkonzerne genannt werden – also E.ON, Vattenfall, NBW und RWE –, die beherrschen ja 80 Prozent des deutschen Strommarktes. Ist diese Vormachtstellung ernsthaft in Gefahr?
Gammelin: Ich denke nicht, dass diese Vormachtstellung in Gefahr ist, weil doch der Trend so ist, dass, wenn kleine Ökounternehmen, also Ökostromproduzenten auf den Markt kommen, werden sie zunächst gefördert, wenn sie dann einigermaßen rentabel sind, werden sie zumeist von den großen Konzernen aufgekauft. Ich denke, an den Anteilen der vier großen am Strommarkt wird sich dadurch nichts ändern.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Cerstin Gammelin, sie ist EU-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung" und Mitverfasserin des Buches "Die Strippenzieher", Untertitel "Manager, Minister, Medien – wie Deutschland regiert wird". Unser Thema: Der deutsche Atomausstieg und die Rolle der großen Energiekonzerne. Frau Gammelin, wie sieht es eigentlich auf der anderen Seite aus, also bei den Ökoenergieunternehmen – wie groß ist deren Einfluss auf die Politik? Immerhin hatten wir ja auch schon mal einen grünen Umweltminister.
Gammelin: Grundsätzlich muss man sagen, dass natürlich auch die Ökostromproduzenten oder Ökoenergieproduzenten alles Mögliche tun, um hier politischen Einfluss zu gewinnen. Unter Jürgen Trittin ist es ihnen schon gelungen, mit dem Energieeinspeisegesetz, sehr gute Vergütungen auszuhandeln – für die Einspeisung von Windstrom, aber vor allen Dingen auch für die Einspeisung von Solarenergie in das öffentliche Netz.
Und es ist ja auch in der Vergangenheit jetzt mehrmals korrigiert worden, weil nämlich natürlich mit der Zunahme der Produktion von Strom aus Solar oder Wasser oder Wind natürlich auch die Einspeisevergütung wächst, und damit wirklich vergleichsweise Wahnsinnsgewinnen generiert wurden. Aber das ist ja korrigiert worden.
Hanselmann: Ich möchte noch mal zurück zur Lobbyarbeit, die Sie ja untersucht haben und auch in Ihrem Buch beschrieben haben. Wie hat sich denn die Verflechtung von Energielobby und Politik früher für die Energiewirtschaft ausgewirkt? Wo wurde da zum Beispiel großer Einfluss genommen?
Gammelin: Wenn wir in die jüngste Vergangenheit – oder sagen wir mal, zehn Jahre ungefähr zurückblicken, mit Beginn der Ära Schröder … 1998 wurde ja erstmals das Energiewirtschaftsgesetz, das aus den – ich glaube, 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts stammte, erstmals novelliert, und da konnte man feststellen, dass ganze Textpassagen des neuen Gesetzes von den Energiekonzernen – von RWE und E.ON – geschrieben wurden.
Da konnte man den Entwurf angucken und dann mit Informationen und Dokumenten nachverfolgen, dass eben einige Abteilungen bei RWE oder auch E.ON das geschrieben hatten. Zudem ist eine der spektakulärsten Fusionen in die Zeit von Regierungschef Schröder gefallen, und zwar wollte E.ON, der große Stromerzeuger, den größten deutschen Gaskonzern Ruhrgas kaufen, was eigentlich aus kartellrechtlichen Gründen verboten war.
Es haben sich auch dann … das Kartellamt hat dagegen votiert, und da war die einzige Möglichkeit, das noch mit einer Ministererlaubnis durchzuwinken – also ein ganz spezielles Verfahren –, und lustigerweise kam der Minister damals, der Wirtschaftsminister Werner Müller auch aus der Energiewirtschaft – er war Energiemanager, bevor er Wirtschaftsminister wurde –, und er hat dann zusammen mit seinem Staatssekretär Alfred Tacke diese Ministererlaubnis erteilt:
Es durfte E.ON Ruhrgas kaufen, es entstand der größte deutsche Energiekonzern, mit natürlich einer Monopolstellung bei langfristigen Gaslieferverträgen – und ironischerweise sind dann beide, sowohl Herr Müller als auch Herr Tacke, in Vorstandssitze oder –Sessel von Beteiligungen von E.ON gewechselt. Das ist ein ganz gutes Beispiel dafür, einfach wie eng die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft ist und wie man sich auch gegenseitig dann einfach immer geholfen hat und Politik betrieben hat.
Hanselmann: Man bekommt ja sofort die Vorstellung bei dem, was Sie erzählen, dass bei dem neuen Gesetz, nämlich bei dem Ausstiegsgesetz auch wieder die Energielobbyisten mitschreiben werden. Aber eigentlich haben sie ja daran kein Interesse, oder?
Gammelin: Das Lustige ist, dass auch der erste Atomausstieg, der unter Rot-grün verhandelt wurde, die Handschrift von Energiemanagern trug. Und zwar Walter Hohlefelder und Gerald Hennenhöfer, die beide einstmals Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Umweltministerium waren und danach ebenfalls in Beteiligungen von E.ON gewechselt sind, beziehungsweise Vorgängerunternehmen von E.ON gewechselt sind.
Die Beiden haben federführend diesen Atomkonsens mitgeschrieben. Und da gab es damals ja auch schon ein großes Murren im Bundestag, weil die gesagt haben: Okay, jetzt schreibt uns die Atomwirtschaft den Atomausstieg, und wir können nur noch abnicken. Ich glaube aber, dass bei diesem aktuellen Atomausstieg diese Gefahr nicht gegeben ist.
Hanselmann: Warum werden sie das nicht tun?
Gammelin: Ich denke, dass die Aufregung innerhalb der Bevölkerung jetzt über diese Energiewende oder die zweifache Energiewende der Bundesregierung sehr groß ist. Wenn jetzt noch einmal öffentlich werden würde, dass die Atomwirtschaft auch an diesem Ausstiegsbeschluss mitgeschrieben hat – ich glaube, das wäre endgültig das politische Aus für die jetzige Koalition, und ich glaube, diese Gefahr möchten sie jetzt nicht eingehen.
Hanselmann: Ist der Ausstieg aus der Kernenergie ein Sieg der Politik gegenüber der Energieindustrie? Darüber habe ich gesprochen mit Kerstin Gammelin. Sie ist EU-Korrespondentin der "Süddeutsche Zeitung" und Co-Autorin von "Die Strippenzieher" erschienen beim Econ Verlag. Vielen Dank Frau Gammelin.