"Die Frage, wie man gewaltfrei über Gewalt schreibt"
So wie die Geschichte Indiens und Asiens des 20. Jahrhunderts voller Gewalt steckt, von Kriegen über Kolonialaufstände bis hin zu religiösen und ethnischen Konflikten, so sind auch die Romane des indischen Autors Amitav Goshs Spiegelbilder dieser Auseinandersetzungen.
Ein bengalischer Junge aus der Mittelschicht wächst nicht nur mit Büchern auf, sondern auch mit dem Wunsch, Schriftsteller zu werden. So auch der 1956 in Kalkutta geborene Kaufmannssohn Amitav Gosh. Nach dem Erwerb des Doktortitels in Sozialanthropologie in Oxford begann er Artikeln und Reiseberichten für Zeitungen zu schreiben, bevor er dann 1986 seinen Erstling "Bengalisches Feuer oder die Macht der Vernunft" vorzulegte, der Kritiker wie Leser gleichermaßen begeisterte. Seitdem hat der Inder vier weitere Romane veröffentlicht, auf die sein Ruf als einer der besten indischen Autoren unserer Zeit gründet. Allerdings hat er darüber nie seine Anfänge vergessen. So sind die jetzt gesammelten Essays aus 18 Jahren keineswegs nur als nostalgische Erinnerungen zu sehen, sondern als Zeugnis der engen Verbindung von schriftstellerischem Werk und eher journalistischen Arbeiten.
"Ich denke, meine Essays haben meine Literatur gründlich beeinflusst. Das ist eine gegenseitige Angelegenheit. Es hat mir auch immer viel Spaß gemacht, Essays zu schreiben und das hängt damit zusammen, dass ich meine Karriere als Journalist begann. Meine Essays sind erzählende Essays, fast wie Geschichten."
In Amitav Goshs Essays stößt man auf viele Themen, die man aus seinen Romanen kennt. Allerdings erlaubt er sich hier Reflexionen über seine Art zu schreiben, über das Schreiben generell, die in seinem fiktiven Werk nur indirekt auftauchen. So denkt er zum Beispiel in dem Essay "Indira Gandhis Geister" laut über die seiner Ansicht nach verfehlte Ästhetik der Gewalt nach.
"In der modernen Literatur - und das gilt für die letzten 100 Jahre – gibt es eine Art von Vernarrtheit in Gewalt. Man sieht es im Film, Gewalt ist sexy, verkauft sich. Ganz besonders in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Das ist eine Ästhetik, die ich geschmacklos finde und zwar weil ich den indischen Kontext kenne, wir unter solchen Verhältnissen gelebt und diese Sachen direkt erfahren haben."
So wie die Geschichte Indiens und Asiens des 20. Jahrhunderts voller Gewalt steckt, von Kriegen über Kolonialaufstände bis hin zu religiösen und ethnischen Konflikten, so sind auch Amitav Goshs Romane Spiegelbilder dieser Auseinandersetzungen. Ob nun in "Schattenlinien" die blutigen Pogrome 1964 an Hindus in Bangladesh und Moslems in Kalkutta oder in "Glaspalast" die verdrängte Geschichte der indischen Nationalarmee, die auf Seiten der Japaner im Zweiten Weltkrieg für Indiens Unabhängigkeit gegen die britische Kolonialarmee kämpfte - immer wieder greift er das Thema Gewalt auf.
Nur wird man bei ihm keinerlei Verherrlichung von Gewalt finden. In seinem Essay über jene Erlebnisse in Neu Delhi nach der Ermordung Indira Gandhis durch einer ihrer Sikh-Wächter, als fanatisierte, von Politikern aufgeputschte Jugendbanden Jagd auf unschuldige Sikh-Mitbürger machten, sie bei lebendigem Leib verbrannten, schildert Amitav Gosh, wie er sich einer Gruppe beherzter Bürger anschloss, die in Neu-Delhis Geschäftsviertel dem Mob entgegentrat. Für wenige Stunden obsiegte die Vernunft. In der Berichterstattung allerdings fehlen solche Akte des Widerstand, wie der Schriftsteller in seinem Essay bitter beklagt:
"Was ich vor allem von Mahathma Gandhi gelernt habe, ist, dass Gewaltlosigkeit nicht nur eine politische Taktik ist, sondern ein Prozess, eine Geisteshaltung. Für mich stellt sich also die Frage, wie man gewaltfrei über Gewalt schreibt. Ich hätte nun damals bei diesen Unruhen entweder die Gewalt ins Zentrum meines Berichtes stellen können oder jene, die sich ihr entgegenstellten. Wenn man über Gewalt schreibt, darf man das nicht so, dass man sie quasi noch verstärkt."
