Carmen Thomas erfand zwischen 1974 und 1994 als Redaktionsleiterin und Moderatorin mit „WDR-Hallo Ü-Wagen“ die erste Mitmach-Sendung im Rundfunk. 1973 und 1974 war sie erste Moderatorin einer Sport-Sendung im deutschen TV. Ab 1976 entwickelte sie eine der ersten Selbsthilfegruppen Deutschlands. Sie lehrte 13 Jahre an Universitäten. Seit 1980 coacht sie Menschen in Wirtschaft und Politik, in den Medien, in Institutionen aller Art und im Ehrenamt. Sie ist Bestsellerautorin. Das Wirtschaftsmagazin Forbes zählte sie 1990 zu den 100 einflussreichsten Frauen Deutschlands. Seit 1998 leitet sie die „1. ModerationsAkademie für Medien und Wirtschaft“.
Die Frauenstimme
Die Stimme ist für jeden einzelnen Menschen einmalig und lässt sich nur schwer verändern. © imago / fStop Images / Malte Mueller
Zu hoch, zu schrill, zu irgendwas
Frauenstimmen sind angeblich immer unpassend: zu tief, zu schrill, zu irgendwas. Carmen Thomas, WDR-Radiolegende und erste Frau, die das Sportstudio moderierte, kennt das: eine Standard-Abwehr beim Thema Gleichberechtigung.
Was ist das für ein Wunderwerkzeug: die Stimme. Und was Menschen alles damit tun können. Männer wie Frauen haben ja die Fähigkeit, vielfältig zu tönen: wie niedliche Dreijährige oder genervte Pubertäre, wie barsche Parkwächter oder liebe Blumenmädchen, wie machtvolle Big Bosses oder „cheffige“ Sekretärinnen, wie ein Pfarrer oder wie Models. Ha, gemerkt? Da ist er schon: der unbewusste Unterschied durch altbackene Klischees in diesen Stimm-Beispielen: unwichtigere für die Mädels und machtvollere für die Kerle. Das gehört bereits zum Sonderkapitel: Stimmen von Männern und Frauen.
Frauenstimmen werden öfter thematisiert
Ja – es gibt sie. Die richtig nervig zu schrillen, zu quäkigen, auch zu tiefen, zu irgendwas – auf jeden Fall zu unangenehmen Stimmen. Was könnten denn Gründe sein, dass unangenehme Frauenstimmen so viel öfter thematisiert werden. Eine Quelle könnte sein, dass Frauen in wichtigen Positionen immer noch nicht selbstverständlich sind. Egal ob Angela Merkel – anfangs erstmal heller, dann fester, klar und schnörkellos. Christine Lagarde – tief warm, mit charmanter Autorität fast einen Hauch verführerisch für die Rolle und dann klingt sie noch ganz anders als Mario Draghi, ihr schnarriger Vorgänger. Annalena Baerbock dagegen klingt fast zu mädchenhaft für eine Außenministerin. Oder Franziska Giffey, die selbst darunter leidet, dass sich ihre „Stimme zu kindlich“ anhöre. Deutlich ist, jede dieser neuen Rollen für Frauen sind zunächst Anlässe für Hör-Umstellungen. Denn da waren ja bisher Männer-Stimmen. Ungewohntes macht erst mal reaktant.
Frauen sind einfach zu …
Das galt auch für mich als eine der ersten politischen WDR-Moderatorinnen und als erste Frau einer Sportsendung im deutschen Fernsehen. Motto: „Frauen und Politik – das passt auch stimmlich überhaupt nicht. Dadurch klingen Meldungen sofort unwichtiger. Mit dieser Argumentation konnte der Leiter des WDR-Mittagsmagazins bis 1984 Moderatorinnen aktiv verhindern. Und beim Sport: Bei mir wurde hemmungslos besprochen, dass bei mir Boxen, Ringen und Fußball, sprich alle echten Männersportarten, ein absolutes No-Go seien. Klarer Fall: Da passen Frauenstimmen einfach gar nicht!
Frage: Ob es sein kann, dass die Gleichstellung von Mann und Frau von Anfang an von der Standard-Abwehr begleitet war, dass Frauen stets einschränkend irgendetwas zu … sind: zu freundlich, zu aggressiv, zu fleißig, zu hässlich, zu ungenau, zu übergenau, zu irgendetwas – eben auch in der Stimme.
Das Bedeutsame: Die Stimme, dieser einmalige Fußabdruck in der Kehle, der im Zusammenleben tiefe Spuren erzeugt, ist ja sowohl geschlechtsspezifisch als auch charakteristisch und für jeden einzelnen Menschen einmalig. Und das Dumme ist, dass sich der Klang von innen anders anhört als für die Ohren anderer Menschen. Das erschwert selbst zu merken, wie die eigene Stimme wirkt. Wie überrascht sind viele, wenn sie sich das erste Mal vom Tonband hören und sich dann standardmäßig „schrecklich“ finden.
„Du klingst ja wie ein Mädchen"
Obwohl ein bedeutsamer Schlüssel für die Abwehr sein könnte, dass sich die Stimmen von Mädchen und Jungen witziger- und nachdenkenswerterweise vor dem Stimmbruch bis in die Pubertät im Grunde wenig oder gar nicht unterscheiden. Aber dann ist der Satz: „Du klingst ja wie ein Mädchen“ plötzlich sehr verächtlich gemeint. Was für ein weites Feld – mit einer Abschluss-Irritation: Wieso wird in der Politik eigentlich ausgerechnet die Stimme abgegeben? Na ja, zumindest seit 103 Jahren endlich von beiden Geschlechtern.