Bei seinen Reisen hat Amitav Gosh aber noch etwas über die Gewalt in der Welt gelernt. 1996 besuchte er für die Hintergrundrecherchen für seinen Roman "Glaspalast" unter anderem auch für ein paar Tage die Kereni-Rebellen in Birma, die seit Ewigkeiten gegen die Militärjunta in Ragun kämpfen.
"Das war für mich eine sehr lehrreiche Erfahrung. Ich habe dabei gelernt, dass das eine Situation ist, die immer häufiger in einer Welt von Aufständen vorkommt. Der Aufstand selbst wird institutionalisiert. Wenn das aber erst einmal geschehen ist, wird es geradezu unmöglich umzukehren. Das hört sich ziemlich schlimm an, aber ich glaube, Birma verkörpert das, was aus der Welt geworden ist. Es wird oftmals als gescheiterte demokratische Revolution angesehen, aber so ist es nicht. Birma ist der erste Staat, der vom Terrorismus vernichtet wurde, von Aufständen. Birma ist heute ein Land, in dem ständig irgendwo Aufstände schwellen. Man trifft Leute, die seit 50 Jahre Guerilleros sind, im Dschungel leben. Die kleinen Jungs tragen Waffen, die Frauen auch. Es ist ein Form des Lebens. Noch nicht mal eine unglückliche."
Amitav Gosh ist wie so viele seiner indischen Englisch schreibenden Schriftstellerkollegen ein Wanderer zwischen den Welten und Kulturen. Mit einer Amerikanerin verheiratet, an der amerikanischen Harvard University ebenso Gastprofessor wie an indischen Hochschulen pendelt er mehrmals im Jahr zwischen Kalkutta und den USA. Die Diaspora, also das Leben der Inder in der Fremde hat ihn geprägt:
"Die Diaspora war für mich enorm wichtig und zwar in vielerlei Hinsicht. Ich glaube nicht, dass ich das Werk hätte vorlegen können, das ich geschrieben habe, hätte ich nicht in der Diaspora gelebt. Ich habe dabei gelernt, dass Indien keine Insel ist, nicht nur aus dem indischen Subkontinent besteht, Indien ist eine Form, die Welt zu erfahren. Hinter der Tatsache, dass Indien über die ganze Welt verstreut ist, liegt eine ganze Geschichte des Leidens und der Schmerzen. Inder waren im 19. Jahrhundert, was Afrikaner im 18. waren: eine riesige Quelle von Sklavenarbeit. Das zu begreifen und zu erkennen, dass diese Geschichte noch ungeschrieben ist, das war für mich die wohl wichtigste Offenbarung meines Lebens in der Diaspora."
"Ich denke, meine Essays haben meine Literatur gründlich beeinflusst. Das ist eine gegenseitige Angelegenheit. Es hat mir auch immer viel Spaß gemacht, Essays zu schreiben und das hängt damit zusammen, dass ich meine Karriere als Journalist begann. Meine Essays sind erzählende Essays, fast wie Geschichten."
In Amitav Goshs Essays stößt man auf viele Themen, die man aus seinen Romanen kennt. Allerdings erlaubt er sich hier Reflexionen über seine Art zu schreiben, über das Schreiben generell, die in seinem fiktiven Werk nur indirekt auftauchen. So denkt er zum Beispiel in dem Essay "Indira Gandhis Geister" laut über die seiner Ansicht nach verfehlte Ästhetik der Gewalt nach.
"In der modernen Literatur - und das gilt für die letzten 100 Jahre – gibt es eine Art von Vernarrtheit in Gewalt. Man sieht es im Film, Gewalt ist sexy, verkauft sich. Ganz besonders in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Das ist eine Ästhetik, die ich geschmacklos finde und zwar weil ich den indischen Kontext kenne, wir unter solchen Verhältnissen gelebt und diese Sachen direkt erfahren haben."
So wie die Geschichte Indiens und Asiens des 20. Jahrhunderts voller Gewalt steckt, von Kriegen über Kolonialaufstände bis hin zu religiösen und ethnischen Konflikten, so sind auch Amitav Goshs Romane Spiegelbilder dieser Auseinandersetzungen. Ob nun in "Schattenlinien" die blutigen Pogrome 1964 an Hindus in Bangladesh und Moslems in Kalkutta oder in "Glaspalast" die verdrängte Geschichte der indischen Nationalarmee, die auf Seiten der Japaner im Zweiten Weltkrieg für Indiens Unabhängigkeit gegen die britische Kolonialarmee kämpfte - immer wieder greift er das Thema Gewalt auf.
Nur wird man bei ihm keinerlei Verherrlichung von Gewalt finden. In seinem Essay über jene Erlebnisse in Neu Delhi nach der Ermordung Indira Gandhis durch einer ihrer Sikh-Wächter, als fanatisierte, von Politikern aufgeputschte Jugendbanden Jagd auf unschuldige Sikh-Mitbürger machten, sie bei lebendigem Leib verbrannten, schildert Amitav Gosh, wie er sich einer Gruppe beherzter Bürger anschloss, die in Neu-Delhis Geschäftsviertel dem Mob entgegentrat. Für wenige Stunden obsiegte die Vernunft. In der Berichterstattung allerdings fehlen solche Akte des Widerstand, wie der Schriftsteller in seinem Essay bitter beklagt:
"Was ich vor allem von Mahathma Gandhi gelernt habe, ist, dass Gewaltlosigkeit nicht nur eine politische Taktik ist, sondern ein Prozess, eine Geisteshaltung. Für mich stellt sich also die Frage, wie man gewaltfrei über Gewalt schreibt. Ich hätte nun damals bei diesen Unruhen entweder die Gewalt ins Zentrum meines Berichtes stellen können oder jene, die sich ihr entgegenstellten. Wenn man über Gewalt schreibt, darf man das nicht so, dass man sie quasi noch verstärkt."
Bei seinen Reisen hat Amitav Gosh aber noch etwas über die Gewalt in der Welt gelernt. 1996 besuchte er für die Hintergrundrecherchen für seinen Roman "Glaspalast" unter anderem auch für ein paar Tage die Kereni-Rebellen in Birma, die seit Ewigkeiten gegen die Militärjunta in Ragun kämpfen.
"Das war für mich eine sehr lehrreiche Erfahrung. Ich habe dabei gelernt, dass das eine Situation ist, die immer häufiger in einer Welt von Aufständen vorkommt. Der Aufstand selbst wird institutionalisiert. Wenn das aber erst einmal geschehen ist, wird es geradezu unmöglich umzukehren. Das hört sich ziemlich schlimm an, aber ich glaube, Birma verkörpert das, was aus der Welt geworden ist. Es wird oftmals als gescheiterte demokratische Revolution angesehen, aber so ist es nicht. Birma ist der erste Staat, der vom Terrorismus vernichtet wurde, von Aufständen. Birma ist heute ein Land, in dem ständig irgendwo Aufstände schwellen. Man trifft Leute, die seit 50 Jahre Guerilleros sind, im Dschungel leben. Die kleinen Jungs tragen Waffen, die Frauen auch. Es ist ein Form des Lebens. Noch nicht mal eine unglückliche."
Amitav Gosh ist wie so viele seiner indischen Englisch schreibenden Schriftstellerkollegen ein Wanderer zwischen den Welten und Kulturen. Mit einer Amerikanerin verheiratet, an der amerikanischen Harvard University ebenso Gastprofessor wie an indischen Hochschulen pendelt er mehrmals im Jahr zwischen Kalkutta und den USA. Die Diaspora, also das Leben der Inder in der Fremde hat ihn geprägt:
"Die Diaspora war für mich enorm wichtig und zwar in vielerlei Hinsicht. Ich glaube nicht, dass ich das Werk hätte vorlegen können, das ich geschrieben habe, hätte ich nicht in der Diaspora gelebt. Ich habe dabei gelernt, dass Indien keine Insel ist, nicht nur aus dem indischen Subkontinent besteht, Indien ist eine Form, die Welt zu erfahren. Hinter der Tatsache, dass Indien über die ganze Welt verstreut ist, liegt eine ganze Geschichte des Leidens und der Schmerzen. Inder waren im 19. Jahrhundert, was Afrikaner im 18. waren: eine riesige Quelle von Sklavenarbeit. Das zu begreifen und zu erkennen, dass diese Geschichte noch ungeschrieben ist, das war für mich die wohl wichtigste Offenbarung meines Lebens in der Diaspora."